TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/21 W109 2163968-1

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Veröffentlicht am 21.07.2020
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Entscheidungsdatum

21.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W109 2163968-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. German BERTSCH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg, vom 27.06.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.07.2019 zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 05.10.2015 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 05.10.2015 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, stamme aus Laghman, habe zuletzt als Straßenverkäufer gearbeitet und sei Analphabet. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, die Taliban hätten seinen Bruder und einen Freund für Spione der Regierung gehalten. Der Bruder sei von den Taliban umgebracht worden. Der Vater habe die Leiche des Bruders vor dem Haus gefunden und geschrien. Die Taliban hätten dann den Vater ebenfalls umgebracht. Seine Verwandten hätten ihn gewarnt, dass er auch mit dem Mord bedroht sei, deshalb habe er Afghanistan verlassen.

Am 25.04.2017 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, Vater und Bruder seien von den Taliban getötet worden, diese hätten den Beschwerdeführer auch töten wollen. Sie hätten gedacht, Vater und Bruder würden für die Regierung spionieren. Er sei nicht dabei gewesen, sein Freund und Nachbar habe ihm das mitgeteilt. Die Taliban hätten auch das Haus der Familie zerstört.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.06.2017, zugestellt am 29.06.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die behauptete Verfolgung sei nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer widerspreche sich in wesentlichen Details und sei nicht plausibel. Nangarhar und Laghman seien volatil und sei eine Rückkehr dorthin derzeit nicht möglich. Es bestehe eine innerstaatliche Relokationsalternative in Kabul oder Mazar-e Sharif.

3.       Am 07.07.2017 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe seine Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung vonseiten der Taliban wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seines Vaters sowie einer daraus resultierenden ihm unterstellten politischen Gesinnung verlassen. Staatlicher Schutz bestehe nicht. Der Beschwerdeführer habe im Fall seiner Rückkehr mit einer unmenschlichen Behandlung zu rechnen und seien sein Leben und seine Unversehrtheit in größter Gefahr.

Am 25.07.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, eine im Akt und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat von den Taliban verfolgt aufrecht.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Mehrere Empfehlungsschreiben

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse

?        Benützungsvereinbarungen

?        Untermietverträge

?        Bestätigung über gemeinnützige Arbeit

?        Empfehlungsschreiben des Arbeitgebers

?        Kontoblatt

?        Sparbucheröffnung

?        Einige Fotos

?        Zustellungsabrechnungen

?        Integrationsprüfungszeugnis A1

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde im Jahr XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch Pashtu und verfügt zudem über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Laghman, Distrikt XXXX geboren und lebte zuletzt mit seiner Familie in einem Dorf in Nangarhar. Er hat im Herkunftsstaat keine Schule besucht und arbeitete im Geschäft seines Vaters mit, in dem Geschirr und Töpfe verkauft wurden.

Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinen Eltern, einem älteren und einem jüngeren Bruder und einer jüngeren Schwester, leben nach wie vor in Nangarhar im eigenen Haus mit Garten. Die Familie lebt vom Einkommen des Vaters und des älteren Bruders. Zu ihnen besteht Kontakt.

Im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer Deutschkurse besucht und gemeinnützige Arbeit geleistet. Seit November 2017 arbeitet er als Zeitungszusteller.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Gründe für den Umzug der Familie nach Nangarhar können nicht festgestellt werden. Dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe aus einer Grundstücksstreitigkeit der Familie drohen, wird nicht festgestellt.

Dass der Vater und der Bruder des Beschwerdeführers von den Taliban der Spionage bezichtigt und ermordet wurden, wird nicht festgestellt. Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe von Seiten der Taliban.

1. 3.   Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Nangarhar gehört zu den volatilsten Provinzen des Herkunftsstaates, seit dem Jahr 2011 ist eine stetige Verschlechterung der politischen und sicherheitspolitischen Situation zu beobachten. In der Provinz sind Taliban und der IS aktiv, die sich auch gegenseitig bekämpfen. Insbesondere der Herkunftsdistrikt ist unsicher.

