TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/26 W109 2162004-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.06.2020
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Entscheidungsdatum

26.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W109 2162004 -1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, vom 31.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.07.2019 zu Recht:

A)       

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan erteilt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

B)       

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 30.09.2015 stellte der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 01.10.2015 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und in XXXX geboren. Er sei sunnitischer Moslem, habe neun Jahre die Schule besucht und zuletzt als Landwirt gearbeitet. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, er habe den Herkunftsstaat verlassen, weil in der Provinz Krieg herrsche. Mehrere Taliban-Kämpfer seien zu ihnen nach Hause gekommen, sie hätten gewollt, dass der Beschwerdeführer für sie kämpfe. Er habe sich versteckt und der Vater habe Angst um ihn gehabt und ihm geholfen, das Land zu verlassen.

Am 26.04.2017 wurde eine anberaumte Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wegen Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dari-sprachigen Dolmetscher abgebrochen.

Am 09.05.2017 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – nunmehr in Paschtu einvernommen – zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, es gebe viele Taliban im Herkunftsdorf, diese seien zur Schule gekommen und hätten Leute überzeugt, mit ihnen zu kämpfen. Wenn sie ablehnen würden, würden sie sie töten. Sie hätten den Namen des Beschwerdeführers aufgeschrieben. Er sei nach Hause gegangen und habe das seinem Vater erzählt. Der habe ihn nach Dschalalabad geschickt. Die Taliban seien zum Haus der Familie gekommen, hätten nach dem Beschwerdeführer gefragt und den Vater geschlagen. Dieser habe gesagt, der Beschwerdeführer sei ausgereist und werde nicht mehr zurückkommen. Sie seien auch nochmals bei der Schule aufgetaucht und hätten nach dem Beschwerdeführer gefragt. Dann seien sie nicht mehr gekommen. Von Dschalalabad sei er ausgereist.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 31.05.2017, zugestellt am 02.06.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Angaben des Beschwerdeführers seien sehr kurz und wenig ausgeführt. Er sei auch auf die gestellten Fragen nicht näher eingegangen. Die Angaben würden nicht mit den Länderberichten übereinstimmen. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer so leicht habe flüchten können, wenn er von den Taliban gesucht worden wäre. Auch sei die ganze Familie noch im Herkunftsdorf aufhältig. Die Herkunftsprovinz sei volatil, der Beschwerdeführer könne jedoch in größeren Städten leben und Rückkehrunterstützung in Anspruch nehmen.

3.       Am 16.06.2017 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die Behörde habe lediglich sehr allgemein gehaltene Länderfeststellungen vorgelegt, die nichts mit dem Vorbringen bzw. der Situation zu tun hätten, dies zeige, sie habe sich ungenau mit dem Vorbringen beschäftigt. Die Beweiswürdigung sei mangelhaft. Die Behörde habe nicht näher nachgefragt. Das Argument der Behörde, dass die Familie im Dorf leben könne, sei unschlüssig. Die Schilderung des Beschwerdeführers sei detailliert und lebensnah, mit der konkreten Rückkehrsituation habe sich die Behörde unzureichend auseinandergesetzt. Die Versorgungslage in Kabul sei besorgniserregend.

Am 10.07.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und ein Dolmetscher für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er sei geflüchtet, weil die Taliban ihn zum Kämpfen aufgefordert hätten, aufrecht.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

–        Tazkira

–        Mehrere Fotos

–        Mehrere Empfehlungsschreiben

–        Bestätigungen über Deutschkurse, Workshops, etc.

–        Bescheid des AMS vom 15.03.2016: Beschäftigungsbewilligung

–        Dienstvertrag

–        Arbeitsbestätigung

–        Einstellungszusagen

–        Zeugnis über den Abschluss der Übergangsstufe einer BMHS

–        Schulanmeldung

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde im Jahr XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er verfügt auch über Deutschkenntnisse auf den Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer stammt aus einem Dorf in der Provinz Nangarhar, Distrikt Bati Kot. Dort hat er neun Jahre die Schule besucht und Gelegenheitsarbeiten auf Baustellen mit seinem Onkel und in der Landwirtschaft übernommen.

Der Vater des Beschwerdeführers ist als Tagelöhner in der Landwirtschaft tätig, die Mutter des Beschwerdeführers trägt als Schneiderin zum Familieneinkommen bei. Die Familie besitzt ein Haus im Herkunftsdorf.

