TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/20 W153 2228115-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2020
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Entscheidungsdatum

20.08.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AVG §69 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W153 2228115-1/5E

W153 2228118-1/5E

W153 2228117-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX und 3.) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.12.2019, Zl. 1.) 1096041806-151827780, 2.) 1096041904-151827798, 3.) 1159393208-170803399, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und die angefochtenen Bescheide behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (BF1), afghanische Staatsangehörige, reiste gemeinsam mit ihrer Tochter, der Zweitbeschwerdeführerin (BF2), illegal in Österreich ein und stellte am 18.10.2015 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz für sich und die BF2.

Am 22.11.2015 fand die Erstbefragung statt. Die BF1 gab an, verheiratet und Zweitfrau zu sein. Sie gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und der Religionsgemeinschaft der Sunniten an und spreche Dari. Sie habe keine Schule besucht, keine Ausbildung und sei Analphabetin. Ihr Ehemann lebe in Großbritannien und sorge für ihren Unterhalt. Ihr Ehemann sei der Vater der BF2. Ihr Zielland sei Großbritannien, da ihr Ehemann dort lebe. Zu ihren Fluchtgründen befragt gab sie an, dass die Lage in Afghanistan sehr schlecht sei. Sie sei mit ihrem Kind alleine gewesen. Sie habe vor vier Jahren geheiratet. Als sie sich auf die Reise begeben habe, habe ihr Ehemann gesagt, sie solle in Österreich um Asyl ansuchen, da er in Großbritannien ein Einkommen in der Höhe von 18.000,- Euro nachweisen müsse. Der Rechtsanwalt ihres Ehemannes habe gemeint, die BF1 könne nicht legal nach Großbritannien einreisen, da sie die Zweitfrau sei. Ihr Ehemann sei körperlich behindert und könne nicht arbeiten. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen befragt führte die BF1 aus, es kümmere sich niemand um sie und es könne sie niemand beschützen. Sie legte eine Heiratsurkunde vor.

Nach Zulassung des Verfahrens wurde die BF1 am 06.06.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Sie gab an, sie sei nicht die Zweitfrau, sondern die zweite Frau ihres Ehemannes. Sie sei von einem Mullah öfters bedroht worden, da ihr Mann in London lebe. Sie und die BF2 seien als Ungläubige bezeichnet und bedroht worden. Ihr Ehemann habe die britische Staatsbürgerschaft. Er sei der leibliche Vater der BF2, welche in Kabul geboren worden sei. Der Vater der BF1 sei beim Militär tätig gewesen, ihre Mutter habe als Sekretärin gearbeitet. Sie selbst habe keine Schule besucht und sei Analphabetin. Die BF2 habe keine eigenen Fluchtgründe. Die BF1 legte eine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde der BF2, ihre Tazkira und ein Schreiben ihres Ehemannes vor. Darin wurde ausgeführt, dass er die BF1 nach islamischen Ritus geheiratet habe und sie finanziell unterstützt habe. Er sei aufgrund einer Operation nicht mehr arbeitsfähig und beziehe Sozialhilfe in Großbritannien.

Mit Aktenvermerk vom 03.06.2017 betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an die BF1 hielt das BFA fest, dass die BF1 aufgrund ihrer besonderen sozialen Stellung (alleinstehende Frau mit Kind, ohne männlichen Schutz in Afghanistan) nicht in ihren Herkunftsstaat zurückkehren könne und ihr als alleinstehende Frau in Afghanistan Gefahr für Leib und Leben drohe. Es sei eine „Verwestlichung“ der BF1, nicht nur in der Kleidung, deutlich erkennbar gewesen. Es liege ein Verfolgungsrisiko der BF1 in ihrer politischen Gesinnung als einer überwiegend am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten Frau vor.

Am 09.06.2017 erstatteten die BF eine Stellungnahme.

Die Drittbeschwerdeführerin (BF3) wurde am XXXX in Österreich geboren.

Mit Bescheid vom 03.07.2017 gab das BFA dem Antrag der BF1 gemäß § 3 AsylG statt und erkannte der BF1 den Status des Asylberechtigten zu. Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Heimatland ihr Fluchtvorbringen als glaubhaft gewertet wurde.

