Entscheidungsdatum
30.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W229 1434850-2/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Elisabeth WUTZL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.11.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste als Minderjähriger in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.04.2013, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 16.07.2012 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
3. Gegen diesen Bescheid wurde mit näherer Begründung fristgerecht Beschwerde erhoben.
4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.05.2015, GZ W151 1434850-1, wurde die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Der Beschwerde wurde hinsichtlich Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 25.05.2016 erteilt.
Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass das Gericht davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer trotz sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte in Afghanistan im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in eine für ihn ausweglose Situation geraten würde, da ihm die notdürftigste Lebensgrundlage – auch trotz seines mittelgradigen Bildungsgrades – entzogen wäre, da auch das Beweisverfahren ergeben habe, dass die Lebensumstände seiner dort lebenden Familie schwierig seien und nicht gewährleistet sei, dass er durch seine Familie die nötige Unterstützung erfahren könne und werde.
5. Am 05.10.2016 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter ein.
6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 25.11.2016 wurde dem Beschwerdeführer die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 25.05.2018 erteilt.
Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden.
7. Zur Prüfung der Einleitung eines Aberkennungsverfahrens führte das BFA am 15.11.2018 mit dem Beschwerdeführer eine niederschriftliche Einvernahme unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu durch.
8. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 29.11.2018 wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
9. Mit Verfahrensanordnung vom 30.11.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberatung im Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
10. Gegen den oben genannten Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde. Inhaltlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers und auch dessen familiäre Situation in Afghanistan seit Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus in keiner Weise verändert haben.
11. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 10.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.02.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertreterin teilnahmen sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Paschtu beigezogen wurde. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Der Beschwerdeführer legte eine Bestätigung über die Durchführung einer Drogenberatung sowie eine Bestätigung über einen Kursbesuch des Deutschkurses A2 vor.
13. Am 26.02.2020 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den in der Verhandlung übermittelten Länderberichten beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , geb. am XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger des Stammes der XXXX . Seine Muttersprachen sind Paschtu und Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer wurde in XXXX , Pakistan geboren und wuchs dort auf. Er besuchte dort acht Jahre lang die Schule. Er verfügt über keine Berufsausbildung, hat jedoch Berufserfahrung als Teppichknüpfer, Verkäufer und Mechaniker.
Ursprünglich stammt der Beschwerdeführer aus der Provinz Nangahar, Distrikt XXXX . Vor seiner Ausreise nach Österreich hielt sich der Beschwerdeführer etwa eineinhalb Jahre in Afghanistan auf und pendelte zwischen XXXX und XXXX . Etwa drei Monate vor seiner Ausreise blieb der Beschwerdeführer nur noch in Afghanistan. Er hielt sich in Kabul bei seinem Bruder bzw. in Herat bei seinem Schwager auf.
Beide Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Ein Bruder lebt in XXXX , der andere Bruder sowie die fünf Schwestern des Beschwerdeführers leben in XXXX , Afghanistan. Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers ist verstorben. Die Geschwister des Beschwerdeführers sind alle verheiratet. Der Großteil der Onkel und Tanten des Beschwerdeführers leben in XXXX , eine Tante väterlicherseits und ein Onkel väterlicherseits leben in XXXX .
Der Beschwerdeführer hat derzeit keinen Kontakt zu seinen Geschwistern und den anderen Verwandten. Es ist für ihn aber grundsätzlich möglich, Kontakt mit diesen aufzunehmen.
Als der Beschwerdeführer nach Afghanistan zurückkehrte, lebte er bei seiner Schwester in XXXX , von seinen Brüdern wurde er in dieser Zeit finanziell unterstützt. In Kabul lebte er im Büro seines Bruders. Derzeit sind beide Brüder des Beschwerdeführers erwerbstätig.
Eine Unterstützung durch andere Stammesmitglieder im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan konnte nicht festgestellt werden.
In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten. Der Beschwerdeführer hat Freunde unterschiedlicher Nationen.
