TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/6 I422 2159981-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.08.2020
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Entscheidungsdatum

06.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I422 2159981-1/10E
I422 2159964-1/10E
I422 2159989-1/10E
I422 2159985-1/10E
I422 2159961-1/10E
I422 2159969-1/10E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 02.07.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerden des XXXX , StA. Irak, jeweils vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Peter LECHENAUER & Dr. Margrit SWOZIL, Hubert-Sattler-Gasse 10, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2017, zu Zl. 1083981504-151172244, Zl. 1083981602-151172265, Zl. 1083994905-151172279, Zl. 1083994807-151172295, Zl. 1083994709-151172325 und Zl. 1083994600-151172350, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.07.2020 zu Recht erkannt

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wird als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von 12 Monaten erteilt

IV. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III. und IV. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer reisten (spätestens) im August 2015 gemeinsam in das Bundesgebiet ein und stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin bzw. diese stellvertretend für den minderjährigen Drittbeschwerdeführer, den minderjährigen Viertbeschwerdeführer, die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin und den minderjährigen Sechstbeschwerdeführer am 25.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gaben der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Erstbefragung an, dass der IS die Macht über ihr Heimatdorf übernommen habe. Dem Erstbeschwerdeführer sei angeboten worden, sich dem IS anzuschließen, was er abgelehnt habe. Daraufhin sei er mit dem Tod bedroht worden. Es habe für den Erstbeschwerdeführer und seine Familie keine Sicherheit gegeben, weshalb sie geflohen seien. Für die Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Am 06.02.2017 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und wiederholten im Wesentlichen ihr Fluchtvorbringen, dass sie aus Furcht vor dem IS ihren Herkunftsstaat verlassen hätten und wonach Sie im Fall einer Rückkehr eine Verfolgung durch den IS bzw. durch irakische Milizen befürchten.

Mit den gegenständlichen sechs Bescheiden, jeweils vom 04.05.2017, wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie den Beschwerdeführen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Des Weiteren setzte die belangte Behörde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).

Gegen die Bescheide richteten sich die fristgerecht erhobenen Beschwerden. Begründend führten die Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass ihnen im Irak nach wie Verfolgung seitens der IS, Milizen und anderer bewaffneten Gruppen drohen würde. Von Seiten der staatlichen Sicherheitsbehörden könne keinerlei Schutz oder Hilfe erwartet werden. Des Weiteren leide der minderjährige Viertbeschwerdeführer an nicht unerheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Form von progredienter motorischer Schwierigkeiten, welche eine Rückkehr in den Irak unmöglich machen würde. Eine Unterbrechung seiner Ergotherapie und auch die Unterbrechung der Abklärung und Weiterbehandlung seiner Augenfehlstellung würde dauerhafte Folgen mit sich bringen, welche in keinem Verhältnis stehen würden. Überdies seien die Beschwerdeführer in Österreich um eine außerordentliche Integration bemüht. Sie würden gut Deutsch sprechen und immer wieder ehrenamtlich arbeiten. Die Kinder würden Schulen besuchen und hätten sehr gute Noten. Des Weiteren habe die Familie bereits einen großen Freundeskreis in Österreich aufgebaut.

In der Folge legte die belangte Behörde die Beschwerden dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

Am 02.07.2020 fand nach ordnungsgemäßer Ladung aller Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der alle Beschwerdeführer bis auf die Dritt- und Viertbeschwerdeführer erschienen. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis unter Darlegung der wesentlichen Entscheidungsgründe mündlich verkündet und ihnen Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Mit Schriftsatz ihrer Rechtsvertretung vom 03.07.2020 beantragten die Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Die Verfahren der Beschwerdeführer sind im Sinne des § 34 AsylG gemeinsam als Familienverfahren zu führen und werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Sie sind irakische Staatsangehörige, bekennen sich zum sunnitisch muslimischen Glauben und gehören der Volksgruppe der Araber an. Ihre Identitäten stehen nicht fest.

Die Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer, die Fünftbeschwerdeführerin und der Sechstbeschwerdeführer sind gesund und leiden an keinen derartigen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, die einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen.

Der Viertbeschwerdeführer leidet an fortgeschrittenen motorischen Schwierigkeiten in Form einer schwerwiegenden Störung der Grob-, Fein- und auch der Grafomotorik und weist somit keine lebensbedrohliche Beeinträchtigung auf. Er unterzieht sich hinsichtlich seiner Leiden einer Ergotherapie und erhält diesbezüglich in der Schule zusätzliche Sonderförderungen.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind volljährig und seit 07.02.2004 miteinander verheiratet. Die Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer sind die minderjährigen Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin.

Der Erstbeschwerdeführer wurde in Al-Hawija, einer Stadt rund 45 km westlich von Kirkuk geboren. Er wuchs dort auf und besuchte neun Jahre lang die Schule. Er arbeitete anschließend für rund 15 Jahre als Schneider. In seinem Herkunftsort betrieb der Erstbeschwerdeführer zwei Schneidereien. Durch diese Tätigkeit erwirtschaftete er sein Einkommen und sicherte sich dadurch sowohl seinen, als auch den Lebensunterhalt der Zweitbeschwerdeführerin und der gemeinsamen vier Kinder. Der Erstbeschwerdeführer lebte mit der Zweitbeschwerdeführerin und den gemeinsamen vier Kindern in einem Haus, dass sich in seinem Eigentum befand und besaß er zudem ein Auto. Die wirtschaftliche Situation des Erstbeschwerdeführers und seiner Familie war gut.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde ebenfalls in Al-Hawija geboren, wuchs in ihrer Geburtsstadt auf und besuchte dort zehn Jahre lang die Schule. Im Anschluss an ihrer Schulausbildung arbeitete die Zweitbeschwerdeführerin als Friseurin.

Die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer besuchten im Irak die Schule. Die minderjährigen Fünft- und Sechstbeschwerdeführer haben in ihrem Herkunftsstaat keine Schule besucht.

Im Irak leben nach wie vor Verwandte der Beschwerdeführer. So halten sich die Eltern und die Geschwister des Erstbeschwerdeführer nach wie vor in ihrem Herkunftsstaat auf. Die Mutter und zwei Schwestern des Erstbeschwerdeführers leben in einem Flüchtlingslager in Kirkuk. Eine Schwester von ihm lebt in Al Alam. Der Vater und die Brüder des Erstbeschwerdeführers gelten als verschleppt und kann über deren genauen Verbleib keine Feststellung getroffen werden. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin hält sich in der Türkei auf. Die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin und ein Bruder gelten als vermisst und kann über ihren Verbleib keine Feststellung getroffen werden. Die übrigen Geschwister der Zweitbeschwerdeführerin leben – mit Ausnahme einer Schwester – in Deutschland. Eine Schwester der Schwester der Zweitbeschwerdeführerin lebt mit deren Familie in Bagdad. Mit einem Teil ihrer im Irak aufhältigen Familienangehörigen stehen (zumindest) die Erst- und Zweitbeschwerdeführer nach wie vor in Kontakt.