Der Beschwerdeführer hat sechs jüngere Geschwister, darunter vier Brüder und zwei Schwestern. Die Familie des Beschwerdeführers lebt weiterhin im Herkunftsdorf, es besteht regelmäßiger Kontakt. Lediglich der älteste Bruder des Beschwerdeführers hat das Herkunftsdorf verlassen. Gründe dafür können nicht festgestellt werden.

Im Herkunftsdorf leben zudem jeweils ein Onkel mütterlicher- und väterlicherseits, zudem leben zwei Tanten des Beschwerdeführers im Herkunftsdistrikt.

Im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer Deutschkurse besucht und im Jahr 2016 als Saisonarbeiter in einem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet. Zuletzt hat er die Übergangsstufe einer BMHS abgeschlossen, um anschließend diese Schule regulär zu besuchen.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr von Seiten der Taliban Übergriffe und Misshandlungen drohen, weil er sich durch Flucht der Rekrutierung entzogen hat, wird nicht festgestellt.

Für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers ist nicht zu erwarten, dass er von den Taliban gezwungen wurde, für sie zu Kämpfen.

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr als Person wahrgenommen würde, die gegen islamische Grundsätze, Normen oder Werte, wie sie der Auslegung der Taliban entsprechen, verstößt, ist nicht zu erwarten. Der Beschwerdeführer hat aus diesem Grund keine Übergriffe oder Misshandlungen durch die Taliban zu erwarten.

1. 3.   Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Nangarhar gehört zu den volatilsten Provinzen des Herkunftsstaates, seit dem Jahr 2011 ist eine stetige Verschlechterung der politischen und sicherheitspolitischen Situation zu beobachten. In der Provinz sind Taliban und der IS aktiv, die sich auch gegenseitig bekämpfen. Insbesondere der Herkunftsdistrikt ist unsicher.

Im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Kabul, Herat und Balkh zählen zu den am stärksten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Teilen Afghanistans. Die Krankheit breitet sich im ganzen Land aus. Zur Bekämpfung des Virus wurden im gesamten Land Ausganssperren verhängt, die zur Schließung ganzer Stadtteile geführt haben. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Davon betroffen sind insbesondere Tagelöhner, die über keine alternativen Einkommensquellen verfügen. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen. Zuletzt wurden die landesweiten Maßnahmen am 06.06.2020 um drei Monate verlängert. Geschlossen sind alle Schulen und Bildungszentren, Hotels, Parks, Sporteinrichtungen und andere öffentliche Orte. Der öffentliche Verkehr ist eingestellt, Restaurants und Cafes dürfen nur „Take-away“-Service anbieten.

Die Wirtschafts- und Versorgungslage in Afghanistan war bereits zuvor schlecht. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Armutsrate und Arbeitslosigkeit sind hoch. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptäschlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90 % der Wirtschaftsleistung ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert in Afghanistan nicht. Sozialleistungen gibt es – abseits von Pensionen in sehr wenigen Fällen, kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung – nicht.

Dem Beschwerdeführer wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Mit ausreichender Unterstützung durch seine Angehörigen ist nicht zu rechnen. Ihm wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, Fuß zu fassen. Er liefe Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie seiner Muttersprache ergeben sich aus den gleichbleibenden plausiblen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde legte diese Angaben des Beschwerdeführers ihrer Entscheidung zugrunde und traf im angefochtenen Bescheid entsprechende Feststellungen. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruhen auf der im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegten „Bestätigung des Lehrganges Übergangsstufe an BMHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch“ vom 28.06.2019 (Beilage zu OZ 12), aus der hervorgeht, dass der Beschwerdeführer im Gegenstand „Deutsch als Fremdsprache“ mit „Befriedigend (B1)“ abgeschlossen hat. Zudem konnte sich der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichts im Zuge der mündlichen Verhandlung am 10.07.2019 im Gespräch mit dem Beschwerdeführer von dessen guten Deutschkenntnissen überzeugen.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich daraus, dass im Lauf des Verfahrens kein anderslautendes Vorbringen erstattet und auch keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung des Beschwerdeführers nachweisen würden.

Die Feststellungen zu Herkunft und Lebenswandel des Beschwerdeführers beruhen auf den gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers, an denen auch die belangte Behörde keine Zweifel hegte. Die beruflichen Tätigkeiten seiner Eltern hat der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 09.05.2017angegeben (AS 61-62), wo er auch zu seinen übrigen in der Herkunftsprovinz aufhältigen Angehörigen sowie zu den Lebensverhältnissen der Familie im Allgemeinen Auskunft gab (AS 61).