Ebenfalls mit Bescheid vom 03.07.2017 wurde der BF2 gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status des Asylberechtigten, abgeleitet von der BF1, zuerkannt.

Die BF1 stellte für die BF3 am 10.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Aus der vorgelegten Geburtsurkunde geht die BF1 als Mutter und deren Ehemann als Vater hervor.

Mit Bescheid des BFA vom 11.07.2017 wurde der BF3 gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status des Asylberechtigten, abgeleitet von der BF1, zuerkannt.

Am 23.07.2019 wurde die BF1 erneut vom BFA einvernommen. Sie wurde über mögliche Aberkennungs-/Wiederaufnahmegründe informiert (mögliche Falschangaben im Asylverfahren, Abklärung Nationalität/Identität und weitere Tatbestände). Befragt, warum sie nicht nach Großbritannien gegangen sei, gab sie an, dass sie es versucht habe, aber es habe nicht geklappt. Sie habe kein Visum bekommen, da sie nicht ausreichend Englisch spreche. Der Rechtsanwalt ihres Mannes habe gemeint, die BF1 solle in Österreich Englisch lernen, danach könne sie ein Visum bekommen. Sie lerne derzeit nicht Englisch, da sie nicht Deutsch und Englisch gleichzeitig lernen könne. Auf die Frage weshalb die BF2 und BF3 nicht die britische Staatsbürgerschaft hätten, führte sie aus, dass die BF3 in Österreich geboren worden sei und man ihr im Krankenhaus gesagt hätte, dass sie automatisch die britische Staatsbürgerschaft bekomme. Die BF1 habe aber ihre Tochter auf ihre Fluchtgründe hier in Österreich beziehen wollen. Ihr Mann versuche sie nach Großbritannien zu holen; sollte das nicht funktionieren, könnten sie in Österreich bleiben. Ihr Mann sei seit zehn Jahren von der Erstfrau geschieden und habe zwei weitere Töchter. Die Ex-Frau lebe in England. Im Zeitpunkt der Hochzeit sei ihr Ehemann bereits geschieden gewesen. Sie werde diesbezügliche Scheidungsunterlagen vorlegen. Die BF1 legte Integrationsunterlagen vor.

Am 25.07.2019 stellte das BFA eine Anfrage an die Staatendokumentation betreffend den Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft, welche am 30.08.2019 beantwortet wurde.

Die BF1 wurde am 02.10.2019 erneut durch das BFA einvernommen. Die BF gab an, ihr Ehemann und Vater der BF2 und der BF3 komme ein bis zwei Mal im Jahr nach Österreich. Er beziehe in Großbritannien keine Geldleistungen für die Kinder. Der BF1 wurde durch das BFA vorgehalten, dass laut Recherche die Kinder britische Staatsangehörige sein müssten. Auf die Frage, ob die BF1 und ihr Mann nicht vorab geklärt hätten, welche Staatsangehörigkeit die Kinder haben sollten, führte die BF1 aus, dass die BF2 und die BF3 in Österreich einen Konventionsreisepass hätten. Es seien ihre Töchter, sie wolle sie hier haben. Sie beziehe Sozialleistungen für ihre Kinder. Auf die Frage, ob ihrem Ehemann bewusst gewesen sei, dass die Kinder britische Staatsangehörige sein müssten, gab die BF1 an, dass sie versucht hätten, nach Großbritannien zu gehen. Wegen der fehlenden Sprachkenntnisse habe das nicht funktioniert und sie würden kein Visum bekommen. Sie lerne derzeit nicht Englisch. Sie sei aus Afghanistan wegen des IS und den Taliban geflüchtet. Sie könne sich ein Leben für ihre Kinder in Afghanistan nicht vorstellen. Es gebe keine Sicherheit dort. Die BF1 legte eine Bestätigung über die Scheidung der ersten Ehe ihres Mannes am 05.06.2002, ausgestellt vom „Islamic Integration Community Centre“ in Großbritannien am 22.02.2019, vor.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 27.12.2019 wurden die mit Bescheiden vom 03.07.2017 und 11.07.2017 rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren der BF gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG wiederaufgenommen (Spruchpunkt I.). Der Antrag der BF auf internationalen Schutz vom 18.10.2015 bzw. 10.07.2017 wurde sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt V.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VII.).

