TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/26 L519 2224788-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.06.2020
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Entscheidungsdatum

26.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs9 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L519 2224788-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 26.09.2019, Zl. 120126507-190110681 zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Antrag gemäß § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG als unzulässig zurückgewiesen wird.

II. Der zweite Spruchteil I hinsichtlich der Rückkehrentscheidung sowie Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs. 5 VwGVG ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

I.1. Am 01.02.2019 brachte die beschwerdeführende Partei (idF bP), ein türkischer Staatsangehöriger, bei der belangten Behörde (bB) einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“ gemäß § 55 Abs. 2 AsylG ein. Zuvor hielt er sich über Jahre hinweg aufgrund eines Aufenthaltstitels und Beschäftigungen in Österreich auf.

Dem Antrag wurde beigelegt:

?        türkischer Reisepass, ausgestellt am XXXX 2015

?        österreichischer Führerschein + Zulassungsschein

?        E-card

I.2. Am 01.04.2019 wurde der bB mittels Mail von der Niederlassungsbehörde ein Einvernahmeprotokoll vom 28.01.2019 übermittelt.

Ausgeführt wurde, dass demnach die bP in Österreich nicht niedergelassen sei und seitens der Niederlassungsbehörde keine Gründe für die Ausstellung eines Aufenthaltstitels vorlägen. Mitgeteilt wurde unter einem, dass der Ehegattin bereits 2009 der Titel entzogen worden sei, da diese auch nicht mehr in Österreich niedergelassen wäre. Aufgrund der Pensionierung in der Türkei und ihrer Aussage dürfe die bP in Österreich aufgrund der türkischen Gesetze nicht mehr arbeiten und falle daher auch nicht ins „Asso-Abkommen“. Falls ein humanitärer Titel erteilt werden sollte, könne die bP nur dann eine Verlängerung im nächsten Jahr vornehmen, wenn eine tatsächliche Niederlassung (mehr als 6 Monate pro Jahr) vorläge. Da die bP (wie auch die meisten anderen Pensionisten) durchschnittlich nur einmal im Jahr einreisen würde, könne keine Verlängerung erteilt werden. Für diese Personen / Fremde wären für einmalige bzw. kurzfristige Besuche bzw. Einreisen in das Bundesgebiet im Fremdenpolizeigesetz die Erteilung von Einreisetitel vorgesehen.

Im Einvernahmeprotokoll ist Nachstehendes festgehalten:

Ich lebe in der Türkei. Ich bin dort Pensionist. Daher darf ich in Österreich nicht mehr arbeiten. Die türkischen Gesetze sind so. Ich kommen nur einmal im Jahr nach Österreich, damit mein Aufenthaltsrecht nicht verloren geht. Ich habe das so gehört, dass es reicht, einmal im Jahr einzureisen.

I.3. Es folgte eine Einvernahme am 28.08.2019 vor der bB im Beisein eines Dolmetschers der türkischen Sprache.

Die relevanten Passagen stellen sich wie folgt dar:

LA: Seit wann sind Sie in Österreich?

VP: Ich war bis 2014 hier. Von 1990 bis 2007 war ich in Österreich. Dann war ich eineinhalb Jahre in der Türkei. 2008 kam ich wieder zurück bis 2014. Dann war ich erneut in der Türkei. Heuer bin ich zurückgekommen. Einmal im Jahr bin ich aber nach Österreich zurückgekommen, damit ich mein Visum nicht verliere. Man hat mir gesagt, dass ich einmal im Jahr hierherkommen muss für 15 Tage. Dann würde ich wieder zurückkönnen.

LA: Von wann bis wann waren Sie zuletzt in der Türkei/Istanbul?

VP: Im August 2018 bin ich zum AMS und dann gleich wieder zurück in die Türkei. 2019 kam ich wieder, um die Karte zu verlängern. Ich bin 60 Jahre alt, ich habe eine Arbeit gefunden. Ich könnte noch 5 Jahre arbeiten.

LA: Seitens der XXXX XXXX wurde Ihnen zuletzt der Aufenthaltstitel (Daueraufenthalt – EU) bis XXXX 2019 verlängert. Laut Auskunft der XXXX ist das Aufenthaltsrecht gem § 20/4 NAG erloschen. Des Weiteren wurde mitgeteilt, dass Sie freiwillig ausreisen werden. Möchten Sie dazu etwas sagen?

VP: Ich habe mein halbes Leben hier verbracht. Ich habe mein Aufenthaltsrecht verloren, ja. Ich kenne mich aber mit den Gesetzen hier nicht aus. Befragt, natürlich will ich hierbleiben.

LA: Sind Sie nach Ablauf Ihres Aufenthaltstitels nochmals in die Türkei gereist?

VP: Nein.

LA: Haben Sie in Österreich jemals gearbeitet?

VP: 24 Jahre. Befragt, seit 2014 arbeite ich nicht mehr. Ich war dann in der Türkei und musste ich nicht arbeiten. Ich habe auch ein Einkommen aus der Türkei. Wir haben eine Tischlerei, ich bin aber nicht der Eigentümer, sondern einer meiner Brüder. Es handelt sich um ein Familienunternehmen. Wenn ich in die Türkei gereist bin, habe ich dort gearbeitet.

LA: Wer von Ihrer Familie hält sich in Österreich auf?

VP: Mein Onkel, mein Schwager, eine Tante und die Kinder von denen.

LA: Wo bzw. bei wem leben Sie?

VP: Ich lebe beim Schwager im Haus in XXXX .

LA: Sie sprachen vorhin von einer Arbeit, wo bzw. bei wem könnten Sie arbeiten?

VP: Das ist eine Transportfirma. Ich könnte am Tag 3-4 Stunden arbeiten. Diese gehört meinem Schwager und ich könnte Pakete ausliefern. Ich könnte mehr Stunden arbeiten.