Dass die Familie nach wie vor im Herkunftsdorf aufhältig ist, hat der Beschwerdeführer zuletzt im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.07.2019 bestätigt (OZ 5), wo er auch angab, dass sein ältester Bruder zwischenzeitig das Herkunftsdorf verlassen hat. Der Beschwerdeführer konnte jedoch keinerlei Angaben zu seinem nunmehrigen Aufenthalt machen und insbesondere die Gründe für diesen Schritt nicht darlegen. Im Übrigen wird diesbezüglich auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen. Dass der Kontakt zur Familie nach wie vor aufrecht ist, hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.07.2019 bestätigt (OZ 12, S. 5).

Die Feststellungen zu den Aktivitäten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet beruhen auf seinen Angaben sowie auf den dazu laufend vorgelegten Bestätigungen und Unterlagen.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Zwar schildert der Beschwerdeführer die Gründe für seine Ausreise in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.10.2015, in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.05.2017, sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.07.2019 im Kern gleichbleibend. Er beschränkt sich jedoch in der niederschriftlichen Einvernahme und der mündlichen Verhandlung – wie im Übrigen auch die belangte Behörde beweiswürdigend ausführt (AS 321) – auf sehr kurze und wenig ausführliche Angaben. Insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zieht sich der Beschwerdeführer auf eine allgemeine, vage Schilderung der behaupteten Ereignisse zurück, ohne hierbei eine zusammenhängende Fluchtgeschichte zu präsentieren.

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen bedarf und dass die Dichte dieses Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ gemessen werden darf. Es müsse sich aus der Entscheidung erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und dass darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgt (etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0150). Nun war der Beschwerdeführer im Ausreisezeitpunkt sowie im Zeitpunkt der behaupteten ausreiseauslösenden Umstände 17 Jahre alt und damit zwar minderjährig. Von einem 17-jährigen kann jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts bereits erwartet werden, dass er als beinahe Erwachsener seine Fluchtgründe detailliert und lebensnah schildern kann.

Zudem ist das Fluchtvorbringen vor dem Hintergrund der bereits von der belangten Behörde in das Verfahren eingebrachten Länderberichte (AS 133 ff.) nicht plausibel. An dieser Stelle ist auch anzumerken, dass die belangte Behörde sich sehr wohl beweiswürdigend vor dem Hintergrund themenspezifischer Länderberichte mit dem konkreten Fluchtvorbringen auseinandersetzt (AS 321-323), weswegen des Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe lediglich sehr allgemein gehaltene Länderberichte vorgelegt, die zu einem Großteil nichts mit dem Vorbringen zu tun hätten, was zeige, wie ungenau sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers beschäftigt habe (AS 351) nicht berechtigt ist.

Zwar enthalten die UNCHR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) – vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 21.06.2019 (OZ 10) in das Verfahren eingebracht – ein Risikoprofil, demzufolge regierungsfeindliche Kräfte Gebiete, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über Territorium und die Bevölkerung ausüben, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang nutzen. Insbesondere würden Kinder rekrutiert (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung, S. 59 ff., insbesondere Buchstabe a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), S. 59-60). Hieraus ergibt sich jedoch noch keine Information hinsichtlich der konkreten Vorgehensweise der Taliban. Dies gilt im Übrigen auch für die vom Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde in das Verfahren eingebrachte (AS 358 ff.) ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Informationen zur Kontrolle (durch Regierung oder Aufständische) in Provinz Nangarhar, Distrikt Khogyani (auch Khogiani, Khugyani); 2) Vorgehen der Taliban gegen Angehörige der afghanischen Armee in Provinz Nangarhar, Distrikt Khogyani; 3) Informationen zur Zwangsrekrutierung von Kindern [a-8733] von 26.06.2014, die lediglich berichtet, dass im Hinblick auf die Provinz Nangarhar die meisten Hinweise für die Rekrutierung von Kindern durch bewaffnete oppositionelle Gruppierungen auftreten, sowie, dass Nangarhar bereits im Jahr 2013 überwiegend unter Kontrolle der Taliban stand.

