TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/31 W200 2233087-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2020
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Entscheidungsdatum

31.08.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
BBG §47
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W200 2233087-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien vom 03.06.2020, Zl. 44859544900033, mit welchem der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 42 und 47 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. I Nr. 283/1990, idF BGBl. I Nr. 39/2013 iVm § 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin ist seit 01.07.2012 im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtwert der Behinderung von 50 %. Kausal dafür war folgendes Leiden: spastische Tetraparese seit Kindheit, Positionsnummer 04.03.02, unterer Rahmensatz, da bei mittelgradig ausgeprägter beinbetonter Teillähmung die Gehfähigkeit ohne Hilfsmittel erhalten ist.

Gegenständliches Verfahren:

Am 08.11.2019 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass. Als Gesundheitsschädigung nannte sie die spastische Tetraparese. Als Beweismittel legte sie einen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt über die Anerkennung des Anspruchs auf Pflegegeld in der Höhe der Stufe 1 vom 07.08.2019 vor.

Das vom Sozialministeriumservice eingeholte neurologische fachärztliche Gutachten vom 19.02.2020 gestaltete sich wie folgt:

„Anamnese:

Spastische Tetraparese seit Kindheit

Die letzte Begutachtung erfolgte am 19.06.2012 mit Anerkennung von 50 % GdB Dauerzustand für die Diagnose „Spastische Tetraparese seit Kindheit".

Derzeitige Beschwerden:

Die AW kommt gehend mit 2 Nordic Walking Stöcken, sie sei mit dem Taxi gekommen. AW beantragt die Vornahme einer Zusatzeintragung (Parkausweis). Ihr alter Parkausweis (ausgestellt in der Steiermark) wäre schon ramponiert.

Seit einer Infektion im 4. LJ hätte sie eine Schwäche in den Armen und Beinen. Sie verwende Nordic Walking Stöcke, zu Hause hätte sie Halterungsgriffe, auch in der Badewanne. Mit Stöcken könne sie max 300-400 Meter gehen, dann müsse sie rasten. Sie leide unter Gleichgewichtsstörungen, das rechte Bein sei 2 cm kürzer. Stiegen steigen sei mit Anhalten möglich. Sie hätte angepasste Schuhe.

In der Kindheit sei alles schlimmer gewesen, seit ca. 20 Jahren sei sie stabil.

Beim Greifen und Schneiden hätte sie Probleme- vor allem rechts, ihr ganze Motorik sei eingeschränkt.

Im ADL Bereich sei sie selbstständig. Im Haushalt helfe der Gatte und eine Reinigungskraft.

Sie erhalte PG Stufe 1.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Behandlungen: Infiltrationen durch den Orthopäden Medikamente: derzeit Noax wegen Kreuzschmerzen

Hilfsmittel: 2 Nordic Walking Stöcke, Halterungsgriffe inkl. in der Badewanne, Duschhocker, orthopädische Schuhe bzw. angepasste Schuhe

Sozialanamnese:

Verheiratet, wohne mit dem Gatten und 3 Kindern im 3. Stock mit Lift.

Beruf: zu Hause, davor selbstständig

Nik: 0, Alk: gelegentlich

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Dr XXXX , AM, 04.12.2019

Frau XXXX hat seit dem 3.Lebensjahr wegen einer Hämophylusinfektion eine spast. Tetraparese.

Der Bewegungsgrad ist dadurch ist dadurch lebensbegleitend eingeschränkt, das heißt sie kann mit Stöcken nur ca. 50 m gehen. Treppensteigen und das Benützen von öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Hilfsmittel (Lift. Niederflurbahnen) ist kaum möglich.

Eine laufende Progredienz der Bewegungseinschränkungen ist lebensbegleitend zu erwarten.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: Gut, Ernährungszustand: Adipös

Größe: 165,00 cm Gewicht: 110,00 kg

Klinischer Status - Fachstatus:

Neurologischer Status:

wach, voll orientiert, kein Meningismus

Caput: Visus korrigiert, übrige HN unauffällig.

