TE Vwgh Erkenntnis 1997/10/3 95/19/1540

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Veröffentlicht am 03.10.1997
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Index

22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §13 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
AufG 1992 §6 Abs3;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs4;
ZPO §232;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des H O in Wien, geboren 1968, vertreten durch Dr. Richard Soyer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. September 1995, Zl. 112.188/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte am 14. Juni 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einen als "Verlängerungsantrag" bezeichneten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 20. September 1994 gemäß § 13 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) wegen verspäteter Antragstellung zurückgewiesen.

In der dagegen erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer, er habe rechtzeitig am 26. Februar 1994 die Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung beantragt und dieser Antrag sei in weiterer Folge an das nunmehr örtlich zuständige Amt der Wiener Landesregierung weitergeleitet worden. Entgegen der Ansicht der Erstbehörde sei der vorliegende Antrag daher nicht als verspätet anzusehen.

Mit Bescheid vom 27. September 1995, zugestellt am 9. Oktober 1995, wurde die Berufung vom Bundesminister für Inneres gemäß § 6 Abs. 2 AufG sowie gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, der Beschwerdeführer habe beim Magistrat der Stadt Wien einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt, der von dieser Behörde abgewiesen worden sei. Gemäß § 6 Abs. 2 AufG sei der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor der Einreise nach Österreich zu stellen. Der Antrag auf Verlängerung könne auch vom Inland aus gestellt werden.

Es stehe fest, daß der Beschwerdeführer seinen Antrag nicht vor seiner Einreise in das Bundesgebiet eingebracht habe. Dieser Sachverhalt werde vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten.

Zwar sei nicht jeder im Inland gestellte Antrag unzulässig, da es einerseits Fälle gebe, bei denen eine Erstantragsstellung im Inland durch das Gesetz vorgesehen sei, es andererseits Fälle gebe, bei denen die Antragstellung im Inland "in Ausnahmefällen durch Judikatur ermöglicht wird". Beides treffe im vorliegenden Fall jedoch nicht zu.

Gemäß § 4 Abs. 1 AufG könne Fremden eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, sofern kein Ausschließungsgrund gemäß § 5 AufG vorliege. § 5 Abs. 1 AufG besage, daß Fremden eine Bewilligung nicht erteilt werden dürfe, bei denen ein Grund für die Versagung eines Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 FrG vorliege, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG sei die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Es stehe fest, daß sich der Beschwerdeführer seit Ablauf seiner Aufenthaltsberechtigung unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte. Diese Tatsache stelle eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit dar, da sein Verhalten auf andere Fremde durchaus Beispielwirkung haben könne. § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG finde durch § 5 Abs. 1 AufG "direkte Anwendung".

Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers sei zu sagen, daß durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet unabsprechbare private und familiäre Beziehungen zu Österreich bestünden. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei § 6 Abs. 2 AufG sowie § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor dem Hintergrund des Art. 8 MRK verfassungskonform auszulegen. Lediglich eine kurzfristige Versäumung der Frist zur rechtzeitigen Antragstellung gemäß § 6 Abs. 2 letzter Satz AufG berechtige den Fremden trotzdem zur Inlandsantragstellung, wenn er sich jahrelang bzw. seit Geburt rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Es stehe aber fest, daß der Beschwerdeführer die Frist zur Stellung des Antrages auf Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung 10 Wochen versäumt habe, weshalb eine analoge Heranziehung des § 6 Abs. 2 letzter Satz AufG ausgeschlossen sei. Dies sei auch mit Art. 8 MRK vereinbar. Im Hinblick darauf, daß im Fall des Beschwerdeführers eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 2 erster Satz geboten sei und daß weiters auf Grund seines unrechtmäßigen Aufenthaltes § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zum Tragen komme, sei die Inlandsantragstellung am 13. Juni 1994 ausgeschlossen gewesen. Auf obige Überlegungen bezogen sei die Ablehnung des Antrages "bezüglich des Art. 8 MRK verfassungskonform".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer halte sich seit 1992 ununterbrochen in Österreich auf, zuletzt sei ihm ein bis 30. März 1994 gültiger Sichtvermerk erteilt worden. Am 26. Februar 1994 habe der Beschwerdeführer fristgerecht die Verlängerung dieser Aufenthaltsbewilligung beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung beantragt. Nachdem er seinen Wohnort nach Wien verlegt habe, sei ihm vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung mitgeteilt worden, daß er einen neuen Antrag in Wien einbringen müßte und der ursprünglich in Graz gestellte Antrag an das Amt der Wiener Landesregierung weitergeleitet werde. Aus diesen Grund habe der Beschwerdeführer am 13. Juni 1994 erneut einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung eingebracht. Am 14. Juni 1994 sei mit dem der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtigen Beschwerdeführer beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung eine Niederschrift ohne Beiziehung eines Dolmetschers aufgenommen worden und festgehalten worden, daß der Beschwerdeführer seinen Antrag vom 26. Februar 1994 ersatzlos zurückziehe und beim Magistrat der Stadt Wien selbständig vorsprechen und dort neuerlich einen Antrag stellen werde. Gemäß § 13a AVG sei die Behörde verpflichtet, Personen, die nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten seien, die Zuvornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben und sie über die mit ihren Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar verbundenen Rechtsfolgen zu belehren. Das Amt der Steiermärkischen Landesregierung wäre daher verpflichtet gewesen, den Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, daß sein Antrag zuständigkeitshalber an das Amt der Wiener Landesregierung abgetreten werde, da im Falle einer Zurückziehung das Verfahren beendet und mit der Antragstellung in Wien ein neues Verfahren begonnen werde. Es habe dem Amt der Steiermärkischen Landesregierung am 14. Juni 1994 bekannt sein müssen, daß eine neue Antragstellung nicht zur Fortführung des bereits anhängigen Verfahrens, sondern zur Abweisung des neu gestellten Antrages führen werde. Auf diese mit der Zurückziehung des Antrages unmittelbar verbundene Rechtsfolge hätte das Amt der Steiermärkischen Landesregierung den Beschwerdeführer hinweisen müssen. Schon in seiner Berufung habe der Beschwerdeführer dargelegt, daß er entgegen der Ansicht der Erstbehörde seinen Antrag rechtzeitig gestellt habe und ihm anläßlich der Vorsprache am 14. Juni 1994 mitgeteilt worden sei, daß sein Antrag an das nunmehr örtlich zuständige Amt der Wiener Landesregierung weitergeleitet werde. Indem die belangte Behörde sich mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt habe, habe sie den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt. Bei Durchführung eines gesetzeskonformen Ermittlungsverfahrens durch die belangte Behörde hätte diese feststellen müssen, daß der Beschwerdeführer seinen am 26. Februar 1994 eingebrachten Antrag nicht wirksam habe zurückziehen können, da einerseits der Amtshandlung kein Dolmetscher beigezogen worden sei und andererseits der Beschwerdeführer nicht über die mit seiner Handlung verbundenen Rechtsfolgen belehrt worden sei. Daraus folge, daß der am 26. Februar 1994 gestellte Antrag des Beschwerdeführers unerledigt sei, sein von der belangten Behörde abgewiesener, am 13. Juni 1994 eingebrachter Antrag daher wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen gewesen wäre. Die belangte Behörde hätte der Berufung Folge geben und den erstinstanzlichen Bescheid beheben müssen. Es wäre nach Auffassung des Beschwerdeführers der Erstbehörde aufzutragen gewesen, über den rechtzeitig am 26. Februar 1994 und vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung weitergeleiteten Antrag zu entscheiden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Im Hinblick auf das Datum der Erlassung des angefochtenen Bescheides ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof das AufG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 maßgeblich. Die §§ 6 Abs. 2 und 13 Abs. 1 AufG lauten in der Fassung dieser Novelle (auszugsweise):

"§ 6.

...

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. ... Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung und auf Änderung des Aufenthaltszwecks kann bis zum Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung auch vom Inland aus gestellt werden.

...

§ 13. (1) Die Berechtigungen zum Aufenthalt von Fremden, auf die dieses Bundesgesetz Anwendung findet und die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, bleiben unberührt. Sie können mit Ablauf der Geltungsdauer dieser Berechtigung die Erteilung einer Bewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften (§ 4 Abs. 2) beantragen.

