TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/14 W282 2225654-1

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Veröffentlicht am 14.07.2020
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Entscheidungsdatum

14.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W282 2225654-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)       

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der Beschwerdeführerin in Abänderung des Spruchpunktes I. des angefochtenen Bescheids gemäß § 55 Abs. 1 iVm § 54 Abs. 1 Z 1 u. Abs. 2 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

II. Die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheids werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (BF), eine Staatsangehörigere des Kosovo, reiste im April 2014 in das Bundesgebiet auf Basis der ihrer erteilten Aufenthaltsbewilligung „Student“ ein. Die lebte mit ihrem Ehemann gemeinsam in Graz. Die BF inskribierte an der TU Graz für das Bachelorstudium der Physik und ließ sich in Folge einige Vorlesungen ihres Studiums der Physik an der Universität Pristina anrechnen. Weiters absolvierte sie den Vorstudienlehrgang an der TU Graz und legte auch eine Ergänzungsprüfung für die deutsche Sprache auf Niveau C1 ab.

2. Aus persönlichen Gründen konnte die BF ihr Studium nicht weiterführen und wurde ihr in Folge die Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ erteilt. Sie war im Anschluss im Schuljahr XXXX Schülerin an der HTL XXXX , konnte jedoch dieses Schuljahr aufgrund zweier negativ abgeschlossener Unterrichtsgegenstände nicht abschließen. Aufgrund dessen wurde ihr die Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ nicht weiter verlängert.

3. Während Ihres Aufenthaltes war die BF während der Gültigkeitsdauer ihrer Aufenthaltsbewilligungen durchgehend mit Genehmigung des AMS nach dem AuslBG geringfügig erwerbstätig. Weiters ist die BF seit XXXX 2019 beim Roten Kreuz im Besuchsdienst tätig. Die BF konnte auch einen aufschiebend bedingten Arbeitsvertrag für den Fall vorlegen, dass ihr der Aufenthaltstitel erteilt werde.

4. Mit Ablauf ihrer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ stellte die BF den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels iSd § 55 AsylG 2005. Am 23.09.2019 wurde Sie vom Bundesamt hierzu einvernommen.

5. Mit Bescheid vom XXXX .2019 erließ Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA oder belangte Behörde), Regionaldirektion Steiermark zu obiger GZ den angefochtenen Bescheid, mit welchem der BF der beantragte Aufenthaltstitel iSd § 55 AsylG 2005 nicht erteilt wurde (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung gegen sie erlassen wurde (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG eine Abschiebung in den Kosovo für zulässig erklärt wurde (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgesetzt wurde (Spruchpunkt IV.)

6. Die Beschwerdeführerin erhob durch ihre von Amts wegen zur Seite gestellte Rechtsberaterin gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde und beantragte darin den beantragen Aufenthaltstitel zu erteilen, die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären bzw. den angefochtenen Bescheid zu beheben und an die belangte Behörde zurückzuverweisen sowie eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

7. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 22.11.2019 vom Bundesamt vorgelegt, dies verbunden mit dem Antrag die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 04.03.2020 wurde das Verfahren der Gerichtsabteilung G302 abgenommen und der Gerichtsabteilung W282 neu zugewiesen.

8. Am 26.06.2020 fand vor dem Bundesveraltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, in deren Rahmen die BF einvernommen wurde.

9. Am 09.07.2020 reichte die BF eine Kopie des Reisepasses ihres Ehegatten, aus dem hervorgeht, dass dieser in Deutschland ein Visum-D zur Erwerbstätigkeit besitzt, nach.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1 Die Beschwerdeführerin (BF) führt die im Spruch genannte Identität (Name und Geburtsdatum) und ist kosovarische Staatsangehörige. Ihre Muttersprache ist albanisch. Die Beschwerdeführerin ist – mit Ausnahme einer bereits seit langem bestehenden Schädigung eines Auges - gesund und erwerbsfähig.