Im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Kabul, Herat und Balkh zählen zu den am stärksten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Teilen Afghanistans. Die Krankheit breitet sich im ganzen Land aus. Zur Bekämpfung des Virus wurden im gesamten Land Ausganssperren verhängt, die zur Schließung ganzer Stadtteile geführt haben. Davon betroffen sind insbesondere Tagelöhner, die über keine alternativen Einkommensquellen verfügen. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen. Zuletzt wurden die landesweiten Maßnahmen am 06.06.2020 um drei Monate verlängert. Geschlossen sind alle Schulen und Bildungszentren, Hotels, Parks, Sporteinrichtungen und andere öffentliche Orte.

Die Wirtschafts- und Versorgungslage in Afghanistan war bereits zuvor schlecht. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Armutsrate und Arbeitslosigkeit sind hoch. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptschlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90 % der Wirtschaftsleistung ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert in Afghanistan nicht. Sozialleistungen gibt es – abseits von Pensionen in sehr wenigen Fällen, kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung – nicht.

Dem Beschwerdeführer wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Ihm wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, Fuß zu fassen. Er liefe Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Herkunft, sowie seiner Muttersprache und seinen Sprachkenntnissen ergeben sich aus den gleichbleibenden plausiblen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht. Zu seinen Deutschkenntnissen hat der Beschwerdeführer am 22.01.2020 (OZ 19) ein Integrationsprüfungszeugnis für das Sprachniveau A1 vorgelegt. Zur Volksgruppe ist anzumerken, dass im Zuge der Erstbefragung „Tajik“ protokolliert wurde und der Beschwerdeführer das Missverständnis im Hinblick auf seine Volksgruppenzugehörigkeit in der mündlichen Verhandlung am 25.07.2019 plausibel aufklären konnte (OZ 16, S. 6).

Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass dieser zwar in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 25.04.2017 angibt, Kopfschmerzen und Schmerzen in den Beinen zu haben und deshalb Schmerztabletten zu nehmen (AS 49). Hierzu hat der Beschwerdeführer allerdings keine Befunde vorgelegt. Zudem gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.07.2019 zu seinem Gesundheitszustand befragt an, er sei gesund (OZ 16, S. 4), erstattete kein weiteres Vorbringen im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand und brachte keine medizinischen Unterlagen in Vorlage. Folglich wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer gesund ist.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Seinen Lebenswandel und seine Lebensverhältnisse im Herkunftsstaat hat der Beschwerdeführer im Lauf des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibend beschrieben und erscheinen diese auch plausibel.

Im Hinblick auf die Angehörigen des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft bewertet (siehe hierzu unten, 2.2.). Damit ist davon auszugehen, dass die Familie des Beschwerdeführers unverändert unter jenen Verhältnissen lebt, unter denen auch der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise gelebt hat. Insbesondere erweisen sich auch die Angaben des Beschwerdeführers zur Ausreise seiner Familie als inkonsistent. So gibt er einerseits an, er habe seit seiner Ausreise keinen Kontakt zur Familie (OZ 16, S. 5) und behauptet aber andererseits, diese würden nicht mehr in Afghanistan leben (OZ 16, S. 6). Zudem kann der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar begründen, warum zur Familie kein Kontakt bestehen soll. Zwar gibt er dies bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 25.04.2017 an und begründet dies damit, die Familie hätte kein Telefon (AS 50) und behauptet in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erneut, es bestehe kein Kontakt (OZ 16, S. 5). Damit ist jedoch nicht nachvollziehbar begründet, dass der Beschwerdeführer gar keinen Kontakt zur Familie hat. So flicht er etwa in seine Fluchterzählung ein, er habe über das Telefon des Nachbarn von der Ermordung von Vater und Bruder erfahren und ist damit nicht klar, warum der Beschwerdeführer nicht über dieselbe Kommunikationsinfrastruktur zumindest gelegentlichen Kontakt zu seiner Familie herstellen können sollte. Der Beschwerdeführer begründet dies auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar, sondern zieht sich lediglich auf die Behauptung zurück, seit der Ausreise bestehe kein Kontakt. Folglich wurde festgestellt, dass Kontakt besteht.

