TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/14 G314 2219494-1

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Veröffentlicht am 14.08.2020
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Entscheidungsdatum

14.08.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2

Spruch

G314 2219494-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der tschechischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .04.2019, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: „Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.“

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) wurde mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) leitete im März 2019 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein, nachdem es über die Verurteilung informiert worden war, und forderte die BF mit Schreiben vom 20.03.2019 auf, sich zur deshalb beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Sie kam dieser Aufforderung mit einer schriftlichen Stellungnahme nach.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung und ihrer tristen finanziellen Lage begründet. Die von der BF gesetzten Handlungen seien unter § 67 Abs 1 und Abs 2 FPG zu subsumieren. Sie habe keine Obsorge- und Unterhaltspflichten im Bundesgebiet; ihr Familien- und Privatleben stünde dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit dem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, mit der die BF primär die Aufhebung des angefochtenen Bescheids und die Rückverweisung der Angelegenheit an das BFA anstrebt. Hilfsweise werden Anträge auf Behebung des Aufenthaltsverbots und auf Reduzierung der Dauer gestellt. Begründet wird die Beschwerde zusammengefasst damit, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben und der Inhalt des Bescheids rechtswidrig sei. Die BF habe enge Kontakte zu ihrem Ehemann und dessen Kindern, obwohl aktuell kein gemeinsamer Haushalt bestehe. Sie spreche perfekt Deutsch, habe sich in den sieben Jahren ihres Aufenthalts in Österreich ein soziales Netzwerk aufgebaut und die Bindung zu ihrem Heimatstaat verloren. Sie habe vor, ihre Schulden begleichen, und werde von ihrem Arbeitgeber unterstützt. Aufgrund ihres vorbildlichen Verhaltens im elektronisch überwachten Hausarrest (EÜH) könne eine positive Zukunftsprognose erstellt werden. Ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot sei jedenfalls unverhältnismäßig. Die BF beantragt die Einvernahme ihres Ehemanns als Zeugen zum Beweis dafür, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbots Art 8 EMRK verletze.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Am 12.06.2020 legte die BF dem BVwG auftragsgemäß ergänzende Urkunden vor.

Feststellungen:

Die unter dem Familiennamen XXXX am XXXX in der tschechischen Stadt XXXX geborene BF ist tschechische Staatsangehörige. Sie besuchte in ihrer Heimat neun Jahre lang die Pflichtschule und danach eine vierjährige berufsbildende höhere Schule, die sie mit Matura abschloss. Ihre Mutter, zu der sie regelmäßig Kontakt hat, und ihre Geschwister leben nach wie vor in Tschechien. Die BF ist seit dem XXXX mit dem österreichischen Staatsbürger XXXX (geboren am XXXX ) verheiratet. Sie hat keine Kinder. Ihre Muttersprache ist Tschechisch; sie beherrscht aber auch die deutsche Sprache (ZMR-Auszug; Erkennungsdienstliche Evidenz AS 15 f; Strafurteil AS 73; Stellungnahme AS 97 f).