Aus dem von der belangten Behörde herangezogene EASO COI Report, Afghanistan, Recruitement by armed groups von September 2016 (AS. 193 ff.; das Bundesverwaltungsgericht zitiert in der Folge aus der deutschsprachigen Übersetzung, EASO: Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan – Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen) ergibt sich zur Problematik der Zwangsrekrutierung, dass sich dieses Konzept nicht aus dem gesellschaftlichen Kontext in Afghanistan ergebe. Die Aufforderung durch die Taliban erfolge nicht individuell an eine Person, sondern richte sich an die Gemeinschaft und würde auch von dieser getroffen. Insbesondere dürfe Zwangsrekrutierung nicht dahingehend verstanden werden, dass Taliban-Kämpfer in eine Familie eindringen, sich deren Kinder schnappen und ihnen mit vorgehaltener Waffe befehlen, für sie zu kämpfen. Zudem würden die Taliban in vielen Gebieten als siegreiche Kraft gelten und über zahlreiche freiwillige Kämpfer verfüge, sodass sie bei der Rekrutierung auf Nötigung verzichten könnten. Selbst aber, wenn der Druck für die Taliban, neue Kämpfer aufzutun, größer sei, würden diese Zwang oder Nötigung bei der Rekrutierung nur in Ausnahmefällen einsetzen (1.5 Zwangsrekrutierung und Nötigung, S. 23). Konkret zur Vorgehensweise in Nangarhar ist dem Bericht zu entnehmen, dass die Taliban auf die Gemeinschaft als Ganzes Druck ausüben, wenn sie auf Widerstand stoßen, sich als Schutzmacht gerieren und etwa von der Gemeinschaft einen Beitrag in Form von Kämpfern oder Geld fordern. Die Taliban würden hierfür Verbindung zu den Ältesten aufnehmen und Zusammenkünfte abhalten. In diesen würden die Taliban einen religiösen Diskurs pflegen, an das Ehrgefühl der Menschen appellieren, an kulturelle Codes, um so Unterstützung zu erhalten. Sie würden um Geld, Lebensmittel und andere Versorgungsgüter bitten, um Rekruten jedoch nur als letztes Mittel. Sie würden lieber selbst Kämpfen und lokale Führer nur dann um lokale Kämpfer bitten, wenn wirklich großer Mangel herrsche. Allenfalls bei unerwarteten nächtlichen Angriffen sei eine vorübergehende lokale Mobilisierung zu erwarten (Kapitel 1.5.5 Nangarhar, S. 24-25). Im Hinblick auf die Rekrutierung in Religionsschulen wird zudem von „Indoktrination“ und „Gehirnwäsche“ berichtet, die dazu führt, dass Kinder sich den Taliban „freiwillig“ anschließen (Kapitel 5.2.1.2 Schulen und Madrassas, S. 47). Damit steht die Schilderung des Beschwerdeführers hinsichtlich einer individuellen, an ihn gerichteten Aufforderung unter Androhung von Zwang bzw. Gewalt nicht im Einklang mit den Länderberichten.

Zudem lebt die Familie des Beschwerdeführers weiterhin im Herkunftsstaat, obwohl sich aus den bereits zitierten UNHCR-Richtlinien ergibt, dass nicht nur die Person selbst, die sich der Rekrutierung widersetzt, sondern ebenso ihre Familienmitglieder gefährdet sind, bestraft oder getötet zu werden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung, Buchstabe a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), S. 60). Der Beschwerdeführer hat zwar angegeben, der Vater sei von den Taliban geschlagen worden (OZ 12, S. 7). Dies erscheint jedoch mit Blick auf die durch UNHCR und EASO beschriebenen Konsequenzen einer Weigerung (1.5.6 Was geschieht bei einer Weigerung? S. 25) als ebenso unplausibel.

Im Ergebnis konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr von Seiten der Taliban Übergriffe und Misshandlungen drohen, weil er sich durch Flucht der Rekrutierung entzogen hat. Zudem ist auch für den Fall der Rückkehr nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer von den Taliban gezwungen wurde, für sie zu Kämpfen, weil es für eine derartige Gefahr den oben bereits zitierten Länderberichten zufolge keine konkreten Anhaltspunkte gibt. Insbesondere stellt die Rekrutierung unter Zwang – wie bereits ausgeführt – einen Ausnahmefall dar.