Zu seinen Deutschkursen hat der geleisteten gemeinnützigen Arbeit hat der Beschwerdeführer Bestätigungen vorgelegt. Zu seiner Tätigkeit als Zeitungszusteller hat der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.07.2019 Abrechnungen vorgelegt (Beilagen zu OZ 16). Auch ein Empfehlungsschreiben seines Auftraggebers hat der Beschwerdeführer in Vorlage gebracht (OZ 14), aus dem hervorgeht, dass er seit November 2017 tätig ist.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Im Hinblick auf die Gründe für den Umzug der Familie des Beschwerdeführers von Laghman nach Nangarhar gibt der Beschwerdeführer einmalig in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.07.2019 an, sie könnten Aufgrund einer Grundstücksstreitigkeit nicht in Laghman leben (OZ 16, S. 6), wobei der Beschwerdeführer diesbezüglich im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen keinerlei Ausführungen tätigt und insbesondere dazu befragt, warum er nicht in seinen Herkunftsstaat zurückkehren könne, lediglich oberflächlich angibt, er habe dort Probleme. Wenn das Weiterleben dort möglich gewesen wäre, wäre er dortgeblieben (OZ 16, S. 10).

Zwar ergibt sich etwa aus den vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 08.07.2019 (OZ 10) in das Verfahren eingebrachten UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien), dass Blutfehden – in erster Linie eine im paschtunischen Gewohnheitsrecht verwurzelte Tradition der Paschtunen – unter anderem durch Morde oder ungelöste Streitigkeiten um Land ausgelöst werden können und zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Eine Blutfehde müsse mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet werden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 14. In Blutfehden verwickelte Personen, S. 110-112). Allerdings beschränkt sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang im Wesentlichen auf das Schlagwort „Grundstücksstreitigkeiten“ und nimmt keinerlei Konkretisierung vor. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss das Vorbringen eines Asylwerbers, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entferne Möglichkeit von Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472). In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer zu Beginn der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auf seine Mitwirkungspflicht hingewiesen wurde.

Im Hinblick auf die behaupteten Spionagevorwürfe ergibt sich aus den UNHCR-Richtlinien, dass Regierungsfeindliche Kräfte Zivilisten, die der Zusammenarbeit oder der „Spionage“ für regierungsnahe Kräfte verdächtigt werden, angreifen (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe c) Zivilisten, die mit den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften/regierungsnahen Kräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen, S. 48). Damit erweist sich die vom Beschwerdeführer vorgetragene Rahmenhandlung als grundsätzlich plausibel. Der Beschwerdeführer schildert seine Fluchtgründe jedoch lediglich vage und oberflächlich und nicht im Kern gleichbleibend.

Zunächst ließ der Beschwerdeführer die Gelegenheit, sein Fluchtvorbringen aus eigenem umfassend zu schildern im Wesentlichen ungenützt und beschränkte sich auf Floskeln und allgemeine Angaben (OZ 16, S. 6). Erst nach mehrmaliger Nachfrage durch den erkennenden Einzelrichter und seinen eigenen Rechtsvertreter gibt der Beschwerdeführer weitere Handlungsdetails preis, die er jedoch ebenso oberflächlich und vage darlegt, ohne dass sich ein nachvollziehbarer Handlungsablauf ergeben würde.

Zudem verstrickt sich der Beschwerdeführer in Widersprüche. So behauptet der Beschwerdeführer zunächst, er sei auch von den Taliban bedroht worden (OZ 16, S. 7) und will sich dann nicht erinnern können, was die Taliban zu ihm gesagt haben sollen (OZ 16, S. 8). Auf nochmalige Aufforderung, zu schildern, wie er von den Taliban persönlich bedroht wurde, flüchtet sich der Beschwerdeführer erneut in Floskeln, wenn er angibt „Die Taliban glaubten über meine Familie, dass wir alle Spione wären. Aus dem Grund bin ich dann auch geflüchtet.“ und verneint dann schließlich auf nochmalige Nachfrage, ob er persönlich bedroht wurde (OZ 16, S. 8). Auch in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde legte der Beschwerdeführer bereits ein ähnlich widersprüchliches Aussageverhalten an den Tag, etwa, als er zunächst angab, er sei mit einem Freund spazieren gewesen, dieser habe einen Anruf auf seinem Mobiltelefon erhalten (AS 53) um kurz später zu behaupten, dieser Freund sei zuhause angerufen worden, er habe kein Mobiltelefon (AS 53).

