TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/17 W159 2183738-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.07.2020
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Entscheidungsdatum

17.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W159 2183738-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.05.2020 zu Recht erkannt:

A)

I.

Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 Asylg 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.

Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.

Gemäß § 8 Abs. IV AsylG 2005 idgF wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 17.07.2021 erteilt.

IV. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. stattgegeben und diese ersatzlos behoben.


B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan, gelangte (spätestens) am 27.12.2015 irregulär nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch die Grenzpolizeiinspektion XXXX gab er an, dass er der Volksgruppe „Kochai“ angehöre. Zu den Fluchtgründen gab er an, dass die Taliban ihn für den Jihad zwangsrekrutieren hätten wollen.

Am 21.11.2017 erfolgte eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich. Der Beschwerdeführer gab an, dass er mit dem Protokoll der Erstbefragung einverstanden sei. Er sei in der Provinz Kabul im Bezirk XXXX im Dorf XXXX geboren. Das Datum könne er nicht sagen. Seine Mutter habe gesagt, dass er 20 Jahre alt sei. Das Datum XXXX habe er nicht angegeben. Seine Muttersprache sei Paschtu. Von seiner Geburt bis zu seinem 18. Geburtstag sei er in seinem Heimatdorf gewesen. Er sei Hirte gewesen und habe keine Schule besucht. Die ersten neun Jahre sei er zuhause geblieben, dann habe er als Hirte gearbeitet. Er habe auch eine Tazkira gehabt, diese aber auf der Flucht zwischen der Türkei und Griechenland verloren. Er habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Er habe bis zur Ausreise in seinem Heimatdorf gelebt. Von seinem Heimatdorf dauere es zweieinhalb Stunden insgesamt bis in die Stadt Kabul. Zum Zeitpunkt der Ausreise hätten seine Mutter, zwei Brüder und zwei Kinder seines Bruders noch gelebt. Sein Vater und seine Frau seien verstorben. Sein Vater sei schon verstorben, als er sieben Jahre alt gewesen sei. Seine Schwester hätte im Heimatdorf gelebt. Von seinen Brüdern wisse er nichts. Er habe einen Sohn, aber seine Frau sei schon vor sechs Jahren verstorben. Sein Sohn lebe bei seiner Mutter. Er sei jetzt ca. sechs Jahre alt. Sie hätten von ca. 200 Tieren „ganz gut“ leben können. Er sei Paschtune und habe, seit er von Afghanistan weggegangen sei, keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Er habe ca. eineinhalb Jahre im Iran gelebt. Dort gebe es aber keine Sicherheit. Das Volk beschimpfe die Afghanen und die Polizei nehme die Afghanen immer wieder fest. Sie lassen sie erst gegen Schmiergeldzahlung frei. Mit den Behörden seines Heimatlandes habe er keine Probleme gehabt, er sei auch nicht politisch tätig gewesen, habe auch weder wegen seines Religionsbekenntnisses noch wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit Probleme gehabt, auch keine Probleme mit Privatpersonen und habe auch nicht aktiv an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen.

Zu den Fluchtgründen gefragt, gab er an, dass die Taliban vor fünf Jahren in seinem Heimatort gewesen seien und gesagt hätten, er müsse am Jihad teilnehmen. Er habe abgelehnt. Die Talibangruppe (zehn bis zwölf Personen) hätten erwidert, dass sie ihn erschießen würden, wenn er nicht mitgehen würde. Er habe darauf hingewiesen, dass es kein Krankenhaus gebe und seine Frau verstorben sei. Nach diesem Gespräch seien sie weggegangen. Vier bis fünf Tage später habe ihn sein Cousin angesprochen, warum er bei den Taliban nicht mitmache. Bei diesem Gespräch habe er seinen Cousin, dessen älteren Bruder, der ein Talib sei und den Kommandanten beschimpft. Das habe sein Cousin weitergegeben. Er habe seinem Cousin aber auch gesagt, dass er seine Frau verloren habe und er sich um sein Kind kümmern müsse. Eine Woche später sei der ältere Cousin mit einer Talibangruppe zu ihm gekommen. Er sei nicht zuhause gewesen, sondern mit den Tieren in den Bergen. Sie hätten ihn auch dort angegriffen. Er habe aber gerufen, dass er nicht komme. Es sei dann zu einem Handgemenge gekommen und habe ihn sein Cousin mit der Waffe auf den Kopf geschlagen, wodurch er bewusstlos zu Boden gefallen sei. Als sein Bruder bemerkt habe, dass er nicht rechtzeitig nach Hause gekommen sei, habe er ihn gesucht und bewusstlos gefunden. Seine Verletzungen seien versorgt worden. Er habe sich geärgert und zu seiner Mutter gesagt, dass er seinen Cousin umbringen würde.