Von Jänner 2017 bis Juli 2017 arbeitete der Beschwerdeführer bei der Firma XXXX in XXXX . Während der Haft arbeitete er etwa ein Jahr lang als Verkäufer in einem Geschäft.
Der Beschwerdeführer geht alle zwei Wochen zur Drogentherapie. Im Jahr 2019 besuchte er einen Deutschkurs für das Niveau A2.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 29.09.2014, Zl. XXXX , rechtskräftig seit 03.10.2014, wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener aufgrund der Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z 7 StGB und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1., 2. und 7. Fall SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 1., 2. und 8. Fall und Abs. 3 SMG sowie § 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, davon 6 Monate bedingt, verurteilt.
Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 29.10.2015, Zl. XXXX , rechtskräftig seit 03.11.2015, wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener aufgrund des Vergehens der Sachbeschädigung nach §§ 125, 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 24.02.2016, Zl. XXXX , rechtskräftig seit 01.03.2016, wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener aufgrund der Vergehen der Sachbeschädigung sowie Körperverletzung nach § 125 StGB und § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.
Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 05.04.2018, Zl. XXXX , rechtskräftig seit 10.04.2018, wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener aufgrund des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall und 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall SMG verurteilt, unter Bedachtnahme auf Landesgericht für Strafsachen XXXX , XXXX , wurde keine Zusatzstrafe verhängt.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 11.02.2019, Zl. XXXX , rechtskräftig seit 11.02.2019, wurde der Beschwerdeführer aufgrund des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG, § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG und §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.
1.2. Zur Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer stellte am 16.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.05.2015 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 25.05.2016 erteilt.
Die Aufenthaltsberechtigung wurde auf Antrag bis zum 25.05.2018 verlängert.
Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan (insbesondere in den urbanen Gebieten) wird festgestellt, dass sich die Umstände, welche zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung am 26.05.2015 nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben.
1.3. Zur Lage in Afghanistan:
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB 13.11.2019, S. 12).
1.3.1. Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, S. 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, S. 18ff). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (LIB 13.11.2019, S. 18 - 19).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).
Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).
Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).
1.3.2. Regierungsfeindliche Gruppierungen:
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).
Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).
In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren,wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden. Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen. Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (LIB 13.11.2019, S. 261).
1.3.3. Sicherheitsbehörden:
Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).
Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).
1.3.4. Nangahar:
Die Proving Nangarhar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinzhauptstadt von Nangarhar ist Jalalabad. Die Provinz hat 1.668.481 Einwohner. Sie besteht hauptsächlich aus Paschtunen, Pashai, Arabern und Tadschiken (LIB 13.11.2019, S. 159).
2018 war Nangarhar in der östlichen Region die führende Provinz beim Schlafmohnanbau, obwohl die Anbaufläche 2018 im Vergleich zu 2017 um 9% gesunken ist.
Nangarhar gilt als strategische Provinz, in der seit 2011 eine Verschlechterung der der politischen und sicherheitspolitischen eintrat. Die Provinz, die an die ehemaligen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) Pakistans grenzt, dient als inoffizieller Korridor für in- und ausländische Aufständische. Korruption, lokale Machtkämpfe und das Versagen, effektive Dienstleistungen zu erbringen, untergruben das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanische Regierung, die die Bevölkerung ungeschützt gegen Aufständische zurückließ, aber auch der Rückzug der internationalen Streitkräfte in der Provinz ab dem Jahr 2013 trug dazu bei. Nichtsdestotrotz sind Bemühungen der Regierung auf dem Weg, um Sicherheit zu gewährleisten, Landraub und Korruption vorzubeugen sowie die Koordinierung zwischen den Sicherheits- und Rechtsorganen zu verbessern.
Ein ein politisches und militärisches Vakuum, das die Provinz seit Jahren heimgesucht hatte, ebnete rund um das Jahr 2016 den Weg für den Aufstieg des afghanischen Zweiges des Islamischen Staates, dem Islamischen Staat in der Provinz Khorasan (ISKP). Dieser wurde jedoch inzwischen wieder zurückgedrängt. Die Taliban sind in Nangahar aktiv und kontrollieren manche Gebiete. Immer wieder kommt es auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Taliban und des ISKP.