Die Beschwerdeführer reisten (spätestens) im August 2015 nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellten am 25.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gehen keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach und beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der Erstbeschwerdeführer spricht in einfachem, aber verständlichem Niveau Deutsch. Er besuchte an der Volkshochschule den „Deutschkurs für Asylwerbende“ im Niveau A1/2 und im Niveau A2/1 und absolvierte am 07.09.2016 das Österreichische Sprachdiplom Deutsch (ÖSD) im Niveau A1 und am 14.03.2019 das ÖSD im Niveau A2. Als außerordentlicher Hörer nahm er im Wintersemester 2019/2020 an der Universität Salzburg über die Initiative MORE an der Lehrveranstaltung „Deutsch als Fremdsprache Grundstufe III“ teil. Ebenso besuchte der Erstbeschwerdeführer im Frühjahr 2017 den Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). Während seines Aufenthaltes holte er seinen Pflichtschulabschluss nach. Der Erstbeschwerdeführer engagiert sich ehrenamtlich und ist im Rahmen eines Freiwilligen-Netzwerkes tätig. Der Erstbeschwerdeführer hat sich einen Freundeskreis aufgebaut. Er hat sich in einem Fitnesscenter angemeldet um dort Menschen kennenzulernen. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über eine aktuelle Einstellungszusage als Hausbetreuer.

Die Zweitbeschwerdeführerin spricht sehr gut Deutsch. Dies lernte sie im Zuge ihres Aufenthaltes durch den Besuch eines Sprachtrainings im Freiwilligennetz des Diakoniewerkes Salzburg, durch den Besuch des „Deutschkurs für Asylwerbende“ der Volkshochschule im Niveau A2/2. Am 06.12.2016 bestand sie das ÖSD im Niveau A1 und absolvierte sie am 27.09.2017 das ÖSD im Niveau A2. Auch die Zweitbeschwerdeführerin nahm im Frühjahr 2017 am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teil und bestand sie am 09.07.2018 die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz Niveau B1 und zu Werte- und Orientierungswissen. Sie holte während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet ebenfalls ihren Pflichtschulabschluss nach und hat sich für ein Abendgymnasium eingeschrieben. Wie auch ihr Ehegatte, nahm auch die Zweitbeschwerdeführer im Wintersemester 2019/2020 an der Universität Salzburg über die Initiative MORE als außerordentliche Hörerin an der Lehrveranstaltung „Deutsch als Fremdsprache Aufbaustufe I“ teil. Die Zweitbeschwerdeführerin engagiert sich ehrenamtlich und ist ebenfalls im Rahmen eines Freiwilligen-Netzwerkes aktiv.

Der Drittbeschwerdeführer absolvierte im Bundesgebiet die Volksschule und die Neue Mittelschule. Für das Schuljahr 2020/21 wurde dem Drittbeschwerdeführer ein vorläufiger Schulplatz in einer Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt zugewiesen.

Der Viertbeschwerdeführer absolvierte im Bundesgebiet die Volksschule und besucht gegenwärtig die dritte Klasse einer Neuen Mittelschule. Aufgrund seiner physischen und psychischen Einschränkungen erhält er dort eine Sonderförderung.

Die Fünftbeschwerdeführerin besucht die dritte Klasse einer Volksschule. Sie spricht sehr gut Deutsch und hat sich einen altersadäquaten Freundeskreis aufgebaut. In der Sommersaison 2019 war die Fünftbeschwerdeführerin als Statistin bei den Salzburger Festspielen engagiert.

Der Sechstbeschwerdeführer besucht die zweite Klasse einer Volksschule. Er spricht sehr gut Deutsch und hat sich einen altersadäquaten Freundeskreis aufgebaut. Er war in der Sommersaison 2019 ebenfalls als Statist bei den Salzburger Festspielen engagiert.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführer

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Irak aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden.

Die Beschwerdeführer sind im Fall einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt seitens verbliebener Anhänger des Islamischen Staates und/oder schiitischer Milizen ausgesetzt.

Auch im Hinblick auf den von der Zweitbeschwerdeführerin gepflegten progressiven westlichen Kleidungsstil kann keine sich daraus ergebende individuellen Gefährdung der Zweitbeschwerdeführerin oder eine ihr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Rückkehrfall drohende psychische und/oder physische Gewalt festgestellt werden.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

Im gegenständlichen Fall lauten die wesentlichen Feststellungen:

1.3.1. Zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat:

Seit dem Sieg über den IS kehrt der Irak nach Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen und Übergriffen und einer damit verbunden tiefen ethnische und konfessionelle Spaltung des Landes langsam zur Normalität zurück und widmet sich verstärkt dem Wiederaufbau, der auch international unterstützt wird.

Die Bekämpfung der Korruption, das Wiedererlangen von Vertrauen innerhalb der gespaltenen Gesellschaft, die Beseitigung der Zerstörungen an der Infrastruktur und die Eingliederung der Milizen in die staatlichen Strukturen gehen langsam vor sich, vielen Menschen geht dieser Prozess zu langsam und das findet in Übergriffen unterschiedlichster Ausprägungen ihren Niederschlag (IS zeigen in Form von gezielten Anschlägen ihre Präsenz, Milizen durch vereinzelte Übergriffe; Bevölkerungsgruppen demonstrieren und bringen so ihren Unmut und ihre Unzufriedenheit über die aktuelle Lage zum Ausdruck, etc.).

Die sicherheitsrelevanten Vorfälle haben sich aber zuletzt auf einem Niveau eingependelt, dass für Personen, die keine besondere Vulnerabilität aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse aufweisen, eine Rückkehr zumutbar und vertretbar ist.

1.3.2. Sicherheitslage im Gouvernement Kirkuk:

Im Dezember 2017 wurde der territoriale Sieg über den Islamischen Staat (IS) verkündet und wurde der IS fast vollständig in jene ländlichen und bergigen Regionen zurückgedrängt, in denen er sich der Regierungsgewalt entziehen kann. Dies hatte zur Folge, dass im Gouvernement Kirkuk die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen kontinuierlich zurückgehen. Nichtsdestotrotz waren im Jahr 2019 bzw. Anfang des Jahres 2020 IS-Aktivitäten insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände zu verzeichnen, dies hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken.

Mittlerweile hat sich der IS seine Strategie geändert und sich in eine Aufstandsbewegung gewandelt. Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungsziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter, dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen.

Die Sicherheitslage im Gouvernement ist zudem auch geprägt durch innerethnische Spannungen zwischen Kurden, Arabern und Turkmenen. Diese finden ihren Ursprung in Gebietsstreitigkeiten in den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung beansprucht werden.

