Entscheidungsdatum
10.08.2020Norm
AsylG 2005 §8 Abs4Spruch
W240 1418587-2/10E
Schriftliche Ausfertigung des am 22.05.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX , StA: Afghanistan, gegen die Spruchpunkte I. bis III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2020, Zl. 800446108-161405408, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 1 Z 1 2. Fall AsylG 2005 stattgegeben und werden die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und wird aufgrund des Antrags von 17.04.2019 die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter um zwei weitere Jahre gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 23.05.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamts vom 23.03.2011, Zahl 1004.461-BAS, abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung nach Afghanistan erlassen. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.05.2014 wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des BFA vom 23.03.2011 gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, (AsylG) abgewiesen. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde jedoch stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt sowie gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.05.2015 erteilt.
Begründend wurde darin angeführt, dass der Beschwerdeführer aus der XXXX stamme. Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer verheiratet sei und keine Kinder habe. Seine Mutter, seine Geschwister und seine Ehefrau würden sich nach wie vor in der Heimat aufhalten. Den herangezogenen Länderberichten lasse sich entnehmen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen als prekär einzustufen sei. Den vorliegenden Länderfeststellungen lasse sich zudem nicht entnehmen, dass die Erreichbarkeit des Heimatortes des Beschwerdeführers mit ausreichender Sicherheit gegeben wäre. Trotz familiärer Anknüpfungspunkte in seiner Heimatprovinz ist es dem Beschwerdeführer sohin nicht zumutbar, dorthin zurückzukehren. Als interne Fluchtalternative könnte allenfalls Kabul in Betracht kommen. Existenzmöglichkeiten am Ausweichort seien aber von den persönlichen Umständen des Betroffenen und der jeweils aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage abhängig. Eine Rückkehr kommt sohin nur dann in Betracht, wenn der Beschwerdeführer in der Lage wäre, sich sofort und aus eigenen Mitteln oder auf Grund von bestehendem Familienanschluss in einem hinreichend sicheren Ort ein sicheres Rückzugsgebiet vor allem für die Nacht zu schaffen. Zumal der Beschwerdeführer in Kabul weder über ein familiäres noch über ein soziales Netzwerk verfüge, wäre er im Falle einer Rückkehr vorerst auf sich alleine gestellt und jedenfalls gezwungen, sich einen Wohnraum zu suchen, ohne jedoch ausreichende Kenntnisse über die infrastrukturellen Gegebenheiten zu haben. Es ist notorisch bekannt, dass sich die Versorgung mit Wohnraum, aber auch mit Nahrungsmitteln insbesondere für alleinstehende Rückkehrer meist sehr schwierig darstelle und nur unzureichend möglich sei. Eine staatliche Unterstützung sei zudem anhand der derzeitigen politischen Lage in Afghanistan unwahrscheinlich. Aufgrund der ausgewiesenen unsicheren Sicherheitslage in puncto sicherer Erreichbarkeit des Heimatortes und da auch eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht ersichtlich sei, sei es dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten, in seine Heimat zurückzukehren.
Der Beschwerdeführer war bereits vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus durch österreichische Gerichte zwei Mal verurteilt worden, nämlich im XXXX 2012 und im XXXX 2014. Danach war der Beschwerdeführer nicht mehr in Österreich verurteilt worden.
Seine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde zuletzt mit Bescheid vom 15.05.2017 bis zum 26.05.2019 verlängert.
Am 17.04.2019 beantragten der Beschwerdeführer letztmalig eine Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter. Dieser Antrag wurde zum Anlass genommen, um zu prüfen, ob die seinerzeitigen Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten noch aufrecht seien und wurde der Beschwerdeführer vom BFA am 24.05.2019 und am 24.06.2019 niederschriftlich einvernommen.
Mit dem Bescheid vom 02.03.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 17.04.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (I.). Der dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 26.05.2014, Zahl W106 1418587-1/27E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005 von Amts wegen aberkannt (II.). Die mit Bescheid des BFA vom 26.05.2014, Zahl: 8004461081739390, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen (III.). Es wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (IV.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG wurde gemäß § 9 Absatz 2 und 3 BFA-VG wurde auf Dauer für unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 58 Absatz 2 und 3 AsylG iVm § 55 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung plus gemäß § 55 Absatz 1 AsylG erteilt (V.).