Das BFA stellte fest, dass die BF1 in ihrem Asylverfahren durch wissentlich falsche Angaben dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des BFA einen für die Asylgewährung maßgeblichen Sachverhalt in der Absicht vorgetäuscht habe, diesen Status zur erlangen, sich diesen somit erschlichen habe. Die Angaben der BF1 in der Einvernahme vor dem BFA am 06.06.2017 zu ihren Fluchtgründen seien nicht stichhaltig. In der Erstbefragung habe die BF1 angegeben, dass sie die Zweitfrau ihres Mannes sei und dies ebenfalls ein Grund sei, weshalb sie nicht nach Großbritannien reisen dürfe. Sie habe in der Folgeeinvernahme ihre Angaben dahingehend korrigiert, dass sie nicht die Zweitfrau sondern die zweite Frau ihres Mannes sei. Ihr Mann sei seit Jahren geschieden. In der Einvernahme vor dem BFA habe die BF1 behauptet, nicht nach England weiterreisen zu können, da sie die englische Sprache nicht beherrsche. Die BF1 habe die englische Sprache jedoch nicht erlernt. Zudem habe sie angegeben, dass ihr Leben in Afghanistan gut gewesen und der Ehemann hin und wieder zu Besuch gekommen sei. In der Einvernahme am 23.07.2019 habe die BF1 angegeben, dass die BF2 und die BF3 afghanische Staatsangehörige seien. In einem ZMR-Auszug vom 27.06.2019 gehe als Staatsangehörigkeit einer Tochter das Vereinigte Königreich hervor; in späteren ZMR-Auszügen gelte die Staatsangehörigkeit als ungeklärt. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.08.2019 zur Staatsbürgerschaft der Kinder gehe hervor, dass wer außerhalb der Vereinigten Königreiches geboren werde, britischer Staatsangehöriger sei, wenn zur Zeit seiner Geburt ein Elternteil britischer Staatsangehöriger aus anderen Gründen als durch Abstammung sei. Auf Basis dieser Anfragebeantwortung sei daher davon auszugehen, dass die BF2 und die BF3 britische Staatsangehörige sein müssen. Die BF1 sei am 02.10.2019 damit konfrontiert worden und habe angegeben, dass ihre Kinder hier Konventionsreisepässe hätten und sie ihre Kinder hier haben wolle. Es werde daher konstatiert, dass die BF1 in Bezug auf die Staatsangehörigkeit der BF2 und BF3 falsche Angaben beim Konventionsreisepass sowie zum Bezug von Sozialleistungen gemacht habe. Sie beziehe für die BF2 und BF3 Familienbeihilfe und erhalte den Kinderabsetzbetrag. Das BFA gehe daher von einer Täuschung der Behörden aus, wodurch das Verfahren wiederaufzunehmen gewesen sei. Die BF1 sei in ihrem Herkunftsstaat keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Sie habe das BFA betreffend die wahren Hintergründe für ihre Einreise in das Bundesgebiet und den vorgebrachten Fluchtgrund vorsätzlich getäuscht. Da betreffend die BF2 und BF3 keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien und das Verfahren der BF1 wiederaufzunehmen gewesen sei, sei auch betreffend die BF2 und die BF3 eine Wiederaufnahme einzuleiten gewesen. Es drohe den BF keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Sie könnten nach Afghanistan zurückkehren. Die BF würden in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben verfügen, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