Ungeachtet der volatilen Situation im Gouvernement Kirkuk kehren Binnenvertriebene in ihre Heimatorte zurück und verzeichnet die Region im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren einen starken Zuwachs an Rückkehrern.

1.3.3. Zur Situation von Kindern im Gouvernement Kirkuk:

Nach der Autonomen Region Kurdistan hat Kirkuk seit 2014 die zweithöchste Zahl von Binnenvertriebenen aus anderen Provinzen aufgenommen. Die massiven Vertreibungen nach Kirkuk führten zu einer schweren humanitären Krise, die unter andere zu einer erhöhten Belastung der Aufnahmegemeinschaften, einem verstärkten Wettbewerb um begrenzte Ressourcen, einer Verschlechterung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wasser und Hygiene sowie einer zunehmenden Verwundbarkeit von Frauen und Kindern führte. Im Gouvernement besuchen rund 93,9 % der Kinder die Grundschule, 72,8 % der Kinder die Sekundarstufe und 48,8 % eine Oberstufenschule. Auch wenn Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise die UNICEF oder ACTED den Wiederaufbau der Schulen vorantreiben – und so beispielsweise rund 256 der 345 der Provinz Al-Hawija eröffnet werden konnten – gibt es durchaus immer wieder Probleme im Bildungsbereich, dass beispielsweise grundlegende Wasser- und Sanitäranlagen nicht mehr funktionieren, Klassenzimmer überbelegt sind oder es an Lehrpersonal fehlt.

Aus einem Bericht der UN Generalversammlung leitet sich ab, dass beinahe die Hälfte der Opfer unter den Kindern (61) durch explosive Kriegsrelikte verursacht wurden und dies hauptsächlich in Gebiete, die zuvor unter der Kontrolle des IS standen.

Demgegenüber stehen jedoch Bemühungen des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen, den Kindern in der Region eine Rückkehr in die Normalität zu bieten. So wird beispielsweise von einem Sommerprojekt berichtet, bei dem Kinder, die durch den Konflikt aus Al Hawija vertrieben wurden gemeinsam mit Kindern aus Kirkuk in einem Jugendzentrum in Kirkuk verbrachten. Für rund 3.200 Jugendlichen wurde dabei der Besuch von Sprach-, Theater- Kunst- und Malworkshops ermöglicht.

1.3.4. Zu Zwangsrekrutierungen:

Die Regierung und schiitische religiöse Führer verbieten Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich den Kriegsdienst. Es gibt keine Berichte, wonach Kinder von staatlicher Seite zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden. Der Regierung mangelt es jedoch an Kontrolle über einige PMF-Einheiten, sie kann die Rekrutierung von Kindern durch diese Gruppen nicht verhindern, darunter die Asa’ib Ahl al-Haqq (AAH), Harakat Hezbollah al-Nujaba (HHN) und die Kata’ib Hizbollah (KH). Es gibt auch keine diesbezüglichen Untersuchungen. Die Vereinten Nationen untersuchen die Rekrutierung und Verwendung von 39 Kindern durch die Konfliktparteien, darunter fünf Buben im Alter von zwölf bis 15 Jahren, die von der irakischen Bundespolizei im Gouvernement Ninewa zur Verstärkung eines Kontrollpostens eingesetzt wurden. Berichten zufolge rekrutieren sowohl die Volksverteidigungskräfte (HPG), der militärische Arm der Kurdische Arbeiterpartei (PKK), und die jesidische Miliz Shingal Protection Unit (YBS) nach wie vor Kinder und setzen diese als Soldaten ein. Genaue Zahlen sind zwar nicht verfügbar, aber sie werde auf einige Hundert geschätzt. Seit der territorialen Niederlage des IS im Jahr 2017 gibt es keine neuen Informationen über den Einsatz von Kindern durch den IS. Zuvor hatte der IS ab 2014 tausende Kinder rekrutiert. Diese wurden als Frontkämpfer, Selbstmordattentäter, zur Herstellung und Anbringung von Sprengsätzen, zur Durchführung von Patrouillen, als Wächter und Spione und für eine Vielzahl von Unterstützungsaufgaben eingesetzt. Die Zentralregierung sowie die Regierung der Kurdischen Region im Irak verfolgen solche Kinder gemäß ihren Terrorismusbekämpfungsgesetzen. Etwa 1.500 irakische Kinder werden wegen des Vorwurfs einer IS-Angehörigkeit in Gefängnissen festgehalten und gefoltert, um Geständnisse zu erzwingen. Es gibt Berichte über Verurteilungen von Kindern als Terroristen.

1.3.5. Zur Situation von westlich orientierten Frauen:

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten.

Auch Frauen, die in politischen und sozialen Bereichen tätig sind, darunter Frauenrechtsaktivistinnen, Wahlkandidatinnen, Geschäftsfrauen, Journalistinnen sowie Models und Teilnehmerinnen an Schönheitswettbewerben, sind Einschüchterungen, Belästigungen und Drohungen ausgesetzt. Dadurch sind sie oft gezwungen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen oder aus dem Land zu fliehen. Im Jahr 2018 gab es einige Morden an Frauen, die in der Öffentlichkeit standen und als gegen soziale Gebräuche und traditionelle Geschlechterrollen verstoßend wahrgenommen wurden, darunter Bürgerechtlerinnen und Personen, die mit der Beauty- und Modebranche in Verbindung standen.

1.3.6. Zur Bewegungsfreiheit:

Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS, zwischen 2014 und 2017, führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben. Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Erstbefragungsprotokolle der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der niederschriftlichen Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einvernahmen vor der belangten Behörde, in die gegenständlichen Bescheide und in den Beschwerdeschriftsatz der Beschwerdeführer sowie der Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 22.06.2020, ebenso wie die Ausführungen der Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie der Fünft- und Sechstbeschwerdeführer im Rahmen der Beschwerdeverhandlung und der dabei von ihnen vorgelegten Unterlagen. Einsicht genommen wurde außerdem in den vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und wurden Auskünfte aus dem Strafregister der Republik Österreich, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) ergänzend eingeholt.

2.2. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Feststellungen zu ihrer Staatsangehörigkeit sowie ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen des Administrativverfahrens.

Die Identität der Beschwerdeführer mangels Vorlage identitätsbezeugender Originaldokumente nicht verifiziert werden.

Dass der Erstbeschwerdeführer, der Drittbeschwerdeführer, die Fünftbeschwerdeführerin und der Sechstbeschwerdeführer gesund sind, gründet auf den diesbezüglichen Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Befragungen und ergaben sich diesbezüglich auch aus dem Akteninhalt bzw. den von ihnen vorgelegten Unterlagen keine anderslautenden Anhaltspunkte.