Im Jahr 2018 gab es 1.815 zivile Opfer (681 Tote und 1.134 Verletzte) in der Provinz Nangarhar. Dies entspricht einer Steigerung von 111% gegenüber 2017. Die Hauptursachen dafür waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von IEDs und Bodengefechten. Im ersten Halbjahr 2019 befand sich Nangarhar hinsichtlich der Anzahl an zivilen Opfern nach Kabul und Helmand mit 401 erfassten Opfern (163 Tote, 238 Verletzte) an dritter Stelle, wobei in Nangarhar allerdings 100 zivile Todesopfer mehr zu verzeichnen waren, als beispielsweise in Kabul mit einer deutlich höheren Anzahl an zivilen Verletzten (LIB 13.11.2019, S. 160 ff.).
1.3.5. Mazar-e Sharif:
Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Sie hat 469.247 Einwohner (LIB 13.11.2019, S. 61).
Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen. In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen(LIB 13.11.2019, S. 62f). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89; S. 92f).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61; S. 336).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 13.11.2019, S. 347).
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).
1.3.6. Herat-Stadt:
Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Sie hat 556.205 Einwohner. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106).
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 13.11.2019, S. 106).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (LIB 13.11.2029, S. 106).
Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet:
Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (LIB 13.11.2019, S. 106).
Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89, S. 99f).
Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den "bessergestellten" und "sichereren Provinzen" Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (LIB 13.11.2019, S. 336).
Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt. Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer. Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (LIB 13.11.2019, S. 336).
Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).
1.3.7. Allgemeine Menschenrechtslage:
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Außerdem wurde Afghanistan für den Zeitraum 2018-2020 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen gewählt. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog. Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).
1.3.7.1. Religionsfreiheit:
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (LIB 13.11.2019, S. 277).
Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB 13.11.2019, S. 277).
Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen. Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (LIB 13.11.2019, S. 278).
1.3.8. Medizinische Versorgung:
Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt
Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (LIB 13.11.2019, S. 345). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, S. 345).
Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen. Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht. Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch (LIB 13.11.2019, S. 341).
1.3.9. Armut und Lebensmittelsicherheit:
Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS), sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen, wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist. Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 337).
Im Zeitraum 2016-17 lebten dem ALCS zufolge 54,5% der Afghanen unter der Armutsgrenze. Im ländlichen Raum war der Anteil an Bewohnern unter der Armutsgrenze mit 58,6% höher als im städtischen Bereich (41,6%). Schätzungen zufolge, ist beispielsweise der Anteil der Bewohner unter der Armutsgrenze in Kabul Stadt und Herat-Stadt bei rund 34-35%. Rund 1,1 Millionen Bewohner von Kabul-Stadt leben unter der Armutsgrenze. In Herat-Stadt beträgt ihre Anzahl rund 327.000 (LIB 13.11.2019, S. 337f).
2018 gaben rund 30% der 15.012 Befragten an, dass sich die Qualität ihrer Ernährung verschlechtert hat, während rund 17% von einer Verbesserung sprachen und die Situation für rund 53% gleich blieb. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Personen, welche angaben, dass sich ihre Ernährungssituation verschlechtert habe, im Westen des Landes über dem Anteil in ganz Afghanistan. Beispielsweise die Provinz Badghis war hier von einer Dürre betroffen (LIB 13.11.2019, S. 338)
1.3.10. Dürre und Überschwemmungen:
Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (LIB 13.11.2019, S. 337).
Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als „angespannt“ bis „krisenhaft“. Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden (LIB 13.11.2019, S. 337).
Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 3.2019). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden (LIB 13.11.2019, S. 337).