LA: Sind Sie im Besitz von Deutsch Zertifikaten?

VP: Ja, ich habe in XXXX einen Deutschkurs gemacht. Ich habe auch die Prüfung bestanden. Ich weiß jetzt nicht, wo die Zertifikate sind. Einmal war ich arbeitslos und das AMS hat mich zu einem Deutsch Kurs geschickt.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit all Ihre persönlichen Gründe vorzubringen oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?

VP: Ich hatte hier das Recht für ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Ich möchte hier bis 65 arbeiten. Dann würde ich reisen.

Ich bekomme derzeit von der Türkei 400 Euro Pension, zwischenzeitlich arbeite ich in der Türkei in der Tischlerei. Hier möchte ich bis 65 arbeiten, dann habe ich hier das Pensionsalter. Wenn ich ein Visum bekomme, würde ich morgen schon zu arbeiten beginnen.

Anmerkung: VP wird erklärt, dass Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt werden muss um einen Aufenthaltstitel mit Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten (Vorlage von A2 Zertifikat Sprache/Wertewissen), erlaubte Erwerbstätigkeit liegt nicht vor (kein rechtmäßiger Aufenthalt).

I.4. Mit Schreiben des Bundesamts vom 03.09.2019 wurde die bP darüber informiert, dass ein Verfahren zur Erlassung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung eingeleitet ist und dass die Behörde gegen sie die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG prüft. Gleichzeitig wurde das bisherige Ermittlungsergebnis zur Kenntnis gebracht (ua. Feststellung, dass sie bP sich derzeit nicht rechtmäßig in Österreich aufhalte) und wurde die bP aufgefordert, eine Stellungnahme zu erstatten.

Eine entsprechende Stellungnahme wurde nicht fristgerecht erstattet.

I.5.

Mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen. Gemäß § 10 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt I) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt II). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ferner ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Rückkehr zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt III).

 

Festgestellt wurde ua., dass der Aufenthaltstitel gemäß § 20 Abs. 4 NAG erloschen sei und die bP sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. Sie verfüge über keine Beschäftigungsbewilligung und besäße keinen Aufenthaltstitel, der sie zur Arbeitsaufnahme berechtigen würde.

Konkret wurde im Rahmen der rechtlichen Begründung ua. festgehalten:

Sie halten sich seit vielen Jahren – bis XXXX 2019 auch rechtmäßig – in Österreich auf.

Derzeit sind Sie nicht rechtmäßig in Österreich.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt arbeiten Sie nicht.

Zuletzt waren Sie von 01.09.2009 bis 30.11.2012 als Arbeiter registriert, ab 01.12.2012 haben Sie immer wieder Arbeitslosengeld bezogen.

Sie haben hier Bekannte und Freunde und wie oben bereits erwähnt auch Familienangehörige.

Ihren Lebensunterhalt finanzieren Sie selbst. Sie beziehen Pension aus der Türkei.

Sie verfügen über Deutschkenntnisse.

Strafrechtlich sind Sie unbescholten.

Bei Betrachtung des Sachverhaltes zeigt sich, dass Sie sich seit vielen Jahren in Österreich aufhalten und bis XXXX 2019 auch rechtmäßig. Sie haben hier familiäre Anknüpfungspunkte, Nichts destotrotz liegen in Ihrem Fall keine Hinweise vor, dass Sie hier ein schützenswertes Familien- und Privatleben führen. Sie leben zwar mit Ihrem Schwager im gemeinsamen Haushalt, sind jedoch von diesem unabhängig, da Sie laut Ihren eigenen Angaben Erspartes haben, früher Arbeitslosengeld bekommen haben und Pension aus der Türkei beziehen. Der Umstand, dass man sich mit seinen Familienangehörigen gut versteht, reicht für die Bejahung eines ausreichend intensiven „Familienlebens“ iSd Art. 8 EMRK allein noch nicht aus. Sie sind jedenfalls in keinster Weise von Ihren in Österreich lebenden Angehörigen abhängig.

Eine den Schutz des Privatlebens auslösende Verbindung kann für solche Ausländer in Betracht kommen, deren Bindung an Österreich aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung vom Heimatland quasi Österreichern gleichzustellen ist.

Sie haben die ersten 30 Jahre Ihres Lebens in der Heimat verbracht, gingen dort zur Schule und machten eine Ausbildung zum Tischler und eine zum Buchhalter. Sie sprechen nach wie vor die in Ihrem Heimtland gesprochene Sprache besser als deutsch, haben in Ihrer Heimat Ihre Familie und ein Haus. Sie waren von 2014 bis 2019 in der Türkei und kamen nur ein Mal pro Jahr nach Österreich, damit Sie Ihr Aufenthaltsrecht nicht verlieren. Dass Sie „nur“ nach Österreich kamen, damit Sie Ihr Aufenthaltsrecht nicht verlieren, spricht doch eindeutig dafür, dass Ihr Bezug zur Heimat wesentlich größer ist, als jener zu Österreich, andernfalls Sie die Zeit hier verbracht hätten.

Hinsichtlich Ihrer Ausführungen bei Ihrer Einvernahme am 28.08.2019, dass Sie in Österreich Familie haben, Freunde treffen und mit diesen spazieren gehen, war auszuführen, dass diese familiären bzw. privaten Bindungen (klarerweise) durch eine Rückkehr gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass Sie hierdurch gezwungen werden, den Kontakt zu jenen Personen, die Ihnen in Österreich nahe stehen, gänzlich abzubrechen. Es steht Ihnen frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch kurzfristige Urlaubsaufenthalte) aufrecht zu erhalten, so wie Sie dies höchstwahrscheinlich auch die Jahre davor gemacht haben werden.