Die Zweitbeschwerdeführerin machte weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme vor der belangten Behörde eine gesundheitliche Beeinträchtigung geltend. Erstmals ließ sich aus der Stellungnahme vom 22.06.2020 eine psychische Beeinträchtigung der Zweitbeschwerdeführerin ableiten. Der Stellungnahme war ein mit 17.06.2020 datierter Arztbrief einer Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapeutin beigefügt. Demzufolge leidet die Zweitbeschwerdeführerin an einer rezidivierenden Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung und befindet sie sich seit 31.10.2017 in therapeutischer und medikamentöser Behandlung, wobei die Termine laut Aussage der Zweitbeschwerdeführerin bei Bedarf von der behandelnden Ärztin vorgeschrieben werden. Gegenwärtig ist die Zweitbeschwerdeführerin auf die Medikamente Sertralin 50 mg und 100 mg, Trittico retard 150 mg und Seroquel 100 mg eingestellt. Wie sich aus den Länderberichten ergibt, ist eine medizinische Grundversorgung gewährleistet und sind auch psychische Erkrankungen im Irak behandelbar, woraus sich die Feststellung ableitet, dass ihre gesundheitliche Beeinträchtigung einer Rückkehr nicht entgegensteht.

Die gesundheitliche Beeinträchtigung des Viertbeschwerdeführers ergibt sich aus einer Bestätigung des Ambulatoriums für Entwicklungsdiagnostik und Therapie der Lebenshilfe Salzburg datierend vom 15.05.2017. Laut diesem benötigt der Viertbeschwerdeführer aufgrund progredienter motorischer Schwierigkeiten weitere(r) Abklärung und Behandlung. Ebenso ergibt sich aus dem Schreiben einer Ergo- und Kunsttherapeutin vom 02.02.2017, dass der Viertbeschwerdeführer an einer schwerwiegenden Störung der Grob-, Fein- und auch der Grafomotorik leidet und er diesbezüglich eine weitergehende Diagnostik und Therapie benötige bzw. er eine Ergotherapie in Anspruch nehme. Weder aus dem Akteninhalt noch aus den von den Beschwerdeführern vorgelegten Unterlagen lässt sich ableiten, dass eine weitere fachärztliche Diagnostik vorgenommen wurde. Auf die ihm in der Schule zukommende zusätzliche Sonderförderung wird in einem Schreiben der Flüchtlingsbetreuung vom 10.06.2020 hingewiesen. Dem Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz, wonach der Drittbeschwerdeführer an einer Augenfehlstellung leidet, kann nicht gefolgt werden. Hierfür ergeben sich aus den Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer keinerlei Anzeichen. Auch aus einem von den Beschwerdeführern vorgelegten Zeitungsartikel datierend vom 07.07.2016, auf dem die Beschwerdeführer und dabei auch der Viertbeschwerdeführer zu sehen sind, lässt eindeutig keine Rückschlüsse auf eine Augenfehlstellung hin. Auch die im Beschwerdeschriftsatz zugesicherte Beibringung aktueller medizinischer Befunde in Bezug auf den Viertbeschwerdeführer wurde nicht erbracht und wurden auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens trotz neuerlicher Aufforderung in der Ladung zur mündlichen Verhandlung keine aktuellen Befunde in Bezug auf den Viertbeschwerdeführer in Vorlage gebracht. Es ist somit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer an keiner lebensbedrohlichen gesundheitlichen Beeinträchtigung leidet und diese seiner Rückkehr entgegensteht.

Aus den glaubhaften Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer sowie der sich im Verwaltungsakt befindlichen Heiratsurkunde ist belegt, dass die Erst- und Zweitbeschwerdeführer miteinander verheiratet und die Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer ihre gemeinsamen Kinder sind.

Die Feststellungen hinsichtlich der Schulbildung, Arbeitserfahrung sowie der Lebenssituation des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus deren glaubhaften Angaben im Rahmen ihrer Einvernahmen im Administrativverfahren.

Dass die Dritt- und Viertbeschwerdeführer im Irak die Schule besucht haben, gründet auf den diesbezüglichen Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer. Sie erweisen sich als nachvollziehbar und somit als glaubhaft. Dass die minderjährigen Fünft- und Sechstbeschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat keine Schule besucht haben, ergibt sich aus folgender Überlegung heraus: Im verfahrensrelevanten Zeitraum des Frühjahrs 2015 wiesen die Oktober 2010 und November 2011 geborenen Fünft- und Sechstbeschwerdeführer ein Alter von viereinhalb bzw. dreieinhalb Jahren und somit ein Alter vor dem Schuleintritt auf. Zudem schilderte die Zweitbeschwerdeführerin in ihren Ausführungen, dass sich lediglich der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer der IS beitreten hätte müssen, was ebenfalls darauf schließen lässt, dass lediglich die älteren der beiden Kinder bereits zur Schule gingen und dort mit der Indoktrinierungsmaschinerie der IS in Berührung kamen und nicht auch die beiden jüngeren.

Aus den Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer im Administrativ- und im Beschwerdeverfahren gründen die Feststellungen über den Verbleib ihrer im Irak lebenden Verwandten. Vor dem erkennenden Gericht führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er mit seiner im Flüchtlingslager aufhältigen Mutter nach wie vor im Kontakt stehe. Die Zweitbeschwerdeführerin brachte dahingehend vor, dass sie rund einmal im Monat mir ihrer in Bagdad lebenden Schwester telefoniere.

Aus dem Erstbefragungsprotokoll ist die Einreise und die Antragstellung auf internationalen Schutz belegt.

Zuletzt bestätigten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin im Zuge der mündlichen Verhandlung, dass sie keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehen und dass sie Leistungen aus der Grundversorgung beziehen. Ihre glaubhaften Angaben werden durch die Einsichtnahme in das GVS belegt.

Von den Sprachkenntnissen der Beschwerdeführer konnte sich der erkennende Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung persönlich überzeugen.

Der Erstbeschwerdeführer belegte den Besuch seiner Deutschkurse und die Absolvierung seiner Deutschprüfungen durch entsprechende Dokumente in Form einer undatierten Kursbesuchsbestätigung „Sprachtraining“ des Diakoniewerkes Salzburg, zweier Kursbesuchsbestätigung der Volkshochschule datierend vom 25.10.2016 und vom 02.02.2017 sowie der ÖSD Prüfungszertifikate im Niveau A1 vom 07.09.2016 und im Niveau A2 vom 14.03.2019. Die Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF ist durch eine Teilnahmebestätigung vom 24.05.2017 bestätigt. In Vorlage brachte der Erstbeschwerdeführer auch eine Teilnahmebestätigung der Universität Salzburg vom 30.01.2020, aus der sich sein Besuch Lehrveranstaltung „Deutsch als Fremdsprache Grundstufe III“ ableitet. Dass er während seines Aufenthaltes seinen Pflichtschulabschluss nachholte, wies der Erstbeschwerdeführer durch ein Zeugnis über die Pflichtschulabschluss-Prüfung datierend vom 04.07.2018 nach. Sein ehrenamtliches Engagement im Rahmen eines Freiwilligen-Netzwerkes bestätigte der Erstbeschwerdeführer durch eine Bestätigung des Diakoniewerkes Salzburg vom 28.08.2018, einer Integrationsbestätigung des Vereines „Rettet das Kind“ vom 10.05.2020. Die Feststellungen rund um den Aufbau eines Freundeskreises und seiner sozialen Aktivitäten gründen auf den Angaben des Erstbeschwerdeführers vor dem erkennenden Gericht. Bei seiner mündlichen Verhandlung legte er auch eine mit 15.06.2020 datierte schriftliche Einstellungszusage als Hausbetreuer vor.