Der Jahresbericht 2018 des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) nennt eine Zahl von rund 371.000 neuen IDPs aufgrund der Dürre in Afghanistan im Jahr 2018. Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daikundi, Herat und Ghor zu IDPs, zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah. Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis). Die Lager werden täglich mit Wasser und Lebensmitteln beliefert und es werden Zelte, Notunterkünfte, Hygiene-, Gesundheits- und Nahrungsdienste zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat-Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf leeren Feldern entstanden, nicht vorhanden sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. In der Stadt kam es zu Demonstrationen von Bewohnern, welche die Binnenvertriebenen bezichtigten, ihnen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Das gestiegene Angebot an billigen Arbeitskräften drückte den Tageslohn von 6-8 USD auf 2-3 USD (LIB 13.11.2019, S. 330-331).
1.3.11. Wirtschaft und Arbeitsmarkt:
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Die Armutsrate in Afghanistan hat sich verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB 13.11.2019, S. 333).
Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 334f).
Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt. Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (LIB 13.11.2019, S. 334).
In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden.
Auch Rückkehrende haben dazu Zugang – als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft (LIB 13.11.2019, S. 334-335).
Es existiert ein funktionierendes Band- und Finanzwesen, Geldaustausch ist zudem über ein informelles, aber funktionierendes Hawala-System möglich (LIB 13.11.2019, S. 338-339).
1.3.12. Rückkehrer:
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).
Rückkehrer haben zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie. Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (LIB 13.11.2019, S. 354).
Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).
Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig. Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (LIB 13.11.2019, S. 355).
Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet. Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).
Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).
Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an (LIB 13.11.2019, S. 356-357).
Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).
IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro sowie Informationen, etwa über Hotels. Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können, je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden. Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt (LIB 13.11.2019, S. 358).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zu Namensführung, Geburtsdatum, Herkunft, Staatszugehörigkeit, Muttersprachen sowie Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinem diesbezüglich widerspruchsfreien und glaubhaften Vorbringen im gesamten Asyl- und Aberkennungsverfahren. Die Feststellung zur Stammeszugehörigkeit ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (vgl. VH Niederschrift S. 5 f.). Die Feststellungen zum Familienstand sowie dem Gesundheitszustand ergeben sich ebenfalls aus den gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren.
Ebenso gab der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren gleichbleibend an, aus XXXX , Provinz Nangahar zu stammen. Dass sich der Beschwerdeführer etwa eineinhalb Jahre vor seiner Ausreise in XXXX , Herat und Kabul aufhielt, ergibt sich aus seinen diesbezüglichen Schilderungen in der Beschwerdeverhandlung (vgl. VH Niederschrift S. 5 und 13 f.).
Die Feststellungen zur Kernfamilie des Beschwerdeführers beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA im Aberkennungsverfahren (vgl. Niederschrift BFA 15.11.2018 S. 4) sowie in der Beschwerdeverhandlung (vgl. VH Niederschrift S. 9), die Feststellungen zur erweiterten Familie beruhen ebenfalls auf seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (vgl. VH Niederschrift S. 10).
Dass der Beschwerdeführer derzeit keinen Kontakt zu seinen Familienmitgliedern hat, bringt er sowohl vor dem BFA als auch in der mündlichen Verhandlung vor (vgl. Niederschrift BFA 15.11.2018 S. 4, VH Niederschrift S. 11), wobei sich aus den Angaben eine Diskrepanz ergibt, wie lange schon kein Kontakt mehr besteht. Jedoch ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung auch, dass es ihm möglich wäre, Kontakt zu seinen Familienmitgliedern herzustellen (s. insb. VH Niederschrift S. 11: „RI: 2018 hatten Sie noch Kontakt zu ihnen – das sind weniger als 32 Monaten. Sie haben aber grundsätzlich die Möglichkeit, mit Ihren Geschwistern Kontakt aufzunehmen? BF: Ja. RI: Also können Sie sie jederzeit anrufen? BF: Ja.“).
