TE Bvwg Beschluss 2020/8/7 W270 2224265-1

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Veröffentlicht am 07.08.2020
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Entscheidungsdatum

07.08.2020

Norm

VwGG §25a Abs2 Z1
VwGG §30 Abs2

Spruch

W270 2224265-1/18E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. NEUBAUER in Vertretung des Richters Dr. GRASSL über den Antrag von XXXX der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.03.2020, W270 2224265-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, erhobenen außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen:

Der außerordentlichen Revision wird gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.


Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 31.03.2020, W270 2224265-1/10E, wies das Bundesverwaltungsgericht eine gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 18.09.2019 erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Gegen diese Entscheidung erhob die revisionswerbende Partei mit Schriftsatz vom 27.07.2020 eine außerordentliche Revision.

Zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung führte die revisionswerbende Partei Folgendes an:

„Im Hinblick auf die SARS-CoV-2-Pandemie ist eine unkontrollierte Verbreitung des Virus in Afghanistan unvermeidbar. Es gibt für einen Großteil der Bevölkerung keine Möglichkeit Schutzmaßnahmen zu ergreifen, zudem entsteht eine Eskalation der humanitären Not, mit medizinischer Versorgung kann nicht gerechnet werden. Im landesweiten Zentrum für Corona-PatientInnen stehen 4 Beatmungsgeräte zur Verfügung, während das Gesundheitsministerium damit rechnet, dass 700.000 Corona-PatientInnen im Krankenhaus behandelt werden müssen. Aufgrund des Seuchenstigmas besteht die Gefahr einen sozialen Ausschluss zu erleiden. Arbeit, Obdach und soziale Unterstützung zu verlieren ist auch ohne eine akute Erkrankung lebensbedrohlich.

Es besteht eine deutliche Stigmatisierung von RückkehrerInnen, die primär für Corona verantwortlich gemacht werden. Dies führt dazu, dass diese mit keinerlei Unterstützung zu rechnen haben. Dieses Stigma trifft nicht nur RückkehrerInnen aus dem Iran, sondern mittlerweile auf RückkehrerInnen aus Europa. Eine Selbstisolation ist nicht möglich.

Zu COVID-19:

Mit Stand 9.4.2020 wurden in Afghanistan 484 COVID-19 Fälle bestätigt (15 Tote, 32 Genesene). Für die relativ geringe Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle werden von afghanisches Seite Kapazitätsprobleme bei COVID-19 Verdachtsfällen eingeräumt, die nicht getestet werden können, was die relativ niedrige Anzahl bestätigter Fälle erklärt. Aller Voraussicht nach, wird COVID-19 Afghanistan aufgrund mehrerer Faktoren besonders hart treffen: einerseits die schlechte Gesundheit, unter der viele Afghanen auch zu normalen Zeiten leiden – ansteckende Krankheiten wie Typhus oder Tuberkulose sind virulent; die Kinder- und Müttersterblichkeit ist eine der höchsten der Welt; auch sind viele Kinder in den Provinzen unterernährt, was sie anfällig für Infekte macht. Nach jahrzehntelangem Krieg gibt es Hunderttausende, die durch Verletzungen dauerhafte Schäden davongetragen haben. Unter Berufung auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO), prognostiziert das afghanische Gesundheitsministerium: 16 Millionen von mehr als 30 Millionen Einwohnern könnten an COVID-19 erkranken. Im schlimmsten Fall müssten 700.000 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden; 220.000 davon müssten möglicherweise auf Intensivstationen behandelt werden – von diesen könnten 110.000 Menschen an den Folgen von COVID-19 sterben. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. In der Provinz Herat, die die höchste Anzahl an bestätigten COVID-19-Fällen zu verzeichnen hat, wird die Zahl der Beatmungsgeräte auf nur 12 Stück geschätzt. Einer weiteren Quelle zufolge stehen in Herat sogar nur 10 dieser Beatmungsgeräte zur Verfügung.

