TE Bvwg Beschluss 2020/9/29 G305 2229095-2

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Entscheidungsdatum

29.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGVG §8a

Spruch

G305 2229095-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Mag. Dr. Johannes REISINGER, Rechtsanwalt in 8480 MURECK, Grazer Straße 1, auf Gewährung der Verfahrenshilfe in Hinblick auf das über den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle XXXX (vormals: XXXX ) vom XXXX .11.2019, BZ.: XXXX , anhängige Beschwerdeverfahren beschlossen:

A)

Der auf die Gewährung der Verfahrenshilfe gerichtete Antrag wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom XXXX .11.2019, BZ.: XXXX , sprach die Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle XXXX (vormals: XXXX ) (in der Folge: ÖGK) gegenüber XXXX , XXXX , (im Folgenden: Antragsteller oder kurz: ASt) aus, dass der über seine rechtsfreundliche Vertretung eingebrachte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zurückgewiesen werde.

In der Begründung heißt es im Wesentlichen kurz zusammengefasst, dass der Ast in seiner Eingabe vom 09.04.2019 ausgeführt hätte, dass zwischen ihm und der PVA zu XXXX ein Verfahren anhängig sei, in dem er sich gegen die Aufrechnung gem. § 103 ASVG wende, deren Grundlage ein vollstreckbarer Haftungsbescheid vom 20.12.2000 sei, in dem die Haftung des Antragstellers für Beiträge der XXXX ausgesprochen worden sei. Die Haftung sei auf Grund von Meldeverstößen gem. § 111 ASVG für die für XXXX .08.1990 bis XXXX .02.1994 nachträglich im Zuge einer Beitragsprüfung festgestellten Beiträge über den Betrag von ATS 8.634.267,73 (EUR 627.476,71) zzgl. Verzugszinsen gem. § 59 Abs. 1 ASVG von 8,40% p.a. seit XXXX .01.2001 aus dem oberwähnten Betrag ausgesprochen worden. Auch für die Beiträge der Primärschuldnerin sei ein Haftungsbescheid erlassen worden, mit dem am XXXX .01.1996 die Haftung des Antragstellers über den Betrag von ATS 3.681.759,82 festgestellt wurde. Im Konkursverfahren seien die Forderungen vom Masseverwalter anerkannt worden. In seiner Eingabe habe der ASt keinen konkret bezeichneten Antrag gestellt, sondern unter „Pkt. II. Anregung auf Einleitung eines Verfahrens“ zusammengefasst vorgebracht, dass mit der Aufhebung des Konkurses eine Quote von 1,32630% ausgeschüttet worden sei, im Haftungsbescheid jedoch nur von einer Quote von 1% ausgegangen und diese auf den Haftungsbetrag angerechnet worden sei. Damit liege eine wesentliche Änderung des Sachverhalts vor, weshalb ein neuer Bescheid zu erlassen sei. Mangels anderer Hinweise sei die „Anregung“ als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu deuten gewesen.

Im älteren Haftungsbescheid sei nach Auskunft des Masseverwalters noch von einer Quote von 10% ausgegangen und diese auf die Haftung angerechnet worden. Im jüngeren Bescheid habe der Masseverwalter seine Quotenprognose auf 1% revidiert, weshalb diese Quote angerechnet worden sei. Tatsächlich sei eine Quote von 1,32630% ausgeschüttet worden. Bis zur Aufrechnung gem. § 103 ASVG sei der Haftungsbescheid vom XXXX .12.2000 unwidersprochen geblieben.

Aus den Haftungen gegen den ASt hätten regelmäßige Zahlungen lukriert werden können. Der Partei sei die Verbindlichkeit auch bekannt gewesen, da bereits im Jahr 2012 eine Anfrage über die Höhe der Verbindlichkeit erfolgt sei, die offenkundig der Vorbereitung eines Schuldenregulierungsverfahrens gedient habe. Der Unterschiedsbetrag von den auf Basis einer 1%-Quote angerechneten EUR 6.338,15 auf die nach der tatsächlich erlangten Quote von 1,32630% theoretischen EUR 8.406,29 könne nicht als wesentliche Änderung der Verhältnisse angesehen werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass nach dieser Ansicht auch der erste Haftungsbescheid zu Ungunsten der Partei zu verändern wäre, nämlich die angerechnete Quote von 10% auf eben jene 1,32630% zu kürzen wäre.

