TE Vfgh Erkenntnis 1995/11/27 B2406/94

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Veröffentlicht am 27.11.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2
AufenthaltsG §6 Abs3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung von Anträgen auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wegen Versäumung der im AufenthaltsG normierten Frist von vier Wochen vor Ablauf der gültigen Bewilligung zur Stellung von Verlängerungsanträgen; Unterlassung der im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation trotz imperativer Anordnung im Gesetz gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Bundesminister für Inneres wies mit dem im Spruch zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 16. September 1994 die von D N-R am 4. März 1994 beantragte Verlängerung der mit 31. März 1994 befristeten Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §6 Abs3 (zweiter Halbsatz des ersten Satzes) des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. 466/1992 idF vor der Novelle BGBl. 351/1995, im wesentlichen mit der Begründung ab, daß Verlängerungsanträge spätestens vier Wochen vor Ablauf der Geltungsdauer der (bisherigen) Aufenthaltsbewilligung zu stellen seien; bei Nichteinhaltung dieser Frist sei die Erteilung der Bewilligung ausgeschlossen und auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen persönlichen Verhältnissen nicht weiter einzugehen.

1.2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der insbesondere die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids beantragt wird.

1.3. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und begehrte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Der bekämpfte Bescheid verletzt den Beschwerdeführer in seinem gemäß Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens:

2.1.1. Ein Eingriff in das durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheids eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage denkunmöglich anwendete; dies trifft nur zu, wenn die Behörde einen Fehler beging, der so schwer wiegt, daß er mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (s. zB VfSlg. 11638/1988).

2.1.2. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der USA, lebt - nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen - seit 1977 in Österreich; seine zwei (in Österreich geborenen) Kinder - die ersichtlich österreichische Staatsbürger sind - halten sich ebenfalls im Bundesgebiet auf. Die belangte Behörde vermeint offenbar, daß die konstatierte Versäumung der 4-Wochen-Frist des §6 Abs3 erster Satz, zweiter Halbsatz AufG eine Abwägung mit Interessen des Privat- oder Familienlebens, die für die Erteilung der Bewilligung sprächen, zwingend ausschließe. Wie der Verfassungsgerichtshof aber bereits im Erkenntnis vom 10. Oktober 1995, B1722/94 ua. Zlen., - auf dessen ausführliche Begründung verwiesen wird - darlegte, trifft diese Rechtsauffassung nicht zu; vielmehr gebietet der Grundsatz der verfassungskonformen Gesetzesinterpretation, daß die Behörde in einem Fall wie dem hier vorliegenden und zur Entscheidung stehenden - der vor allem dadurch gekennzeichnet ist, daß der Fremde sich im Zeitpunkt der Stellung des Verlängerungsantrags rechtmäßig in Österreich aufhielt - die Privat- und Familieninteressen des Bewilligungswerbers mit den öffentlichen Interessen abzuwägen hat.

2.2. Der angefochtene Bescheid war allein schon aus diesem Grund als verfassungswidrig aufzuheben.

2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B2406.1994

Dokumentnummer

JFT_10048873_94B02406_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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