In der an den Iran angrenzenden Provinz Herat hat sich die Anzahl positiver Fälle des COVID-19 unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dieses Vorbringen und erklärte dies mit langwierigen Beschaffungsprozessen. Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert.

Nach dem Tod eines Arztes aus dem „Amiri Medical Complex“ in Kabul aufgrund von COVID-19, wurde die Klinik geschlossen. Neben diesem Arzt wurde eine Reihe von Angestellten desselben Krankenhauses positiv auf COVID-19 getestet. Auch in einem anderen Krankenhaus in Kabul „Rabia Balkhi Maternity Hospital“ hat sich ein Arzt mit COVID-19 angesteckt; 15 weitere Beschäftigte befinden sich in Quarantäne.

Am 7.4.2020 wurde in Kandahar ein weiteres Labor eröffnet, um Verdachtsfälle des COVID-19 zu testen. In diesem Labor sollen täglich bis zu 100 Verdachtsfälle innerhalb von 24 Stunden getestet werden. Außerdem sollen auch Verdachtsfälle aus den angrenzenden Provinzen Helmand, Uruzgan und Zabul in dieser Einrichtung getestet werden.

In den letzten Tagen wurde im Westen Kabuls, nach Herat, die höchste Anzahl COVID-19-Infizierter verzeichnet. Sowohl in Kabul als auch in der nah der iranischen Grenze gelegenen Stadt Herat gelten inzwischen Ausgangssperren, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. In der Stadt Kabul dürfen sich nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler-Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen.

Situation in den Grenzregionen und Rückkehrern aus dem Iran und Pakistan. Die afghanischen Behörden kämpfen um die Kontrolle über diese beispiellosen Rückkehrbewegungen an den seit jeher durchlässigen und oft chaotischen Grenzübergängen (zu den beiden Ländern Pakistan und Iran) zu gewinnen. (Kurzinformation der Staatendokumentation COVID-19 Afghanistan; Stand: 9.4.2020)

Während seines Aufenthalts in Österreich hat sich der RW keine Verstöße gegen die Rechtsordnung zuschulden kommen lassen. Es besteht zwar ein öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, allerdings überwiegt in Anbetracht der dem RW in Afghanistan drohenden gravierenden Grundrechtseingriffen ausnahmsweise dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich. Es liegen keine dringenden öffentlichen Interessen oder Interessen Dritter am Vollzug des Erkenntnisses vor.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedarf nur dann einer Begründung, wenn durch sie Interessen anderer Parteien berührt werden.

Gemäß § 30a Abs. 3 VwGG hat das Verwaltungsgericht über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzüglich mit Beschluss zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht ist sowohl bei einer ordentlichen Revision als auch im Fall einer außerordentlichen Revision bis zur Vorlage der Revision an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über einen Antrag auf aufschiebende Wirkung der Revision zuständig und zur Entscheidung verpflichtet (zuletzt VwGH 05.11.2019, Ra 2019/20/0470, Rz. 11, m.w.N.).

Die belangte Behörde hat zu dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung innerhalb der gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben.

Gegenständlich ist kein zwingendes öffentliches Interesse erkennbar, das der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision entgegenstünde.

Nun beeinträchtigt der Revisionswerber durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zweifellos das (große) öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens (vgl. etwa VwGH 30.05.2019, Ra 2019/22/0104, m.w.N.). Er hat in seinem Antrag auch keine Nachteile dargelegt, die mit dem sofortigen Vollzug des Abschiebetitels verbunden wären. Bei Abwägung der gegenläufigen Interessen miteinander ist fallbezogen für den Revisionswerber jedoch schon im Hinblick auf die angeordnete Außerlandesbringung mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden (dazu etwa VwGH 18.01.2019, Ra 2018/14/0325, m.w.N. und VwGH 11.10.2019, Ra 2019/01/0368).

Dem Antrag ist daher gemäß § 30 Abs. 2 VwGG stattzugeben.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung außerordentliche Revision

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W270.2224265.1.02

Im RIS seit

11.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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