In der rechtlichen Beurteilung heißt es, dass der ASt die Neufeststellung der Haftung begehre und die Haftung bereits rechtskräftig festgestellt worden sei. Insofern sei die „Anregung“ als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 69 AVG zu deuten gewesen. Der Antrag auf Wiederaufnahme sei gem. § 69 Abs. 2 AVG binnen zwei Wochen ab Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes einzubringen. Das Konkursverfahren sei am 30.07.2003 aufgehoben worden und dem ASt spätestens seit diesem Zeitpunkt die höhere Quote bekannt. Zudem sei ein Antrag auf Wiederaufnahme nur innerhalb von drei Jahren ab Erlassung des Bescheides zulässig (objektive Frist). Da beide Fristen abgelaufen seien, sei der am 09.04.2019 per Fax eingelangte Antrag daher zurückzuweisen.

2. Gegen diesen, dem BF zu Handen seiner rechtsfreundlichen Vertretung am 26.11.2019 zugestellten richtete sich dessen am 27.12.2019 bei der ÖGK eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, worin er erklärte, dass er den in Beschwerde gezogenen Bescheid seinem gesamten Inhalt und Umfang nach anfechte und mit den Anträgen verbinde, das Bundesverwaltungsgericht wolle a) den angefochtenen Bescheid vom XXXX .11.2019 wegen „Verletzung von materiellen Rechtsvorschriften und Verfahrensvorschriften gem. § 27 VwGVG überprüfen, in der Sache selbst entscheiden und dem Antrag auf Einleitung eines Verfahrens stattgeben, in eventu b) den angefochtenen Bescheid vom XXXX .11.2019 wegen „Verletzung von materiellen Rechtsvorschriften und Verfahrensvorschriften gem. § 27 VwGVG“ überprüfen und in der Sache dergestalt abändern, dass dem Antrag auf Einleitung eines Verfahrens stattgegeben wird, in eventu c) den angefochtenen Bescheid vom XXXX .11.2019 wegen Verletzung der materiellen Rechtsvorschriften und Verfahrensvorschriften aufheben und die Angelegenheit in weiterer Folge gem. § 28 Abs. 4 VwGVG an die belangte Behörde zurückverweisen, sodass diese seiner Anregung auf Einleitung eines Verfahrens stattgibt.

In der Sache selbst brachte der BF vor, dass sich der angefochtene Bescheid auf § 69 Abs. 1 AVG stütze. Seine Anregung auf Einleitung eines Verfahrens und Urkundenvorlage der Beschwerdeführer sei keinesfalls als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens iSd § 69 Abs. 1 AVG zu deuten, sondern ein Antrag auf Einleitung eines neuerlichen Verfahrens. An keiner Stelle seines Schriftsatzes verwende er expressis verbis die Bezeichnung „Wiederaufnahme des Verfahrens“ und zitiere er an keiner Stelle die Bestimmung des § 69 Abs. 1 AVG. Vielmehr habe er auf Seite 3 zu Pkt. 4 des Schriftsatzes vom 09.04.2019 ein Vorbringen erhoben, wonach er über einen Anspruch auf Erlassung eines neuen Bescheides verfüge. Schon daraus ergebe sich bei Anwendung der „einfachen Denkgesetze der Logik“, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens nicht erhoben werde, sondern eine Anregung auf Einleitung eines Verfahrens mit anschließender Erlassung eines Bescheides gemäß § 410 Abs.1 ASVG beinhalte. Im Rahmen der Erlassung des angefochtenen Bescheides sei auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs verkannt worden, wonach eine wesentliche Änderung der Tatsachen nach Erlassung eines Bescheides nicht durch einen Antrag auf Wiederaufnahme, sondern nur durch eine neue Antragstellung geltend gemacht werden könne.