Die BF hält sich seit März 2012 kontinuierlich im Bundesgebiet auf. Am XXXX .07.2012 wurde ihr eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin ausgestellt (ZMR-Auszug, IZR-Auszug, Stellungnahme AS 97 f, Kopie der Anmeldebescheinigung AS 99). Sie ist gesund und arbeitsfähig. Ab Juni 2012 war sie in Österreich (mit Unterbrechungen) unselbständig erwerbstätig, teilweise geringfügig beschäftigt. Ab Juli 2014 bezog sie zwischendurch immer wieder Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Zuletzt war sie von XXXX .04.2018 bis XXXX .03.2020 als XXXX tätig, bezog danach bis XXXX .05.2020 Arbeitslosengeld und ist seit XXXX .05.2020 als XXXX vollzeitbeschäftigt. Im Einzelnen bestehen folgende Versicherungszeiten: vollversicherte Beschäftigungsverhältnisse als Arbeiterin bzw. Angestellte am XXXX .06.2012, von XXXX .06. bis XXXX .09.2012, von XXXX .09. bis XXXX .12.2012, von XXXX .02.2013 bis XXXX .07.2014, von XXXX .08. bis XXXX .08.2014, von XXXX .08.2014 bis XXXX .01.2015 (danach Krankengeldbezug am XXXX .01.2015), von XXXX .02. bis XXXX .03.2015 (danach Krankengeldbezug am XXXX . und XXXX .03.2015), von XXXX .05. bis XXXX .05.2015 (danach Krankengeldbezug von XXXX .05. bis XXXX .05.2015), von XXXX .09.2015 bis XXXX .09.2015 (danach Krankengeldbezug von XXXX .09. bis XXXX .09.2015), von XXXX .10. bis XXXX .11.2015, von XXXX .01. bis XXXX .01.2016, von XXXX .02. bis XXXX .02.2016, von XXXX .04. bis XXXX .07.2016 (danach Krankengeldbezug von XXXX .07. bis XXXX .08.2016), von XXXX .11.2016 bis XXXX .01.2017, von XXXX .04. bis XXXX .10.2017, von XXXX .11. bis XXXX .11.2017, von XXXX .11. bis XXXX .12.2017, von XXXX .03. bis XXXX .03.2018, am XXXX .03.2018, von XXXX .03. bis XXXX .04.2018, von XXXX .04.2018 bis XXXX .03.2020 und seit XXXX .05.2020; geringfügige Beschäftigung von XXXX .11.2015 bis XXXX .02.2016, am XXXX .09.2016, am XXXX .10.2016, am XXXX . und XXXX .11.2016, von XXXX .11. bis XXXX .11.2016, von XXXX .04. bis XXXX .05.2017, am XXXX .12.2017, von XXXX .01. bis XXXX .03.2018, von XXXX .03. bis XXXX .03.2018, am XXXX .03.2018, von XXXX .04. bis XXXX .06.2018, am XXXX .11.2018 und am XXXX .11.2018; Bezug von Arbeitslosengeld von XXXX .07. bis XXXX .08.2014, am XXXX . und XXXX .08.2014, von XXXX .01.2015 bis XXXX .02.2015, von XXXX .03. bis XXXX .05.2015, von XXXX .05. bis XXXX .08.2015, von XXXX .08. bis XXXX .09.2016, von XXXX .09.2016 bis XXXX .10.2016, von XXXX .10. bis XXXX .11.2016, von XXXX .01.2017 bis XXXX .04.2017, von XXXX .04.2017 bis XXXX .05.2017, von XXXX .12.2017 bis XXXX .03.2018, von XXXX .03. bis XXXX .03.2018, von XXXX .04. bis XXXX .04.2018 und von XXXX .04. bis XXXX .05.2020; Bezug von Notstandshilfe von XXXX .08. bis XXXX .09.2015, von XXXX .09. bis XXXX .09.2015, von XXXX .11.2015 bis XXXX .01.2016, von XXXX .01.2016 bis XXXX .02.2016 und von XXXX .02. bis XXXX .04.2016 (Versicherungsdatenauszug, Dienstvertrag in OZ 5).

Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde die BF wegen der Vergehen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs (§§ 146, 147 Abs 2 und 148 erster Fall StGB) und der Urkundenfälschung (§ 223 Abs 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 17 Monaten verurteilt, wobei ein zwölfmonatiger Strafteil unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dem Urteil lag zu Grunde, dass sie im Zeitraum Dezember 2014 bis November 2016 gewerbsmäßig und mit Bereicherungsvorsatz in wiederholten Angriffen durch Vortäuschung ihrer Rückzahlungsfähig- und -willigkeit drei Personen zur Gewährung von Darlehen über insgesamt EUR 219.000 verleitet hatte. Zusätzlich verwendete sie eine verfälschte Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, indem sie den ermittelnden Polizeibeamten eine Bestätigung vorlegte, auf der oberhalb der Unterschrift von einem ihrer Opfer nachträglich eingefügt worden war, dass sie ihm kein Geld mehr schulde. Die BF wurde auch zur Zahlung der Schadenssumme von EUR 219.000 an ihre Opfer verurteilt. Es handelt sich um ihre erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung. Bei der Strafbemessung wurden als mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel, als erschwerend dagegen der lange Deliktszeitraum, das mehrfache Überschreiten der Wertgrenze und das Zusammentreffen von zwei Vergehen gewertet. Der erhebliche Gesinnungsunwert der BF, deren Vorgehen von außerordentlicher Maßlosigkeit unter Ausnutzung der Gutgläubigkeit der Opfer gekennzeichnet war, wurde bei der Strafzumessung ebenfalls berücksichtigt (Strafurteil AS 71 ff; OGH-Beschluss AS 87 ff; Strafregisterauszug).