Eine Woche später sei er wieder mit den Tieren unterwegs gewesen. Er habe seinen Cousin getroffen. Dieser habe ihn schlagen wollen. Sie hätten daraufhin gekämpft. Nach dieser Auseinandersetzung sei er ohne Tiere nach Hause gekommen. Als er zuhause beim Abendessen gewesen sei, seien die Taliban zu ihm nach Hause gekommen. Es seien auch mehrere Verwandte da gewesen und habe seine Cousine geöffnet. Seine Tante habe ihn unter einem Schleier versteckt. Seine Mutter habe gesagt, dass er draußen bei den Tieren sei. Sein Cousin habe zu seiner Mutter gesagt, dass er ihn suche und er ihn mitnehmen würde. Einige Tage sei er zuhause geblieben und als er wieder nach draußen gegangen sei, habe er den Kommandanten gesehen. Dieser habe ihn gerufen, dass er zu ihm kommen solle. Er sei aber weggelaufen und nach Hause gelaufen. Wenig später habe sein Cousin angeklopft und habe seiner Mutter gesagt, dass es nicht mehr wichtig sei, dass er am Jihad teilnehme, sondern dass er seinen Cousin umbringen möchte. Daraufhin habe er sich für einige Tage daheim versteckt. Als er neuerlich nach draußen gegangen sei, habe er die Talibangruppe getroffen. Diese hätte ihn wieder gerufen. Es sei zu einem Handgemenge gekommen. Der Kommandant habe auf ihn gezielt, aber sein Cousin habe ihm die Waffe weggeschoben. Der Schuss sei in die Luft gegangen. Er habe sich dann zwei bis drei Tage noch daheim versteckt und seine Mutter habe gesagt, er solle weggehen. Er habe wohl ein Kind und habe dies nicht im Stich lassen wollen, aber er sei dann nach XXXX gegangen.

In größeren Städten wie Kabul, Mazar-e Sharif, Herat oder XXXX könne er nicht leben, weil er Hirte sei. Der Kampf mit seinem Cousin XXXX (ca. 30 Jahre alt) habe ca. drei Stunden gedauert. Es sei ca. um die Mittagszeit gewesen. Eine militärische Ausbildung habe er nicht. Er habe nur als Hirte gearbeitet. Die Taliban hätten gerade ihn rekrutieren wollen, weil von jeder Familie eine Person Mitglied der Taliban sei. Sein Cousin XXXX sei kein Mitglied, nur sein ältere Bruder XXXX . Im Iran habe er als Hilfskraft gearbeitet, ca. ein Jahr lang. Das Leben sei dort sehr schwer gewesen. Die Polizei habe immer Geld verlangt. Er habe ursprünglich nach Deutschland weiterreisen wollen, aber es habe ihm in Österreich gefallen.