1.2 Der Lebensmittelpunkt der Beschwerdeführerin lag vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 2014 im Kosovo, wo sie geboren wurde ihre Schulpflicht absolviert hat und bis zu ihrem 21 Lebensjahr gelebt hat. Sie hat mit ihrer Kernfamilie sowie ihren Geschwistern im gemeinsamen Haushalt gelebt. Ihre Kernfamilie hält sich nach wie vor im Kosovo auf. Die BF hat nach einem Zerwürfnis mit ihren Eltern jedoch keinen Kontakt mehr. Zu Ihren Geschwistern hat die BF nur selten Kontakt.

1.3 Die BF ist im April 2014 ins Bundesgebiet eingereist und verfügte von XXXX .2014 bis XXXX .2018 über eine Aufenthaltsbewilligung „Student“ nach § 64 NAG. Hiernach verfügte sie von XXXX .2018 bis XXXX .2019 eine Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ nach § 63 NAG. Die BF hat vom Sommersemester 2014 bis zum Ende des Wintersemesters 205 einen Vorstudienlehrgang der TU Graz absolviert. Die Ergänzungsprüfung für den Nachweis der Kenntnis der deutschen Sprache hat die BF am XXXX .2016 auf dem Niveau C1 absolviert. Die BF war für das Bachelorstudium Physik an der TU Graz im Studienjahr 2016/2017 inskribiert. Die BF hat sich hinsichtlich dieses Studium weiters einige Prüfungen ihres zuvor begonnenen Studiums an der Universität Pristina/Kosovo anrechnen lassen. Aufgrund von ehelichen Problemen und Problemen im Hinblick auf den zwischenzeitig unrechtmäßigen Aufenthalt ihres Ehemannes konnte die BF ihr Studium nicht weiterbetreiben. Die BF war in Folge Schülerin an einer HTL in Graz, wo sie das Schuljahr XXXX nicht positiv abgeschlossen hat, da sie in zwei Fächern negativ beurteilt wurde.

1.4 Die Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ der BF ist mit XXXX .2019 abgelaufen, am XXXX .2019 stellte die BF den Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG.

1.5 Die BF ist in der Absicht in das Bundesgebiet eingereist, ein Studium zu absolvieren bzw. einen Schulabschluss zu machen, um in Folge bessere wirtschaftlich Chancen bei einer Jobsuche zu haben. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF mit der überwiegenden Absicht in das Bundesgebiet eingereist ist, sich hier niederzulassen und ausschließlich erwerbstätig zu sein.

1.6 Die Beschwerdeführerin führt mit ihrem Ehemann, den sie 2014 im Kosovo geheiratet hat, ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK. Der Ehemann der BF kehrte aufgrund der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zur GZ G306 2139551-1/3E bestätigten Rückkehrentscheidung, die mit der Abweisung seines Antrags auf einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 erging, im April 2017 in den Kosovo zurück. Seit Februar 2018 verfügte der Ehemann der BF wieder über eine Aufenthaltsbewilligung Schüler in Österreich, deren Befristung Ende Februar 2020 abgelaufen ist; ein Verlängerungsantrag wurde nicht gestellt. Der Ehemann der BF hält sich ist seit Anfang 2020 zeitweise in Deutschland auf, wo er nunmehr über einen Visum-D verfügt und erwerbstätig ist. Der Ehemann der BF verbringt dabei mehrere Tage der Woche in Deutschland um dort zu arbeiten, die restlichen Wochentage hält er sich bei der BF in Graz auf.

1.7 Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und ist seit 2015 mit Genehmigung des Arbeitsmarktservice aufgrund des AuslBG durchgehend geringfügig erwerbstätig. Sie verfügt über einen Arbeitsvertrag für eine Vollzeitstelle als Reinigungskraft, dieser ist aufschiebend bedingt mit der Erteilung des gegenständlichen Aufenthaltstitels. Die BF war zeitweise über ihren Ehemann kranken(mit)versichert, derzeit hat sie sich selbst krankenversichert.