Dagegen wurde nunmehr Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. des Bescheides des BFA vom 02.03.2020, Zl. 800446108-161405408, erhoben.
Das BFA begründete die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus im Bescheid vom 02.03.2020 im Wesentlichen damit, dass dem Beschwerdeführer vom BVwG am 26.05.2014 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei. Die Gründe für die Zuerkennung seien laut BFA die instabile Sicherheitslage und der Mangel an familiären Anknüpfpunkten im Herkunftsstaat gewesen. Das BVwG habe nicht ausschließen können, dass der Beschwerdeführer einer realen Gefahr im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK sowie der bezüglichen Zusatzprotokolle ausgesetzt sein könnte und habe es für gerechtfertigt gehalten, dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte wurde letztmalig mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2017, Zahl 800446108 – 1739390 bis zum 26.05.2019 verlängert. Der Beschwerdeführer habe am 17.04.2019 den letzten Antrag auf abermalige Verlängerung gestellt, welche mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA abgewiesen werde, da die Gründe für eine weitere Zuerkennung nicht mehr vorliegen. Der Beschwerdeführer habe bei der Einvernahme am 24.05.2019 angegeben, dass er gesund wäre. Somit habe festgestellt werden können, dass keinerlei medizinische Rückkehrhindernisse vorliegen würden. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts am 26.05.2014 seien Länderinformationen mit Stand 28.01.2014 Grundlage der Entscheidung gewesen, nunmehr seien die Länderinformationen mit Stand 13.11.2019 Grundlage dieser Entscheidung.
Fest stehe, dass dem Beschwerdeführer im Jahre 2014 der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der damaligen Sicherheitslage und Nichtzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zuerkannt worden sei. Seine Heimatprovinz XXXX komme nach wie vor aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht für eine Rückkehr in Frage, weshalb weitere Provinzen gem. § 11 AsylG geprüft würden. Jene Provinzen, welche für eine Rückkehr in Frage kommen würden, seien die Provinzen Balkh und Herat. Diese würden im Fall des Beschwerdeführers eine „innerstaatliche Fluchtalternative“ darstellen. Unter Einbezug der aktuellen Länderinformationen, insbesondere der Sicherheitslage in den Provinzen Balkh und Herat wurde vom BFA festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gegenwärtig nicht mehr vorliegen würden. Aus diesen Gründen sei der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 17.04.2019 abzuweisen und der dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 26.05.2014 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen.
Dagegen wurde nunmehr Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. des Bescheides des BFA vom 02.03.2020, Zl. 800446108-161405408, somit gegen § 9 AsylG 2005 und § 9 Abs. 4 AsylG (Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie Enzug der befristeten Aufenthaltsberechtigung) und gegen § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (Abweisung des Antrages auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung), erhoben.
Am 22.05.2020 fand eine öffentlich mündliche Verhandlung vor dem BVwG statt. Nach Schluss der Verhandlung wurde die gegenständliche Entscheidung gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich samt den wesentlichen Entscheidungsgründen verkündet und die Rechtsmittelbelehrung erläutert.