Gegen diesen Bescheid erhoben die BF im Wege ihrer ausgewiesenen Vertretung am 24.01.2020 Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragten (unter anderem) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Begründend wurde nach Darstellung des wesentlichen Sachverhalts zusammengefasst ausgeführt, dass sich die Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid nur am Rande mit den konkreten Fluchtvorbingen der BF befassen würden. Die BF1 sei als alleinstehende, westlich orientierte Frau mit zwei Kindern ohne Ehemann in Afghanistan mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblichen Eingriffen ausgeliefert und hätte unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Suche nach Arbeit und Kinderbetreuung und dadurch könne sie ihr wirtschaftliches Überleben nicht aus eigener Kraft sichern. Auch seien die BF in Kabul dem Risiko ausgesetzt, zufällig Opfer eines Anschlages zu werden. Es stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Es liege eine mangelhafte Beweiswürdigung vor. Das BFA habe im Wesentlichen nur die Angaben der BF1 aus den verschiedenen Einvernahmen wiedergegeben. Die Angaben seien im ursprünglichen Verfahren als glaubwürdig beurteilt und der Entscheidung zu Grunde gelegt worden. Es sei nicht ersichtlich, weshalb das BFA nunmehr von dieser Einschätzung abgehe. Betreffend die von der BF1 vorgebrachte afghanische Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 wurde ausgeführt, dass die BF1 keine Kenntnisse vom Staatsbürgerschaftsrecht habe und davon ausgegangen sei, dass ihre Kinder ebenfalls afghanische Staatsangehörige seien. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern es für das Verfahren von Relevanz sei, welche Soziallleistungen von den BF bezogen werden würden. Es könne dem Bescheid nicht entnommen werden, mit welchen Angaben die BF1 das BFA vorsätzlich in die Irre geführt haben soll und sei nicht ersichtlich, weshalb der BF1 nunmehr die Glaubwürdigkeit abgesprochen werde. Betreffend die Hintergründe für die Einreise in das Bundesgebiet wurde ausgeführt, dass diese keine Auswirkungen über die Entscheidung über internationalen Schutz hätten. Ob die BF1 über ihre Motivation für die Einreise in Österreich getäuscht habe, sei für die Entscheidung unerheblich. Es liege keine vorsätzliche Täuschung vor. Darüber hinaus widerspreche sich das BFA wenn es von der britischen Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 ausgehe, diese jedoch im Kopf des Bescheides mit der afghanischen Staatsangehörigkeit führe und die Abschiebung von – nach Ansicht des BFA – britischen Staatsangehörigen nach Afghanistan für zulässig erkläre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF1 ist die Mutter der minderjährigen BF2 und BF3. Die BF1 und die BF2 reisten illegal nach Österreich ein und stellten am 18.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die BF3 wurde am XXXX in Österreich geboren. Die BF1 stellte für die BF3 am 10.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

Mit Bescheiden des BFA vom 03.07.2017 wurden der BF1 gemäß § 3 AsylG und der BF2 gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Mit Bescheid des BFA vom 11.07.2017 wurde der BF3 gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Begründend führte das BFA aus, dass die BF1 die behauptete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht habe. Dem diesbezüglichen Aktenvermerk des BFA vom 03.06.2017 kann entnommen werden, dass das BFA die BF1 als eine überwiegend am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau ansah und dass ihr als alleinstehende Frau in Afghanistan Gefahr für Leib und Leben drohen würde.

Mit Bescheiden vom 27.12.2019 nahm die Behörde die abgeschlossenen Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG wieder auf, da die BF1 der Behörde in ihrem Asylverfahren durch wissentlich falsche Angaben einen für die Asylgewährung maßgeblichen Sachverhalt in der Absicht vorgetäuscht habe, diesen Status zur erlangen, und sie sich diesen somit erschlichen habe.

Eine Erschleichung iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG durch die BF1 kann nicht festgestellt werden. Hinweise, dass die BF1 die Behörde durch objektiv unrichtige Angaben vorsätzlich getäuscht habe, liegen nicht vor.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie des vorliegenden Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. Der Sachverhalt ist darüber hinaus unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.

Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

Im gegenständlichen Verfahren stützte das BFA die amtswegige Wiederaufnahme des gegenständlichen Verfahrens auf § 69 Abs. 1 Z 1 AVG mit der Begründung, dass die BF1 ihre Asylstatuszuerkennung im Verfahren vor dem BFA durch wissentlich falsche Angaben (in Bezug auf die Fluchtgründe, die wahren Hintergründe der Einreise in das Bundesgebiet und die Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3) erschlichen hätte.

Vom Erschleichen eines Bescheides oder eines Erkenntnisses/Beschlusses des VwG kann nur dann gesprochen werden, wenn der Bescheid oder das Erkenntnis/der Beschluss seitens der Partei durch eine vorsätzliche (also schuldhafte), verpönte Einflussnahme auf die Entscheidungsunterlagen veranlasst wird (VwGH 08.09.1998, 98/08/0090; 07.09.2005, 2003/08/0171).