Weiter gab der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 25.04.2017 an, XXXX sei das Nachbardorf von XXXX und etwa zwei Stunden entfernt (AS 52), während er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete, dies sei derselbe Ort (OZ 16, S 10). Außerdem gibt der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme an, die Taliban hätten das Haus verbrannt und zerstört (AS 52), während er in der mündlichen Verhandlung sagt, er wisse nicht, was mit dem Haus passiert sei (OZ 16, S. 10). Auf Vorhalt seiner Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme zieht er sich schließlich darauf zurück, er wisse dies nicht, sei damals sehr jung gewesen und könne sich nicht mehr an alles erinnern (OZ 16, S. 10). Hierzu ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer damals etwa 17 Jahre alt gewesen sein müsste. Zwar bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens und ist die Dichte des Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ zu messen (VwGH 05.09.2018, Ra 2018/18/0150). Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der behaupteten Ereignisse jedoch bereits 17 Jahre alt und damit auch nach österreichischem Maßstab bereits beinahe erwachsen und gab der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht selbst an, er sei zwei Monate nach der Bedrohung 18 Jahre alt geworden (OZ 16, S. 7). Damit ist zu erwarten, dass der Beschwerdeführer bereits zumindest beinahe über die kognitiven Fähigkeiten eines Erwachsenen verfügt und ist sohin das widersprüchliche und vage Aussageverhalten des Beschwerdeführers nicht mit seiner Minderjährigkeit erklärbar.

Weiter gibt der Beschwerdeführer in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.10.2015 noch an, zuerst sei der Bruder von den Taliban umgebracht und seine Leiche nach zwei Tagen vor dem Haus gefunden worden. Der Vater habe geschrien und sei dann ebenfalls umgebracht worden (AS 17). In den späteren Darstellungen des Beschwerdeführers findet sich dieser Handlungsverlauf nicht mehr, sondern spricht der Beschwerdeführer von der gleichzeitigen Ermordung von Vater und Bruder.

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429). § 19 Abs. 1 AsylG verwehrt es der Behörde bzw. dem Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht generell, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen. Dies bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (VwGH 23.06.2020, Ra 2020/20/0188). Die Widersprüchlichkeit der Angaben des Beschwerdeführers zieht sich gegenständlich jedoch durch das ganze Verfahren und tauscht der Beschwerdeführer später im Verfahren den in der Erstbefragung eingeführten Handlungsablauf völlig aus, ohne hierfür eine nachvollziehbare Begründung zu liefern. In Zusammenschau mit den bereits oben aufgezeigten Widersprüchen und der allgemeinen Vagheit des Fluchtvorbringens kommt das Bundesverwaltungsgericht daher zu dem Schluss, dass das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft ist.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 29.06.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), der EASO Country Guidance von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) und dem auch deren Grundlage bildenden EASO COI Report. Afghanistan. Security situation von Juni 2019 sowie den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.22. Nangarhar, sowie auf der EASO Country Guidance von Juni 2019 und dem EASO COI Report, Afghanistan, Security situation von Juni 2019.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer Im Fall der Rückkehr in die Herkunftsprovinz die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden, beruht ebenso auf den eben zitierten Berichten zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz, wobei die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts inbesondere mit jener von EASO übereinstimmt (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indisriminate violance, Abschnitt Nangarhar, S. 110).