Mit Bescheid vom 18.04.2019 wurde der Antrag der BF auf Vollzug des unbedingten Strafteils in Form des EÜH bewilligt. Dieser begann am XXXX .05.2019 und verlief problemlos. Am XXXX .08.2019 wurde sie unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt entlassen (Strafregisterauszug; EÜH-Antrag AS 31 ff; EÜH-Bescheid AS 161 ff; Abschlussbericht in OZ 5). Seither wird sie im Rahmen der Bewährungshilfe betreut (Sozialbericht in OZ 5).

Seit XXXX .03.2019 wohnt die BF getrennt von ihrem Ehemann in einer Mietwohnung in XXXX . Sie hat nach wie regelmäßig Kontakt zu ihm und seinen beiden minderjährigen Kindern (Sozialbericht in OZ 5; ZMR-Auszug; Stellungnahme AS 98; Schreiben des Ehemanns der BF AS 219 sowie in OZ 5).

Gegen die BF sind mehrere Exekutionsverfahren (unter anderem zur Hereinbringung der Ansprüche ihrer Opfer) anhängig; zur Regulierung ihrer erheblichen Schulden strebt sie (mit Unterstützung der Schuldnerberatung) ein Insolvenzverfahren an (Auszüge aus dem Exekutionsregister AS 105 ff und in OZ 5; Sozialbericht in OZ 5).

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsaktes des BVwG.

Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, wobei sich die angegebenen Aktenseiten (AS) auf die Nummerierung der Verwaltungsakten beziehen. Die Feststellungen beruhen vorwiegend auf den von der BF vorgelegten Urkunden, ihren Angaben in den Stellungnahmen und in der Beschwerde sowie auf den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) sowie Strafregister und den Sozialversicherungsdaten.

Die Identität der BF (Name und Geburtsdatum), ihre Staatsangehörigkeit und ihr Familienstand ergeben sich aus den Angaben zu ihrer Person im Strafurteil sowie den entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen die Beschwerde nicht entgegentritt. Kenntnisse der tschechischen Sprache sind aufgrund ihrer Herkunft und der in Tschechien absolvierten Ausbildung naheliegend; Deutschkenntnisse sind ob des langjährigen Aufenthalts und der Erwerbstätigkeit in Österreich plausibel, zumal die Stellungnahme an das BFA offenbar von ihr selbst auf Deutsch verfasst wurde.

Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung 2012 ist im IZR dokumentiert; eine Kopie der Anmeldebescheinigung liegt vor.

Die Wohnsitzmeldungen der BF werden anhand des ZMR-Auszugs festgestellt. In Zusammenschau mit ihrer Stellungnahme, ihrer Erwerbstätigkeit im Inland und der Ausstellung der Anmeldebescheinigung ergibt sich, dass sie seit März 2012 durchgehend in Österreich niedergelassen ist. Ihre Integration wird auch durch die vorgelegten Unterstützungsschreiben ihres ehemaligen Arbeitgebers belegt.

Die Versicherungszeiten ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug. Der Dienstvertrag für ihre aktuelle Beschäftigung, die auch im Sozialbericht der Bewährungshilfe angesprochen wird, wurde vorgelegt.

