Entscheidungsdatum
25.08.2020Norm
BBG §40Spruch
W200 2233609-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (SMS) vom 26.06.2020, Zl. 97905576000016, zu Recht erkannt:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle NÖ, zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin stellte am 12.12.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses unter Anschluss eines Konvolutes von medizinischen Unterlagen. Das vom Sozialministeriumservice eingeholte Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage eines Arztes für Allgemeinmedizin und Facharztes für Chirurgie gestaltete sich wie folgt:
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
MRT der LWS, Institut Frühwald vom 25.11.2019: Einengung des Neuroforamens L4/L5 und L5/S1
Elektroneuroaraphie, LK Mauer vom 03.02.2016: Unauffällige Medianus- und Ulnarisneurographie bds., elektroneurographisch kein Nachweis eines peripheren Nervenkompressionssyndroms.
Arztbrief Dr. XXXX , Lungenheilkunde vom 24.11.2014: Thorakodynie links, Pleuritis komplett gebessert, derzeit keine Indikation für inhalative Therapie CT der HWS, Dr. XXXX vom 12.11.2014: Discusprotrusion C4/C5 ohne Bedrängung spinaler Strukturen
Entlassungsbericht Neurologie 2, LK Mauer vom 27.11.2014 bis 28.11.2014: Cervicobrachialgie links, CTS beidseits.
Gangbild: frei (inkl. Fersengang, Zehenspitzengang, Blindgang, Romberg Versuch und Unterberger-Tretversuch)
Arztbrief Dr. XXXX , Orthopädie vom 21.01.2014: rezidivierende Lumbalgie Beckenröntgen Dr. Resch vom 24.05.2011: Beckenschiefstand links um 2,4 cm, angeborene Hüftdysplasie links, geringe Coxarthrosen
Arztbrief LK St. Pölten, Unfallchirurgie vom 13.09.1995 - 13.10.1995: Osteoklastische Schädeltrepanation, subtotale Amputation Kleinfingergrundgelenk links
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates oberer Rahmensatz berücksichtigt die radiologischen Veränderungen in der Wirbelsäule und in beiden Hüften, neurologische Ausfallserscheinungen nicht dokumentiert
02.02.02
40
2
Beinverkürzung links unter 3 cm fixer Rahmensatz
02.05.01
10
3
Verlust des Kleinfingers links fixer Rahmensatz
02.06.27
10
Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Leiden 1 wird durch Leiden 2 und Leiden 3 nicht erhöht, da diese Leiden nur geringe funktionelle Relevanz aufweisen.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Zustand nach Thorakodynie links, Zustand nach Pleuritis und Zustand nach Schädeltrepanation erreichen keinen Grad der Behinderung
Dauerzustand.“
Aufgrund der Einwendungen im Parteiengehör, dass sich ihr Zustand verschlechtert hätte (unter Anschluss eines Röntgenbefundes vom 16.01.2020) und den Ausführungen, dass die Beschwerdeführerin nach einem Arbeitsunfall an der rechten Hand am Daumen eine Dauerbeeinträchtigung erlitten hätte, holte das Sozialministeriumservice eine Stellungnahme des befassten Arztes ein, die sich wie folgt gestaltete:
„Stellungnahme vom 21.06.2020
Es wurden neue Befunde vorgelegt:
Arztbrief Dr. XXXX , Facharzt für Neurochirurgie vom 04.06.2020: Klinisch neurochirurgisch besteht eine Lumbago, keine eindeutige radikuläre Symptomatik, keine Paresen.
Röntgen LWS und Becken, Institut Frühwald vom 16.01.2020: Rotationsskoliose. Deformierende Spondylose. Bandscheibenschädigungen gesamte LWS. Intervertebralgelenksarthrosen. Baastrup Syndrom. Coxarthrose. Coxa valga. Beckenschiefstand.
Hüftdysplasie links mehr als rechts.
Arztbrief Klinik XXXX , Unfallchirurgie vom 24.08.2019: Rissquetschverletzung unterhalb der Daumenfalx rechts, undislozierte Querfraktur am Endglied von D1 rechts
Die neu vorgelegten Befunde bestätigen die Einschätzung, welche entsprechend der anzuwendenden EVO erfolgte. Es bestehen keine neurologischen Ausfallserscheinungen. Die Abnutzungserscheinungen im neu vorgelegten Röntgenbefund wurden in Leiden 1 berücksichtigt. Eine Dauerbeeinträchtigung im rechten Daumen ist fachärztlich nicht bestätigt.
Nach nochmaliger Durchsicht bleiben sowohl die Einzelleiden als auch der Gesamtgrad der Behinderung unverändert.“
Mit Bescheid vom 26.06.2020 wies das Sozialministerium den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses mangels Vorliegen der Voraussetzungen ab. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.
Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen. (Ra 2015/08/0178 vom 27.01.2016)
In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016)
Die belangte Behörde hat es unterlassen ein Gutachten basierend auf einer Untersuchung einzuholen.
Dem SMS liegt kein Gutachten vor, dem eigene Wahrnehmungen eines Sachverständigen zu Grunde liegen. Eine Begründung dafür ist dem Akt nicht zu entnehmen.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die Entscheidung über den Antrag ohne hinreichende Ermittlungstätigkeiten bzw. hat das SMS rudimentäre Ermittlungen getätigt.
Im weiteren Verfahren wird daher die Beschwerdeführerin jedenfalls zu einer Untersuchung zu laden sein, und in Folge auch ein auf den vorgelegten Unterlagen und der durchzuführenden Untersuchung basierendes Gutachten zu erstellen sein.
Nach Gewährung des Parteiengehörs zu dem zu erstellenden Gutachten an die Beschwerdeführerin hat das SMS die Entscheidung zur Höhe des Gesamtgrades der Behinderung zu treffen.
Zu Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W200.2233609.1.00Im RIS seit
10.11.2020Zuletzt aktualisiert am
10.11.2020