Überträgt man diese ständige Rechtsprechung auf den gegenständlichen Sachverhalt, ergebe sich unstrittig, dass der Bescheid der belangten Behörde zu GZ: XXXX am XXXX erlassen wurde. Weiters stehe fest, dass am XXXX vom Landesgericht XXXX zu XXXX der Konkurs über die XXXX aufgehoben wurde. Durch die Aufhebung des Konkurses durch das Landesgericht XXXX sei nach Erlassung des Bescheides durch die belangte Behörde am XXXX .02.2000 eine Änderung der Tatsachenlage eingetreten. Aus diesem Grund wäre die Erhebung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens iSd ständigen Rechtsprechung des VwGH erst gar nicht möglich gewesen. Die belangte Behörde habe es unterlassen, dieses Vorbringen des BF im Rahmen der Sachverhaltsermittlung zu berücksichtigen. Das ergebe sich daraus, dass im angefochtenen Bescheid der belangten Behörde an keiner Stelle ausgeführt wurde, dass XXXX als Masseverwalter der XXXX der belangten Behörde einen Betrag in Höhe von ATS 255.735,18 geleistet habe. Dieser Betrag wäre von der belangten Behörde zu berücksichtigen gewesen. Auch wäre die belangte Behörde zur Beischaffung des Insolvenzaktes des Landesgerichtes XXXX zu XXXX verpflichtet gewesen. Dies sei aus unerklärlichen Gründen nicht erfolgt.

Auch liege ein weiterer Verfahrensmangel vor, weil der angefochtene Bescheid der belangten Behörde keine Beweiswürdigung enthalte. Gemäß § 58 Abs. 2 S 1 AVG seien Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen werde. In der Beweiswürdigung seien die maßgebenden Erwägungen anzuführen.

3. Am 02.03.2020 legte die ÖGK die gegen den Bescheid vom XXXX .11.2019 erhobene Beschwerde und die Bezug habenden Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor.

4. Mit hg. Verfahrensanordnung wurde der BF vom Ergebnis der Beweisaufnahme des Bundesverwaltungsgerichtes in Kenntnis gesetzt und ihm die Gelegenheit gegeben, sich binnen zwei Wochen ab Zustellung schriftlich zu äußern.

5. Mit seiner im Rahmen des Parteiengehörs ergangenen Eingabe vom 16.08.2020 verband der ASt einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und brachte ein Vermögensverzeichnis zur Vorlage. Den Verfahrenshilfeantrag begründete er damit, dass er sich außerstande sehe, die Kosten der weiteren Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhalts zu bestreiten, als ihm unter Berücksichtigung der zu erwartenden Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung keine genügenden Mittel für eine einfache Lebensführung verbleiben würden. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei weder mutwillig noch aussichtslos und sei die Beigebung eines Rechtsanwalts wegen der besonderen Schwierigkeiten des Rechtsfalls geboten und ersuchte er die Steiermärkische Rechtsanwaltskammer, den außen ausgewiesenen Rechtsvertreter als Verfahrenshilfevertreter zu bestellen, da dieser mit der gesamten Rechtssache bereits vertraut sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu Spruchpunkt A):

1.1. Zu Spruchteil A): Abweisung des Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe:

1.1.1. Anlassbezogen hat der BF mit seiner im Rahmen des Parteiengehörs ergangenen Eingabe vom 17.08.2020 einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe verbunden.

Die auf den gegenständlichen Anlassfall anzuwendende Bestimmung des § 8a VwGVG hat nachstehenden, auszugsweise wiedergegebenen Wortlaut:

„§ 8a. (1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.

(2) Soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung - ZPO, RGBl. Nr. 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.

(3) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist schriftlich zu stellen. Er ist bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Für Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.