Die Feststellungen zu den von der BF begangenen Straftaten, zu ihrer Verurteilung, den Strafbemessungsgründen und der bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe basieren auf dem Strafregister, dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX und dem Beschluss des OGH vom XXXX , XXXX . Die Bewilligung des EÜH ergibt sich aus dem vorliegenden Bescheid der Anstaltsleitung der Justizanstalt XXXX und dem Abschlussbericht vom XXXX .07.2019. Es sind keine Hinweise auf weitere strafgerichtliche Verurteilungen der BF in Österreich oder in anderen Staaten aktenkundig; dementsprechend wurde auch ihre Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt.

Die Konstatierungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der BF ergeben sich aus ihrem Alter, dem glaubhaften Besschwerdevorbringen und den damit korrespondierenden Sozialversicherungsdaten. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass aktuell schwerwiegende gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit bestehen.

Familiäre Anknüpfungspunkte der BF in Österreich können aufgrund ihrer Ehe mit XXXX festgestellt werden. Dieser hat glaubhaft und mit dem Beschwerdevorbringen übereinstimmend angegeben, dass die BF nach wie vor in Kontakt zu ihm und seinen beiden Kindern steht. Dies ist aufgrund der von ihm geschilderten beruflichen Situation nachvollziehbar, zumal keine Hinweise dafür vorliegen, dass einer der Ehegatten aktuell die Scheidung anstrebt. Die eheliche Lebensgemeinschaft ist daher trotz der derzeit bestehenden räumlichen Trennung als grundsätzlich aufrecht anzusehen. Weitere Sorgepflichten der BF werden weder von ihr behauptet noch lassen sie sich dem sonstigen Akteninhalt entnehmen.

Die Feststellungen zur finanziellen Situation der BF folgen den entsprechenden Konstatierungen im Strafurteil, den vorliegenden Auszügen aus dem Exekutionsregister und dem Sozialbericht der Bewährungshilfe, aus dem auch die Betreuung durch die Schuldnerberatung bei der Vorbereitung eines Schuldenregulierungsverfahrens hervorgeht.

Es sind keine Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung der BF in Österreich aktenkundig.

Rechtliche Beurteilung:

Es besteht kein Recht auf Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs 3 VwGVG (siehe VwGH 17.07.2019, Ra 2019/06/0111). Angesichts des in § 28 VwGVG normierten Vorrangs der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte (vgl. zuletzt VwGH 19.06.2020, Ra 2019/06/0060) kommt die von der Beschwerde primär angestrebte Aufhebung und Rückverweisung der Angelegenheit an das BFA nicht in Betracht, zumal die Voraussetzungen gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG (insbesondere das Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken) nicht erfüllt sind. Die Beschwerde ist daher im Sinne der Eventualanträge inhaltlich zu erledigen.

Als Staatsangehörige der Tschechischen Republik ist die BF EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG. Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen eine EWR-Bürgerin, die den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch ihren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Gemäß § 51 Abs 1 NAG sind EWR-Bürgerinnen auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmerin oder Selbständige sind (Z 1); für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen (Z 2), oder als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen (Z 3). Dieses unionsrechtliche Aufenthaltsrecht steht jedoch nicht bedingungslos zu. Es besteht insbesondere dann nicht, wenn eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd § 55 Abs 3 NAG vorliegt, was nach Art 27 der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG) dann der Fall ist, wenn das persönliche Verhalten der Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Eine solche Gefährdung steht auch dem Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts iSd § 53a NAG entgegen (siehe VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151, 30.08.2018, Ra 2018/21/0049 und 16.07.2020, Ra 2019/21/0247).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten der Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" der Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091). Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Die BF wurde wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs mit einer Schadenssumme von über EUR 200.000 und wegen einer zu dessen Vertuschung begangenen Urkundenfälschung letztlich zu einer 17-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei gemäß § 43a Abs 3 StGB ein zwölfmonatiger Strafteil für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Da es sich dabei um schwerwiegende, über einen Zeitraum von fast zwei Jahren gesetzte Vermögenskriminalität handelt und die BF ihre kriminelle Energie noch durch die Verwendung einer verfälschten Urkunde im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen untermauerte, ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG erfüllt. Aus der Bewilligung der Strafverbüßung in Form des EÜH lässt sich keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten ergebenden Gefährdung ableiten (vgl. VwGH 23.01.2020, Ra 2019/21/0373. Das persönliche Verhalten der BF stellt angesichts der fortgesetzten Ausnutzung ihrer Opfer zu Bereicherungszwecken eine Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) berührt. Für sie kann daher noch keine positive Zukunftsprognose erstellt werden, zumal der Gesinnungswandel einer Straftäterin grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange sie sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276). Hier reicht der seit der bedingen Entlassung der BF am XXXX .08.2019 verstrichene Zeitraum angesichts der über fast zwei Jahre hindurch gesetzten Betrugshandlungen und der beträchtlichen Schadenssumme noch nicht aus, um bereits einen Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der von ihr ausgehende Gefahr annehmen zu können, zumal der Wohlverhaltenszeitraum in Freiheit üblicherweise umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit manifestiert hat (vgl. VwGH 28.01.2016, Ra 2016/21/0013).