1.8 Die BF spricht ausgezeichnet Deutsch, hat die Integrationsprüfung auf B1-Niveau bestanden und hat die Ergänzungsprüfung „Deutsch“ im Vorstudienlehrgang auf C1-Niveau bestanden. Sie ist seit XXXX 2019 beim Roten Kreuz im Besuchsdienst ehrenamtlich tätig und hat hierfür einen entsprechenden Kurs absolviert. Zugunsten der BF liegt eine Unterstützungserklärung vor, die von ca. 10 Personen unterzeichnet wurde und in der bestätigt wird, dass die BF sozial und kulturell gut integriert ist.

1.9 Zu ihrer Kernfamilie im Kosovo hat die BF nach einem familiären Zerwürfnis keinen Kontakt mehr. Ausgangspunkt dieses Streits war die Forderung der Eltern der BF, die anfangs erfolgte finanzielle Unterstützung ihrer Eltern rasch wieder zurückzuzahlen, da ihre Familie davon ausging, sie sei hauptsächlich zur Arbeit in das Bundesgebiet eingereist.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt des Bundesamtes samt den darin enthaltenen Niederschriften und in den ggst. Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts sowie in das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zur GZ G306 2139551-1/3E, weiters durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden, den Auszügen aus dem zentralen Fremdenregister, dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger und dem Strafregister hinsichtlich der BF und ihres Ehemanns, an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel bestehen, und durch Einvernahme der Beschwerdeführerin am heutigen Tag. Darauf stützen sich die Feststellungen zur Einreise der BF, den Aufenthaltsbewilligungen, ihren familiären Verhältnissen, zum Kontakt mit ihrer Familie, der Dauer des Aufenthalts im Kosovo bis zu ihrem 21. Lebensjahr und auch zu ihrer sozial und wirtschaftlichen Integration. Die Feststellungen zum Aufenthaltstitel des Ehemanns der BF ergeben sich aus den von ihr vorgelegten Kopie seines Reisepasses, in der besagte Visumvignette ersichtlich ist (OZ 16).

Die Feststellungen zum Schulbesuch und zum Studium der BF ergeben sich aus den von ihr im Verfahren vor dem Bundesamt vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem Zeugnis der HTL XXXX , den vorgelegten Studienzeitbestätigungen sowie dem Bescheid über die Anrechnung von Prüfungen im Bachelorstudiengang Physik der TU Graz. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 26.06.2020 konnte die BF nachvollziehbar und plausibel darlegen, warum sie ihr Studium aus persönlichen Gründen nicht forstsetzen konnte und letztlich auch keinen Schulerfolg erzielen konnte. Diese Gründe, vor allem die Probleme in der ehelichen Beziehung durch den zwischenzeitig unrechtmäßig gewordenen Aufenthalt des Ehemannes der BF in diesem Zeitraum, decken sich insoweit auch mit den Daten im Auszug des zentralen Fremdenregisters des Ehemannes.