Das Erlernen der deutschen Sprache und die Absolvierung ihrer Deutschprüfungen wies die Zweitbeschwerdeführerin durch eine undatierte Kursbesuchsbestätigung „Sprachtraining“ des Diakoniewerkes Salzburg, einer Kursbesuchsbestätigung der Volkshochschule datierend vom 02.02.2017 sowie der ÖSD Prüfungszertifikate im Niveau A1 vom 06.12.2016 und im Niveau A2 vom 27.09.2017 nach. Die Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF und die Absolvierung der Integrationsprüfung belegte die Zweitbeschwerdeführerin durch die Vorlage einer Teilnahmebestätigung vom 06.07.2017 und eines Prüfungszeugnisses datierend vom 09.07.2018. Aus dem in Vorlage gebrachten Zeugnis über die Pflichtschulabschluss-Prüfung vom 03.07.2019 resultiert die Feststellung, dass sie während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet ihren Pflichtschulabschluss nachholte. Zum Nachweis ihrer Anmeldung bei einem Abendgymnasium legte die Zweitbeschwerdeführerin einer undatierten E-Mail des Abendgymnasiums Salzburg vor. In Vorlage brachte die Zweitbeschwerdeführerin auch eine Teilnahmebestätigung der Universität Salzburg vom 30.01.2020 sowie eine mit 29.01.2020 datierte Kursbestätigung, aus der sich sein Besuch Lehrveranstaltung „Deutsch als Fremdsprache Aufbaustufe I“ ableitet. Das ehrenamtliche Engagement ergibt sich aus einer Bestätigung des Diakoniewerkes Salzburg vom 25.01.2017. In ihren Ausführungen vor dem erkennenden Gericht verwies die Zweitbeschwerdeführerin auf den Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreises, die beabsichtigte Ausbildung als Fachsozialberaterin für ältere Personen. In Vorlage brachte sie zudem eine private Unterstützungserklärung von Johanna M., datiert vom 19.01.2017.

Zum Nachweis ihrer Integration legten die Erst- und Zweitbeschwerdeführer bei der mündlichen Verhandlung auch noch ein privates Empfehlungsschreiben datierend vom 11.09.2018 und zwei Empfehlungsschreiben der „Jugend am Werk Salzburg GmbH“ datiert mit 31.01.2017 und mit 10.06.2020 sowie einen Zeitungsbericht der Salzburger Nachrichten vom 07.07.2016, der sich im Allgemeinen mit der Situation von Deutschkursbesuche durch Asylwerber in Salzburg auseinandersetzt und auf dem ein Bild der sechs Beschwerdeführer zu sehen ist, vor.

Die Feststellungen zum Schulbesuch des Drittbeschwerdeführers und dem vorläufigen Schulplatz für das Schuljahr 2020/2021 gründen auf den diesbezüglich vorgelegten Unterlagen, insbesondere einer Bestätigung einer Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt.

Die Feststellungen bezüglich des Schulbesuches des Viertbeschwerdeführers ergeben sich aus einem Schreiben der ehemaligen Volksschullehrerin datierend vom 01.02.2017 sowie dem Empfehlungsschreiben der „Jugend am Werk Salzburg GmbH“ vom 10.06.2020.

Aus den glaubhaften Angaben der Fünftbeschwerdeführerin basieren die Feststellungen zu ihrem Schulbesuch und ihrem sozialen Umfeld. Ihr Mitwirken bei den Salzburger Festspielen in der Sommersaison 2019 ist durch einen vorgelegten Vertrag mit den Salzburger Festspielen belegt.

Der Schulbesuch und die soziale Verfestigung des Sechstbeschwerdeführers in Österreich ist durch dessen glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung und ergibt sich dessen Engagement bei den Salzburger Festspielen ebenfalls aus einem vorgelegten Vertrag mit den Salzburger Festspielen.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführer ergibt sich der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

2.3. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Bei seiner Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 24.08.2015 führte der Erstbeschwerdeführer betreffend seiner Fluchtgründe aus, dass die IS die Macht über sein Heimatdorf übernommen habe. Ihm sei angeboten worden, sich dem IS anzuschließen, was der Erstbeschwerdeführer jedoch abgelegt habe. Daraufhin sei er mit dem Tod bedroht worden. Für den Erstbeschwerdeführer und seine Familie habe es keine Sicherheit mehr gegeben. Täglich wären Menschen entführt oder umgebracht worden und habe er sich um die Sicherheit und das Leben seiner Familie gefürchtet. Die Zweitbeschwerdeführerin brachte in der Erstbefragung vor, dass ihr Ehemann mit dem Tod bedroht worden sei und sich entschlossen habe, gemeinsam mit seiner Familie das Land zu verlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe Angst um sich und ihre Kinder.

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde schildert der Erstbeschwerdeführer sein Fluchtmotiv dahingehend, dass die IS im Juni 2014 die Kontrolle über seine Heimatstadt übernommen habe. Die Übernahme der Stadt durch den IS habe sich im Unterricht widergespiegelt, wo den Kindern das Gedankengut des IS gelehrt und der Umgang mit Waffen beigebracht worden sei. Von diesem Zeitpunkt an habe sich der Beschwerdeführer um seine Kinder gesorgt und habe er seine Kinder aus dem Unterricht genommen. Eines Nachmittages seien sechs Personen zu ihm ins Geschäft gekommen und hätten beanstandet, dass er die irakische Hymne aufgehängt habe und dies ein Zeichen von Ungläubigen sei. Ihm sei die Abnahme der Hymne in einem Zeitraum von einer halben Stunde angeordnet worden, andernfalls er in seinem eigenen Geschäft verbrannt werde. Als der Erstbeschwerdeführer nach Hause kam habe, ihm seine Ehegattin mitgeteilt, dass vier unbekannte und bewaffnetet Personen bei ihnen zu Hause gewesen und sich erkundigt hätten, weshalb der die Kinder nicht in die Schule gehen würden. Der Ehefrau sei angedroht worden, dass falls ihrer Kinder nicht wieder in die Schule kommen würden, sie den Ehemann mitnehmen würden. Schlussendlich sei der Erstbeschwerdeführer in seinem Geschäft nochmals von sechs unbekannten und bewaffneten Personen aufgesucht worden. Er sei von ihnen vor die Wahl gestellt worden, entweder für sie zu kämpfen oder Religionssteuer zu zahlen. Daraufhin habe sich der Beschwerdeführer entschlossen, seine Heimatstadt zu verlassen. Nach Bagdad habe er mit seiner Familie nicht fliehen können, nachdem der Erstbeschwerdeführer von seinem Schwager als Schneider des IS denunziert worden sei und sei er deshalb über Mosul und Syrien in die Türkei ausgereist.