Er könne in seiner Muttersprache weder lesen noch schreiben. In Österreich habe er ein bisschen Deutsch gelernt. Er habe viele Kontakte zu Österreichern. Er möchte gerne Polizist werden. Gefragt, ob er noch etwas angeben möchte, gab er an, dass zu der Zeit, als er in der Türkei angekommen sei, sein Freund im Iran gewesen sei. Dieser sei aber nach Afghanistan abgeschoben worden. Er habe ihn gebeten, mit seiner Familie Kontakt aufzunehmen. Er habe diese aber nicht gefunden. Er habe aber seinen Onkel mütterlicherseits gefunden, der behauptet habe, die Taliban hätten nach ihm gesucht und gefordert, dass er sich ergebe, sonst würde auch seine Familie Ärger bekommen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom 14.12.2017, Zahl XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 27.12.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, dieser Antrag unter Spruchteil II. auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig erklärt und unter Spruchpunkt VI. die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang einschließlich der oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt, die Beweismittel aufgelistet und Feststellungen zur Person und zum Herkunftsstaat getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass hinsichtlich der behaupteten Bedrohung dem Vorbringen kein Glauben habe geschenkt werden können, weil die Angaben tatsachenwidrig, widersprüchlich, keineswegs plausibel und nachvollziehbar gewesen seien. Außerdem habe der Antragsteller sein Vorbringen gesteigert. Zu Spruchpunkt I. wurde insbesondere ausgeführt, dass aufgrund des Umstandes, dass dem Vorbringen die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei, keine Asylgewährung habe erfolgen können. Auch könne weder aus jedem Rekrutierungsversuch der Taliban noch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan eine Asylgewährung abgeleitet werden. Zu Spruchteil II. wurde nach Darlegung der Bezug habenden Rechtslage und Judikatur zunächst darauf hingewiesen, dass eine individuelle Gefährdung aufgrund der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens nicht angenommen werden könne und eine existenzgefährdende Versorgungslage in ganz Afghanistan nicht gegeben sei. Auch aus der allgemeinen Sicherheitslage sei subsidiärer Schutz nicht ableitbar, zumal der Beschwerdeführer über 17 Jahre offenbar ohne größere Probleme in Afghanistan gelebt habe. Weiters habe keine Erkrankung des Beschwerdeführers festgestellt werden können, sodass sich bei Berücksichtigung sämtlicher Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, welcher zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen würde, ergeben hätten. Auch die Voraussetzungen des § 57 AsylG lägen nicht vor (Spruchpunkt III.). Weiters sei das Bestehen eines Familienlebens zu negieren gewesen und sei hinsichtlich des Privatlebens zunächst einmal auf die illegale Einreise hinzuweisen. Der Beschwerdeführer sei nach wie vor in seinem Herkunftsland verwurzelt und deute nichts darauf hin, dass er dort in hohem Maße mit Desintegration zu rechnen hätte. Besondere Hinweise auf eine außerordentliche Integration in Österreich hätten sich nicht ergeben. Es sei daher kein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG zu erteilen gewesen und eine Rückkehrentscheidung als zulässig zu bezeichnen gewesen (Spruchpunkt IV.). Unter Spruchpunkt V. wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die Tatbestände des § 50 FPG nicht erfüllt wären und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte entgegenstehe, sodass diese als zulässig zu bezeichnen sei; auch Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise wären nicht hervorgekommen (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die XXXX , fristgerecht gegen alle Spruchteile Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In der Begründung wurde zunächst (kursorisch) der Verfahrensgang und das Vorbringen wiedergegeben und dann insbesondere mangelnde Länderfeststellungen kritisiert und aus anderen Länderdokumenten zitiert.

Die Beweiswürdigung wurde insofern kritisiert, als sich die Behörde hauptsächlich darauf stütze, dass es Differenzen zwischen der polizeilichen Erstbefragung und der Einvernahme gegeben habe bzw. das Vorbringen gesteigert worden sei, was rechtlich nicht haltbar sei: Die Widersprüche würden konstruiert und willkürlich erscheinen. Der Beschwerdeführer erfülle dadurch, dass er sich im wehrfähigen Alter befinde und eine Zusammenarbeit mit den Taliban abgelehnt habe, weiters längere Zeit im Ausland gelebt habe und sich den dortigen Werten angepasst habe, mehrere Risikoprofile und stehe ihm auch eine inländische Fluchtalternative nicht offen, wozu auch die Judikatur aus Deutschland zitiert wurde. Weiters wurde auf ein länderkundliches Gutachten hinsichtlich der Effizienz des Nachrichtendienstes der Taliban verwiesen und sei der Beschwerdeführer daher wegen Verfolgung durch die Taliban in ganz Afghanistan bedroht und wäre ihm daher der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen. Die Abschiebung würde auch eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung iSd Art. 3 EMRK darstellen und sei daher in eventu subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Weiters hätte auch eine Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig erklärt werden müssen und sei schließlich wegen mangelhafter Ermittlung des Sachverhaltes unter Hinweis auf die diesbezügliche Judikatur des VfGH und des EGMR eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen, wobei UNHCR-Anmerkungen vom Dezember 2016 und ein Gutachten der Sachverständigen Friederike STAHLMANN betreffend das Überleben in Afghanistan beigefügt wurden.

Mit Schriftsatz vom 10.02.2020 gab Rechtsanwalt XXXX seine Bevollmächtigung bekannt und legte ein Zeugnis über eine nichtbestandene A2-Prüfung sowie einen Mietvertrag des Beschwerdeführers vor.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung am 19.03.2020 an, die Corona-bedingt auf den 07.05.2020 verlegt werden musste. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung seines ausgewiesenen Vertreters. Der Behördenvertreter ist entschuldigt nicht erschienen. Der Beschwerdeführervertreter legte ein Empfehlungsschreiben der XXXX und der XXXX vor.