Im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung, demzufolge der Beschwerdeführer unter das Risikoprofil „Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte verstoßen“ (OZ 12, S. 8) ist den UNHCR-Richtlinien zu entnehmen, dass die Taliban Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht haben, die in ihrer Wahrnehmung gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen. In Gebieten unter ihrer Kontrolle würden die Taliban eine strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durchsetzen. Verstöße würden durch öffentliche Auspeitschung oder sogar Tötung geahndet (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 6. Personen, die vermeintlich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen, S. 74). Hierzu ist zunächst anzumerken, dass diese Rückkehrbefürchtung in den individuellen Angaben des Beschwerdeführers keinen Raum einnimmt, sondern sich im Wesentlichen auf die Ausführungen seiner Rechtsvertreterin beschränkt. Zudem haben sich im Verfahren keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer als eine derartige Person wahrgenommen wurde oder werden wird. Insbesondere wird nicht konkretisiert, gegen welche islamischen Grundsätze, Normen und Werte der Beschwerdeführer konkret verstößt bzw. ihm ein Verstoß unterstellt werden sollte. Dass ihm deshalb Übergriffe oder Misshandlungen drohen hat er damit nicht glaubhaft gemacht.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.05.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), der EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) und dem auch deren Grundlage bildenden EASO COI Report. Afghanistan. Security situation. von Juni 2019 sowie den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.22. Nangarhar, sowie auf der EASO Country Guidance von Juni 2019 und dem EASO COI Report, Afghanistan, Security situation von Juni 2019.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer Im Fall der Rückkehr in die Herkunftsprovinz die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden, beruht ebenso auf den eben zitierten Berichten zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz, wobei die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts inbesondere mit jener von EASO übereinstimmt (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indisriminate violance, Abschnitt Nangarhar, S. 110).

Die Feststellungen zur COVID-19-Situation im Herkunftsstaat beruhen auf dem UNOCHA, Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response. Operational Situation Report von 17.06.2020 und der ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) von 05.06.2020, die die Lage im Wesentlichen in Übereinstimmung mit dem Länderinformationsblatt schildern (Abschnitt Länderspezifische Anmerkungen, Unterabschnitt COVID-19). Auch die Briefing Notes der Gruppe 62 – Informationszentrum für Asyl und Migration des BAMF vom 08.06.2020 bestätigt zudem die jüngste Verlängerung der Maßnahmen durch die der afghanischen Regierung.

Die Feststellungen zur Wirtschafts- und Versorgungslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung. Dort wird auch berichtet, dass es finanzielle oder sonstige Unterstützung in Afghanistan nicht existiert.

Die Feststellung zu den Folgen einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ergibt sich insbesondere aus einer Zusammenschau der individuellen Umstände und Merkmale, die der Beschwerdeführer in seiner Person vereint.

Maßgebliche Faktoren für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, sind insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen

Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff.). Damit übereinstimmend stellen nach den UNHCR-Richtlinien insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, Verwandtschaftsverhältnisse sowie Bildungs- und Berufshintergrund (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122) relevante Faktoren dar, wobei neben der Berücksichtigung dieser spezifischen persönlichen Umstände den UNHCR-Richtlinien zufolge auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Betreffende seine grundlegenden Menschenrechte wird ausüben können sowie ob er im für die Neuansiedelung in Betracht gezogenen Gebiet Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben (Zugang zu Unterkunft, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur [Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung], Lebensgrundlage) unter würdigen Bedingungen vorfindet (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben, S. 123 f.).

Der Beschwerdeführer ist jung und arbeitsfähig, spricht mit Paschtu eine im Herkunftsstaat verbreitete Sprache. Zudem verfügt er über im Herkunftsstaat erworbene Schulbildung und kann auch im Bundesgebiet schulische Erfolge vorweisen. Zudem verfügt er – wenngleich über geringe – Berufserfahrung als Tagelöhner im Herkunftsstaat sowie als Saisonarbeiter im Bundesgebiet in der Landwirtschaft. Er gehört als Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zur im Herkunftsstaat mit 80 bis 89,7 % der Gesamtbevölkerung mehrheitlich vertretenen Religionsgemeinschaft (Länderinformationsblatt, Kapitel 15. Religionsfreiheit) und als Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen zur größten Volksgruppe des Herkunftsstaates (Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Relevante Ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.1. Paschtunen). Insbesondere wird hinsichtlich dieser Volksgruppe nicht von spezifischen Diskriminierungen oder Gefahren berichtet. An körperlichen Vorerkrankungen leidet der Beschwerdeführer nicht, weswegen er hinsichtlich COVID-19 nicht zur Risikogruppe gehört.