Ihren Ausführungen am 28.08.2019, dass Sie natürlich hier in Österreich bleiben möchten, kann nicht ganz gefolgt werden, zumal Sie – wie bereits oben erwähnt – die letzten sechs Jahre „freiwillig“ in der Heimat verbracht haben.

Aufgrund obiger Ausführungen ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass Sie im Bundesgebiet ein gem. Art. 8 EMRK schützenswertes Familien- und Privatleben führen.

Zur abschieberelevanten Lage in der Republik Türkei wurden entsprechende Feststellungen getroffen und ging die Behörde davon aus, dass nichts gegen eine Rückkehr in die Heimat spricht.

Rechtlich führte die belangte Behörde neben den Umständen für die Abweisung des Antrages gemäß § 55 AsylG aus, dass die Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gewährt.

I.6. Gegen den im Spruch genannten Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. erhoben.

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass der bP ein Titel zu erteilen gewesen wäre und er über ein schützenswertes Privat- und Familienleben iSd Art. 8 EMRK verfüge. Sie lebe seit 1990 rechtmäßig in Österreich und spreche sehr gut Deutsch. Außerdem sei sie 24 Jahre berufstätig gewesen und wurde eine Einstellungszusage vom 07.10.2019 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die beschwerdeführende Partei

Bei der bP handelt es sich um einen türkischen Staatsangehörigen. Die bP ist damit Drittstaatsangehöriger.

Die bP ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mann mit einer in der Türkei gesicherten Existenzgrundlage.

Die Ehegattin, Kinder und Enkelkinder leben in der Türkei. Die Gattin wohnt im Haus der bP in der Türkei. Die bP selbst besuchte in der Türkei die Schule und machte dort eine Berufsausbildung.

In Österreich leben ein Onkel, eine Tante mit ihren Kindern und der Schwager der bP, welcher eine Einstellungszusage für die bP austellte. Die bP lebt im Haus des Schwagers und möchte hier bis zur Pension arbeiten.

Die bP ist strafrechtlich unbescholten und war bis 31.11.2012 in Österreich legal beschäftigt. Von ca. 2014 bis 2019 lebte die bP in der Türkei. In Folge erhielt sie jährlich (mit Ausnahme von 2014) für einige Monate in Österreich ein Arbeitslosengeld. Sie kam jährlich nach Österreich, um den Aufenthaltstitel nicht zu verlieren. Zuletzt wurde ihr am XXXX 2014 ein bis XXXX 2019 gültiger Aufenthaltstitel – Daueraufenthalt EU – ausgestellt. Zuvor war sie jedenfalls seit 2004 im Besitz eines unbefristeten Niederlassungsnachweises. Sie ist seit 07.08.2009 bis dato mit zwei Unterbrechungen von wenigen Monaten im Jahr 2013 bzw. 2014 / 2015 in Österreich gemeldet. Seit 17.03.2015 ist sie durchgängig gemeldet. Sie hat ca. 24 Jahre in Österreich gerabeitet.

Sie verfügt über Kenntnisse der deutschen Sprache.

Die Identität der bP steht fest.

Sie verfügt über normale soziale Kontakte und über ein Barvermögen iHv EUR 6000. Zudem bezieht sie in der Türkei eine Pension iHv EUR 400.

Die bP verfügt über ein Aufenthaltsrecht in Österreich.

2. Beweiswürdigung

II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

II.2.2. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel und ihren Angaben.

Der oben wiedergegebene Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person der bP, ihrer Einreisen und dem Aufenthalt im Bundesgebiet, den familiären Verhältnissen im Bundesgebiet, den Beschäftigungszeiten sowie den Anknüpfungspunkten in der Türkei waren im Lichte des vorliegenden Akteninhalts unstrittig.

II.2.3. Insgesamt gesehen wurde der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der belangten Behörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben. Die belangte Behörde hat auch die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt und wurden durch das BVwG darauf aufbauend rechtliche Überlegungen angestellt, welche zu gegenständlicher Entscheidung führten.

3. Rechtliche Beurteilung

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

II.3.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF) entscheidet das Bundesverwaltungs-gericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

II.3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesver-waltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 idgF entscheidet im gegenständlichen Fall der Einzelrichter.

II.3.1.3. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft und hat das ho. Gericht im gegenständlichen Fall gem. § 17 leg. cit das AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

II.3.1.4. Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Zu A I)

II.3.2. Zurückweisung des Antrags auf einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG:

II.3.2.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes lauten (auszugsweise) wie folgt:

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK"

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

§ 58.

[...]

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder 3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

[...]

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1803 BlgNR 24. GP 50) legen zur Bestimmung des § 58 Abs. 9 AsylG 2005 Folgendes dar:

"Gemäß Abs. 9 Z 1 ist ein Antrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn sich der Fremde in einem Verfahren nach dem NAG befindet. Damit soll klargestellt werden, dass das Stellen weiterer Anträge auch während eines anhängigen Verfahrens im NAG - somit sowohl in 1. als auch in 2. Instanz - unzulässig ist und der Antrag ohne weitere Prüfung zurückgewiesen werden kann. In Abs. 9 Z 2 wird aufgrund der organisatorischen Trennung und der neuen Systematik ein Ausschlussgrund für den Fall normiert, dass der Fremde bereits über ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 oder dem NAG verfügt. Dies orientiert sich an dem bisher in § 1 Abs. 2 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 normierten Grundsatz. Demnach sind diese Bestimmungen weiterhin nicht auf Personen anwendbar, die nach dem AsylG 2005 zum Aufenthalt berechtigt sind; das sind insbesondere Asylwerber, deren Antrag auf internationalen Schutz zugelassen ist bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung und Fremde, denen der Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist. Auch Personen, die bereits einen Aufenthaltsrecht nach dem NAG genießen, sollen nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fallen und um ausschließlich die Zielgruppe für Aufenthaltsrechte aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erfassen. Ohnehin aufenthaltsberechtigte Personen sollten auch schon bisher nicht auf solche Aufenthaltstitel umsteigen können, um entsprechende Umgehungshandlungen zu vermeiden. Somit wird in sachgerechter Weise und zur Vermeidung von Umgehungshandlungen klargestellt, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nur im Rahmen eines Erstantragsverfahrens - also an Personen, die zum Antragszeitpunkt über keinen Aufenthaltstitel verfügen - erteilt werden kann. Die Anwendung des Aufenthaltsrechtes aus berücksichtigungswürdigen Gründen auf Personen, die ohnehin bereits über einen Aufenthaltstitel verfügen, scheidet nach wie vor naturgemäß aus. Es dürfen nur diejenigen Personen einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück stellen, die über kein Aufenthaltsrecht verfügen bzw. nicht die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach dem NAG erfüllen. Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück sollen daher nur jenen zugutekommen, die es auch benötigen. Der Student beispielsweise, der grundsätzlich weiterhin die Voraussetzungen für die Aufenthaltsbewilligung als Studierender gemäß § 64 NAG erfüllt, soll nicht mit einem Antrag beim Bundesamt in das Regime der Aufenthaltsrechte aus berücksichtigungswürdigen Gründen umsteigen können, damit er auf diesem Wege eine Verbesserung seiner aufenthaltsrechtlichen Position, zum Beispiel einen Zugang zum Arbeitsmarkt, erhält. Somit wird in Abs. 3 Z 2 bestimmt, dass ein Antrag zurückzuweisen ist, wenn der Fremde über ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 oder dem NAG verfügt. In diesen Fällen ist ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen jedenfalls unzulässig, so dass eine Titelerteilung in diesen Fällen jedenfalls ausscheidet. In Abs. 9 Z 3 wird, orientierend an der Vorgabe keine inhaltlichen Änderungen der bestehenden Materiengesetze herbeizuführen, wenn sie nicht aufgrund der Einrichtung des Bundesamtes notwendig sind, der Ausschlussgrund des § 1 Abs. 2 Z 2 und 3 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 nachgebildet. Folglich sind die Bestimmungen des 7. Hauptstückes nicht auf Personen anwendbar, die nach § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügen, das sind Angehörige jener Personengruppen, die in Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages oder aufgrund des Bundesgesetzes über die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen, Privilegien und Immunitäten genießen. Des Weiteren sind die Bestimmungen nicht auf Personen anwendbar, die nach § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden befristeten Erwerbstätigkeit berechtigt sind. Bloß vorübergehend ist eine Tätigkeit, wenn sie innerhalb von 12 Monaten nicht länger als sechs Monate ausgeübt werden darf. Diese Regelung des Abs. 9 gilt allerdings aufgrund der Wortfolge im Schlusssatz "soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt" nicht für die Stellung eines Verlängerungsantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57, da für diesen Antrag die Spezialbestimmung des § 59 anzuwenden und daher ein solcher Verlängerungsantrag möglich ist. Ebenfalls von dieser Regelung ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel gemäß § 56 ausgenommen, da der Drittstaatsangehörige - wenn er sich z.B. in einem aufenthaltsbeendenden Verfahren befindet - gleichwohl einen solchen Antrag begründet einbringen kann. Durch den Schlusssatz wird ebenfalls deutlich, dass ein gleichzeitiges Stellen mehrere Anträge - sowohl beim Bundesamt als auch gleichzeitig bei der NAG-Behörde - nicht zulässig ist. Durch eine Zusammenschau des Abs. 2 und diesem Schlusssatz wird zudem klargestellt, dass damit insbesondere auch das Stellen eines Eventualantrages, aus dem sich ein differenter Aufenthaltszweck ergibt, nicht zulässig ist. "

II.3.2.2. Anträge auf humanitäre Aufenthaltstitel sind demnach insbesondere dann nicht zulässig, wenn ein Verfahren nach dem NAG offen ist oder ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG oder AsylG besteht; diesfalls liegt eben keine "humanitäre Ausnahmesituation vor"; Verfahren nach den genannten Gesetzen gehen demnach vor. Anderes gilt, wenn nur mehr ein höchstgerichtliches Verfahren offen ist (Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht Stand: 15.01.2016, § 58 AsylG, K 11).

Wie unten noch näher darzustellen ist, hat die bP ihren Aufenthaltstitel nicht nach § 20 Abs. 4 NAG verloren und ist berechtigt, diesen auch noch nachträglich – wiewohl dies schon ihr ursprüngliches Ziel im Zuge der Einreise war – zu stellen. Ihr kommt sohin ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG zu.

Folglich war der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG als unzulässig zurückzuweisen.

II.3.3. Bestehen eines Titels nach dem NAG

II.3.3.1. Rechtzeitigkeit eines etwaigen Antrages

Vorweg ist festzuhalten, dass aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich ist, dass die bP rechtzeitig einen Verlängerungsantrag betreffend dem mit XXXX 2019 abgelaufenen Titels „Daueraufenthalt EU“ gestellt hat. Entsprechend § 20 Abs. 3 NAG bzw. der Judikatur (vgl. VwGH vom 15.12.2015, Zl. Ra 2015/22/0024) kommt dem Inhaber eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" gemäß § 45 NAG 2005 nach § 20 Abs. 3 NAG 2005 in Österreich - unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesem Aufenthaltstitel entsprechenden Dokumentes - ein unbefristetes Niederlassungsrecht zu. Es ist daher nicht auf die Gültigkeitsdauer des für diesen Aufenthaltstitel auszustellenden Dokumentes (von fünf Jahren) abzustellen, sondern es ist der Beurteilung ein unbefristetes Niederlassungsrecht zugrunde zu legen. Aus dem Akteninhalt geht zudem hervor, dass es das Ziel der Einreise der bP war, hier in Österreich ihren Aufenthaltstitel zu verlängern, die Gründe, weshalb es zu keinem Verlängerungsantrag kam, ergeben sich aus dem Akteninhalt nicht.