Der Erwerb des Daueraufenthaltsrechts gemäß § 53a NAG ist schon aufgrund des strafrechtlichen Fehlverhaltens der BF, das eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd § 55 Abs 3 NAG darstellt, zu verneinen, zumal die Betrugshandlungen ab Dezember 2014 (und damit schon im dritten Jahr ihres Aufenthalts in Österreich beginnend) gesetzt wurden.

Das Aufenthaltsverbot greift in das Privat- und Familienleben der BF ein, die sich seit März 2012 kontinuierlich im Bundesgebiet aufhält und mit einem Österreicher verheiratet ist. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit ihren gegenläufigen persönlichen Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung ergibt hier, dass der mit dem (verkürzten) Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben der BF verhältnismäßig ist. Aufgrund ihrer Straffälligkeit besteht ein erhebliches öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Das Gewicht ihres Familienlebens wird durch das Fehlen eines gemeinsamen Haushalts mit ihrem Ehemann relativiert. Die BF kann die Kontakte zu ihm und seinen Kindern ebenso wie zu in Österreich lebenden Freunden und Bekannten auch durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs pflegen. Sie ist zwar als am österreichischen Arbeitsmarkt integriert zu betrachten, es ist ihr aber auch zumutbar, eine Erwerbstätigkeit außerhalb Österreichs aufzunehmen, zumal hier vorwiegend kurze Beschäftigungsverhältnisse bestanden. Sie hat auch noch nach wie vor Bindungen zu ihrem Herkunftsstaat, zumal der Kontakt zu dort lebenden Mitgliedern ihrer Herkunftsfamilie aufrecht ist. Das Aufenthaltsverbot wurde somit trotz ihres positiven Vollzugsverhaltens und der nach der Entlassung erfolgreich begonnenen Resozialisierung dem Grunde nach zu Recht erlassen.

Da die BF zum ersten Mal strafgerichtlich verurteilt wurde, der Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft werden musste, und eine teilweise bedingte Strafnachsicht und eine vorzeitige bedingte Entlassung möglich waren, ist (auch unter Berücksichtigung der offenen Probezeit) ein dreijähriges Aufenthaltsverbot ausreichend, um der von ihr ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung wirksam zu begegnen. Dadurch wird auch der erhöhten spezialpräventiven Wirkung des Erstvollzugs sowie ihren privaten und familiären Interessen an einem Aufenthalt im Bundesgebiet Rechnung getragen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher in diesem Sinn abzuändern.

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Nach dieser Bestimmung ist einem EWR-Bürger grundsätzlich ein einmonatiger Durchsetzungsaufschub zu gewähren, wovon nur ausnahmsweise Abstand genommen werden darf (VwGH 12.09.2013, 2013/21/0094). Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ist Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck von der BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal davon keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist. Da dem Vorbringen der BF zu ihrem Familienleben im Inland gefolgt wird, kann die zu diesem Beweisthema beantragte zeugenschaftliche Einvernahme ihres Ehemanns unterbleiben.

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Herabsetzung Milderungsgründe strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2219494.1.00

Im RIS seit

09.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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