Der Beschwerdeführer verfügt jedoch in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht über Familienangehörige oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte. Damit verfügt der Beschwerdeführer nicht über ein soziales Netzwerk, dass dem Länderinformationsblatt zufolge für das Überleben in Afghanistan wichtig und für Rückkehrer bei der Anpassung an das Leben in Afghanistan besonders ausschlaggebend ist. Insbesondere stelle ein Mangel an Netzwerken eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar (Kapitel 22. Rückkehr). Auch EASO schätzt ein Unterstützungsnetzwerk per se als essentiell für die Ansiedelung ein (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, Unterabschnitt Individual circumstances, S. 136). Aktuell ist das wirtschaftliche Leben in den drei Städten zudem bedingt durch Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeschränkt, insbesondere Tagelöhner sind hiervon betroffen. Der ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) von 05.06.2020 zufolge gibt es aufgrund der landesweiten COVID-19-Beschränkungen weniger Gelegenheitsarbeit. Dies treffe insbesondere den informellen Arbeitsmarkt, auf den ein großer Teil der afghanischen Arbeitskräfte angewiesen sei. Bei Arbeitsmangel biete dieser kein Sicherheitsnetz. Zudem ist es auch zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise gekommen und wurden Hotels geschlossen. Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in der Lage ist, Arbeit zu finden, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, erscheint unter diesen Bedingungen – insbesondere nachdem Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten, als formelle Qualifikation (Kapitel 20. Grundversorgung, Abschnitt Arbeitsmarkt) – als nicht wahrscheinlich. Zudem ist dem Bericht, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020 zu entnehmen, dass insbesondere Rückkehrer stigmatisiert werden, weil sie primär für die Gefahr durch Corona verantwortlich gemacht werden. Das Stigma, Seuchenüberträger zu sein, treffe auch aus Europa Eingereiste (S. 2). Dadurch würde die Niederlassung des Beschwerdeführers zusätzlich erschwert. Hierdurch würde eine Suche des Beschwerdeführers nach Arbeit und Unterkunft zweifellos weiter behindert.

Außerdem ist dem Bericht, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020 auch zu entnehmen, dass die Teehäuser ebenso als Gegenmaßnahme geschlossen wurden (S. 3). Der Beschwerdeführer wäre daher mangels Verfügbarkeit von Unterkünften von Obdachlosigkeit bedroht. Insbesondere gibt es auch keine staatliche Unterbringung von Rückkehrern (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr). Nachdem der Beschwerdeführer in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht über soziale Anknüpfungspunkte verfügt, durch die ihm allenfalls Unterkunft gewährt werden könnte, wäre er im Fall der Rückkehr unmittelbar von Obdachlosigkeit bedroht.

Hinsichtlich einer allfälligen Unterstützung durch die Familie ist anzumerken, dass diese ihr Einkommen selbst aus dem informellen Arbeitsmarkt bezieht und folglich im Augenblick selbst in Folge der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie mit zusätzlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert ist. Zudem resultiert dem Länderinformationsblatt zufolge aus der bereits schlechten wirtschaftlichen Lage im Herkunftsstaat – wobei sich diese Informationen auf einen Zeitpunkt vor Ausbrechen der Pandemie beziehen – und individuellen Faktoren, dass Unterstützung durch die Familie nur temporär und nicht immer gesichert erfolgt (Kapitel 22. Rückkehr). Von ausreichender Unterstützung durch die Familie ist damit nicht auszugehen. Staatliche Unterstützung existiert dagegen nicht und wird hinsichtlich Rückkehrunterstützung berichtet, dass ein koordinierter Mechanismus nicht existiert. Insbesondere wird Rückkehrhilfe nur temporär und kurzfristig gewährt und funktioniert eine allfällige Anschlussunterstützung nicht lückenlos (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr).

Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften, dass er mit ausreichender Unterstützung seiner Familie nicht zu rechnen hat und insbesondere, dass es ihm nicht möglich wäre, Fuß zu fassen und er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Zudem zählt auch (UN)OCHA als Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten und „einschlägige internationale Menschenrechtsorganisationen“ iSd Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU zu den besonders bedeutsamen Quellen hinsichtlich der Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Parteiengehör bezüglich der in dieser Entscheidung hinsichtlich Punkt 2.3. der Beweiswürdigung neben den in das Verfahren eingebrachten verwendeten aktuellen Länderberichte konnte entfallen. Die belangte Behörde hat aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Abfassung von Länderberichten sowie als spezialisierte Fachbehörde Kenntnisse über ebendiese Länderberichte; weiter wurden diese ausschließlich zugunsten des Beschwerdeführers verwendet, weshalb auch diesbezüglich eine Notwendigkeit zur Gewährung von Parteiengehör nicht gegeben war. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2018, Ra 2017/18/0119 mwN).

