Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H***** N*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei E***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.196,89 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. April 2020, GZ 1 R 339/18a-13, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 4. September 2018, GZ 11 C 181/18z-8, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
1. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil es an Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rückerstattungsfähigkeit der Versicherungssteuer im Zuge der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung und zum Beginn der Verjährungsfrist beim (Spät-)Rücktritt von Lebensversicherungen fehle.
2.1 Selbst wenn das Berufungsgericht zu Recht ausgesprochen hat, die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, das Rechtsmittel aber dann nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist das Rechtsmittel trotz der Zulässigkeitserklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen (RS0102059). Wird die vom Berufungsgericht als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO beurteilte Rechtsfrage im Rechtsmittel gar nicht angesprochen, ist auf die Frage nicht weiter einzugehen, weil der Oberste Gerichtshof nicht dazu berufen ist, theoretisch zu einer Rechtsfrage Stellung zu nehmen, deren Lösung durch die zweite Instanz vom Rechtsmittelwerber gar nicht bestritten wird (RS0102059 [T8, T13, T18]).
2.2 Auf den ersten Teil der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts geht der Revisionswerber mit keinem Wort ein.
3.1 Ausgehend von der Entscheidung des EuGH 19. 12. 2019, C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, (ua) hat der Senat in seinen Entscheidungen 7 Ob 10/20a, 7 Ob 11/20y, 7 Ob 88/20x bereits ausgesprochen: Im Grundsatz steht das Unionsrecht einer Verjährung des Anspruchs auf die Vergütungszinsen binnen drei Jahren nicht entgegen, wenn dies die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst nicht beeinträchtigt. Der EuGH wies darauf hin, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine solche Verjährung des Anspruchs auf Vergütungszinsen geeignet ist, die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst zu beeinträchtigen, zumal Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte sind, die je nach anbietenden Versicherern große Unterschiede aufweisen und über einen potentiell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen können. Wenn unter diesen Umständen die Tatsache, dass die für mehr als drei Jahre fälligen Zinsen verjährt sind, dazu führen sollte, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht nicht ausübt, obwohl der Vertrag seinen Bedürfnissen nicht entspricht, wäre eine solche Verjährung geeignet, das Rücktrittsrecht zu beeinträchtigen. Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, bleiben außer Betracht.
3.2 Die grundsätzlich anzuwendende dreijährige Verjährungsfrist beginnt im Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung, dass heißt mit der Zahlung der Prämie (7 Ob 88/20x).
3.3.1 Der Kläger bemängelt, er sei mit der Ansicht des Berufungsgerichts, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Abschluss des Versicherungsvertrags im Jahr 1997 nicht seinen Bedürfnissen entsprochen und die Verjährungsfrist von drei Jahren sein Rücktrittsrecht beeinträchtigt habe, überrascht worden. Diese Verletzung der Erörterungspflicht bedinge eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens.
3.3.2 In einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a ZPO hat der Rechtsmittelwerber darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (etwa RS0037095 [T5]). Dies wird vom Kläger unterlassen, der lediglich pauschal ausführt, er hätte „bei gehöriger Erörterung vorgebracht, dass der Vertrag im Zeitpunkt des Abschlusses nicht seinen Bedürfnissen entsprochen hat“, ohne jedoch konkrete Tatsachenbehauptungen aufzustellen, aus denen dies abgeleitet werden könnte.
4. Das Ausmaß der Nutzungsentschädigung stellt keine relevante Bezugsgröße dar, die auf die Frage der Verjährung der Vergütungszinsen Einfluss haben könnte (7 Ob 14/20i, 7 Ob 88/20x).
5. Zusammengefasst zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage auf.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E129637European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00136.20F.0916.000Im RIS seit
13.11.2020Zuletzt aktualisiert am
13.11.2020