Entscheidungsdatum
07.07.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W281 2232016-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Rosemarie HALBARTH-KRAWARIK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 08.01.2020, Zl. XXXX :
A)
Die Beschwerde vom 04.03.2020 wird zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Im vorliegenden Verfahren ist ausschließlich zu klären, ob der Bescheid vom 08.01.2020 gegenüber dem Beschwerdeführer erlassen wurde.
1. Feststellungen:
Bei einer polizeilichen Kontrolle am 07.12.2019 in Wien wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) wegen seines nicht rechtmäßigen Aufenthalts angezeigt, weil der letzte Einreisestempel in seinem Reisepass vom 12.08.2019 stammte und die zulässige visumfreie Aufenthaltsdauer von 90 Tagen in 180 Tagen daher überschritten war. Der Reisepass wurde sichergestellt. Im Zentralen Melderegister war keine aktuelle Meldung des BF ersichtlich.
Am 17.12.2019 gab der BF dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) als Kontaktadresse die Anschrift XXXX ,1220 Wien, (im Folgenden:1220 Wien) an. Dabei handelt es sich um die Wohnadresse von XXXX , mit der er damals liiert war. Der BF hielt sich bis 20.12.2019 an dieser Adresse auf. Nach einem Streit mit XXXX verließ er deren Wohnung und kehrte nicht mehr dorthin zurück; danach hatte er keinen Kontakt mehr zu ihr. Weder erteilte er XXXX eine Vollmacht noch gab er dem BFA einen anderen Ort für Zustellungen im laufenden Verfahren bekannt.
Am 27.12.2019 wurde der BF vor dem BFA zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vernommen. Er gab an, dass er zum Aufenthalt in Frankreich berechtigt sei. Die französischen Behörden gaben daraufhin bekannt, dass er bis 29.10.2019 im Besitz eines temporären französischen Aufenthaltstitels gewesen sei.
Mit dem an den BF adressierten Bescheid vom 08.01.2020 sprach das BFA aus, dass ihm kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt werde (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Serbien fest (Spruchpunkt III.), erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.) und legte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt V.).
Das BFA übergab diesen an die Adresse in 1220 Wien adressierten Bescheid der österreichischen Post als Zustelldienst mit der Zustellverfügung „zu eigenen Handen (RSa)“. Der Zusteller übergab den Bescheid am 10.01.2020 entgegen dieser Anweisung an die an der Zustelladresse anwesende XXXX , die die Übernahmebestätigung unterschrieb, wobei dabei auf dem Zustellnachweis das Feld „Empfänger/in“ angekreuzt wurde. XXXX informierte den BF nicht über die Entgegennahme dieser Sendung. Der unterfertigte Zustellnachweis wurde an das BFA übermittelt, wo man daraufhin davon ausging, dass der Bescheid dem BF zugestellt worden war.
Am 28.01.2019 erließ das BFA einen Festnahmeauftrag gegen den BF sowie einen Durchsuchungsauftrag für die Räumlichkeiten an der Adresse in XXXX mit der Begründung, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen wäre. Die Festnahme konnte nicht vollzogen werden, weil der BF an der angegebenen Adresse nicht angetroffen wurde und XXXX , die angab, seit Dezember 2019 keinen Kontakt mehr zu ihm zu haben, keine Angaben zu seinem Aufenthaltsort machen konnte.
Am 12.02.2020 wurde der BF von der Polizei in Wien aufgegriffen und festgenommen, weil angenommen wurde, dass gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestand. Er wurde noch am selben Tag vor dem BFA zur Frage der Verhängung der Schubhaft vernommen. Dabei wurde ihm mitgeteilt, dass gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestehe. Der Bescheid vom 08.01.2020 wurde ihm nicht ausgefolgt. Mit dem Bescheid vom 12.02.2020 wurde über ihn daraufhin die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.
Am 19.02.2020 nahm eine Vertreterin der Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, die dem BF als Rechtsberatungsorganisation für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt worden war und der er eine Vertretungsvollmacht erteilt hatte, Akteneinsicht, erstellte eine Kopie des Bescheids vom 08.01.2020 und informierte den BF über dessen Inhalt.
Am 20.02.2020 wurde der BF nach Serbien abgeschoben.
Mit Eingabe vom 04.03.2020 erhob der durch die ihm zur Seite gestellte Rechtsberatungsorganisation vertretene BF eine Beschwerde gegen den Bescheid vom 08.01.2020 und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde „aus juristischer Vorsicht“ erhoben und zusammengefasst damit begründet, dass die Zustellung am 10.01.2020 nicht rechtswirksam gewesen sei. Eine Ersatzzustellung an XXXX sei nicht zulässig gewesen und der BF habe am 10.01.2020 keine Abgabestelle an der Adresse in 1220 Wien, mehr gehabt. Eine Heilung des Zustellmangels sei nicht eingetreten, weil ihm der Bescheid nie zugekommen sei. Er habe erst seit 19.02.2020 Kenntnis vom Inhalt des Bescheids, sodass der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig sei. Der Umstand, dass ihn XXXX nicht über den Erhalt des Bescheids informiert habe, sei ein unvorhergesehenes, unabwendbares Ereignis; den BF treffe daran kein Verschulden. Zur Begründung der Beschwerde brachte er im Wesentlichen vor, dass die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung auf das Wohl seines 2018 in Österreich geborenen Sohnes und auf die Beziehung zwischen Vater und Kind nicht berücksichtigt worden seien. Die aufschiebende Wirkung sei zu Unrecht aberkannt worden, weil nicht nachvollziehbar sei, warum die sofortige Ausreise des unbescholtenen BF aus Gründen der öffentlichen Ordnung notwendig gewesen sei.