Das „Erschleichen“ eines Bescheides oder eines Erkenntnisses des VwG liegt dann vor, wenn die Entscheidung in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde bzw. beim VwG von der Partei vor Erlassung des Bescheides/Erkenntnisses (VwGH 16.02.1999, 96/08/0270; 24.10.2013, 2013/07/0151) objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden (vgl. VwGH 22.03.2012, 2011/07/0228; 23.11.2017, Ra 2017/22/0185) und diese Angaben dann dem Bescheid bzw. dem Erkenntnis/Beschluss zugrunde gelegt worden sind. Das Verschweigen wesentlicher Umstände ist dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen (vgl. VwGH 08.06.2006, 2004/01/0470; 22.03.2012, 2011/07/0228; 23.11.2017, Ra 2017/22/0185; Eder/Martschin/Schmid2 VwGVG § 32 K 10). Dabei muss die Behörde bzw. das VwG auf die Angaben der Partei angewiesen sein und ihr/ihm nicht zugemutet werden können, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde bzw. das VwG verabsäumt, von den ihr/ihm im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG bzw. des Erkenntnisses iSd § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG zu werten (VwGH 06.03.1953, 1034/52; 08.06.2006, 2004/01/0470; 08.05.2008, 2004/06/0123; 22.03.2011, 2008/21/0428). Zusammengefasst müssen nach Ansicht des Gerichtshofes vier Voraussetzungen gegeben sein (VwGH 25.04.1995, 94/20/0779; 29.01.2004, 2001/20/0346; 20.09.2011, 2008/01/0777):

?        Erstens müssen objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht worden sein.

?        Zweitens muss ein Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen (Spruch) der Behörde bzw. des VwG bestehen.

?        Drittens muss Irreführungsabsicht der Partei vorliegen, nämlich eine Behauptung oder ein Verschweigen wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen.

?        Viertens darf es die Behörde bzw. das VwG nicht verabsäumt haben, im Zuge eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens die Unrichtigkeit der Angaben zu erkennen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 70 Rz 12 (Stand 01.01.2020, rdb.at)

Um den Wiederaufnahmetatbestand des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG bzw. des § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG zu erfüllen, muss demnach die Partei im Verfahren vor der Behörde bzw. vor dem VwG das Zustandekommen der Entscheidungsgrundlagen absichtlich, dh. vorsätzlich (und nicht bloß fahrlässig [VwGH 28.09.2000, 99/09/0063; 07.09.2005, 2003/08/0171]) entweder durch objektiv unrichtige Angaben oder durch Verschweigen entscheidungswesentlicher Umstände oder Tatsachen (VwGH 22.04.1977, 87/77; 23.03.2004, 2003/01/0594; 07.09.2005, 2003/08/0171; 22.03.2012, 2011/07/0228) beeinflusst haben (vgl. VwGH 30.04.1986, 85/09/0103; 07.07.1992, 90/08/0164; 08.11.1995, 93/12/0178), um daraus einen Nutzen, eine vorteilhafte Entscheidung zu lukrieren, die ansonsten nicht zu erwarten gewesen wäre (vgl. VwGH 23.03.2004, 2003/01/0594; VfGH 27.06.2007, B 3563/05).

Das den Tatbestand des Erschleichens erfüllende Verhalten muss denknotwendig der Erlassung des Bescheides bzw. des VwG-Erkenntnisses vorangegangen sein (VwSlg 5812 A/1962; VwGH 16.20.1999, 96/08/0270; 18.10.2000, 98/09/0098). Es kann sich nur dann um entscheidungswesentliche Umstände oder Unterlassungen (vgl. VwGH 30.09.2004, 2001/20/0157) handeln, wenn die unrichtigen (unvollständigen) Angaben der Partei dem Bescheid bzw. dem Erkenntnis (Beschluss) des VwG auch zugrunde gelegt worden sind (VwGH 01.03.1972, 1995/71; 22.04.1977, 87/77; 13.12.2005, 2003/01/0184). Zwischen den unrichtigen oder lückenhaften Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde bzw. des VwG muss also – wie gesagt – ein Kausalzusammenhang gegeben sein (VwGH 25.04.1995, 94/20/0779; 29.01.2004, 2001/20/0346; 13.12.2005, 2003/01/0184). § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG ist nur dann erfüllt, wenn die Erschleichung für das Erkenntnis (den Beschluss) des VwG kausal war (Hengstschläger/Leeb, AVG § 70 Rz 13 (Stand 01.01.2020, rdb.at).