Der ausgewiesene Vertreter des Beschwerdeführers gab in der Verhandlung folgende Stellungnahme ab [nicht korrigiert durch das BVwG]:
„(…)
RV: Die belangte Behörde stützt sich bei der Aberkennung des sub Schutzes im gegenständlichen Fall darauf, dass die Gründe, die 2014 zu Zuerkennung der Status des subsidiären geführt haben, nicht mehr vorliegen. Es wird gegenständlich vorgebracht, dass sich der maßgebliche Sachverhalt, seit Zuerkennung des Subsidiären Schutzes, aber insbesondere seit der letzten Veränderung vom 15.05.2017 unverändert ist. Der letzte Verlängerungszeitpunkt ist gemäß aktueller höchstgerichtlicher Judikatur ausschlaggebend. Die Herkunftsprovinz des BF XXXX ist nach wie vor sehr volatil. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul wurde im Jahr 2014 bereits durch das erkennende Gericht in Ermangelung eines familiären oder sozialen Netzes ausgeschlossen. Nach wie vor hat der BF kein soziales oder familiäres Netzwerk in Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde den grundliegenden Begründungsanforderungen in Aberkennungsbescheiden nicht entsprochen und hat nicht dargelegt, in wie fern sich der maßgebliche Sachverhalt konkret geändert habe und in wie fern diese Änderungen dazu führen würden, dass die Voraussetzung für die Schutzzuerkennung nicht mehr gegeben ist. Es wird verwiesen diesbezüglich auf VwGH vom 27.05.2019 Ra 2019/14/0153. Im gegenständlichen Fall stützt sich die belangte Behörde ausschließlich auf eine reine rechtliche Neubeurteilung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative trotz unveränderten rechtskräftig entschiedenen Sachverhalt. Dies ist jedenfalls unzulässig. Diesbezüglich wird verwiesen auf VfGH vom 24.09.2019 E2330/2019, in welcher klargestellt wurde, dass eine Anwendung des § 9 Abs. 1 Z 1 2. Fall AsylG auf jene Fälle beschränkt ist, in denen sich die Umstände maßgeblich geändert haben, lediglich eine andere rechtliche Beurteilung oder Würdigung eines in wesentlichen unveränderten Sachverhaltes vermag die Aberkennung eines rechtskräftig zuerkannten subsidiären Schutzes somit nicht zu rechtfertigen. Schließlich wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass sich aus einheitlicher Rechtsprechung der Höchstgerichte ergibt, dass das Tatsbestandsmerkmal des Akteurs keinen Teil des Prüfumfanges des § 8 AsylG bildet.
(…)“
Die beschwerdeführende Partei verzichtete nach Rücksprache mit ihrem ausgewiesenen Vertreter ausdrücklich auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.
Das BFA beantragte nach Übermittlung des Verhandlungsprotokolls mit Schreiben vom 27.05.2020 die schriftliche Ausfertigung des am 22.05.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinem Leben in Österreich:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Usbeken an, ist sunnitischer Moslem und ist mit einer afghanischen Staatsangehörigen verheiratet.
Der Beschwerdeführer stammt aus der XXXX , wo zumindest seine Ehefrau und seine Mutter noch immer wohnen. Kinder hat der Beschwerdeführer keine. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Ehefrau und zu seiner Mutter. Es befinden sich noch weitere Verwandte des Beschwerdeführers in Afghanistan, jedoch verfügt er über kein soziales oder familiäres Netzwerk in Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat.
Der Beschwerdeführer lebte bis zu seiner Ausreise immer im selben Ort in Afghanistan, nach seiner Ausreise hielt er sich etwa ein Jahr im Iran auf und arbeitete als Tageslöhner, bevor er weiter nach Österreich reiste.
In Afghanistan besuchte der Beschwerdeführer etwa sechs Jahre lang die Schule, hat keine Berufsausbildung und zuletzt in seinem Heimatdorf einen eigenen Lebensmittelhandel betrieben.
Seine Muttersprache ist Usbekisch, er spricht Farsi/Dari, kann etwas Türkisch und versteht Deutsch.
Der Beschwerdeführer bezieht Arbeitslosengeld und arbeitet nebenbei als geringfügig beschäftigter Arbeiter in Österreich. Er hat keine Familie oder Verwandte in Österreich. Der Beschwerdeführer wohnt mit einem XXXX .
Der Beschwerdeführer wurde im XXXX 2012 sowie im XXXX 2014 in Österreich zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt.
Mit Erkenntnis des BvwG vom 26.05.2014 Zl. W106 1418587-1, somit nach den strafrechtlichen Verurteilungen, wurde dem Beschwerdeführer in Österreich subsidiärer Schutz zuerkannt.
Seine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde zuletzt mit Bescheid vom 15.05.2017 bis zum 26.05.2019 verlängert.
Mit dem nunmehr - hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. - angefochtenen Bescheid vom 02.03.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 17.04.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (I.). Der dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 26.05.2014, Zahl W106 1418587-1/27E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005 von Amts wegen aberkannt (II.). Die mit Bescheid des BFA vom 26.05.2014, Zahl: 8004461081739390, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen (III.). Es wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (IV.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG wurde gemäß § 9 Absatz 2 und 3 BFA-VG wurde auf Dauer für unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 58 Absatz 2 und 3 AsylG iVm § 55 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung plus gemäß § 55 Absatz 1 AsylG erteilt (V.).