3.1.1.  Zum Fluchtvorbringen einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban

Der Verwaltungsgerichtshof differenziert in ständiger Judikatur zwischen der per se nicht asylrelevanten Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei von der Verfolgung, die an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist daher, mit welcher Reaktion durch die Milizen aufgrund einer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, gerechten werden muss und ob in ihrem Verhalten eine (unterstellte) politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (19.04.2016, VwGH Ra 2015/01/0079 mwN).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr von Seiten der Taliban Übergriffe oder Misshandlungen drohen, weil er sich durch Flucht der Rekrutierung entzogen hätte und ist zudem auch für den Fall der Rückkehr nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer von den Taliban gezwungen wurde, für sie zu Kämpfen. Damit konnte der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgungsgefahr im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung nicht glaubhaft machen.

3.1.2.  Zum Fluchtvorbringen einer Verfolgungsgefahr, weil dem Beschwerdeführer unterstellt würde, gegen islamische Grundsätze, Normen oder Werte, wie sie der Auslegung der Taliban entsprechen, zu verstoßen

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes reicht für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung aus, dass eine solche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird (vgl. etwa VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156).

Zudem bejaht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung – allerdings im Hinblick auf vom Staat ausgehende Verfolgung – im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Worte dienender Strafvorschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung. Unter diesem Blickwinkel könne die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindliche Moralvorstellungen drohen, asylrelevant sein (VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0228).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass er im Fall der Rückkehr als Person wahrgenommen würde, die gegen islamische Grundsätze, Normen oder Werte, wie sie der Auslegung der Taliban entsprechen, verstößt, sowie, dass ihm aus diesem Grund Übergriffe oder Misshandlungen der Taliban drohen. Der Beschwerdeführer konnte sohin nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Verfolgung wegen (unterstellter) politischer Gesinnung oder allenfalls aus Gründen der Religion im Sinne der oben zitierten Judikatur droht. Mangels Glaubhaftmachung konnte zudem eine weitergehende rechtliche Auseinandersetzung im Hinblick auf die Einordnung des Fluchtvorbringens in die Fluchtgründe der GFK unterbleiben.

Die Beschwerde war im Ergebnis spruchgemäß hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2.    Zu Stattgebung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Mit Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 hat der Verwaltungsgerichtshof sich mit der Rechtsprechung des EuGH zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auseinandergesetzt. Danach sei subsidiärer Schutz nur in jenen Fällen zu gewähren, in denen die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK auf einen ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zurückzuführen ist, der vom Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie verursacht wird (Art. 15 lit a. und b.), bzw. auf eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt (Art. 15 lit. c) zurückzuführen ist. Nicht umfasst sei dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführende Verletzungen von Art. 3 EMRK. Insofern habe der nationale Gesetzgeber die Bestimmungen der Statusrichtlinie fehlerhaft umgesetzt, weil nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art 2. Art. EMRK, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führe (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

An diese Judikatur anschließend spricht der der Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 aus, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausschließlich anhand Art. 15 Statusrichtlinie geprüft werden könne. Die Bestimmung sei – obgleich fehlerhaft in das nationale Recht umgesetzt – nicht unmittelbar anwendbar, weil dies zulasten eines bzw. zur Vorenthaltung von Rechten des Einzelnen nicht in Frage komme. Die nationale Regelung des § 8 Abs. 1 AsylG sei günstiger. Deren unionsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Auslegung finde ihre Schranke jedoch in einer Auslegung contra legem des nationalen Rechtes. Eine einschränkende Auslegung des Wortlautes des § 8 Abs. 1 AsylG im Sinne einer teleologischen Reduktion sei vor dem Hintergrund des klaren gesetzgeberischen Willens – den der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung herausarbeitet – nicht zu rechtfertigen. Daher halte der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 m.w.N.).