Die Zweitbeschwerdeführerin bestätigte vor der belangten Behörde, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe, sondern sich auf das Fluchtvorbringen ihres Ehemannes stütze. Ihren Herkunftsstaat habe sie aus zwei Gründen verlassen. Der erste Grund liege in der Bedrohung ihres Ehemannes und der zweite in einem befürchteten Beitritt ihrer beiden Söhne zum IS. Sie selbst sei durch die Herrschaft des IS eingeschränkt gewesen, habe nicht arbeiten und ohne ihren Ehemann das Haus verlassen dürfe. Weiters führte sie in der Einvernahme vor der belangten Behörde konkret danach befragt aus, dass ihr Ehemann zwei Mal bedroht worden sei. Einmal durch die IS und einmal durch ihren Schwager. Ihr Ehemann habe eine Hymne in seinem Geschäft aufgehängt und sei von der IS zur Abnahme der Hymne innerhalb eines Zeitraumes von 30 Minuten aufgefordert worden, andernfalls er in seinem Geschäft verbrennt werde. Auch sei ihr Ehemann zu Leistung der Religionssteuer aufgefordert worden. Des Weiteren sei die IS zu ihr nach Hause gekommen und habe sich nach dem Verbleib der Kinder in der Schule erkundigt. Auf ihren Vorhalt, wonach die Kinder krank seien und deshalb nicht zur Schule gehen würden, sei ihr angedroht worden, dass – wenn die Kinder nicht wieder in die Schule gehen würden – Ihr Ehemann zur Verantwortung gezogen würde. Dies seien alle Fluchtgründe.

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche "Vorverfolgung" für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des VwG bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 18.05.2020, Ra 2019/18/0503).

Aus dem Fluchtvorbringen ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gegenständlichen Zeitpunkt mit einer Verfolgungshandlung durch den IS im Sinne der zuvor genannten Judikatur rechnen müsste. Dies zunächst deshalb, weil im Dezember 2017 der territoriale Sieg über den IS verkündet wurde und er somit auch aus Al-Hawija, dem Herkunftsort der Beschwerdeführer mit rund 100.000 Einwohnern, als vertrieben gilt. Dies bestätigte auch der Erstbeschwerdeführer in seinen Angaben, wonach seit der Befreiung von Al-Hawija sein Haus leer stehe. Wie den aktuellen Berichten der Staatendokumentation und EASO zudem zu entnehmen ist, hat sich der IS fast vollständig in jene schwer zugänglichen ländlichen und bergigen Regionen zurückgezogen, wo er sich der Regierungsgewalt entziehen kann. Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken.

Durchaus lässt das erkennende Gericht in diesem Zusammenhang nicht außer Acht, dass der IS auch in den städtischen Gebieten des Iraks nach wie vor über Schläferzellen verfügt, und er bestrebt ist, sich neu zu organisieren sowie an Macht und Einfluss wiederzugewinnen. Es leitet sich aus den vorliegenden Berichten sehr klar ab, dass der IS seine Strategie mittlerweile geändert und sich in eine Aufstandsbewegung gewandelt hat. Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden sowie Brandstiftung. Diese richten sich nun primär gegen Regierungsziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie beispielsweise Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter.

Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang die Ausführungen der Beschwerdeführer, ergeben sich zunächst keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsort Al-Hawija eine derart exponierte Stellung innegehabt hätten, woraus sich im Falle ihrer Rückkehr zwangsläufig die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ihrer Personen durch Schläferzellen des IS ableiten lässt. So wurden die Beschwerdeführer weder aktiv noch passiv im Widerstand gegen den IS tätig. Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin gaben an, dass ein Auflehnen gegen den IS nicht möglich gewesen sei, sonst wäre man getötet worden. Wer gegen den IS gewesen sei, sei geflohen und hätten sie dies schlussendlich auch getan. Aus ihrer Flucht alleine, kann noch kein Ausdruck eines Widerstandes gegenüber dem IS erkannt werden, weil zu dieser Zeit unzählige Personen mit den unterschiedlichsten Beweggründen vor dem IS flüchteten. Auch dem diesbezüglichen Vorbringen der Rechtsvertretung in der mündlichen Verhandlung, dass dem Erstbeschwerdeführer bereits durch das Aufhängen einer „irakischen Fahne vor dem Schaufenster seines Geschäfts“ (Anm. gemeint vermutlich, die im Geschäft aufgehängte irakische Hymne) eine politische Gesinnung unterstellt und er deswegen ganz sicherlich vom IS als politischer Feind verfolgt werde, kann ebenfalls nicht gefolgt werden, zumal der Erstbeschwerdeführers der Anordnung zur Abnahme der Hymne einerseits offenkundig Folge leistete und zudem auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass just jene sechs Personen, die den Beschwerdeführer im Jahr 2015 aufsuchten und die der Beschwerdeführer offenkundig nicht kannte, nach wie vor in seiner Heimatstadt Al-Hawija aufhältig sind. Auch ist zu berücksichtigten, dass die Mitglieder der IS während ihrer Herrschaft unzählige Verstöße der Bevölkerung monierten und aufzeigten und somit nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, weshalb – sollten sich eine jener besagten sechs Personen tatsächlich noch in oder um Al-Hawija aufhalten – man sich ausgerechnet an die aufgehängte Hymne des Erstbeschwerdeführers erinnern sollte, zumal der Erstbeschwerdeführer dieser Anweisung ohnedies Folge leistete. In diesem Zusammenhang darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beschwerdeführer seit mittlerweile fünf Jahren nicht mehr in Al-Hawija aufhältig sind und somit auch die in der Zwischenzeit vergangene Dauer für das Verblassen dieser Erinnerung bzw. gegen eine exponierte Stellung des Beschwerdeführer spricht.