Die Feststellungen zur COVID-19-Situation im Herkunftsstaat beruhen auf dem UNOCHA, Afghanistan: Strategic Situation Report: COVID-19 von 12.07.2020 und der ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) von 05.06.2020, die die Lage im Wesentlichen in Übereinstimmung mit dem Länderinformationsblatt schildern (Abschnitt Länderspezifische Anmerkungen, Unterabschnitt COVID-19).

Die Feststellungen zur Wirtschafts- und Versorgungslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung. Dort wird auch berichtet, dass es finanzielle oder sonstige Unterstützung in Afghanistan nicht existiert.

Die Feststellung zu den Folgen einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ergibt sich insbesondere aus einer Zusammenschau der individuellen Umstände und Merkmale, die der Beschwerdeführer in seiner Person vereint.

Maßgebliche Faktoren für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, sind insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen

Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff.). Damit übereinstimmend stellen nach den UNHCR-Richtlinien insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, Verwandtschaftsverhältnisse sowie Bildungs- und Berufshintergrund (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122) relevante Faktoren dar, wobei neben der Berücksichtigung dieser spezifischen persönlichen Umstände den UNHCR-Richtlinien zufolge auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Betreffende seine grundlegenden Menschenrechte wird ausüben können sowie ob er im für die Neuansiedelung in Betracht gezogenen Gebiet Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben (Zugang zu Unterkunft, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur [Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung], Lebensgrundlage) unter würdigen Bedingungen vorfindet (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben, S. 123 f.).

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig, spricht mit Paschtu und Dari die im Herkunftsstaat verbreitetsten Sprachen und verfügt über im Herkunftsstaat erworbene Berufserfahrung aus der Mitarbeit im familieneigenen Geschäft. Zudem konnte er sich auch im Bundesgebiet beruflich als Zeitungszusteller etablieren. Er gehört als Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zur im Herkunftsstaat mit 80 bis 89,7 % der Gesamtbevölkerung mehrheitlich vertretenen Religionsgemeinschaft (Länderinformationsblatt, Kapitel 15. Religionsfreiheit) und als Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken zur zweitgrößten Volksgruppe des Herkunftsstaates (Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Relevante Ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.2. Tadschiken). Insbesondere wird hinsichtlich dieser Volksgruppe nicht von spezifischen Diskriminierungen oder Gefahren berichtet. An körperlichen Vorerkrankungen leidet der Beschwerdeführer nicht, weswegen er hinsichtlich COVID-19 nicht zur Risikogruppe gehört.

Der Beschwerdeführer verfügt jedoch in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht über Familienangehörige oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte. Damit verfügt der Beschwerdeführer nicht über ein soziales Netzwerk, dass dem Länderinformationsblatt zufolge für das Überleben in Afghanistan wichtig und für Rückkehrer bei der Anpassung an das Leben in Afghanistan besonders ausschlaggebend ist. Insbesondere stelle ein Mangel an Netzwerken eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar (Kapitel 22. Rückkehr). Auch EASO schätzt ein Unterstützungsnetzwerk per se als essentiell für die Ansiedelung ein (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, Unterabschnitt Individual circumstances, S. 136). Aktuell ist das wirtschaftliche Leben in den drei Städten zudem bedingt durch Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeschränkt, insbesondere Tagelöhner sind hiervon betroffen. Der ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) von 05.06.2020 zufolge gibt es aufgrund der landesweiten COVID-19-Beschränkungen weniger Gelegenheitsarbeit. Dies treffe insbesondere den informellen Arbeitsmarkt, auf den ein großer Teil der afghanischen Arbeitskräfte angewiesen sei. Bei Arbeitsmangel biete dieser kein Sicherheitsnetz. Zudem ist es auch zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise gekommen und wurden Hotels geschlossen. Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in der Lage ist, Arbeit zu finden, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, erscheint unter diesen Bedingungen – insbesondere nachdem Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten, als formelle Qualifikation, über die der Beschwerdeführer im Übrigen nicht verfügt (Kapitel 20. Grundversorgung, Abschnitt Arbeitsmarkt) – als nicht wahrscheinlich. Zudem ist dem Bericht, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020 zu entnehmen, dass insbesondere Rückkehrer stigmatisiert werden, weil sie primär für die Gefahr durch Corona verantwortlich gemacht werden. Das Stigma, Seuchenüberträger zu sein, treffe auch aus Europa Eingereiste (S. 2). Dadurch würde die Niederlassung des Beschwerdeführers zusätzlich erschwert. Hierdurch würde eine Suche des Beschwerdeführers nach Arbeit und Unterkunft zweifellos weiter behindert.

