TE OGH 2020/9/23 1Ob152/20i

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Veröffentlicht am 23.09.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj J***** M*****, geboren ***** Juli 2009, wegen Unterhaltsherabsetzung, über den Revisionsrekurs der Mutter S***** M*****, vertreten durch Mag. Hartmut Gräf, Rechtsanwalt in Kirchdorf an der Krems, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 9. Juni 2020, GZ 15 R 141/20s-94, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Perg vom 14. April 2020, GZ 2 PU 44/19s-88, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der im Juli 2009 geborene Sohn wohnt im Haushalt des Vaters und wird von diesem betreut. Die Mutter ist bislang zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 145 EUR verpflichtet, und zwar basierend auf einer Bemessungsgrundlage von 1.256 EUR inklusive Sonderzahlungen und unter Berücksichtigung ihrer Sorgepflichten für Zwillinge, die im September 2010 geboren wurden.

Die Mutter, die zunächst 30 Wochenstunden beruflich tätig war, reduzierte ihre Wochenarbeitszeit ab Jänner 2019 auf 22 Wochenstunden und erzielte im Zeitraum Jänner bis Juni 2019 ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen inklusive Sonderzahlungen von 925 EUR. Seit 25. 11. 2019 ist sie wieder für 30 Wochenstunden angestellt und bezieht monatlich durchschnittlich 1.251 EUR. Sie betreut die Zwillinge, die in den Schuljahren 2018/2019 und 2019/2020 die Volksschule besuchten. Der Zwillingssohn benötigt keine außerordentliche oder überdurchschnittliche Betreuung. Therapiemaßnahmen für ihn und das Übergewicht der Zwillinge sind kein (sachlicher) Grund, die Betreuung im Hort auszuschlagen. Für die Betreuung der Zwillinge am Nachmittag nach der Schule steht einerseits der Hort der ***** und andererseits die vom ***** angebotene Nachmittagsbetreuung zur Verfügung. Die Kinder hätten von der Mutter nicht abgemeldet werden müssen und in beiden Einrichtungen Platz gehabt. Im Hinblick auf ihr Übergewicht ist die Schulausspeisung eine gute Alternative, ist doch dort für ein abwechslungsreiches und gesundes Mittagessen gesorgt. Im Kontext der Beweiswürdigung stellte das Erstgericht noch fest, der Hort weise keine schlechte Betreuungsqualität auf. Dass die Betreuung der Zwillinge am Nachmittag nur durch die Mutter alleine erfolgen könne, treffe nicht zu. Probleme mit den Betreuungseinrichtungen bestünden keine.

Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter, den von ihr zu leistenden monatlichen Unterhaltsbetrag von 145 EUR ab 1. 4. 2019 auf 50 EUR herabzusetzen, ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge und begründete seinen nachträglichen Zulassungsausspruch damit, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob berücksichtigungswürdige Gründe bei einer Reduktion der Wochenstunden (von 30 auf 22) auch vorliegen müssten, wenn die unterhaltspflichtige Mutter mit 30 Wochenstunden neben der Betreuung von zwei „bzw drei“ Kindern unter zehn Jahren mehr gearbeitet habe als sie nach der Rechtsprechung „allenfalls anspannbar gewesen wäre“.

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs der Mutter mangels Darlegung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Mutter begehrt die Herabsetzung ihrer monatlichen Unterhaltspflicht ab 1. 4. 2019 auf 50 EUR. Da sie seit Ende November 2019 – wie schon vor Jänner 2019 – eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden leistet und dabei jenes Einkommen erzielt, das der Unterhaltsfestsetzung zugrunde liegt, stellt sich ab Dezember 2019 die Frage der Anspannung nicht, ist doch ab diesem Zeitpunkt das tatsächlich erzielte Einkommen für die Unterhaltsbemessung heranzuziehen. Eine Herabsetzung des monatlichen Unterhaltsanspruchs ihres Sohnes von 145 EUR kommt ab Dezember 2019 – worauf das Rekursgericht verwies – schon aus diesem Grund nicht in Betracht.

2. Die von der Mutter gerügte unterlassene Befragung des jüngeren Sohnes und die begehrte Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens sind behauptete Verfahrensfehler erster Instanz, die sie im Rekurs nicht bemängelte und die sie im Revisionsrekurs nicht mehr erfolgreich geltend machen kann (RIS-Justiz RS0030748).

Wenn sie im Revisionsrekurs – abweichend von den getroffenen Feststellungen – behauptet, die Betreuung ihres jüngeren Sohnes im Hort sei nicht optimal gewesen, ist sie darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof auch im Verfahren außer Streitsachen nicht Tatsacheninstanz ist (RS0007236 [T2]), weshalb die im Rechtsmittel erörterten Fragen der Beweiswürdigung nicht behandelt werden können (RS0007236 [T4]).