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und wollte nichts korrigieren oder ergänzen. Er sei afghanischer Staatsangehöriger. Seine Dokumente habe er leider im Meer verloren. Er sei Paschtune und sunnitischer Moslem. Er bete hin und wieder und faste auch. Er gehöre zum Stamm XXXX und dieser gehörte zur (Unter)volksgruppe der Kutschis. Den Tag seiner Geburt könne er nicht sagen. Seine Mutter hat ihm nur das Jahr gesagt. Er wisse auch nach dem afghanischen Kalender sein Geburtsjahr nicht. Er gab jedoch an, 25 Jahre alt zu sein, während der Beschwerdeführervertreter den Beschwerdeführer auf etwa 30 Jahre schätzte. Er sei im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Kabul geboren und habe immer in diesem Dorf gelebt. Afghanistan habe er bereits im Jahre 2013 verlassen und habe er eineinhalb Jahre lang im Iran gelebt. Er habe überhaupt keine Schule besucht und sei er als Analphabet nach Österreich gekommen. In Österreich habe er ein bisschen lesen und schreiben gelernt, aber eigentlich sei er noch immer Analphabet. In Afghanistan sei er als Hirte tätig gewesen. Er sei in der Früh mit den Tieren hinausgegangen und bis spät abends mit diesen unterwegs gewesen, aber am gleichen Tag sei er nach Hause zurückgekehrt. Der Beschwerdeführervertreter brachte vor, dass der Beschwerdeführer keine Konflikte mit den Hazaras gehabt habe. Der Beschwerdeführer ergänzte, dass in ihrem Dorf auch keine Hazaras gelebt hätten. Ab dem Alter von neun Jahren habe er begonnen, Schafe und Ziegen zu hüten. Es sei ihnen wirtschaftlich gut gegangen. Schon mit sechs Jahren sei er verlobt worden. Mit sieben Jahren hätten sie geheiratet, obwohl sie beide noch Kinder gewesen wären. Er habe auch einen Sohn, dieser sei acht oder neun Jahr alt, aber seine Frau sei bei der Geburt des Sohnes verstorben. Den genauen Grund für den Tod seiner Frau wisse er auch nicht. Er habe sie nach XXXX ins Krankenhaus gebracht und am Weg ins Krankenhaus sei sie verstorben. Seine Mutter habe, solange er noch in Afghanistan gewesen sei, noch im Dorf gelebt. Seit dem Verlassen Afghanistans habe er allerdings keinen Kontakt mehr mit ihr. Sein Vater sei schon verstorben, als er sieben Jahre alt gewesen sei. Deswegen hätten sie die Hochzeit um zwei, drei Monate verschoben. Vier Geschwister seien älter als er und ein Bruder jünger. Insgesamt habe er zwei Brüder und drei Schwestern.

Gefragt, wann und wie seine Probleme mit den Taliban begonnen hätten, gab er an, dass er das genaue Datum nicht sagen kann. Die Taliban hätten gewollt, dass er am Jihad teilnehme und er habe das abgelehnt. Sie hätten weiter darauf bestanden und gesagt, dass jede Familie im Dorf ein männliches Mitglied den Taliban zur Verfügung stellen müsse. Beim ersten Mal hätten sie gesagt, dass er am Jihad teilnehmen solle. Seine Antwort sei negativ gewesen. Er habe auch darauf hingewiesen, dass seine Frau verstorben sei. Er habe überhaupt nicht mit den Taliban zusammenarbeiten wollen. Außerdem sei sein Sohn klein gewesen und habe er sich um diesen kümmern wollen. Die Taliban hätten diese Erklärung aber nicht akzeptiert.

Gefragt, wie es dazu gekommen sei, dass sein Cousin ihn mit der Waffe geschlagen habe, führte der Beschwerdeführer – nach Wiederholung der Frage – aus, dass ihn sein Cousin gefragt habe, warum er so schlecht über die Taliban rede. Dieser habe die Taliban verteidigt und mit der Griffseite der Waffe auf seinen Kopf geschlagen. Er spüre wohl nach wie vor Schmerzen, sei aber nicht zum Arzt gegangen. Die Waffe sei eine Kalaschnikow gewesen.