[...]“

1.1.2. Die Artikel 47 und 51 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl 2012/C 326/02, lauten auszugsweise wörtlich wiedergegeben wie folgt:

„Artikel 47 Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht

Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.“

„Artikel 51 Anwendungsbereich

(1) Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.“

1.1.3. Im gegenständlichen Fall bedeutet dies:

Durch die Bestimmung des § 8a VwGV soll dem Erkenntnis des VfGH vom 25.06.2015 zur Zl. G 7/2015, wonach die Bewilligung der Verfahrenshilfe auch abseits der Verwaltungsstrafverfahren in Administrativverfahren gewährleistet sein muss, Rechnung getragen werden. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe kommt nach dieser Bestimmung zunächst nur insoweit in Betracht, als durch Bundes- oder Landesgesetz hinsichtlich der Regelung von Verfahrenshilfe nicht anderes bestimmt ist, was zur Folge hat, dass die Bestimmung daher nur subsidiär zur Anwendung gelangt. Dabei ist wesentlich, dass in den betreffenden Materiengesetzen zur Verfahrenshilfe entsprechende Regelungen, die eine unentgeltliche Unterstützung der Partei im Verfahren gewährleisten, vorhanden sind (siehe dazu Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2. Aufl., Wien 2017, K2 zu § 8a VwGVG). Ein Rechtsanspruch auf Bewilligung der Verfahrenshilfe besteht jedoch nur, wenn nachstehende Voraussetzungen kumulativ vorliegen:

?        Art 6 EMRK und Art. 47 GRC erfordern die Bewilligung;

?        der notwendige Unterhalt der Partei wird durch die Kosten der Verfahrensführung beeinträchtigt;

?        die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darf nicht offenbar mutwillig erscheinen;

?        die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darf nicht offenbar aussichtslos erscheinen (Eder/Martschin/Schmid, Verfahrensrecht, 2. Aufl., K 5 zu § 8a VwGVG).

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 22.12.2010, Rs C-279/09 festgehalten, dass die Frage der unionsrechtlich gebotenen Gewährung von Prozesskostenhilfe, die auch Gebühren für den Beistand eines Rechtsanwaltes umfassen können, einzelfallbezogen nach Maßgabe folgender Kriterien zu erfolgen haben: Begründete Erfolgsaussichten des Klägers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeit des Klägers, sein Anliegen wirksam (selbst) zu verteidigen (VwGH vom 03.09.2015, Ro 2015/21/0032). Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die Verfahrenshilfe nicht in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren. In seinem Prüfungsbeschluss, der zur Aufhebung der Bestimmung des § 40 VwGVG führte, fasste der Verfassungsgerichtshof die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dahingehend zusammen, dass der „Zugang zu einem Gericht nicht bloß theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein müsse“; in jenen Fällen, in denen es „unentbehrlich sei, dass der Partei eines Verfahrens ein unentgeltlicher Verfahrenshelfer beigestellt werde,“ müsse ein solcher beigestellt werden. Für diese Beurteilung sind verschiedene Kriterien maßgeblich. Das sind zum einen Kriterien, die sich auf die Person der Parteien beziehen, nämlich ihre Vermögensverhältnisse oder ihre Fähigkeiten zum Verkehr mit Behörden; zum anderen auch Kriterien, die in Zusammenhang mit der Rechtssache stehen, nämlich die Erfolgsaussichten, die Komplexität des Falles oder die Bedeutung der Angelegenheit für die Parteien (siehe RV 1255 der Beilagen XXV. GP, Erl. zu § 8a VwGVG).

Demnach ist ein Verfahrenshilfeantrag nur dann zu bewilligen, wenn der notwendige Unterhalt einer Partei durch die Kosten der Verfahrensführung beeinträchtigt und die Rechtsverfolgung nicht offenbar mutwillig und nicht offenbar aussichtslos erscheint. Diese für die Bewilligung der Verfahrenshilfe erforderlichen Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, was zur Folge hat, dass Verfahrenshilfe nicht schon dann zu bewilligen ist, wenn der notwendige Unterhalt einer Partei durch die Kosten der Verfahrensführung beeinträchtigt ist. Zudem darf die Rechtsverfolgung nicht offenbar mutwillig und nicht offenbar aussichtslos erscheinen.