In der Entscheidung vom 28.05.2015, Zl. Ro 2014/22/0001 wurde zudem festgehalten, dass nach § 20 Abs. 3 NAG 2005 die Aufenthaltskarte Inhabern eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG", abweichend von § 24 NAG 2005 auch nach Ablauf auf Antrag, zu verlängern ist. In einem solchen Verlängerungsverfahren wäre als Vorfrage nach Ablauf der befristeten Gültigkeit des Dokumentes auch die Frage, ob der unbefristete Aufenthaltstitel nach § 10 Abs. 1 letzter Satz NAG 2005 von Gesetzes wegen wieder aufgelebt ist oder nicht, zu klären.

Die Frage der rechtzeitigen Antragstellung für die Verlängerung, welche wohl jedenfalls von der bP nach Einreise beabsichtigt war, ist im gegenständlichen Verfahren letztlich nicht von Belang, da wohl jedenfalls von einem Weiterbestehen des Titels ausgegangen werden kann und wenn dann letztlich die Niederlassungsbehörde zum diesbezüglichen Handeln (Ungültigkeitserklärung des Titels wegen verspäteten Verlängerungsantrag) verpflichtet wäre.

II.3.3.2. Rechtliche Bestimmungen im Zusammenhang mit der Verlängerung eines dauerhaften Aufenthaltstitels

Artikel 9 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen lautet:

"Artikel 9

Entzug oder Verlust der Rechtsstellung

(1) Ein Drittstaatsangehöriger ist nicht mehr berechtigt, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu behalten, wenn

a) er die Rechtsstellung des langfristig Aufenthaltsberechtigten nachweislich auf täuschende Art und Weise erlangt hat;

b) eine Ausweisung nach Maßgabe des Artikels 12 verfügt worden ist;

c) er sich während eines Zeitraums von 12 aufeinander folgenden Monaten nicht im Gebiet der Gemeinschaft aufgehalten hat.

(2) Abweichend von Absatz 1 Buchstabe c) können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Abwesenheit von mehr als 12 aufeinander folgenden Monaten oder eine Abwesenheit aus spezifischen Gründen oder in Ausnahmesituationen nicht den Entzug oder den Verlust der Rechtsstellung bewirken.

(3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass ein Drittstaatsangehöriger die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten verliert, wenn er in Anbetracht der Schwere der von ihm begangenen Straftaten eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung darstellt, ohne dass diese Bedrohung eine Ausweisung im Sinne von Artikel 12 rechtfertigt.

(4) Ein Drittstaatsangehöriger, der sich gemäß Kapitel III in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, verliert die in dem ersten Mitgliedstaat erworbene Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten, wenn ihm diese Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat gemäß Artikel 23 zuerkannt wird.

Auf jeden Fall verliert die betreffende Person, die sich sechs Jahre lang nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufgehalten hat, der ihr die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten.

Abweichend von Unterabsatz 2 kann der betreffende Mitgliedstaat vorsehen, dass der langfristig Aufenthaltsberechtigte aus besonderen Gründen seine Rechtsstellung in diesem Mitgliedstaat behält, wenn der Zeitraum, in dem er sich nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufgehalten hat, sechs Jahre überschreitet.

(5) Im Hinblick auf die Fälle des Absatzes 1 Buchstabe c) und des Absatzes 4 führen die Mitgliedstaaten, die die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt haben, ein vereinfachtes Verfahren für die Wiedererlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten ein. Dieses Verfahren gilt insbesondere für Fälle, in denen sich Personen in einem zweiten Mitgliedstaat zum Studium aufgehalten haben. Die Voraussetzungen und das Verfahren für die Wiedererlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten bestimmen sich nach dem nationalen Recht.

(6) Das Ablaufen einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung - EG hat auf keinen Fall den Entzug oder den Verlust der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Folge.

(7) Führt der Entzug oder der Verlust der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nicht zu einer Rückführung, so gestattet der Mitgliedstaat der betreffenden Person, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben, sofern sie die in seinen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen erfüllt und/oder keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt."

Gemäß § 20 Abs. 4 NAG erlischt das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sich der Fremde länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält.

§ 2 Abs. 7 NAG lautet:

"Kurzfristige Inlands- und Auslandsaufenthalte, insbesondere zu Besuchszwecken, unterbrechen nicht die anspruchsbegründende oder anspruchsbeendende Dauer eines Aufenthalts oder einer Niederlassung. Gleiches gilt für den Fall, dass der Fremde das Bundesgebiet in Folge einer nachträglich behobenen Entscheidung nach dem FPG verlassen hat."

II.3.3.3. § 20 Abs. 4 NAG im Wandel der Judikatur

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar in seiner früheren Judikatur ausgesprochen, dass § 20 Abs. 4 NAG lediglich auf den Aufenthalt und nicht auf eine Niederlassung im Bundesgebiet abstellt (VwGH 19.5.2011, 2008/21/0335).