Es habe auch noch eine andere Auseinandersetzung gegeben, es sei aber falsch geschrieben worden, dass diese Auseinandersetzung drei Stunden gedauert habe. Sie hätten ca. zehn bis fünfzehn Minuten miteinander gekämpft. Es hätten beide Seiten etwas abbekommen, aber es wären dann andere Dorfbewohner dazugekommen und hätten diese sie getrennt. Dreimal wären die Taliban zu ihm nach Hause gekommen. Als er das erste Mal gekommen wären, sei er draußen bei den Tieren gewesen. Das sei an diesem Tag gewesen, wo er mit seinem Cousin eine Auseinandersetzung gehabt habe. Das zweite Mal war an jenem Tag, als sein Cousin ihn mit der Griffseite der Waffe geschlagen habe und er ca. eineinhalb Stunden bewusstlos gewesen sei. Dann sei er nach Hause gegangen. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass die Taliban da gewesen wären. Beim dritten Mal hätten sie auf ihn geschossen. Er sei nur deswegen nicht verletzt worden, weil der besagte Cousin mit der Hand auf die Waffe jenes Taliban, der auf ihn geschossen habe, gegriffen habe und dadurch der Schuss in die Luft gegangen sei. Die Taliban hätten seinen Cousin gefragt, warum er so etwas mache und er sagte, er habe geschworen, dass er das selbst übernehme, nämlich ihn zu töten. Über Vorhalt, dass sich sein Cousin dadurch, dass er einem anderen (höheren) Talib die Waffe weggeschoben habe, sich selbst in Gefahr gebracht habe, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Cousin geschworen habe, ihn zu töten. Über Vorhalt, dass, wenn die Taliban ernsthaft versucht hätten, ihn zwangsweise zu rekrutieren, sie ihn entführt hätten und nicht mehrmals hätten entkommen lassen, gab er an, dass sein Vater einen guten Namen gehabt habe, er sei ein Weißbärtiger gewesen, aber als er verstorben sei, hätten die Taliban gewollt, dass er mit ihnen zusammenarbeite. Sein Cousin sei selbst ein Talib gewesen. Auf die Frage, ob es nicht ausgereicht hätte, dass sein Cousin Mitglied der Taliban sei, gab er an, dass das sein Cousin mütterlicherseits gewesen sei, dass dies nicht ausgereicht hätte. Erst über Vorhalt, dass er beim BFA (AS 222) davon gesprochen habe, dass er sich bei einem Besuch der Taliban unter Frauenkleidern versteckt habe, erwähnte er dies. Über weiteren Vorhalt, dass der Beschwerdeführer beim BFA angegeben habe (AS 221), dass der Kommandant der Taliban (und nicht sein Cousin) angegeben habe, dass er ihn umbringen wolle und gar nicht mehr wolle, dass er am Jihad teilnehme, führte er aus, dass die Taliban ihm drei Chancen gegeben hätten und er nicht reagiert habe

Über Befragung durch. den Beschwerdeführervertreter gab der Beschwerdeführer an, dass Regierungskräfte nur in XXXX wären, dies wäre aber weit von ihrem Dorf entfernt. In jenem Dorf gebe es nur einige Polizisten, die selbst vor den Taliban Angst hätten. Amerikaner hätten manchmal bombardiert, der Distrikthauptort XXXX sei ca. eineinhalb Stunden entfernt. Über Vorhalt, dass er beim BFA einerseits gesagt habe, dass seine Tanten abends (AS 221) zuhause gewesen wären, andererseits, dass sie mittags zu Hause gewesen wären (gleiche Seite) gab er an, dass die Taliban drei Mal gekommen wären. Gefragt, ob er staatlichen Schutz versucht habe, zu erlangen, etwa durch die Ältesten, die Polizei oder die internationalen Truppen, gab er an, dass er Analphabet sei und diese Informationen nicht gehabt habe und im Dorf die Taliban das Sagen gehabt hätten. Nach der letzten Begegnung mit den Taliban sei er noch zwei Tage im Dorf gewesen, dann sei er nach XXXX gefahren. Dort sei er wieder zwei Tage geblieben und dann direkt nach XXXX und habe er Afghanistan sodann verlassen. Er habe nur in eine Moschee gehen können, sonst habe er niemanden gekannt. Der unmittelbare Anlass der Ausreise sei der gewesen, dass er Angst vor den Taliban gehabt habe. Auch seine Mutter sei dieser Meinung gewesen, dass er Afghanistan zumindest für zwei Jahre verlassen solle. Was mit seinem Sohn geschehen sei, wisse er nicht. Er habe keinen Kontakt. Manchmal denke er in der Nacht an ihn. Seit sieben Jahren wisse er nichts mehr von ihm. Gefragt, warum er keinen Kontakt zu seinen Familienangehörigen habe, gab er an, dass das Mobiltelefonnetz in ihrem Ort nicht funktioniere und er auch keine Telefonnummer von seinen Familienangehörigen habe. Über Vorhalt, dass er beim BFA (AS 215) gesagt habe, von seiner Schwester wisse er, dass sie im Heimatdorf lebe, was voraussetze, dass er Kontakt zu seiner Schwester habe, gab er an, dass er das von einem Freund, mit dem er im Iran zusammengelebt habe, der nach Afghanistan zurückgekehrt sei, gehört habe. Sein Freund habe ihn auch informiert, dass seine Schwester geheiratet habe. Sonst habe er nichts mehr gehört. Diese Informationen stammten aus der Zeit, als er in der Türkei gewesen sei, ca. 2015. Manchmal habe er mit einem Afghanen, der nach Afghanistan zurückgekehrt sei, über Facebook Kontakt, aber der Kontakt funktioniere nicht sehr gut. Er habe viele Verwandte in Afghanistan, aber er könne trotzdem nicht nach Afghanistan zurückkehren.