Am 26.05.2020 wurde XXXX vor dem BFA zu dem Zustellvorgang am 10.01.2020 vernommen.
Mit Eingabe vom 12.06.2020 erhob der BF eine Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und gegen seine Anhaltung in Schubhaft von 12. bis 20.02.2020. Mit dem Erkenntnis vom 16.06.2020, W282 2231898-1, gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dieser Beschwerde (ausgehend davon, dass dem BF der Bescheid vom 08.01.2020 nicht rechtswirksam zugestellt worden und keine Heilung des Zustellmangels eingetreten sei) statt und erklärte den Schubhaftbescheid und die Anhaltung des BF in Schubhaft für rechtswidrig.
Das BFA legte die Beschwerde gegen den Bescheid vom 08.01.2020, den Wiedereinsetzungsantrag vom 04.03.2020 und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem BVwG vor, wo diese am 17.06.2020 einlangten, und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich ohne relevante Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten.
Die Feststellungen zum Zustellvorgang am 10.01.2020 basieren auf den konsistenten Angaben von XXXX , die sowohl gegenüber der Polizei als auch als Zeugin vor dem BFA glaubhaft und nachvollziehbar angab, dass sich der BF ab 20.12.2019 nicht mehr in ihrer Wohnung in der in 1220 Wien aufgehalten habe, dass sie die Sendung am 10.01.2020 entgegengenommen und die Übernahmebestätigung unterschrieben habe und dass sie keinen Kontakt mehr zum BF gehabt habe und ihn nicht über den Erhalt der Sendung informiert habe, weil sie nicht gewusst habe, wo er zu erreichen sei. Ein Vergleich der Unterschriften auf der Übernahmebestätigung vom 10.01.2020 und auf der Niederschrift vom 26.05.2020 legt im Einklang mit ihren Angaben nahe, dass sie von derselben Person stammen. Diese Feststellung ergibt sich überdies auch aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.06.2020, W282 2231898-1.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Für das Zustandekommen eines Bescheids ist es notwendig, dass er erlassen wird. Bei schriftlichen Bescheiden wie dem angefochtenen erfolgt dies grundsätzlich durch Zustellung (§§ 21 f AVG iVm ZustG). Ein Bescheid ist dann ab dem Zeitpunkt erlassen, ab dem eine rechtswirksame Zustellung vorliegt (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 426 f).
Hier wurde dem BF der Bescheid vom 08.01.2020 bislang nicht rechtswirksam zugestellt. Der Bescheid wurde am 10.01.2020 entgegen der Zustellverfügung nicht ihm als Empfänger, sondern einer anderen Person, die vom Zusteller an der Zustelladresse angetroffen wurde, übergeben. Dies bewirkt, wie sich aus §§ 13 und 21 ZustG eindeutig ergibt, keine Zustellung, selbst wenn der Zustellversuch an einer Abgabestelle iSd § 2 Z 4 letzter Satzteil ZustG („ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort“) erfolgte.
Die Rechtswirksamkeit der Erlassung des Bescheids vom 08.01.2020 hängt daher davon ab, ob der Zustellmangel gemäß § 7 ZustG saniert wurde (siehe VwGH 03.10.2013, 2013/09/0103). Dies setzt voraus, dass das Dokument dem Empfänger tatsächlich zukommt und im Original in seine Hände gelangt (so z.B. VwGH 20.01.2015, Ro 2014/09/0059). Die bloße Kenntnis vom Vorhandensein und vom Inhalt eines Dokuments (etwa infolge der Empfangnahme oder der eigenständigen Anfertigung einer Kopie) genügt nicht (siehe VwGH 03.10.2013, 2013/09/0103).
Die Kenntnisnahme vom Bescheid im Zuge der Akteneinsicht durch einen Parteienvertreter und der Umstand, dass diesem eine Kopie des Bescheids tatsächlich zugekommen ist, konnten den Zustellmangel somit nicht heilen (vgl. VwGH 18.11.2015, Ra 2015/17/0026 und 26.06.2013, 2011/22/0122). Da bislang noch keine rechtsgültige Zustellung des Bescheids an den BF erfolgt ist, wurde dieser noch nicht erlassen.
Da die Erhebung einer Beschwerde hier zwingend die Erlassung des damit angefochtenen Bescheids voraussetzt (zumal kein Mehrparteienverfahren vorliegt), ist die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen (siehe auch VwGH 18.11.2015, Ra 2015/17/0026).
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
Im Erkenntnis vom 28. September 2016, Ro 2016/16/0013, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die belangte Behörde durch Vorlage des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keinen Übergang der Entscheidungspflicht auf das Verwaltungsgericht herbeiführen kann. Maßgeblich für die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist, ob dieser vor Vorlage der Beschwerde gestellt wurde oder erst danach. Für einen vor Vorlage der Beschwerde gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibt die belangte Behörde auch nach Vorlage der Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht weiterhin zuständig, zumal es andernfalls vom bloßen Willen der belangten Behörde abhängen würde, sich der sie gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG treffenden Entscheidungspflicht zu entledigen und dem Antragsteller mit dieser Vorgehensweise zugleich eine Rechtsmittelinstanz zu entziehen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher zuständigkeitshalber an das BFA unter Zahl W282 2232016-2 gemäß § 6 AVG iVm § 17 VwGVG weitergeleitet.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Bescheiderlassung Bescheidwirkung Heilung Zurückweisung Zustellmangel ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W281.2232016.1.00Im RIS seit
09.11.2020Zuletzt aktualisiert am
09.11.2020