OE: Rechtshändigkeit, Trophik unauffällig, Tonus Spur erhöht bds, grobe Kraft proximal 5-, distal rechts KG 4-5, Vorhalteversuch der Arme: Pronieren bds, Finger-Nase-Versuch: keine Ataxie, MER (RPR, BSR, TSR) seitengleich mittellebhaft auslösbar, Bradydiadochokinese rechts, Pyramidenzeichen negativ.

UE: Trophik unauffällig, Tonus Spur erhöht bds, grobe Kraft bds KG 4-5, prox, distal KG 4-, Positionsversuch der Beine: einzeln gut gehalten, Knie-Hacke-Versuch: keine Ataxie, MER (PSR, ASR) Spur re > links mittellebhaft auslösbar, Pyramidenzeichen links pos, rechts Spreizen.

Sensibilität: handschuhförmig rechts reduziert. Sprache: unauffällig Romberg: unauffällig Unterberger, Fersen- und Zehengang: nicht demonstriert Gesamtmobilität - Gangbild:

Mobilitätsstatus: Gangbild: mit 2 Nordic Walking Stöcken mittelschnell mit Heranziehen des rechten Bein (anamnestisch linker Schuh immer abgewetzt), Standvermögen: breitbeinig sicher, prompter Lagewechsel.

Führerschein vorhanden, fahre Automatik

Status Psychicus:

wach, in allen Qualitäten orientiert, Duktus kohärent, Denkziel wird erreicht, Aufmerksamkeit unauffällig, keine kognitiven Defizite, Affekt unauffällig, Stimmungslage ausgeglichen, Antrieb unauffällig, Konzentration normal, keine produktive Symptomatik.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd.Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1

Spastische Tetraparese seit Kindheit

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Verglichen mit dem Vorgutachten von 06/2012: Leiden 1 wird unter einer neuen Positionsnummer unverändert übernommen. Keine wesentliche Änderung des Gesamtzustandes.

Dauerzustand

1.       Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine. Die Grunderkrankung führt zwar zu einer Einschränkung der Gehstrecke, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Die 2 Nordic Walking Stöcke dienen dem subjektivem Sicherheitsgefühl. Im Rahmen der klinischen Untersuchung konnten im Bereich der Extremitäten nur leichte motorische Defizite objektiviert werden. Kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m können aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe zurückgelegt werden. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit des Antragstellers sind ausreichend. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind. Bei genügender Funktionsfähigkeit der linken oberen Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar. Die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel" kann aus gutachterlicher Sicht nicht empfohlen werden.“

Mit Bescheid vom 03.06.2020 wies das Sozialministeriumservice den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ mangels Vorliegen der Voraussetzungen unter Zugrundelegung des eingeholten fachärztlichen Gutachtens ab.

Im Rahmen der dagegen erhobenen Beschwerde wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin an einer Gang- und Standataxie leide. Die Angabe im Gutachten „Rhomberg unauffällig“ könne nicht nachvollzogen werden. Auch der Fersen- und Zehengang sei ohne Festhalten nicht möglich. Deshalb sei sie auf die Benützung von zwei Walkingstöcken zwingend angewiesen sei. Sie benötige diese hierbei nicht nur für ihr subjektives Sicherheitsgefühl, sondern bestehe ohne diese Hilfemittel ein hohes Sturzrisiko. Das Gehvermögen sei auf maximal 50 Meter eingeschränkt, die Beschwerdeführerin könne sich nur langsam fortbewegen. Verwiesen wurde auf einen bereits vorgelegten Befund, in dem festgehalten wird, dass die Beschwerdeführerin nur 50 Meter gehen könne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 50 von Hundert.

1.2.    Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

1.2.1.  Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:

Neurologischer Status:

wach, voll orientiert, kein Meningismus

Caput: Visus korrigiert, übrige HN unauffällig.