Im vorliegenden Fall hat die bP den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen wohl seit Beendigung ihrer Arbeitstätigkeit 2012 und damit die letzten 8 Jahre nicht im Bundesgebiet gehabt. Allerdings hat sie ausgeführt und letztlich auch durch die Eintragungen bzw. Auszahlungen von Arbeitslosengeld nachgewiesen, dass sie zumindest jährlich in Österreich aufhältig war, um das Aufenthaltsrecht gerade nicht zu verlieren. Sie hat damit Aufenthalte im EWR-Gebiet bzw. in Österreich grundsätzlich nachgewiesen, wobei im gesamten Beurteilungszeitraum ihr Aufenthalt nie mehr als zwölf Monate durchgehend außerhalb des EWR-Raumes gewesen ist.

Es ist jedoch zur Frage, ob der "Daueraufenthalt - EU" durch die Verlegung des Lebensmittelpunktes aus dem Bundesgebiet erlösche oder ob für die Beibehaltung dieses Status ein Aufenthalt im EWR-Raum (zumindest alle zwölf Monate) ausreichend ist bzw. ob das Bestehen des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet verlangt wird, abweichend von der noch im Erkenntnis vom 19. Mai 2011, 2008/21/0335 dargelegten Auffassung, wonach der bloße Aufenthalt im Bundesgebiet als ausreichend angesehen worden ist, die nunmehr in der Entscheidung vom 27.02.2020, Zl. Ra 2019/22/0101 dargelegte Rechtsansicht zu berücksichtigen.

In dieser Entscheidung wird darauf hingewiesen, dass die Bestimmung des § 2 Abs. 7 NAG erst mit der Novelle BGBl. I Nr. 122/2009 (wirksam mit 1. Jänner 2010) eingefügt wurde und frühere Erkenntnisse zu anderen Rechtslagen ergangen sind.

Konkret wird festgehalten:

Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2003/109/EG ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr berechtigt, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigen zu behalten, wenn er sich während eines Zeitraumes von zwölf aufeinander folgenden Monaten nicht im Gebiet der Gemeinschaft aufgehalten hat.

16 Gemäß § 20 Abs. 4 NAG erlischt das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sich der Fremde länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält. 17 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass sich die Revisionswerberin seit Übernahme der zuletzt verlängerten Aufenthaltskarte im April 2013 bis zur Stellung des gegenständlichen Antrages überhaupt nicht in Österreich aufgehalten habe und innerhalb des EWR-Gebietes in einigen Jahren des Beobachtungszeitraumes nur wenige Tage (vgl. etwa im Zeitraum vom 28. Juni 2014 bis 29. Oktober 2015 nur vier Tage - vom 4. Juni 2015 bis 7. Juni 2015 - in Griechenland).

….

18 Fraglich ist, ob der jeweils (kurzfristige) Aufenthalt der Revisionswerberin pro Jahr im EWR-Gebiet der Auffassung des Verwaltungsgerichtes entgegensteht, wonach dieser nichts daran ändere, dass sich die Revisionswerberin länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufgehalten habe.

19 Zu § 20 Abs. 4 NAG ist in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Fremdenrechtspaketes 2005 (952 BlgNR 22. GP 129) ausgeführt, dieser normiere "das ex lege Erlöschen von unbefristeten Aufenthaltstiteln bei Aufenthalt von zwölf Monaten außerhalb des EWR entsprechend Art. 9 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2003/109/EG". Weiters ist in den Erläuterungen zu § 20 Abs. 4 NAG ausgeführt, dass "schon ein kurzfristiger Aufenthalt im Gebiet des EWR (...) jeglichen Fristenlauf nach diesem Absatz" beende.

20 Gemäß § 2 Abs. 7 NAG unterbrechen kurzfristige Inlands- und Auslandsaufenthalte, insbesondere zu Besuchszwecken, nicht die anspruchsbegründende oder anspruchsbeendende Dauer eines Aufenthalts oder einer Niederlassung. Die Revisionswerberin hielt sich gemäß den unstrittigen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes über einen Zeitraum von mehreren Jahren (von 2013 bis zur gegenständlichen Antragstellung im Jahr 2018) nicht im Bundesgebiet, sondern (jeweils kurzfristig) im bzw. (die weitaus überwiegende Zeit) außerhalb des EWR-Gebietes auf. 21 § 2 Abs. 7 NAG wurde mit BGBl. I Nr. 122/2009 eingeführt. Gemäß den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (330 BlgNR 24. GP 41) wird "klargestellt, dass kurzfristige Auslandsaufenthalte, wie z.B. zu Besuchszwecken oder zur Durchreise, weder eine anspruchsbegründende (z.B. für den fünfjährigen Zeitraum zur Erlangung eines Daueraufenthalt - EG), noch eine anspruchsbeendende (z.B. die Erlöschenszeiträume nach § 20 Abs. 4) Aufenthalts- oder Niederlassungsdauer unterbricht (richtig: unterbrechen), wobei es hierbei im Sinne der Judikatur des VwGH vor allem darauf ankommt, inwiefern sich durch den Auslands- bzw. Inlandsaufenthalt der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Betreffenden verändert." Der Gesetzgeber hat somit gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 7 NAG u.a. für Aufenthalte im Inland, wie etwa zu Besuchszwecken, eine Regelung getroffen. Zu § 2 Abs. 7 NAG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im angeführten Erkenntnis vom 16. Dezember 2014, Ra 2014/22/0071 bis 0073, ausgeführt, dass kurzfristige Auslandsaufenthalte (etwa eine Woche bzw. ca. drei Wochen) nicht den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Betroffenen ändern; Ferienaufenthalte haben von ihrem Zweck her keine Verschiebung des Mittelpunktes der Lebensinteressen zur Folge. Dem entsprechend unterbrechen auch bloß kurzfristige Aufenthalte im Inland gemäß § 2 Abs. 7 NAG eine anspruchsbeendende Dauer gemäß § 20 Abs. 4 NAG nicht.