Es hat sich daher weder eine nachhaltige und wesentliche Änderung der entscheidungsrelevanten Situation in Afghanistan noch eine grundlegende Änderung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ergeben. Eine solche wurde von der belangten Behörde auch nicht dargetan.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat Afghanistan:
Politische Lage
Letzte Änderung: 18.5.2020
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).
Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).
Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).
Das Abkommen mit den US-Amerikanern
Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019
• AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (15.4.2019): Afghanistan: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/afghanistan-node/-/204718, Zugriff 7.6.2019
• AAN – Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan’s 2018 Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga, https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/, Zugriff 7.6.2019
• AAN – Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan‘s Paradoxical Political Party System: A new AAN report, https://www.afghanistan-analysts.org/publication/aan-papers/outside-inside-afghanistans-paradoxical-political-party-system-2001-16/, Zugriff 11.6.2019
• AAN – Afghanistan Analysts Network (13.2.2015): The President‘s CEO Decree: Managing rather thean executive powers (now with full translation of the document), https://www.afghanistan-analysts.org/the-presidents-ceo-decree-managing-rather-then-executive-powers/, Zugriff 7.6.2019
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• NZZ – Neue Züricher Zeitung (20.4.2020): Taliban töten erneut fast 20 Soldaten aus regierungstreuen Kreisen – die neusten Entwicklungen nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens in Afghanistan, https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-neuesten-entwicklungen-im-friedensprozess-ld.1541939#subtitle-2-was-steht-in-dem-abkommen-second, Zugriff 20.4.2020
• RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (20.10.2019): Afghan Presidential Election Results Announcement Delayed, https://www.rferl.org/a/afghanistan-presidential-election-results-delayed/30225843.html, Zugriff 27.10.2019
• RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (29.5.2019): Afghanistan Postpones Two Local Elections, https://www.rferl.org/a/afghanistan-postpones-two-local-elections/29970772.html, Zugriff 7.6.2019
• RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (6.12.2018): Afghan Commission Invalidates All Kabul Votes In October Parliamentary Election, https://www.rferl.org/a/afghan-commission-invalidates-all-kabul-votes-in-october-parliamentary-election/29640679.html, Zugriff 7.6.2019
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• TN - Tolonews (19.5.2019): IEC Finalizes Presidential Elections Timeline, https://www.tolonews.com/elections-2019/iec-finalizes-presidential-elections-timeline, Zugriff 7.6.2019
• TN - Tolonews (12.12.2018): IEC Resumes Recounting Of Kabul Votes Under New Method, https://www.tolonews.com/index.php/elections-2018/iec-resumes-recounting-kabul-votes-under-new-method, Zugriff 7.6.2019USDOS – United States Department of State (29.2.2020): Agreement for Bringing Peace to Afghanistan between the Islamic Emirate of Afghanistan which is not recognized by the United States as a state and is known as the Taliban and the United States of America, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/Agreement-For-Bringing-Peace-to-Afghanistan-02.29.20.pdf, Zugriff 20.4.2020
• USDOS – United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html, Zugriff 7.6.2019
• USDOS – United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report for 2017 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436774.html, Zugriff 11.6.2019
• USIP – United States Institute of Peace (11.2013): Special Report 338: 2014 Presidential and Provincial Council Elections in Afghanistan, https://www.usip.org/sites/default/files/SR338-2014%20Presidential%20and%20Provincial%20Council%20Elections%20in%20Afghanistan.pdf, Zugriff 19.6.2019
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 22.4.2020
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).
Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).
Die Sicherheitslage im Jahr 2019
Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).
Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).
Zivile Opfer
Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).
Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).
(UNAMA 2.2020)
Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).
High-Profile Angriffe (HPAs)
Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).
Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).
Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).
Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten
Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).
Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):
Taliban
Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).
Haqqani-Netzwerk
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).
Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).
Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)
Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).
Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).
49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).
Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).
Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).
Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen
Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).
Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).
Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).
Quellen:
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