OE: Rechtshändigkeit, Trophik unauffällig, Tonus Spur erhöht bds, grobe Kraft proximal 5-, distal rechts KG 4-5, Vorhalteversuch der Arme: Pronieren bds, Finger-Nase-Versuch: keine Ataxie, MER (RPR, BSR, TSR) seitengleich mittellebhaft auslösbar, Bradydiadochokinese rechts, Pyramidenzeichen negativ.

UE: Trophik unauffällig, Tonus Spur erhöht bds, grobe Kraft bds KG 4-5, prox, distal KG 4-, Positionsversuch der Beine: einzeln gut gehalten, Knie-Hacke-Versuch: keine Ataxie, MER (PSR, ASR) Spur re > links mittellebhaft auslösbar, Pyramidenzeichen links pos, rechts Spreizen.

Sensibilität: handschuhförmig rechts reduziert. Sprache: unauffällig Romberg: unauffällig Unterberger, Fersen- und Zehengang: nicht demonstriert

Gesamtmobilität - Gangbild:

Mobilitätsstatus: Gangbild: mit 2 Nordic Walking Stöcken mittelschnell mit Heranziehen des rechten Bein (anamnestisch linker Schuh immer abgewetzt), Standvermögen: breitbeinig sicher, prompter Lagewechsel.

Führerschein vorhanden, fährt Automatik

Funktionseinschränkungen: Spastische Tetraparese seit Kindheit

1.2.2.  Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Bei der Beschwerdeführerin liegt eine spastische Tetraparese vor, die auch zu einer Einschränkung der Gehstrecke führt, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m können aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe zurückgelegt werden. Die 2 Nordic Walking Stöcke dienen dem subjektivem Sicherheitsgefühl. Im Rahmen der klinischen Untersuchung konnten im Bereich der Extremitäten nur leichte motorische Defizite objektiviert werden. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der Beschwerdeführerin sind ausreichend. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind. Bei genügender Funktionsfähigkeit der linken oberen Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar.

Die festgestellten Funktionseinschränkungen wirkt sich nicht in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus. Es besteht keine erhebliche Einschränkung der Mobilität durch die festgestellten Funktionseinschränkungen. Es besteht auch keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit und es liegen auch keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder der Sinnesfunktionen vor, die das Zurücklegen einer angemessenen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel beeinträchtigen.

Es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.

2. Beweiswürdigung:

Zur Klärung des Sachverhaltes war von der belangten Behörde ein neurologisches Sachverständigengutachten vom 19.02.2020 eingeholt worden. Im zitierten Gutachten wurde der Zustand der Beschwerdeführerin im Detail dargelegt und kein Hindernis für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt.

Die Fachärztin für Neurologie hat in ihrem Gutachten schlüssig dargelegt, dass durch die Tetraparese zwar eine Funktionsbeeinträchtigung vorliegt, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen.

Die Gutachterin weist ausdrücklich darauf hin, dass die Gesamtmobilität ausreichend ist, um kurze Wegstrecken von etwa 300-400 m aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ohne maßgebende Unterbrechungen zurücklegen zu können – allensfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und dadurch auch das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet ist. Darüber hinaus besteht eine genügende Funktionsfähigkeit der oberen linken Extremität, wodurch das Anhalten beim Ein- und Aussteigen und Haltegriffe zu erreichen möglich ist.

Abschließend beschreibt sie, dass der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln daher gesichert durchführbar ist.

Wenn nunmehr in der Beschwerde geltend gemacht wird, dass die Beschwerdeführerin an einer Gang- und Standataxie leide und die Angabe „Rhomberg unauffällig“ nicht nachvollzogen werden könne, so ist dem die Beschreibung der Gesamtmobilität durch die befasste Neurologin entgegenzuhalten, die lautet: „Standvermögen: breitbeinig sicher, prompter Lagerwechsel“. Die Gutachterin beschreibt weiters das Gangbild „mit zwei Nordic Walking Stöcken mittelschnell mit Heranziehen des rechten Beins“. Dazu passend ist auch im Status „Rhomberg: unauffällig“ vermerkt.