Dass der Beschwerdeführer in Afghanistan von seinen Geschwistern unterstützt wurde, sowie die Feststellungen zur derzeitigen Erwerbstätigkeit seiner Brüder ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (vgl. VH Niederschrift S. 8). Die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich des einen Bruders waren jedoch insofern widersprüchlich, als er vor dem BFA angab, dass dieser ein Lebensmittelgeschäft habe (vgl. Niederschrift BFA 15.11.2018 S. 5), während er in der Beschwerdeverhandlung angab, ein Freund habe ihm gesagt, dass der Bruder das Geschäft 2016 verkaufen habe müssen (vgl. VH Niederschrift S. 10 f.). Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erstmals vor, dass seine Familie von der Organisation, bei der sein Vater beschäftigt war, nach dessen Tod Geld erhalten habe und die Familie von diesem Geld und den Einnahmen des Bruders leben habe können. Gleichzeitig gab der Beschwerdeführer jedoch an, den Kontakt zu seiner Familie deshalb abgebrochen zu haben, da diese immer Geld von ihm verlangt haben, obwohl er keines gehabt habe (vgl. VH Niederschrift S. 11). Das Bundesverwaltungsgericht geht daher insgesamt davon aus, dass die Familie des Beschwerdeführers, und insbesondere seine Brüder, ihren Lebensunterhalt zwar selbst bestreiten können, darüberhinausgehende Feststellungen zur wirtschaftlichen Lage sowie der Unterstützungswilligkeit des Beschwerdeführers können jedoch aufgrund der widersprüchlichen Angaben nicht getroffen werden. Die oberflächliche Angabe, dass die wirtschaftliche Lage seiner Familie schwierig sei, wiederholte der Beschwerdeführer nämlich gleichbleibend im Verfahren.
Dass dem Beschwerdeführer keine maßgebliche Unterstützung durch andere Stammesmitglieder zukommen würde, ergibt sich insbesondere aus seinen diesbezüglichen plausiblen Angaben in der mündlichen Verhandlung (s. insb. VH Niederschrift S. 7: „RI: Wie funktioniert das? Was machen die anderen Stammesmitglieder dann? BF: Wenn man Schwierigkeiten bzw. Probleme hat, wird man nicht von anderen Angehörigen unterstützt. Man muss selber im Leben klarkommen. Man muss hart arbeiten und seine eigenen Probleme selbst lösen. RI: Warum nicht? Gerade ein Stamm dient doch dazu – was hat ein Stamm dann für einen Sinn? Warum wird einem nicht geholfen – wissen Sie das? BF: Es geht nicht um einzelne Personen, die arm sind. Es gibt sehr viele arme Menschen in Afghanistan. Innerhalb unseres Stammes kann man auch nicht jedem helfen. Es gibt keine Arbeit, kein Einkommen. Wem soll man zuerst helfen? Es gibt nicht einen oder zwei Personen, die Hilfe benötigen, sondern mehrere.“).
Dass der Beschwerdeführer in Österreich keine Familienangehörigen hat, wurde von ihm im gesamten Verfahren gleichbleibend angegeben. Die Feststellungen zu seinen Freunden in Österreich beruhen auf seinen Angaben vor dem BFA sowie in der Beschwerdeverhandlung (vgl. Niederschrift BFA 15.11.2018 S. 3, VH Niederschrift S. 14).
Die Feststellungen zu den beruflichen Tätigkeiten in Österreich beruhen ebenfalls insbesondere auf den Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA und in der Beschwerdeverhandlung (vgl. Niederschrift BFA 15.11.2018 S. 3, VH Niederschrift S. 15).
Die Feststellungen zum absolvierten A2-Kurs sowie der Drogentherapie beruhen auf den in der Verhandlung vorgelegten Unterlagen. Weitere Integrationsbemühungen wurden nicht vorgebracht.
Die Feststellungen zu den gerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus dem Strafregisterauszug vom 13.02.2020 sowie durch Einsichtnahme in die im Verwaltungsakt befindlichen Urteilsausfertigungen.
2.2. Die Feststellungen zum Zeitpunkt der Asylantragstellung, zum Gegenstand des Bescheids vom 21.04.2009, dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.05.2015, dem Verlängerungsbescheid sowie zum Gegenstand des angefochtenen Bescheids basieren auf dem Inhalt des Verwaltungs- und Gerichtsaktes.