Gefragt, warum er den Iran verlassen habe, gab er an, dass es ihm dort nicht gut gegangen sei, die Polizei habe ihn immer wieder kontrolliert und Schmiergeld verlangt und auch die Leute geschlagen. Gefragt, ob er aktuelle organische oder psychische Probleme habe, gab er an, dass er schon ein Problem habe und zwar, dass er Angst im Schlaf habe. Er habe aber deswegen noch nichts gemacht und sei auch nirgends in Behandlung.

Gefragt, was er derzeit in Österreich mache, gab er an, dass er fast nichts mache. Er sei zuhause und versuche Deutsch zu lernen, aber als Analphabet sei er nicht so schnell. Er sei ungefähr fünf Jahre in Österreich und er sei aber in der Zwischenzeit auch ausgereist und sei fünf Monate in Paris gewesen, habe dort einen Asylantrag gestellt. Er sei Single und lebe mit einem Kollegen in seiner Wohnung. Er habe Deutschkurse bis A2 gemacht, aber die Prüfung nicht geschafft. Sonstige Ausbildungen habe er in Österreich nicht absolviert. Gearbeitet habe er nicht, er habe nur gelegentlich bei der Gemeinde geholfen. Er sei auch nicht Mitglied in einem Verein. Er könne sich den Mitgliedsbeitrag nicht leisten. Er bete gelegentlich in der Moschee in Gmunden. Dort habe er auch einen Freund kennengelernt. Er habe aber auch schon österreichische Freunde. Frau XXXX habe ihm privat Deutsch gelernt und ihrer Mutter XXXX helfe er gelegentlich im Alltag.

Wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde, würde für ihn Todesgefahr bestehen. Er könne sich auch nicht in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen. Er sei dort nicht sicher und könne auch dort keine Arbeit finden. Die Taliban könnten ihn überall in Afghanistan auffinden. Eine andere berufliche Erfahrung als als Schaf- und Ziegenhirte habe er eigentlich nicht, er habe nur im Iran als Hilfskraft in der Baubranche gearbeitet. Die Vorgänge in Afghanistan seien schon sieben Jahren her, vielleicht habe er etwas vergessen. Gefragt, warum die Taliban nicht seinen älteren Bruder XXXX rekrutiert hätten, gab er an, dass dieser verheiratet gewesen sei und zwei Kinder gehabt hatte, seine Frau sei aber schon tot gewesen.

Verlesen wurde der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers in dem keine Verurteilung aufscheint. Den Verfahrensparteien wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan zur Kenntnis gebracht.

Mit gesondertem Schreiben vom 14.05.2020 wurde eine Kurzinformation der Staatendokumentation, Stand 09.04.2020, eine Information von OCHA betreffend COVID 19 in Afghanistan vom 10.05.2020 sowie einen Bericht über Situation zwischen 27. April und 04. Mai 2020 sowie weiters aus Wikipedia die COVID 19 Pandemie in Afghanistan zur Kenntnis gebracht.

Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte ausschließlich der Beschwerdeführer Gebrauch. In dieser wurde darauf hingewiesen, dass sich die Zahl der Infizierten in den ersten drei Wochen verdreifacht und die Zahl der Toten wegen COVID 19 verdoppelt hätte. Die Testkapazität in Afghanistan sei ungefähr nur ein Zehntel von der von Österreich. Entscheidend sei allerdings nicht so sehr das Ansteckungsrisiko, sondern die mit der Bekämpfung der Pandemie einhergehenden Beschränkungen des Wirtschaftslebens. Insbesondere für Taglöhner sei es kaum möglich, Arbeit zu ergattern. Außerdem gäbe es immer wieder Anschuldigungen gegen Rückkehrer aus Europa, das Virus einzuschleppen, was zu sozialer Ablehnung bei der Suche nach Arbeit und Wohnung führe, wie die deutsche Wissenschaftlerin Friederike STAHLMANN ausführte. Im Falle einer COVID 19 Infektion scheint jedenfalls in Afghanistan kein Zugang zu einer angemessenen Behandlung zu bestehen und sei daher eine inländische Fluchtalternative derzeit auch für kräftig gebaute junge Männer nicht zumutbar. Es sei daher subsidiärer Schutz, zumindest für ein Jahr, zu gewähren. Wenn es in der Zwischenzeit eine Impfung gäbe, sei neu zu entscheiden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, gehört der paschtunischen Volksgruppe an und ist sunnitischer Moslem. Er gehört der Untervolksgruppe der Kutschis an, hat jedoch keine Konflikte mit Hazaras. Seinen eigenen Angaben zufolge ist der Beschwerdeführer 25 Jahre alt. Er wurde im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz Kabul geboren und hat auch dort bis zur Ausreise im Jahre 2013 gelebt. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan keine Schule besucht, sondern war bereits ab dem neunten Lebensjahr als Schaf- und Ziegenhirte (aber nicht Nomade) tätig. Er hatte keine wirtschaftlichen Probleme in Afghanistan. Er wurde bereits im Alter von sieben Jahren verheiratet. Er hat einen Sohn, der jetzt ca. acht bis neun Jahre alt ist. Seine Frau ist bei der Geburt des Sohnes verstorben. Sein Vater verstarb bereits, als er sieben Jahre alt war, seine Mutter lebte beim Verlassen Afghanistans noch. Er hat zwei Bruder und drei Schwestern, aber derzeit seinem Vorbringen zufolge mit seinen Familienangehörigen keinen Kontakt.

Zu den Ausreisegründen können mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden. Es besteht jedenfalls keine aktuelle Verfolgungsgefahr durch die Taliban.

Der Beschwerdeführer hat im Jahre 2013 Afghanistan verlassen und lebte ca. ein Jahr lang als Bauhilfsarbeiter im Iran, wo er immer wieder Probleme mit der Polizei hatte. Am 27.12.2015 gelangte er irregulär nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer leidet unter keinen organischen Problemen und gibt an, manchmal unter Angst im Schlaf zu leiden, ist aber diesbezüglich nirgends in Behandlung. Der Beschwerdeführer hat in Österreich mehrere Deutschkurse besucht und ein bisschen Schreiben und lesen gelernt, sowie ein Deutschdiplom A1 erworben. Er hat zeitweilig bei der Gemeinde geholfen und hat auch schon österreichische Freunde. Er hilft einer alten Dame bei der Bewältigung des Alltags, ihre Tochter lernt mit ihm Deutsch. Der Beschwerdeführer führt kein Familienleben in Österreich und ist unbescholten.

Zu Afghanistan wird Folgendes festgestellt:

1. Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

?        AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020

?        AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020

?        AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020

?        GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020

?        HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020

?        JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020

?        RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.6.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.

?        TN – Tolonews (15.6.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.6.2020

?        TN – Tolonews (15.6.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.6.2020

?        UNHCR – (20.6.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.6.2020

?        WHO – World Health Organization (25.3.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.4.2020

?        WP - Washington Post (25.6.2020): Coronavirus sweeps through Afghanistan’s security forces, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-security-forces-military/2020/06/24/0063c828-b4e2-11ea-9a1d-d3db1cbe07ce_story.html, Zugriff 26.6.2020

?        XI – Xinhua (23.6.2020): Pakistan receives 1st Afghan export since COVID-19 pandemic, http://www.xinhuanet.com/english/2020-06/23/c_139159139.htm, Zugriff 26.6.2020

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Quellen:

?        AnA – Andalous (21.4.2020): COVID-19 rips through fragile Afghan health system, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-rips-through-fragile-afghan-health-system-/1812821, Zugriff 23.4.2020

?        ARZ KBL – Arzt in Kabul (7.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

?        BBC (9.4.2020): Coronavirus: The porous borders where the virus cannot be controlled, https://www.bbc.com/news/world-asia-52210479, Zugriff 9.4.2020

?        DW – Deutsche Welle (22.4.2020): Coronavirus: Tough times ahead as Afghanistan struggles to manage pandemic, https://www.dw.com/en/coronavirus-tough-times-ahead-as-afghanistan-struggles-to-manage-pandemic/a-53207173, Zugriff 23.4.2020

?        IOM AUT – International Organization for Migration in Austria (27.3.2020): Antwortschreiben per E-Mail.

?        IOM KBL – International Organization for Migration Kabul Chapter (13.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail.

?        IOM – International Organization for Migration (11.5.2020): Return of Undocumented Afghans - Weekly Situation Report (03-09 May 2020), https://afghanistan.iom.int/sites/default/files/Reports/ iom_afghanistan-return_of_undocumented afghans-_situation_report_03-09_may_2020.pdf, Zugriff 13.5.2020

?        NYT – New York Times (22.4.2020): Afghanistan’s Next War, https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/22/magazine/afghanistan-coronavirus.html?search ResultPosition=3, Zugriff 24.4.2020

?        NZZ – Neue Züricher Zeitung (7.4.2020): Die Taliban, dein Freund und Helfer, https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-taliban-betreiben-corona-praevention-ld.1550115, Zugriff 9.4.2020

?        TG – The Guardian (1.4.2020): 'No profit, no food': lockdown in Kabul prompts hunger fears, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/no-profit-no-food-lockdown-in-kabul-prompts-hunger-fears, Zugriff 2.4.2020

?        TG – The Guardian (1.4.2020a): Afghanistan braces for coronavirus surge as migrants pour back from Iran, https://www.theguardian.com/global-development/2020/apr/01/afghanistan-braces-for-coronavirus-surge-as-migrants-pour-back-from-iran, Zugriff 2.4.2020

?        TN – Tolonews (9.4.2020): 40 New COVID-19 Cases in Afghanistan, Total 484, https://tolonews.com/health/40-new-covid-19-cases-afghanistan-total-484, Zugriff 9.4.2020

?        TN – Tolonews (9.4.2020a): Andarabi: All Kabul Roads Will be Blocked, https://tolonews.com/afghanistan/andarabi-all-kabul-roads-will-be-blocked, Zugriff 9.4.2020

?        TN – Tolonews (8.4.2020): Only '300' Ventilators in Afghanistan to Treat COVID-19: MoPH, https://tolonews.com/index.php/afghanistan/only-300-ventilators-afghanistan-treat-covid-19-moph, Zugriff 9.4.2020

?        TN – Tolonews (8.4.2020a): Kabul Clinic Shut Down After Doctor Dies from COVID-19, https://tolonews.com/index.php/health/amiri-medical-complex%E2%80%99s-activities-suspended-health-ministry, Zugriff 9.4.2020

?        TN – Tolonews (7.4.2020): Number of COVID-19 Cases in Afghanistan: 367, https://tolonews.com/health/number-covid-19-cases-afghanistan-367, Zugriff 8.4.2020

?        TN – Tolonews (7.4.2020a): Coronavirus Testing Lab Opens in Kandahar: Officials, https://tolonews.com/health/coronavirus-testing-lab-opens-kandahar-officials, Zugriff 8.4.2020

?        TN – Tolonews (7.4.2020b): 41 Health Workers Test Positive for Coronavirus in Herat, https://tolonews.com/afghanistan/41-health-workers-test-positive-coronavirus-herat, Zugriff 8.4.2020

?        UD – Undark (2.4.2020): With Taliban Help, Afghanistan Girds for a Virus, https://undark.org/2020/04/02/afghanistan-covid-19/, Zugriff 8.4.2020

?        WHO MIT – Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Mazar-e Sharif (10.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

?        WP – Washington Post (20.4.2020): More than a dozen staff members in Afghanistan’s presidential palace test positive for coronavirus, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistan-coronavirus-presidential-palace/2020/04/20/5836a856-8308-11ea-81a3-9690c9881111_story.html, Zugriff 24.4

2. Politische Lage

Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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