23 Dieser Auslegung des § 2 Abs. 7 NAG steht auch nicht Art. 9 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2003/109/EG entgegen. Gemäß dem Erwägungsgrund 6 der Richtlinie 2003/109/EG sollte der rechtmäßige und ununterbrochene Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates die "Verwurzelung der betreffenden Person im Land" belegen. In Art. 4 der Richtlinie 2003/109/EG sind betreffend die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem Mitgliedstaat Zeiträume angeführt, die nicht auf die Dauer des Aufenthaltes anzurechnen sind. Der EuGH hat im Urteil vom 18. Oktober 2012, C 502/10, Singh Rn. 45, ausgeführt, dass vorrangiges Ziel der Richtlinie 2003/109/EG die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind, ist (Hinweis auf Urteil vom 26. April 2012, Kommission/Niederlande, C-508/10, Rn. 66).

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat - im Hinblick auf das Ziel der Integrationsförderung - bereits zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet des Fehlens entsprechender Regelungen in der angeführten Richtlinie in Bezug auf den Verlust der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten die Bestimmung des § 2 Abs. 7 NAG für kurzfristige Aufenthalte im EWR-Gebiet maßgeblich ist (vgl. nochmals VwGH Ra 2014/22/0071 bis 0073, sowie 20.08.2013, 2012/22/0122).

25 Vor dem Hintergrund des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes bedeutet das im vorliegenden Fall, dass die unter Heranziehung des § 2 Abs. 7 NAG getroffene Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, wonach sich die Revisionswerberin seit der letzten Ausstellung der Aufenthaltskarte "Daueraufenthalt - EG" im April 2013 bis zu ihrer Einreise nach Österreich am 28. Jänner 2018 länger als zwölf aufeinanderfolgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufgehalten habe, und somit der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" gemäß § 20 Abs. 4 NAG erloschen ist, als zutreffend.

Bereits in der Entscheidung vom 16. Dezember 2014, Ra 2014/22/0071 bis 0073 wurde vom VwGH Folgendes festgehalten:

Im vorliegenden Fall stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die Mitbeteiligten mehrmals jährlich in Österreich bei ihrem Vater und Onkel Ferien gemacht hätten. Wie im zitierten Vorerkenntnis wurde dabei nicht die Bestimmung des § 2 Abs. 7 NAG beachtet. Da Ferienaufenthalte von ihrem Zweck her keine Verschiebung des Mittelpunktes der Lebensinteressen zur Folge haben, irrte das Verwaltungsgericht Wien in seiner Ansicht, dass die Aufenthaltstitel aus dem Jahr 2002 nicht gemäß § 20 Abs. 4 NAG erloschen seien.

II.3.3.4. Damit wäre unter der Voraussetzung, dass § 20 Abs. 4 NAG auf die türkische bP anzuwenden ist, der Ansicht der bB bzw. der Niederlassungsbehörde zu folgen.

Zu prüfen ist jedoch, ob sich ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht der bP ergibt bzw. sie Rechte aus dem Assoziationsabkommen mit der Türkei (ARB 1/80) ableiten kann, insbesondere, ob § 20 Abs. 4 NAG auf sie wegen der Stillhalteklausel überhaupt zur Anwendung kommt.

II.3.3.5. Assoziierungsabkommen mit der Türkei

II.3.3.5.1. Artikel 6 ARB 1/80 hat folgenden Wortlaut:

„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die auf Grund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.

Sobald der türkische Arbeitnehmer bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates integriert ist und Rechte aufgrund des Absatzes 1 erworben hat, ist er berechtigt, sein Arbeitsverhältnis vorübergehend zu unterbrechen („Nazli“, Rn. 40; „Sedef“, Rn. 45). Nachdem der türkische Arbeitnehmer die Rechte des Absatzes 1 Spiegelstrich 3 einmal erworben hat, kann er diese Rechtsposition nur noch unter bestimmten, eng begrenzten Voraussetzungen verlieren.

Sofern die Abwesenheit vom Arbeitsmarkt noch als vorübergehend anzusehen ist, können die Rechte des Arbeitnehmers nur aufgrund des Artikels 14 Absatz 1 (Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit) eingeschränkt werden (Entscheidung „Dogan“, Rn. 23).

Hat der Assoziationsberechtigte sich seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, ist nach der Feststellung des EuGH ergänzend immer Artikel 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG zu berücksichtigen („Ziebell“, Rn. 79).

Nach Artikel 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie kann eine Ausweisung nur erfolgen, wenn der Betreffende eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt. Die Ausweisung darf zudem nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen. Zu berücksichtigen sind Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, Alter, Folgen der Ausweisung für den Betroffenen und seine Familienangehörigen, Bindungen zum Bundesgebiet beziehungsweise fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat. Maßgeblich sind also auch nach diesem Maßstab allein spezialpräventive Erwägungen.

Im Hinblick auf die bP, welche insgesamt 24 Jahre in Österreich beschäftigt war und damit auch grundsätzlich unter Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB fällt, welche auch nunmehr eine Einstellungszusage vorgelegt hat und für die nächsten Jahre in Österreich arbeiten möchte, geht das BVwG damit grundsätzlich davon aus, dass die Abwesenheit vom Arbeitsmarkt noch als vorübergehend anzusehen ist und die bP ihre Rechte aus dem Assoziierungsabkommen nicht verloren hat.

II.3.3.5.2. Selbst wenn die bP ihre Rechte aus dem Assoziierungsabkommen an sich verloren hätte, so ist dennoch nicht davon auszugehen, dass sie ihren unbefristeten Daueraufenthalt EU wegen § 20 Abs. 4 NAG verloren hätte. Dies vor dem Hintergrund der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 und der aus Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll zu den ARB entspringenden Stillhalteklausel unabhängig von ordnungsgemäßen Beschäftigung und Aufenthalt.