Unter diesen Gesichtspunkten ist auch der vom Erstbeschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegte USB-Stick einer Beweiswürdigung zu unterziehen. Diesem sei zu entnehmen, dass sich der IS nach wie vor in der Nähe der Städte aufhalte und mittlerweile auch seinen Onkel entführt und getötet worden sei. Hinsichtlich des Vorbringens, dass sich der IS in der Nähe der Städte aufhalte, ist auf die umseitigen Ausführungen zur Aktivität des IS und seiner Schläferzellen zu verweisen. Die behauptete Entführung und Ermordung seines Onkels vermag sein Vorbringen ebenfalls nicht zu stärken, zumal seitens des erkennenden Gerichtes nicht verifiziert werden kann, ob es sich tatsächlich um den Onkel des Erstbeschwerdeführers handelt. Es spricht zudem auch nicht für den Erstbeschwerdeführer, dass er dieses Vorbringen erst sehr spät bekannt gibt, obwohl sein Onkel bereits vor einem Jahr entführt und ermordet worden sei. Ebenfalls nicht unberücksichtigt lässt das erkennende Gericht, dass er auf die Frage des erkennenden Richters, weshalb er nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt von diesem Vorkommen berichtet habe, lediglich vermeint, dass er auf die mündliche Verhandlung zugewartet habe und er nicht einsehe, weshalb er dies vorher machen solle. Insbesondere unter dem Aspekt, dass der Beschwerdeführer ein ähnliches Schicksal befürchte, ist es für das erkennende Gericht einerseits nicht nachvollziehbar, dass der Erstbeschwerdeführer diesen Vorfall nicht unmittelbar bekannt gibt und er andererseits nicht weiß, weshalb sein Onkel dieses Schicksal erlitten habe und dahingehend in der mündlichen Verhandlung mit keinen Details und Informationen aufwarten kann.

Hinsichtlich der Befürchtungen einer Zwangsrekrutierung im Falle einer Rückkehr ist auf die Ausführungen der EASO Berichte und der Staatendokumentation zu verweisen. Diesen folgend verbieten die irakische Regierung und die geistlichen schiitischen Führer Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich den Kriegsdienst. Auch lässt sich den Berichten keine systematische Zwangsrekrutierung Minderjähriger durch die Konfliktparteien ableiten. Auch wenn das erkennende Gericht durchaus nicht übersieht, dass es konfliktparteiübergreifend nach wie vor immer wieder zu Rekrutierung Minderjähriger kommt, ergeben sich – vor allem auch unter dem Aspekt, dass großteils flächendeckenden Vertreibung des IS – im gegenständlichen Fall keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass insbesondere die minderjährigen Dritt-, Viert- und Sechstbeschwerdeführer einer erhöhten oder sogar maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt wären.

Zum weiteren Fluchtvorbringen, dass die Beschwerdeführer – insbesondere der Erstbeschwerdeführer – in seiner Herkunftsregion einer Verfolgung durch schiitische Milizen ausgesetzt sei, ist zunächst auszuführen, dass sich weder aus den Länderinformationen noch aus den EASO Berichten im Irak eine systematische Verfolgung von sunnitischen Irakern ableiten lässt. Eine Verfolgung alleine aufgrund der Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensausrichtung entspricht somit weder den Länderberichten noch der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0014; 29.06.2018, Ra 2018/18/0138).

Des Weiteren erachtet das erkennende Gericht sein diesbezügliches Vorbringen als nicht glaubhaft. Dies vor allem aus folgenden Überlegungen heraus:

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Die Behörde muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

So fällt zunächst auf, dass die Problematik der drohenden Verfolgung durch schiitische Milizen in der Erstbefragung weder vom Erstbeschwerdeführer, noch von der Zweitbeschwerdeführerin erwähnt wird, weshalb davon auszugehen ist, dass es sich hierbei um ein gesteigertes Vorbringen handelt.

Hinsichtlich dieser Steigerung ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (vgl. VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).

Durchaus lässt das erkennende Gericht nicht außer Acht, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl erachtet er es aber nicht generell als unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429).

In diesem Zusammenhang ist es für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, dass weder der Erstbeschwerdeführer, noch die Zweitbeschwerdeführerin ein derart wesentliches Element des Fluchtmotives, nämlich die drohende Verfolgung durch schiitische Milizen, welche noch dazu offenbar im eigenen Familienverband ihren Ursprung fand, in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit absolut gar keinem Wort erwähnen. Dies ist vor allem deshalb nicht plausibel, weil genau dieser Umstand – nämlich eine drohende Milizverfolgung und die daraus resultierende mangelnde innerstaatliche Fluchtalternative – den ausschlaggebenden Grund für ihre Ausreise bildete.

Der Erstbeschwerdeführer erwähnte diese Milizverfolgung erstmals in der niederschriftlichen Einvernahme vom 06.02.2017 vor der belangten Behörde. Dabei wird allerdings auch nicht verkannte, dass sich seine diesbezüglichen Angaben in sehr allgemein gehaltene, unkonkrete und vage Ausführungen erschöpfen. So führte er dahingehend lediglich aus, dass die Tochter eines schiitischen „Verwandten“ seine Ehefrau angerufen und ihr mitgeteilt hätte, dass ihr Vater sie verraten und den Behörden mitgeteilt habe, dass er der Schneider des IS wäre. Zu einem späteren Zeitpunkt wiederholte er sein Vorbringen und meinte unsubstantiiert, dass er von den schiitischen Milizen verfolgt werde und er dies von der Tochter eines „Verwandten“ erfahren habe. Konkretere Ausführungen über den Namen der Tochter oder des „Verwandten“, um welchen „Verwandten“ genau es sich handelt oder von welcher Miliz genau er verfolgt werde, erstattet der Erstbeschwerdeführer nicht. Ebenso vage und unkonkret erweisen sich die dahingehenden Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin. So führte sie vor der belangten Behörde aus, dass ihr Ehemann von der IS und von Milizen bedroht worden sei. Auf Nachfragen gab sie an, dass sie jedoch nicht genau wissen, von welcher Miliz. Auf weiteres Nachfragen führte sie aus, dass der Ehemann ihrer Schwester Milizangehöriger sei. Deren Tochter habe die Zweitbeschwerdeführerin angerufen und ihr mitgeteilt, dass ihr Vater allen Milizen gesagt habe, dass der Erstbeschwerdeführer der Schneider der IS sei und er nach einem Fluchtort suche. Auf weiteres Nachfragen, brachte die Zweitbeschwerdeführerin ergänzend vor, dass nach dem Anruf ihrer Nichte, auch noch der besagte Schwager angerufen und sie der Zusammenarbeit mit dem IS beschuldigt habe. Auch in den Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin bleiben nähere und maßgebliche Ausführungen über die maßgeblichen Personen, wie beispielsweise deren Namen unerwähnt oder die Zugehörigkeit zu welcher Miliz ausgespart. Abweichend führte die Zweitbeschwerdeführerin ein Telefonat mit dem Schwager an, dass der Erstbeschwerdeführer mit keinem Wort erwähnt. Bereits die allgemein gehaltenen und detailarmen Schilderungen über die behauptete Bedrohung durch den Schwager vermögen das erkennende Gericht nicht von der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens zu überzeugen. Aber auch der Umstand, dass der Erstbeschwerdeführer zwei wesentliche Elemente dieses Fluchtvorbringens unerwähnt lässt – nämlich die Mitgliedschaft seines Schwagers bei einer Miliz und dessen persönlicher Anruf bei der Zweitbeschwerdeführerin – erhärten den Verdacht eines unglaubhaften Vorbringens.