Die BF hat im Hinblick auf die Motive ihrer Einreise durchaus offen zugestanden, dass sie ins Bundesgebiet auch aus wirtschaftlichen Gründen eingereist ist, um hier durch Absolvierung einer guten schulischen oder universitären Ausbildung, später bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Hieraus lässt sich aber nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts im gegenständlichen Fall nicht automatisch der vom Bundesamt getroffene Schluss ziehen, dass – auch wegen des Ausbleibens des Studien- oder Schulerfolgs - die BF damit von Anfang an versucht hätte das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zu umgehen. Letztlich ermöglichen die Aufenthaltsbewilligungen nach §§ 63 und 64 NAG Fremden eine Ausbildung im Bundesgebiet zu absolvieren, um mit Hilfe dieser Qualifikation bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Es ist zwar dem Bundesamt durchaus zuzugestehen, dass aufgrund des Ausbleiben eines Studien- bzw. Schulerfolgs in derartigen Fällen durchaus der Verdacht naheliegen und auch zutreffen kann, dass der Aufenthalt auf Basis dieser (einfach zu erlangenden) Aufenthaltsbewilligungen nur der Erzielung eines mehrjährigen Aufenthalts bzw. einer Aufenthaltsverfestigung gedient hat, die in Folge zur Erlangung des ggst. Aufenthaltstitels ins Treffen geführt soll. Letztlich ist aber immer im Einzelfall zu beurteilen, ob so ein Fall vorliegt, oder ob tatsächlich ein Aufenthalt zu Studien- oder Schulbesuchszwecken beabsichtigt war und aus anderen Gründen ein Schul- oder Studienerfolg ausblieb, welche nicht auf eine Umgehungsabsicht der Niederlassungsrechtlichen Bestimmungen hindeuten. Letzteres ist auch aufgrund des persönlichen Eindrucks von der BF der Fall, da sie plausibel darlegen konnte, dass sie im Bundesgebiet eine Schule bzw. eine Universität besuchen wollte und in Folge ihrer privaten Probleme diese Ausbildungen nicht fortgesetzt hat. Dass diese Ausbildungen jedoch nur Vorwand für einen mehrjährigen Aufenthalt bzw. eine Aufenthaltsverfestigung waren, ergibt sich im ggst. Fall für das Bundesverwaltungsgericht nicht. Zusätzlich wird dieser Verdacht zum Entscheidungszeitpunkt auch weiter dadurch entkräftet, dass der Ehemann der BF in Deutschland über ein Arbeitsvisum (Visum-D) verfügt. Es kann daher auch nicht mehr angenommen werden, dass ihr Ehemann in Folge der Zuerkennung des Aufenthaltstitels an die BF sein Aufenthaltsrecht von ihr ableiten möchte.

In diesem Zusammenhang war aufgrund des persönlichen Eindrucks auch nicht zu bezweifeln, dass hinsichtlich der ehrenamtlichen Tätigkeit der BF eine überwiegende authentische Integrationsabsicht besteht, auch wenn die Aufnahme dieser Tätigkeit in nahem zeitlichen Zusammenhang mit dem endgültigen Ablauf der Aufenthaltsbewilligung der BF steht. Eine bewusste Aufnahme dieser Tätigkeit nur zur Verbesserung des Integrationsstatus im Hinblick auf die ggst. Antragstellung liegt im gegenständlichen Fall daher nicht nahe.

Was die Feststellungen zur sozialen und gesellschaftlichen Integration betrifft, ist insbesondere auch zu werten, dass die BF Unterstützungserklärungen von Nachbarn und Freunden vorweisen kann, was wiederum auf eine sehr gute gesellschaftliche Integration hinweist.

Hinsichtlich der Kontakte zum Heimatstaat konnte die BF in ihrer Einvernahme ebenfalls nachvollziehbar darlegen, dass aufgrund des finanziellen Zwists mit ihren Eltern kein kernfamiliärer Kontakt mehr besteht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochten Bescheids

Entsprechend der Bestimmungen des § 55 AsylG 2005 ist eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Zur Prüfung der inhaltlichen Berechtigung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 AsylG 2005 ist eine Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG vorzunehmen. Dafür ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, VwGH 05.12.2018, Ra 2018/20/0371, mwN).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen.

Bei der Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die folgenden Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423): Erstens die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, zweitens das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, drittens die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, viertens der Grad der Integration, fünftens die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, sechstens die strafgerichtliche Unbescholtenheit, siebentens Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, achtens die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und schließlich neuntens die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gegenständlich liegt ein Familienleben iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK zwischen der BF und ihrem Ehegatten vor, da die Ehepartner in einem gemeinsamen Haushalt leben. Auch wenn sich der Ehemann der BF mehrere Tage der Woche in Deutschland aufhält, um dort zu arbeiten, durchbricht dies das Familienleben grundsätzlich nicht.

Bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände iSd § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG 2014 darf relativierend einbezogen werden, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 04.02.2020, Ra 2020/14/0026; 25.04.2019, Ra 2019/19/0114, jeweils mwN). Dieses Kriterium darf aber nicht allein in den Vordergrund gestellt werden. Das Gewicht des Familienlebens der Beschwerdeführerin im Inland wird etwas dadurch gemindert, dass es zu einer Zeit entstand, zu der sich die Beteiligten des unsicheren Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin bewusst waren, da die Beschwerdeführerin niemals einen zum dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet berechtigenden Aufenthaltstitel innehatte. Grundsätzlich bedeutet dies jedoch nicht, dass eine in solcher Zeit erlangte Integration gar kein Gewicht mehr hätte (VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0325, mwN).

Auch wenn das persönliche Interesse am Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, so ist die bloße Aufenthaltsdauer freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).

Zur Aufenthaltsdauer ist festzuhalten, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 25.04.2018, Ra 2018/18/0187). Die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin von (im Entscheidungszeitpunkt) mehr als 6 Jahren ist iSd höchstgerichtlichen Judikatur nicht mehr als kurz zu werten, wodurch der Aufenthaltsdauer bereits Gewicht zukommt. Weiters ist festzuhalten, dass der Aufenthaltsstatus der BF im Umfang von fünf Sechstel des Aufenthalts grds. rechtmäßig war, da ihr Aufenthalt erst mit Ablauf ihrer Aufenthaltsbewilligung im April 2019 unrechtmäßig wurde. In diesem Zusammenhang fällt daher der durch den Verbleib im Bundesgebiet gemäß § 58 Abs. 13 AsylG 2005 unrechtmäßige Aufenthalt der BF von etwas mehr als einem Jahr nicht entscheidend ins Gewicht.

Im Hinblick auf die soziale und berufliche Integration ist zu Gunsten der BF von einer für dies Aufenthaltsdauer jedenfalls überdurchschnittlich guten Integration auszugehen, da sie die deutsche Sprache nachweislich auf der Stufe C1 erlernt hat. So wurde nicht nur die Einvernahme vor dem Bundesamt, sondern auch die Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.06.2020 vollständig auf Deutsch durchgeführt, wenngleich bei Letzterer eine Dolmetscherin anwesend war. Weiters war die BF in wirtschaftlicher Hinsicht bald nach Beginn ihres Aufenthalts im ihr durch das AuslBG erlaubten Ausmaß berufstätig. Der von der BF vorgelegte bedingte Arbeitsvertrag ist nach wie vor gültig, wodurch jedenfalls die Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben erscheint und eine Belastung einer Gebietskörperschaft unwahrscheinlich ist. Die BF war auch während ihres Aufenthalts stets krankenversichert; teilweise hat sie sich selbst versichert, zeitweise war sie bei ihrem Ehemann mitversichert. Auch die zu Gunsten der BF vorgelegten Unterstützungserklärung, die von ca. 10 Personen unterzeichnet wurde, weist grundsätzlich auf eine nicht unerhebliche gesellschaftliche Integration der BF und ein bestehendes intensives Privatleben hin. Die ehrenamtliche bzw. soziale Tätigkeit beim Roten Kreuz ist hierzu ebenfalls zu Gunsten der BF in Anschlag zu bringen. Die BF ist hierbei im Besuchsdienst tätig und kümmert sich hierbei um pflegebedürftige ältere Menschen.

Zur Frage der Bindungen an den Heimatstaat verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass die Beschwerdeführerin bis zu ihrer Einreise in das Bundesgebiet 21 Jahre lang ihren Lebensmittelpunkt im Kosovo hatte, ihre Schulpflicht dort absolviert hat und die prägenden Jahre ihrer Jugend verbracht hat. Die BF konnte aber auch hierzu glaubhaft machen, dass ihre kernfamiliären Anknüpfungspunkte dort seit geraumer Zeit erloschen sind. Nach einem Zerwürfnis mit ihren Eltern, die sie anfangs finanziell unterstützt hatten, dann jedoch alsbald die Rückzahlung dieser finanziellen Unterstützung einforderten, da sie davon ausgingen, die BF sei lediglich aus dem im Bundesgebiet aufhältig, um hier zu arbeiten hat die BF nach diesem Streit keinen Kontakt zu ihren Eltern mehr und auch sonst nur noch gering ausgeprägte Kontakte in ihren Heimatstaat.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF wirkt sich nach der Rechtsprechung des VwGH weder zu ihren Gunsten noch zu ihren Lasten aus (VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253, mwN). Eine überlange Verfahrensdauer liegt ggst. nicht vor. Ein erlernter Mangelberuf der BF, ist entgegen des Vorbringens in der Beschwerde auf Basis der öffentlichen Interessen nicht von Belang (VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003).