Mit Irreführungsabsicht hat die Partei dann gehandelt, wenn sie vorsätzlich, also wider besseres Wissen, falsche Angaben gemacht oder entscheidungswesentliche Umstände verschwiegen hat (vgl. VwGH 25.04.1995, 94/20/0779) und damit das Ziel verfolgte, daraus einen (vielleicht) sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen (VwGH 10.09.2003, 2003/18/062; 29.01.2004, 2001/20/0346; 08.06.2006, 2004/01/0470). Ob die Partei ihr Handeln darauf abgestellt hat, entzieht sich als innerer Willensvorgang der unmittelbaren menschlichen Erkenntnis (VwGH 09.03.1983, 83/01/0002; 26.05.2003, 2001/12/0115). Die Behörde bzw. das VwG hat aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen in freier Beweiswürdigung auf das eventuelle Vorliegen einer solchen Absicht zu schließen (vgl. VwGH 18.10.2012, 2011/22/0261; 25.02.2014, 2012/01/0156; 27.05.2014, 2011/10/0187). Als Beurteilungsgrundlage dient das Gesamtverhalten jener Person, der die Erschleichung vorgehalten wird (VwGH 16.02.1999, 96/08/0270; 18.10.2000, 98/09/0098). Es müssen aber schon im wiederaufzunehmenden Verfahren (nicht also etwa nur im Wiederaufnahmeverfahren selbst) Handlungen oder Unterlassungen feststellbar gewesen sein, die eine Erschleichungsabsicht erkennen lassen (VwGH 25.04.1995, 94/20/0779; 16.02.1999, 96/08/0270).

Ein Erschleichen liegt schließlich nach der Rechtsprechung des VwGH (Schulev-Steindl6 Rz 341) nur vor, wenn die Behörde bzw. das VwG auf die Angaben der Partei angewiesen ist und eine Situation besteht, in der ihr/ihm nicht zugemutet werden kann, über die Richtigkeit und daher auch Vollständigkeit der Angaben noch Erhebungen von Amts wegen zu pflegen (VwSlg 10.670 A/1982; VwGH 19.12.2005, 2000/12/0051; 20.09.2011, 2008/01/0777). Hat es aber die Behörde bzw. das VwG verabsäumt, von den ihr/ihm im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen und blieb die Erschleichungshandlung aufgrund einer Sorgfaltswidrigkeit der Behörde bzw. des VwG unentdeckt (Janko, bbl 1999, 52; vgl. auch VwGH 19.02.1992, 91/12/0296), schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben von wesentlicher Bedeutung (bzw. ein Verschweigen) als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG bzw. des Erkenntnisses (Beschlusses) iSd § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG zu werten (VwGH 29.01.2004, 2001/20/0346; 13.12.2005, 2003/01/0184; 08.06.2006, 2004/01/0470; vgl. auch Hengstschläger/Leeb6 Rz 580; Kolonovits/Muzak/Stöger11 Rz 595; Werner, JBl 1954, 324; aA Hellbling 454 f). Nur wenn die erforderlichen Ermittlungen mit einem übermäßigen, außer Verhältnis stehenden Aufwand verbunden wären und es in den Angaben der Partei keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie falsch oder lückenhaft sind, kann – auch wenn die Behörde bzw. das VwG die ihr/ihm nicht zumutbaren Erhebungen unterlassen hat – davon ausgegangen werden, dass der Tatbestand des Erschleichens iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG bzw. des § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG erfüllt ist (VwGH 29.01.2004, 2001/20/0346; ferner VwGH 08.06.2006, 2004/01/0470).

Im gegenständlichen Fall lag nach Ansicht der Behörde eine derartige Erschleichung des Asylstatus im Asylverfahren der BF deshalb vor, weil die BF1 darin wissentlich falsche Angaben betreffend ihre Fluchtgründe, die wahren Hintergründe ihrer Einreise und die Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 gemacht habe.