Eine Feststellung, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.05.2015 führten, wesentlich und nachhaltig verändert haben, konnte im Lichte eines Vergleichs der individuellen Situation des Beschwerdeführers sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in (ganz) Afghanistan zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Zuerkennung subsidiären Schutzes einerseits und zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheids bzw. der vorliegenden Entscheidungen andererseits nicht getroffen werden (vgl. dazu näher die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen). Dabei erfolgte insbesondere eine Gegenüberstellung des Inhalts der dem Erkenntnis vom 26.05.2015 zugrunde gelegten Länderberichte mit jener Berichtslage, die das BFA bei Erlassung des angefochtenen Bescheids herangezogen hat, sowie auch mit der zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung bestehenden Lage im Herkunftsstaat.
Das Bundesverwaltungsgericht vermag der Ansicht des BFA, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers geändert habe, nicht beizutreten. Soweit das BFA im angefochtenen Bescheid nämlich ausführt, dass der Beschwerdeführer über familiäre/soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge, ist darauf hinzuweisen, dass das BFA im Bescheid lediglich zur Annahme einer Anknüpfungs- sowie Unterstützungsmöglichkeit gelangt, ohne diese Annahme durch konkrete Ermittlungsergebnisse zu stützen. Die Beweiswürdigung des BFA bezüglich Unterstützungsmöglichkeit durch die Familie des Beschwerdeführers erschöpft sich lediglich in Ausführungen darüber, dass darauf verwiesen werde, dass der Beschwerdeführer nach wie vor in Kontakt mit seinen Familienangehörigen sei und aufgrund seiner Angaben davon auszugehen sei, dass auch er „unter Berücksichtigung der traditionell stark ausgeprägten sozialen Absicherung durch Familien- und Stammesverbände auf die Hilfe“ der Verwandten zugreifen könne (Bescheid 29.11.2018, S. 89).
Allein aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer zwar Kontakt zu seiner Familie herstellen kann, ergibt sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht, dass der Beschwerdeführer auf die maßgebliche Unterstützung seiner Familie zurückgreifen könne. Im angefochtenen Bescheid finden sich keine Feststellungen hinsichtlich der konkreten Lebens- und Vermögenssituation der Verwandten, welche darauf schließen ließen, dass diese bereit und in der Lage wären, den Beschwerdeführer zu unterstützen. Auch aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Niederschrift, sein Bruder habe ein Lebensmittelgeschäft und sorge für die Witwe und Kinder des verstorbenen Bruders, lässt sich nicht ohne Weiteres ableiten, dass dieser Bruder auch in der Lage und bereit wäre, auch den Beschwerdeführer zu unterstützen, zumal er auch angab, dass dieser Bruder gerade so viel verdiene, wie er für seinen Lebensunterhalt brauche (vgl. Niederschrift BFA 15.11.2018 S. 5). Hinzu kommt, dass bereits bei Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten die Möglichkeit der Unterstützungsleistung nicht ausgeschlossen worden ist, so dass sich insoweit auch keine Änderung ergeben hat. Eine darüberhinausgehende konkrete und nachhaltige Unterstützungsmöglichkeit hat sich auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht ergeben.
Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, der Beschwerdeführer sei volljährig, gesund und arbeitsfähig, verfüge über acht Jahre Schulbildung und fünf bis sechs Jahre Arbeitserfahrung, ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer noch in Pakistan in die Schule ging und auch die Berufserfahrungen in Pakistan bzw. Afghanistan machte. Wie bereits ausgeführt arbeitete der Beschwerdeführer in Österreich im Jahr 2017 ein halbes Jahr bei der Firma XXXX sowie während der Haft in einem Geschäft, im Verfahren sind jedoch darüber hinaus keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer eine fundierte Berufsausbildung erhalten hätte, durch welche er einen Vorteil am Arbeitsmarkt erfahren würde. Auch war der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzes bereits volljährig. Somit haben sich die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers nicht wesentlich und nachhaltig verändert.
2.3. Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
3.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der §§ 8, 9 AsylG 2005 lauten (auszugsweise) wie folgt:
„Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, we