Außerdem ist dem Bericht, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020 auch zu entnehmen, dass die Teehäuser ebenso als Gegenmaßnahme geschlossen wurden (S. 3). Der Beschwerdeführer wäre daher mangels Verfügbarkeit von Unterkünften von Obdachlosigkeit bedroht. Insbesondere gibt es auch keine staatliche Unterbringung von Rückkehrern (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr). Nachdem der Beschwerdeführer in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht über soziale Anknüpfungspunkte verfügt, durch die ihm allenfalls Unterkunft gewährt werden könnte, wäre er im Fall der Rückkehr unmittelbar von Obdachlosigkeit bedroht.

Hinsichtlich einer allfälligen Unterstützung durch die Familie ist anzumerken, dass diese unter den aktuellen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht hinreichend gesichtert erscheint. So ist dem Bericht ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) vom 05.06.2020 zu entnehmen, dass teilweise zahlreiche Geschäfte und Büros geschlossen wurden. Auch dem Länderinformationsblatt ist zu entnehmen, dass unter anderem geschäftliche Aktivitäten eingeschränkt sind. Zudem resultiert dem Länderinformationsblatt zufolge aus der bereits schlechten wirtschaftlichen Lage im Herkunftsstaat – wobei sich diese Informationen auf einen Zeitpunkt vor Ausbrechen der Pandemie beziehen – und individuellen Faktoren, dass Unterstützung durch die Familie nur temporär und nicht immer gesichert erfolgt (Kapitel 24. Rückkehr). Von ausreichender Unterstützung durch die Familie ist damit nicht auszugehen. Staatliche Unterstützung existiert dagegen nicht und wird hinsichtlich Rückkehrunterstützung berichtet, dass ein koordinierter Mechanismus nicht existiert. Insbesondere wird Rückkehrhilfe nur temporär und kurzfristig gewährt und funktioniert eine allfällige Anschlussunterstützung nicht lückenlos (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr).

Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften, dass er mit ausreichender Unterstützung seiner Familie nicht zu rechnen hat und insbesondere, dass es ihm nicht möglich wäre, Fuß zu fassen und er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Zudem zählt auch (UN)OCHA als Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten und „einschlägige internationale Menschenrechtsorganisationen“ i.S.d. Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU zu den besonders bedeutsamen Quellen hinsichtlich der Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Parteiengehör bezüglich der in dieser Entscheidung hinsichtlich Punkt 2.3. der Beweiswürdigung neben den in das Verfahren eingebrachten verwendeten aktuellen Länderberichte konnte entfallen. Die belangte Behörde hat aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Abfassung von Länderberichten sowie als spezialisierte Fachbehörde Kenntnisse über ebendiese Länderberichte; weiter wurden diese ausschließlich zugunsten des Beschwerdeführers verwendet, weshalb auch diesbezüglich eine Notwendigkeit zur Gewährung von Parteiengehör nicht gegeben war. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

3.1.1.  Zur Behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe des Vaters bzw. wegen unterstellter politischer Gesinnung

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung den Familienverband als „soziale Gruppe“ gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anerkannt. Verfolgung kann daher schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd Art. 1 Z 2 GFK, etwa jener der Familie liegt (Vgl. VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 mwN).

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes reicht für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung aus, dass eine solche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird (vgl. etwa VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass Vater und Bruder von den Taliban der Spionage bezichtigt und ermordet wurden, sowie, dass ihm deshalb Übergriffe von Seiten der Taliban drohen. Eine von den Taliban ausgehende Verfolgungsgefahr wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie des Vaters bzw. wegen einer ihm von den Taliban unterstellten politischen Gesinnung konnte der Beschwerdeführer daher nicht glaubhaft machen.