Dem angefochtenen Bescheid kann jedoch nicht entnommen werden aufgrund welcher Angaben oder Erkenntnisse das BFA nunmehr davon ausgehe, dass die BF1 betreffend ihre Fluchtgründe die Behörde wissentlich getäuscht habe. Aus dem den Asylstatus zuerkennenden Bescheid betreffend die BF1 geht hervor, dass das BFA deren Fluchtgründe damals als glaubhaft erachtete. Nunmehr prüfte die Behörde die Angaben der BF1 im Zuerkennungsverfahren erneut und kam in ihrer (erneuten) Beweiswürdigung – in einer dem Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbarer Weise – zum Schluss, dass diese nun nicht mehr als glaubhaft angesehen werden würden. Es ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht ersichtlich, dass die BF1 hinsichtlich ihrer Fluchtgründe wissentlich falsche Angaben gemacht hätte und sich so die Statuszuerkennung erschlichen hätte. Vielmehr erfolgte eine neuerliche Beurteilung desselben Vorbringens bzw. Sachverhalts. Darüber hinaus kann dem Aktenvermerk des BFA vom 03.06.2017 entnommen werden, dass das BFA die BF1 als eine überwiegend am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau ansah und dass ihr als alleinstehende Frau in Afghanistan Gefahr für Leib und Leben drohen würde. Aufgrund welcher Angaben der BF1 bzw. aufgrund welcher Ermittlungen das BFA nunmehr nicht mehr von einer Verfolgung der BF1 als „westlich orientierte“ und alleinstehende Frau ausgehe, kann den angefochtenen Bescheiden nicht entnommen werden.

Betreffend die Ausführungen des BFA, die BF1 habe die Behörde auch bezüglich die wahren Hintergründe für die Einreise nach Österreich vorsätzlich getäuscht, ist auszuführen, dass die BF1 bereits in ihrer Erstbefragung sowie der Einvernahme vor Zuerkennung des Asylstatus ausführte, ihr Zielland sei Großbritannien gewesen und sie wolle nach Großbritannien zu ihrem Ehemann weiterreisen. Den Bescheiden des BFA kann nicht entnommen werden, inwieweit die BF1 diesbezüglich wissentlich falsche Angaben gemacht hat.

Das BFA führt weiters aus, dass die BF1 in Bezug auf die Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 falsche Angaben gemacht habe. Unter Heranziehung der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.08.2019 geht das BFA nunmehr davon aus, dass die BF2 und die BF3 britische – und nicht afghanische – Staatsangehörige sein müssten. Wie oben ausgeführt, müssen laut der Rechtsprechung des VwGH vier Voraussetzungen erfüllt sein, um von einer Erschleichung iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ausgehen zu können. Auch wenn man gegenständlich davon ausgehen sollte, dass die BF2 und die BF3 tatsächlich die britische Staatsbürgerschaft besitzen und die BF1 somit objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht hätte (erste Voraussetzung) und auch ein Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben der BF1 und dem Entscheidungswillen des BFA bestehe (zweite Voraussetzung) würde es im vorliegenden Fall jedoch an der Irreführungsabsicht der BF1 (dritte Voraussetzung) fehlen.

Dass die BF1 vorsätzlich – also wider besseren Wissens – falsche Angaben betreffend die Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 gemacht hat, um damit einen (vielleicht) sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen, ist nicht hervorgekommen. Hätte die BF1 tatsächlich von einer möglichen britischen Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 gewusst, wäre es vielmehr naheliegend gewesen, dass sie diese angibt. Worin der Vorteil (iSd obigen Ausführungen) der Angabe der afghanischen – und nicht der britischen – Staatsangehörigkeit liegen soll, ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht ersichtlich. Vielmehr wäre es für den Fall, dass die BF2 und die BF3 tatsächlich britische Staatsangehörige sind, für alle BF einfacher, sich in Österreich niederzulassen bzw. v.a. zu ihrem Vater/Ehemann nach Großbritannien zu ziehen.