In Summe zeigt sich, dass die BF die im Bundesgebiet verbrachte Zeit nachhaltig genutzt hat, um sich sowohl in sprachlicher als auch sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht - Letzteres innerhalb der gesetzlich möglichen Grenzen - überdurchschnittlich gut zu integrieren.

Demgegenüber steht jedoch das erhebliche öffentliche Interesse der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem auch im ggst. Fall entsprechendes Gewicht zukommt. Gegenständlich liegt aber - wie festgestellt und entsprechend beweisgewürdigt – keine beabsichtigte Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und insbesondere der Regelungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes vor, die das öffentliche Interesse an einer Aufenhaltsbeendigung maßgeblich erhöhen könnte. (VwGH 23.02.2017 Ra 2016/21/0235 mWN; VwGH 8.10.2012, Zl. 2011/23/0503).

Wie bereits festgehalten, hat der Verwaltungsgerichtshof seiner Judikatur eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug oder die Zuwanderung der Fall ist (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0359, mwN).

Im gegenständlich Fall würde die Nicht-Erteilung des Aufenthaltstitels gleichzeitig auch mit der Zulässigkeit der Rückehrentscheidung ggü. der BF einhergehen (§ 52 Abs. 3 FPG iVm § 9 BFA-VG). Es käme daher jedenfalls zu einer Trennung von ihrem in Deutschland aufenthaltsberechtigten Ehemann, der dort berufstätig ist und die restliche Zeit bei der BF in Graz verbringt. Eine gemeinsame Rückkehr in den Kosovo erscheint vor diesem Hintergrund und bei Beachtung, dass im gegenständlichen Fall weder eine Straffälligkeit der BF vorliegt, noch eine beabsichtigte Umgehung der Regeln über den Familiennachzug oder die Zuwanderung festgestellt werden konnte, auf Basis der Umstände dieses konkreten Einzelfalls nicht zumutbar.

In Summe ist daher in diesem Fall von einem knappen Überwiegen der familiären und privaten Interessen der BF gegenüber den öffentlichen Interessen der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung auszugehen.

Es war daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG der I. Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids so abzuändern, dass der BF § 55 Abs. 1 iVm § 54 Abs. 1 Z 1 u. Abs. 2 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt wird. Dass die BF das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9ff Integrationsgesetz erfüllt hat, ergibt sich bereits aus dem vorlegten ÖSD- Zertifikat über die abgelegte Integrationsprüfung der Stufe B1, welche gemäß § 12 IntG der Integrationsprüfung des Modul 2 der Integrationsvereinbarung entspricht, wobei die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) das Modul 1 beinhaltet (§ 9 Abs. 4 letzter Satz IntG).

Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel nach § 54 Abs. 1 auf die Dauer von für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Eine Verlängerung ist hierbei nicht möglich, in Folge ist jedoch die Erlangung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG möglich.

3.2 Zu den Spruchpunkten II. bis IV.

Aufgrund der Zuerkennung des beantragten Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 205 liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung, sowie die Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht mehr vor, weshalb gleichzeitig die betreffenden Spruchpunkte ersatzlos zu beheben waren.

Zu B)

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (jeweils in der Begründung zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Behebung der Entscheidung Deutschkenntnisse ersatzlose Teilbehebung Familienleben Integration Interessenabwägung Rückkehrentscheidung behoben Selbsterhaltungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W282.2225654.1.00

Im RIS seit

09.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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