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht es, um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf viel mehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109 m.w.N.). Es obliegt dabei der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines solchen Risikos nachzuweisen. Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen (VwGH 03.05.2018, Ra 2018/20/0191).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/14/0196).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bezogen auf den Einzelfall nicht gedeckt werden können. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des EGMR ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Es muss viel mehr detailliert und konkret dargelegt werden, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Ebenso ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Hinblick auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab des Art. 3 MRK anerkannt, dass es unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR Ausnahmefälle geben kann, in denen durch eine schwere Erkrankung bzw. einen fehlenden tatsächlichen Zugang zur erforderlichen Behandlung im Herkunftsstaat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

3.2.1.  Zur Rückkehr in die Herkunftsprovinz

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt besteht im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz die Gefahr, dass dieser im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer misshandelt oder verletzt wird bzw. zu Tode zu kommt.

Demnach droht dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr die reale Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte im Sinne der oben zitierten Judikatur.

3.2.2.  Zur Nichtverfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem klaren Wortlaut des § 11 AsylG zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative zu unterscheiden. Einerseits muss geprüft werden, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bildet nach der Judikatur des VwGH die Frage, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 mwN). Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen, wäre die innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthalts in diesem Gebiet zu verneinen.

Das Kriterium der Zumutbarkeit ist in unionsrechtskonformer Auslegung gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, nämlich, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss es dem Asylwerber im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten möglich sein, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (Zuletzt VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt wäre es dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Zudem kann er nicht mit ausreichender Unterstützung durch seine Angehörigen rechnen und liefe er – insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie – Gefahr, notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten. Dabei ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung anhand der Definition des § 2 Abs. 1 Z 16 AsylG und des in diesem Sinne inhaltliche Festlegungen vornehmenden § 8 Abs. 4 AsylG bereits dargelegt hat, dass es sich beim Status des subsidiär Schutzberechtigten um ein dem Fremden stets nur vorübergehendes (wenn auch verlängerbares) gewährtes Einreise- und Aufenthaltsrecht handelt (VwGH 27.05.20.19, Ra 2019/14/0153). Dem dem Status des subsidiär Schutzberechtigten demzufolge immanenten Schutzgedanken entspricht es damit, den entsprechenden Status auch im Falle allenfalls vorübergehender Gefährdungen zu gewähren. Insbesondere lassen sich allfällige langfristige Folgen der Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung im Augenblick noch nicht absehen.

Hinweise auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes iSd § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG sind im Lauf des Verfahrens nicht hervorgekommen.

Hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides war der Beschwerde damit stattzugeben und dem Beschwerdeführer spruchgemäß der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu erteilen.

3.2.3.  Zur befristeten Aufenthaltsberechtigung

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterscheidet § 8 Abs. 4 AsylG zwischen dem Status des subsidiär Schutzberechtigten und der zu erteilenden Aufenthaltsberechtigung, die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung ist zusätzlich zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorgesehen (VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007). Sie erfolgt demnach konstitutiv.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem jüngst klargestellt, dass gemäß § 8 Abs. 4 AsylG die Gültigkeitsdauer nicht nur aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung, sondern auch bei der Erteilung der verlängerten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen ist (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.04.2016, Ra 2015/05/0069 dahingehend präzisiert, dass bei Kollegialorganen der Zeitpunkt der Willensbildung (Beschlussfassung) und bei monokratischen Organen jener der Erlassung (Zustellung oder mündliche Verkündung) der Entscheidung maßgeblich ist (siehe auch Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 29 VwGVG [Stand 15.2.2017, rdb.at], Rz 17). Darauf, dass die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses (des Einzelrichters) erst mit dessen Zustellung eintreten, hat der Verwaltungsgerichthof auch jüngst im Zusammenhang mit der Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG hingewiesen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Auch gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, weswegen datumsmäßige Festlegung der einjährigen Gültigkeitsdauer der dem Beschwerdeführer erteilten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter ausgehend vom Zeitpunkt der Zustellung des gegenständlichen Erkenntnisses zu erfolgen hat.

Das Bundesverwaltungsgericht erkannte dem Beschwerdeführer mit vorliegendem Erkenntnis den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Folglich war spruchgemäß eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu erteilen.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung gilt damit ein Jahr ab Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts an den Beschwerdeführer.

4.        Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der unter 3. zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wobei gegenständlich insbesondere beweiswürdigende Erwägungen maßgeblich waren.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung Glaubwürdigkeit Lebensgrundlage Lebensunterhalt mangelnde Asylrelevanz Pandemie Sicherheitslage subsidiärer Schutz unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W109.2162004.1.00
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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