Auch ist im vorliegenden Fall die von der Rechtsprechung des VwGH geforderte vierte Voraussetzung für eine Erschleichung iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG, nämlich, dass es die Behörde nicht verabsäumt haben darf, im Zuge eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens die Unrichtigkeit der Angaben zu erkennen, nicht erfüllt. Die BF1 führte von Anfang an aus, der Vater ihrer Kinder sei britischer Staatsangehöriger. Dem BFA war daher im gesamten Verfahren bekannt, dass die Eltern der BF2 und der BF3 verschiedene Staatsangehörigkeiten besitzen und sich daraus eventuell Fragen betreffend deren Staatsangehörigkeiten ergeben könnten. Das BFA hat es jedoch im vorliegenden Fall verabsäumt, von den ihm im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten, die Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 zu klären, Gebrauch zu machen und blieben die möglicherweise unrichtigen Angaben der BF1 betreffend die Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 aufgrund einer Sorgfaltswidrigkeit des BFA unentdeckt. Dies schließt es nach der Rechtsprechung des VwGH aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben von wesentlicher Bedeutung als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten. Nur wenn die erforderlichen Ermittlungen mit einem übermäßigen, außer Verhältnis stehenden Aufwand verbunden wären und es in den Angaben der Partei keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie falsch oder lückenhaft sind, kann – auch wenn das BFA die ihm nicht zumutbaren Erhebungen unterlassen hat – davon ausgegangen werden, dass der Tatbestand des Erschleichens erfüllt ist. Dass die Ermittlungen betreffend die Staatsangehörigkeit für das BFA im vorliegenden Fall nicht mit einem übermäßigen Aufwand iSd Rechtsprechung des VwGH verbunden waren, zeigt sich insbesondere auch dadurch, dass das BFA am 25.07.2019 eine Anfrage an die Staatendokumentation stellte und diese bereits am 30.08.2019 beantwortet wurde. Diese Ermittlung (allenfalls verbunden mit einer Kontaktaufnahme mit den britischen Behörden) hätte von der Behörde bereits vor Erlassung der Asylzuerkennungsbescheide ohne besondere Schwierigkeiten durchgeführt werden können. Die möglicherweise unrichtigen Angaben der BF1 zur Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 blieben daher aufgrund der Sorgfaltswidrigkeit des BFA unentdeckt, sodass diese nicht als ein Erschleichen iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG gewertet werden können. Dieses Verschulden der Behörde steht einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens entgegen, da sie nicht dazu dient, von der Behörde schuldhaft unterlassene Ermittlungsschritte nachzuholen.

Überdies ist anzumerken, dass auch das BFA keinesfalls mit der notwendigen Sicherheit darauf geschlossen hat, dass die BF2 und die BF3 tatsächlich britische Staatsangehörige sind. So führte das BFA in den bekämpften Bescheiden – wie in der Beschwerde zutreffend ausgeführt – als Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 Afghanistan an. In den Feststellungen der Bescheide finden sich keine Ausführungen zur Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3. Auch zeigt die getroffene Rückkehrentscheidung der Behörde sowie der Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan, dass das BFA im vorliegenden Fall weiterhin von der afghanischen Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 ausgeht. Auch ist der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.08.2019 zu entnehmen, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine britische Staatsbürgerschaft beantragt werden kann. Das eine solche Beantragung stattgefunden hat, ist nicht ersichtlich.

Auch ist nicht ersichtlich, inwieweit eine allfällige britische Staatsangehörigkeit der BF2 und der BF3 Auswirkungen auf den Asylstatus der BF1 haben könnte.

Zusammenfassend liegt gegenständlich keine Erschleichung des Asylstatus durch die BF1 iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vor. Aufgrund des Familienverfahrens waren auch die Bescheide der BF2 und BF3 aufzuheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, der Beschwerde stattzugeben und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Der für diesen Fall maßgebliche Sachverhalt konnte als durch die Aktenlage hinreichend geklärt erachtet werden. Es ergibt sich bereits aus der Aktenlage, dass die angefochtenen Bescheide aufzuheben sind, sodass eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

amtswegige Wiederaufnahme Behebung der Entscheidung Erschleichen falsche Angaben Familienangehöriger Rechtswidrigkeit Staatsangehörigkeit Wiederaufnahme Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W153.2228115.1.00

Im RIS seit

09.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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