3.1.2.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen „Grundstücksstreitigkeiten“

Der Verwaltungsgerichtshof bejaht in seiner ständigen Rechtsprechung grundsätzlich die Asylrelevanz einer Verfolgung wegen Blutrache unter dem GFK-Anknüpfungspunkt der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „von Blutrache bedrohten Angehörigen der Großfamilie“, sofern sich die Verfolgungshandlungen gegen Personen richten, die in die Rache gegen den unmittelbar Betroffenen bloß aufgrund ihrer familiären Verbindungen zu diesem einbezogen werden (Vgl. etwa Ra 2014/18/0011, 13.11.2014).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe aus einer Grundstücksstreitigkeit der Familie drohen, weswegen er für den Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verfolgungsgefahr im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung nicht glaubhaft machen konnte.

Im Ergebnis war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abzuweisen.

3.2.    Zur Stattgebung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Mit Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 hat der Verwaltungsgerichtshof sich mit der Rechtsprechung des EuGH zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auseinandergesetzt. Danach sei subsidiärer Schutz nur in jenen Fällen zu gewähren, in denen die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK auf einen ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zurückzuführen ist, der vom Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie verursacht wird (Art. 15 lit a. und b.), bzw. auf eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt (Art. 15 lit. c) zurückzuführen ist. Nicht umfasst sei dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführende Verletzungen von Art. 3 EMRK. Insofern habe der nationale Gesetzgeber die Bestimmungen der Statusrichtlinie fehlerhaft umgesetzt, weil nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art 2. Art. EMRK, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führe (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

An diese Judikatur anschließend spricht der der Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 aus, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausschließlich anhand Art. 15 Statusrichtlinie geprüft werden könne. Die Bestimmung sei – obgleich fehlerhaft in das nationale Recht umgesetzt – nicht unmittelbar anwendbar, weil dies zulasten eines bzw. zur Vorenthaltung von Rechten des Einzelnen nicht in Frage komme. Die nationale Regelung des § 8 Abs. 1 AsylG sei günstiger. Deren unionsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Auslegung finde ihre Schranke jedoch in einer Auslegung contra legem des nationalen Rechtes. Eine einschränkende Auslegung des Wortlautes des § 8 Abs. 1 AsylG im Sinne einer teleologischen Reduktion sei vor dem Hintergrund des klaren gesetzgeberischen Willens – den der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung herausarbeitet – nicht zu rechtfertigen. Daher halte der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 m.w.N.).

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht es, um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf viel mehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109 m.w.N.). Es obliegt dabei der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines solchen Risikos nachzuweisen. Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen (VwGH 03.05.2018, Ra 2018/20/0191).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/14/0196).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bezogen auf den Einzelfall nicht gedeckt werden können. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des EGMR ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Es muss viel mehr detailliert und konkret dargelegt werden, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Ebenso ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Hinblick auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab des Art. 3 MRK anerkannt, dass es unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR Ausnahmefälle geben kann, in denen durch eine schwere Erkrankung bzw. einen fehlenden tatsächlichen Zugang zur erforderlichen Behandlung im Herkunftsstaat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

3.2.1.  Zur Rückkehr in die Herkunftsprovinz

Im Hinblick auf die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers ist einleitend anzumerken, dass die Gründe für den Umzug der Familie von Laghman nach Nangarhar nicht festgestellt werden konnten, weswegen das Bundesverwaltungsgericht von einer freiwilligen Verlagerung des Lebensmittelpunktes und damit von einer Überlagerung der ursprünglichen Nahebeziehung des Beschwerdeführers zu Laghman durch seine Niederlassung in Nangarhar ausgeht. Damit ist Nangarhar für den Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat als Herkunftsprovinz zu betrachten (Vgl. VwGH 26.01.2006, 2005/01/0057 sowie Nedwed, Interner Schutz (innerstaatliche Fluchtalternative) am Beispiel Afghanistan in Filzwieser/Taucher [Hrsg.], Jahrbuch Asylrecht und Fremdenrecht 2018 [2018] 287 [294-295]).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt besteht im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz die Gefahr, dass dieser im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer misshandelt oder verletzt wird bzw. zu Tode zu kommt.