Eine weitere Steigerung ergibt sich nunmehr in den Ausführungen der Beschwerdeführer vor dem erkennenden Gericht, wenn sie nunmehr nach rund fünf Jahren erstmals vorbringen, dass es sich bei dem besagten Schwager um Jasim M. J. handle, einem Mitglied und Führer der Asaib Ahl al-Haqq. Weshalb diese konkreten Angaben erst so spät in das Verfahren eingebracht werden, kann durch das erkennende Gericht absolut nicht nachvollzogen werden und spricht gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben.

Aber auch den weiteren Ausführungen des Erstbeschwerdeführers vor dem erkennenden Gericht, wonach ihn sein Schwager Jasim M. J. bei der Polizei als IS-Sympathisant angezeigt habe und die sich im Flüchtlingslager befindliche Mutter des Erstbeschwerdeführers deswegen von der Polizei aufgesucht worden sei, vermochte unter Verweis auf die vorangegangenen Ausführungen zu Steigerungen kein Glauben geschenkt werden und erhärten sie viel mehr den Verdacht eines konstruierten Vorbringens.

Wenig stringent erweisen sich zudem die Ausführungen rund um die behauptete Bedrohung durch den Schwager der Erst- und Zweitbeschwerdeführer. Aus den Ausführungen vor der belangten Behörde ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Schwager den Beschwerdeführern konkret die Ermordung androhte. Im Administrativverfahren wurde lediglich ausgeführt, dass der Erstbeschwerdeführer vom Schwager als Schneider des IS denunziert worden sei und er dies den Milizen mitgeteilt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin wies ebenfalls nur unsubstantiiert darauf hin, dass er von „Milizen“ bedroht werde, von welchen genau, wisse sie jedoch nicht bzw. verwies sie auf ein Telefonat mit dem Schwager, wonach ihr dieser mitteilte, dass er wisse, dass sie die Schneider des IS wären und habe er die gesamte Familie beschuldigt. Dies sei jedoch alles gewesen. Eine Nennung einer konkreten Todesdrohung durch den Schwager erfolgte weder vom Erstbeschwerdeführer noch von der Zweitbeschwerdeführerin.

Ebenfalls unter Verweis auf die vorangegangenen Ausführungen zu gesteigerten Vorbringen ist es für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, wenn die Beschwerdeführer in ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 22.05.2017 - der somit kaum drei Monate nach der niederschriftlichen Einvernahme eingebracht wurde – vollkommen unsubstantiiert vorbringen, dass der Schwager den Beschwerdeführern und der Schwester bzw. der Nichte der Zweitbeschwerdeführerin über Facebook gedroht habe, dass er sie überall finden und sie töten werde. Das erkennende Gericht zieht dahingehend durchaus in Betracht, dass diese doch nicht unwesentliche Todesdrohung innerhalb dieser Zeit zwischen Einvernahme und Beschwerdeschriftsatz ausgesprochen wurde. Es für das erkennende Gericht allerdings absolut nicht erklärbar, weshalb er diese Todesdrohung bei seiner mündlichen Verhandlung mit keinem Wort erwähnt und auf die Frage, ob er konkret von den Milizen bedroht worden sei, lediglich allgemein vermeint, dass sein Schwager bei seiner Frau angerufen und die Familie aufgrund ihrer sunnitischen Glaubensausrichtung der IS-Mitgliedschaft bezichtigt habe und dies vom Schwager auch auf Facebook veröffentlich worden sei.

In diesem Zusammenhang wäre es dem Grunde nach auch naheliegend, die diesbezüglichen Facebook-Postings bzw. Nachrichten als Nachweis dieser relevanten Todesdrohung vorzulegen, zumal der Erstbeschwerdeführer vor dem erkennenden Gericht auch bestätigte, dass dies jeder auf Facebook lesen könne. Wenn der Erstbeschwerdeführer damit in der mündlichen Verhandlung konfrontiert wird und er lediglich vermeint, dass er nicht gewusst habe, dass das Gericht derartige Beweismittel werte, spricht es ebenfalls für die mangelnde Glaubhaftigkeit seines diesbezüglichen Vorbringens.

Aber aus den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin ergibt sich ein Widerspruch, der an der Glaubhaftigkeit der behaupteten Verfolgung durch schiitische Milizen zweifeln lässt. So wird im Beschwerdeschriftsatz vom 22.05.2017 darauf hingewiesen, dass die zweite – nach wie vor in Bagdad lebende – Schwester der Zweitbeschwerdeführerin ebenfalls mit einem Schiiten verheiratet und mittlerweile konvertiert sei und sie seither jeden Kontakt zu ihrer sunnitischen Familie abgebrochen war. Wenn die Zweitbeschwerdeführerin vor dem erkennenden Gericht diesbezüglich glaubhaft vorbringt, dass sie eben mit dieser Schwester nach wie vor in aufrechtem, beinahe monatlichen Kontakt stehe, steht dies diametral zu dem behaupteten Kontaktabbruch und wird in den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen der Versuch gesehen, die Verfolgungsproblematik aufgrund ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit zu erhärten.

Zum Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, wonach die Zweitbeschwerdeführerin offensichtlich einen sehr westlichen Lebensstil führe, sie deshalb ein potentielles Ziel für den IS darstelle und ihr deshalb eine Rückkehr nicht mehr möglich sei, wird in Anbetracht des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks nicht in Abrede gestellt, dass die Zweitbeschwerdeführerin einen westlichen Kleidungs- und Lebensstil pflegt. Durchaus ist sich das erkennende Gericht auch anhand der Länderinformationen und der EASO-Berichte um die wachsenden fundamentalistischen Tendenzen in Teilen der irakischen Gesellschaft und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten von Frauen, insbesondere strengerer Kleidervorschriften, Einschränkungen im Bereich der Freizügigkeit und der Teilnahme am öffentlichen Leben bewusst. Die Lage von Frauen im Irak ist allerdings nicht dergestalt, dass dorthin zurückkehrende Frauen mit einer liberaleren religiösen oder moralischen Einstellung schlechthin einer Verfolgungsgefahr aus religiösen oder sonstigen Gründen ausgesetzt wären. Hinzu kommt, dass die Zweitbeschwerdeführerin zudem keine exponierte Person ist. Aus ihren Angaben konnte keinerlei politischen Aktivitäten abgeleitet werden, sie war weder aktiv noch passiv im Widerstand gegen den IS tätig. Sie ist verheiratet und kümmerte sich im Irak zuletzt um die minderjährigen Kinder, sodass kein Risiko erkannt werden kann, dass sie im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Zielperson eines Anschlages aufgrund einer progressiven und weltoffenen Lebensart werden würde. Überhaupt ist in Anbetracht des persönlichen Profils der Zweitbeschwerdeführerin nicht davon auszugehen, dass sie im Rückkehrfall aufgrund ihrer Lebensweise in das Blickfeld extremistischer Gruppierun

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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