Mit der Entscheidung des VwGH vom 26.06.2012, Zl. 2009/22/0307 wurde nämlich hinsichtlich eines mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel ausgestatteten, zwischen 1999 und 2008 nicht in Österreich aufhältigen Beschwerdeführer festgehalten:

Aus den Verwaltungsakten ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer über einen Befreiungsschein verfügt hat. Somit wäre die Stillhalteklausel nach Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden: ARB) zu beachten gewesen, nach der die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (und die Türkei) für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen. Bei dem in § 20 Abs. 4 NAG normierten Erlöschen eines unbefristet erteilten Aufenthaltstitels von Gesetzes wegen im Fall eines mehr als zwölfmonatigen Aufenthalts außerhalb des EWR-Gebietes handelt es sich um eine solche Neubeschränkung für den Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinn des Art. 13 ARB (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, 2008/21/0304, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Demzufolge wäre § 20 Abs. 4 NAG auf den Beschwerdeführer nicht anzuwenden gewesen, weshalb wegen Weitergeltung des von ihm innegehabten Aufenthaltstitels der vorliegende Antrag nicht als Erstantrag hätte gewertet werden dürfen, bei dem § 21 Abs. 1 NAG anwendbar wäre.

Gemäß Entscheidung des VwGH vom 24.03.2015, Zl. Ro 2014/09/0057 steht der Anwendung von Art. 13 ARB 1/80 nicht entgegen, dass die betreffenden Arbeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsmarkt integriert sind, also die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 des ARB 1/80 nicht erfüllen. Art. 13 ARB 1/80 soll vielmehr gerade für jene türkischen Staatsangehörigen gelten, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 genießen (vgl. Urteil EuGH 9. Dezember 2010 in den verbundenen Rechtssachen, F. Toprak, C-300/09, und I. Oguz, C- 301/09; VwGH 19. Mai 2014, Ro 2014/09/0016).

In der Entscheidung vom 26. Jänner 2012, 2008/21/0304 hielt der VwGH fest:

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" gerichteten Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 13. Dezember 2006 gemäß § 21 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Begründend führte sie aus, dem Beschwerdeführer sei am 8. Februar 1999 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck" erteilt worden. Im Jahr 2001 habe er nach eigenen Angaben das Bundesgebiet verlassen und sei erst im Juni 2006 wieder nach Österreich zurückgekehrt. Von 2001 bis Juni 2006 habe er sich in der Türkei aufgehalten. Am 13. Dezember 2006 habe er den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" beim Magistrat der Landeshauptstadt Linz eingebracht.

Im Hinblick auf § 20 Abs. 4 NAG, wonach ein Aufenthaltstitel "nach Abs. 3 (unbefristeter Aufenthaltstitel)" erlösche, wenn sich der Fremde länger als zwölf Monate außerhalb des Gebietes des EWR aufhalte, sei die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers ex lege erloschen. Aus diesem Grund sei die unbefristete Niederlassungsbewilligung am 18. September 2006 "ungültig gestempelt" worden. Der Antrag vom 13. Dezember 2006 sei daher als Erstantrag zu werten gewesen.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und die Entscheidung sei im Ausland abzuwarten. Der Beschwerdeführer erfülle keine der in § 21 Abs. 2 NAG für die Inlandsantragstellung genannten Voraussetzungen.

Er habe sich jedoch nachweislich am 13. Dezember 2006 im Bundesgebiet aufgehalten. Vom 22. Juni 2006 bis 4. Mai 2007 sowie seit dem 15. Oktober 2007 sei er an näher bezeichneten Adressen in Linz polizeilich gemeldet gewesen. Da er somit sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Antrag nicht rechtmäßig im Inland aufhältig gewesen sei, stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung seines Antrages entgegen.

Abschließend verneinte die belangte Behörde das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles im Sinn des § 74 iVm § 72 NAG.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. März 2008, B 226/08-3, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag des Beschwerdeführers dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Dieser hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde erwogen:

Dem Beschwerdeführer war 1999 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung "jeglicher Aufenthaltszweck" nach dem Fremdengesetz 1997 erteilt worden. Gemäß § 11 Abs. 2 lit. A Z 1 iVm Abs. 3 Z 1 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) galt diese ab dem 1. Jänner 2006 als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" weiter.

Die belangte Behörde legte dem angefochtenen Bescheid zugrunde, dass dieser Aufenthaltstitel gemäß § 20 Abs. 4 NAG ex lege erloschen sei, weil sich der Beschwerdeführer länger als zwölf aufeinanderfolgende Monate außerhalb des Gebietes des EWR aufgehalten habe, und deutete den gegenständlichen Antrag ausgehend davon als Erstantrag.

Dabei hätte die belangte Behörde aber darauf Bedacht nehmen müssen, dass der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger ist und in Österreich offenkundig die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit beabsichtigt hat (eine Beschäftigungsbewilligung für ihn war bereits beantragt worden). Es ist daher die Stillhalteklausel nach Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden: ARB 1/80) zu beachten, derzufolge die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (und die Türkei) für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union ist diese Klausel nicht nur auf die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen anzuwenden (vgl. grundlegend das Urteil vom 21. Oktober 2003, C 317/01 - Abatay u.a. und C-369/01 - N. Sahin (in der Folge kurz "Urteil Abatay"), Randnr. 73 ff (insb. Randnr. 83), sowie aus jüngerer Zeit etwa das Urteil vom 9. Dezember 2010, C-300/09 - Toprak, und C-301/09 - Oguz, Randnr. 45); allerdings muss die Absicht vorhanden sein, sich in den Arbeitsmarkt des betr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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