Demnach droht dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr die reale Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte im Sinne der oben zitierten Judikatur.

3.2.2.  Zur Nichtverfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem klaren Wortlaut des § 11 AsylG zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative zu unterscheiden. Einerseits muss geprüft werden, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bildet nach der Judikatur des VwGH die Frage, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 mwN). Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen, wäre die innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthalts in diesem Gebiet zu verneinen.

Das Kriterium der Zumutbarkeit ist in unionsrechtskonformer Auslegung gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, nämlich, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss es dem Asylwerber im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten möglich sein, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (Zuletzt VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt wäre es dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Zudem kann er nicht mit ausreichender Unterstützung durch seine Angehörigen rechnen und liefe er – insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie – Gefahr, notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten. Dabei ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung anhand der Definition des § 2 Abs. 1 Z 16 AsylG und des in diesem Sinne inhaltliche Festlegungen vornehmenden § 8 Abs. 4 AsylG bereits dargelegt hat, dass es sich beim Status des subsidiär Schutzberechtigten um ein dem Fremden stets nur vorübergehendes (wenn auch verlängerbares) gewährtes Einreise- und Aufenthaltsrecht handelt (VwGH 27.05.20.19, Ra 2019/14/0153). Dem dem Status des subsidiär Schutzberechtigten demzufolge immanenten Schutzgedanken entspricht es damit, den entsprechenden Status auch im Falle allenfalls vorübergehender Gefährdungen zu gewähren. Insbesondere lassen sich allfällige langfristige Folgen der Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung im Augenblick noch nicht absehen.

Hinweise auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes iSd § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG sind im Lauf des Verfahrens nicht hervorgekommen.

Hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides war der Beschwerde damit stattzugeben und dem Beschwerdeführer spruchgemäß der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu erteilen.

3.2.3.  Zur befristeten Aufenthaltsberechtigung

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterscheidet § 8 Abs. 4 AsylG zwischen dem Status des subsidiär Schutzberechtigten und der zu erteilenden Aufenthaltsberechtigung, die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung ist zusätzlich zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorgesehen (VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007). Sie erfolgt demnach konstitutiv.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem jüngst klargestellt, dass gemäß § 8 Abs. 4 AsylG die Gültigkeitsdauer nicht nur aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung, sondern auch bei der Erteilung der verlängerten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen ist (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.04.2016, Ra 2015/05/0069 dahingehend präzisiert, dass bei Kollegialorganen der Zeitpunkt der Willensbildung (Beschlussfassung) und bei monokratischen Organen jener der Erlassung (Zustellung oder mündliche Verkündung) der Entscheidung maßgeblich ist (siehe auch Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 29 VwGVG [Stand 15.2.2017, rdb.at], Rz 17). Darauf, dass die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses (des Einzelrichters) erst mit dessen Zustellung eintreten, hat der Verwaltungsgerichthof auch jüngst im Zusammenhang mit der Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG hingewiesen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Auch gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, weswegen datumsmäßige Festlegung der einjährigen Gültigkeitsdauer der dem Beschwerdeführer erteilten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter ausgehend vom Zeitpunkt der Zustellung des gegenständlichen Erkenntnisses zu erfolgen hat.

Das Bundesverwaltungsgericht erkannte dem Beschwerdeführer mit vorliegendem Erkenntnis den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Folglich war spruchgemäß eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu erteilen.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung gilt damit ein Jahr ab Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts an den Beschwerdeführer.

4.        Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der unter 3. zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wobei gegenständlich insbesondere beweiswürdigende Erwägungen maßgeblich waren.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung Blutrache Glaubwürdigkeit Lebensgrundlage Lebensunterhalt mangelnde Asylrelevanz Pandemie private Streitigkeiten private Verfolgung Sicherheitslage soziale Gruppe subsidiärer Schutz unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W109.2163968.1.00

Im RIS seit

10.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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