Die gesamte Beschreibung der Person der Beschwerdeführerin im Status ist plausibel nachvollziehbar.

In dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten kurzen Schreiben der die Beschwerdeführerin behandelnden Ärztin für Allgemeinmedizin wird ausgeführt, dass ihr Bewegungsgrad lebensbegleitend eingeschränkt sei und sie mit Stöcken nur ca. 50 m gehen könne, Treppensteigen und das Benützen von öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Hilfsmittel kaum möglich und eine laufende Progredienz lebensbegleitend zu erwarten sei. Diesem Schreiben sind kein Status, kein Befund und keine daraus getätigten Schlussfolgerungen zu entnehmen. Es erfüllt nicht die Anforderungen an ein Gutachten.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).

Das eingeholte Sachverständigengutachten ist schlüssig und nachvollziehbar, es gibt für den erkennenden Senat keinen Grund an den plausiblen Ausführungen der befassten Neurologin zu zweifeln. Weiters ist noch darauf hinzuweisen, dass die Notwendigkeit der Verwendung von Hilfsmitteln (Stock, Nordic Walking Stecken) nicht per se die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausschließt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Zu A)

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird (§ 45 Abs. 2 BBG).

Zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel:

Gemäß § 1 Abs. 2 Z. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 ist die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-         erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-         erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-         erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen oder
-         eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-         eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).

In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 wird ausgeführt:

Ausgehend von den bisherigen durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Beurteilungskriterien zur Frage „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ sind Funktionseinschränkungen relevant, die die selbstständige Fortbewegung im öffentlichen Raum sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Als Aktionsradius ist eine Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 200 bis 300 m anzunehmen.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Alle therapeutischen Möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des behandelnden Arztes/der behandelnden Ärztin ist nicht ausreichend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen. Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt. Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)

Bei der Beschwerdeführerin liegen weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden, die das Zurücklegen einer angemessenen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel beeinträchtigen. Es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.

Die allfällige Verwendung eines Hilfsmittels zur Fortbewegung außer Haus (Schuheinlagen, Gehstock, Stützkrücke, orthopädische Schuhe) ist - da die Funktionalität der oberen linken Extremität bei der Beschwerdeführerin gegeben ist - zumutbar und bedingt kein relevantes Hindernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Es ist bei der Beschwerdeführerin von einer ausreichenden Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates auszugehen, die vorgebrachte Einschränkung der Gehstrecke konnte nicht in einem Ausmaß festgestellt werden, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschweren.

Das Festhalten beim Ein- und Aussteigen ist einwandfrei möglich, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit des Beschwerdeführers sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich festzuhalten sind ausreichend.

Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar." rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.

Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass in weiterer Folge auch nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO vorliegen, zumal die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ im Behindertenpass nach dem Bundesbehindertengesetz Voraussetzung für die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO ist.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. (§ 24 Abs. 1 VwGVG)

Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist. (§ 24 Abs. 2 Z.1 VwGVG)

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Zur Klärung des Sachverhaltes waren von der belangten Behörde ein neurologisches Gutachten eingeholt worden. Darin wurde der Zustand der Beschwerdeführerin im Detail dargelegt und übereinstimmend das Nichtvorliegen der Voraussetzungen – konkret das Nichtvorliegen erheblicher Funktionseinschränkungen – für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung festgestellt.

Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurde das Sachverständigengutachten als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt, dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit der Beschwerdeführerin mündlich zu erörtern gewesen wäre. Eine Verhandlung konnte angesichts der plausiblen Beschreibung des medizinischen Zustandes des Beschwerdeführers unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.


Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W200.2233087.1.00

Im RIS seit

11.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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