..."

Wie sich aus dem in den Verwaltungsakten erliegenden Bescheid der Behörde erster Instanz ergibt, hat diese mit Bescheid vom 20. September 1994 den am 13. Juni 1994 beim Magistrat der Stadt Wien gestellen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mangels rechtzeitiger Antragstellung zurückgewiesen. Nur die Entscheidung über diesen Antrag bildete demnach die "Sache" des Berufungsverfahrens. Soweit der Beschwerdeführer die Auffassung vertritt, eine Entscheidung über den Antrag vom 13. Juni 1994 sei unzulässig gewesen, weil über einen bereits früher gestellten Antrag hätte abgesprochen werden müssen, so ist im zu entgegnen, daß das Rechtsinstitut der Streitanhängigkeit dem AVG fremd ist (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, 99, wiedergegebene Judikatur). Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hängt demnach nicht davon ab, ob über einen früher eingebrachten Antrag (Verlängerung einer Aufenthaltsberechtigung) bereits entschieden worden ist.

Der Beschwerdeführer tritt den Bescheidfeststellungen der belangten Behörde, er habe die sich aus § 13 Abs. 1 AufG ergebende Frist zur Stellung eines Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung um 10 Wochen versäumt, nicht entgegen. Ebenso wenig bestreitet der Beschwerdeführer, den beim Magistrat der Stadt Wien am 13. Juni 1994 gestellten Antrag von Österreich aus gestellt zu haben. Auf der Grundlage dieser unbestrittenen Bescheidfeststellungen erweist sich jedoch die Heranziehung von § 6 Abs. 2 erster Satz AufG durch die belangte Behörde nicht als rechtswidrig. Infolge der Fristversäumnis wertete die belangte Behörde den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu Recht nicht als Verlängerungsantrag auf Grund § 13 Abs. 1 AufG. Zwar hat der Verfassungsgerichtshof (vgl. das Erkenntnis vom 16. Juni 1995, VfSlg. 14.148, und in der Folge z.B das Erkenntnis vom 11. Oktober 1995, VfSlg. 14.306) ausgesprochen, daß aus dem Grunde des Art. 8 Abs. 1 MRK Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung von Fremden, die sich seit vielen Jahren bzw. sogar seit der Geburt rechtmäßig in Österreich aufgehalten haben und die aus welchen Gründen immer über keine Aufenthaltsbewilligung (mehr) verfügen, im Falle relativ geringfügiger Versäumung der Frist zur Antragstellung im Sinne des § 13 Abs. 1 AufG im Hinblick auf das Gebot verfassungskonformer Auslegung des durch § 6 Abs. 2 AufG geschaffenen Regelungssystems dem zweiten Satz (nunmehr dem letzten Satz) der zuletztgenannten Vorschriften zu unterstellen sind. Das heißt, daß solche Bewilligungsanträge - ungeachtet der Fristversäumnis - als rechtzeitig gestellte Anträge auf Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung zu werten sind. Dieser Rechtsauffassung hat sich der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 1996, Zl. 95/18/0759). Diese Rechtsprechung ist allerdings auf den Fall des Beschwerdeführers nicht anwendbar, und zwar schon deshalb nicht, weil er sich zwar nach den Beschwerdeausführungen seit 1991 ununterbrochen in Österreich aufgehalten hat, ein Wiedereinreisesichtvermerk aber (nach Ausweis der Verwaltungsakten) nur für die Zeit vom 7. April 1993 bis zum 30. März 1994 erteilt war. Die belangte Behörde hatte den Antrag des Beschwerdeführers daher an § 6 Abs. 2 erster Satz AufG zu messen.

Da das in § 6 Abs. 2 AufG normierte Erfordernis, einen Bewilligungsantrag vom Ausland aus zu stellen, nicht als bloße Formvorschrift zu werten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1997, Zl. 96/19/1010), erfolgte die Abweisung des unter Mißachtung des § 6 Abs. 2 AufG gestellten Antrages zu Recht.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm Art. I der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert werden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995191540.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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