3.1. Unterhaltsansprüche von Kindern nach § 231 ABGB sind grundsätzlich gleichrangig, weshalb der zum Geldunterhalt verpflichtete Elternteil, der ein Kind im eigenen Haushalt vollständig betreut, seine Lebensverhältnisse derart zu gestalten hat, dass er auch seiner Geldalimentationspflicht gegenüber den anderen Kindern, die nicht in seinem Haushalt betreut werden, angemessen nachkommen kann (RS0047337; RS0047370 [T2]).

Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf nur erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er kein Erwerbseinkommen hat, oder ihm die Erzielung eines höheren als des tatsächlichen Einkommens zugemutet werden kann (vgl RS0047337 [T1, T4]). Eine Anspannung der Mutter auf das Einkommen aus einer (Teilzeit-)Berufstätigkeit ist regelmäßig dann zulässig, wenn die Versorgung des zuletzt geborenen Kindes sichergestellt ist (1 Ob 159/13h; 1 Ob 83/15k; 4 Ob 1/18b ua).

Ob die Voraussetzungen für eine Anspannung im konkreten Fall gegeben sind oder nicht, richtet sich nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Die in diesem Zusammenhang zu beantwortenden Rechtsfragen sind regelmäßig nicht von der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität (RS0007096 [T7]; RS0113751 [T4, T9]).

3.2. Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass im Zeitraum von April bis November 2019 die Voraussetzungen für eine Anspannung der Mutter auf eine Beschäftigung im Ausmaß von 30 Wochenstunden vorgelegen seien und sie in diesem Zeitraum ein monatliches Einkommen von 1.251 EUR erzielen hätte können. Das Rekursgericht führte dazu aus, dass sich der Zwillingssohn von anderen Kindern in seinem Alter im Wesentlichen nur aufgrund seiner zu absolvierenden Physiotherapieeinheiten á 30 Minuten unterscheidet, diese nicht jede Woche stattgefunden hätten und das Übergewicht beider Kinder kein Grund sei, die bislang immer möglich gewesene Betreuung durch den Hort auszuschlagen. Dort sei auch jeden Tag ein abwechslungsreiches und gesundes Mittagessen geboten worden. Die Zwillinge hätten den Hort auch im Schuljahr 2018/2019 und im daran anschließenden Schuljahr besuchen können; die Persönlichkeit des jüngeren Sohnes und psychologische Gesichtspunkte des Kindeswohls stünden dem nicht entgegen. Auch ein pflichtbewusster, rechtschaffener Elternteil hätte eine 30 Wochenstunden umfassende Beschäftigung aufgenommen. Berücksichtige man den Umstand, dass die Mutter nicht nur früher, als sie noch drei Kinder betreut habe, sondern auch seit Ende November 2019 wieder 30 Wochenstunden arbeite, sei trotz der festgestellten Mehrbelastung durch die Inanspruchnahme von Therapien mit dem jüngeren Sohn ein berücksichtigungswürdiger Grund zur Reduktion der Wochenstunden im Zeitraum April 2019 bis November 2019 nicht zu erkennen. Eine Rechtfertigung für die Reduktion ihrer Wochenstunden – und damit ihres Einkommens – bestehe nicht. Für die Kinder sei trotz festgestellten Übergewichts der Hortbesuch aufgrund der dort frisch zubereiteten Nahrung als auch der Bewegung bzw des Spielens mit gleichaltrigen Kindern am Nachmittag positiv zu bewerten.

3.3. Die Mutter vermag auf Basis der getroffenen Feststellungen, nach denen der Aufenthalt der Zwillinge im Hort möglich und sogar förderlich gewesen wäre, keine tauglichen Gründe für die Reduktion ihrer Wochenarbeitszeit zu nennen. Die Anspannung der Mutter auf ihr bereits zuvor und ab Ende November 2019 wieder erzieltes Einkommen ist nicht korrekturbedürftig. Berücksichtigt man zudem, dass der Regelbedarf für den unterhaltsberechtigten Sohn im Jahr 2019 in der hier relevanten Altersgruppe bei 392 EUR (bis 30. 6. 2019) und 399 EUR (ab 1. 7. 2019) lag und ihre aktuelle Unterhaltsverpflichtung nur 145 EUR monatlich beträgt, spräche auch die gebotene Interessenabwägung gegen eine Reduktion ihrer Arbeitszeit. Durch die angestrebte Unterhaltsherabsetzung auf 50 EUR monatlich würde der Regelbedarf noch erheblich weiter unterschritten (vgl dazu auch RS0008667 [T2], RS0013458 [T3]). Für die Beurteilung der Frage, wann eine Erwerbstätigkeit vom betreuenden Elternteil erwartet werden kann, lässt sich eine allgemeine Richtlinie nicht aufstellen (vgl RS0057391; s auch RS0047633 [T2]).

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E129605

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00152.20I.0923.000

Im RIS seit

12.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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