In Hinblick auf die Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts durch die Kosten der Verfahrensführung ist vorauszuschicken, dass im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht Anwaltspflicht nicht besteht. Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist grundsätzlich kostenlos und kann anlassbezogen nicht erblickt werden, weshalb es dem ASt nicht möglich sein sollte, die Prozesshandlungen im anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren aus Eigenem zu setzen.

Anlassbezogen hat der Antragsteller seine gegen den Bescheid der ÖGK vom XXXX .11.2019, BZ.: XXXX , erhobene Beschwerde nicht mit einem Verfahrenshilfeantrag verbunden. Erst in seiner im Rahmen des Parteiengehörs ergangenen Äußerung vom 16.08.2020 reichte er einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe nach und begründete diesen damit, dass er sich außerstande sehe, die Kosten der weiteren Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhalts zu bestreiten.

Die behauptete Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts begründete er damit, dass ihm unter Berücksichtigung der „zu erwartenden Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung keine genügenden Mittel für eine einfache Lebensführung verbleiben“ würden.

Aus dem der Eingabe vom angehängten Vermögensbekenntnis findet sich in der Rubrik „Beruf/Beschäftigung“ die Eintragung „Pensionist und geringfügig“. Zu den Wohnverhältnissen heißt es, dass er für die Benützung monatlich EUR 180,00 zu zahlen habe. Zudem beziehe er Einkünfte als unselbständiger Erwerbstätiger bei der XXXX in Höhe von EUR 418,00 und beziehe er von der Pensionsversicherungsanstalt eine Pension in Höhen von EUR 930,15 netto. Der Kontostand auf seinem Girokonto belaufe sich auf (unbelegt gebliebene) EUR 0,68. Bei der Wiener Städtischen Versicherungs AG habe er eine auf XXXX bezogene Ablebensversicherung. Er habe Schulden bei diversen Gläubigern in Höhe von ca. EUR 700.000,00. Gegenüber seiner Ehegattin XXXX , wohnhaft in XXXX , habe er Unterhaltsverpflichtungen in Höhe von EUR 780,00 monatlich.

Dazu ist anzumerken, dass die zwischen ihm und seiner Ehegattin geschlossene Ehe nach wie vor aufrecht ist. Dennoch schlossen die Eheleute am XXXX einen vor dem Bezirksgericht XXXX zu XXXX dokumentierten prätorischen Vergleich, auf dessen Grundlage sich der ASt verpflichtete, seiner Ehegattin einen Betrag von EUR 28.080,00 samt 8% Zinsen p.a. seit 01.07.2010 zu leisten und ihr ab dem 01.08.2013 bei einem fünftägigen Respiro einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von EUR 780,00 zu zahlen. Die Ehegatten wohnen an derselben Adresse und ist der BF mit dem Abschluss des prätorischen Vergleichs ohne nähere Begründung eine Verpflichtung eingegangen, die ihn im Ergebnis potentiellen Gläubigern gegenüber ärmer macht und geeignet ist, exekutive Schritte gegen ihn abzuwehren. Diese Unterhaltsverpflichtung ist daher nicht beachtlich.

Aus der weiter zur Vorlage gebrachten Verständigung der PVA vom Jänner 2020 geht hervor, dass die monatliche Alterspensionsleitung tatsächlich EUR 2.436,95 brutto beträgt. Bringt man den Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von EUR 124,28 und die Lohnsteuer in Höhe von EUR 428,52 zum Abzug, beläuft sich die monatliche Pensionsleistung auf EUR 1.884,15 netto. Die Verständigung der PVA enthält zudem eine als „sonstiger Abzug“ bezeichnete Abzugsposition in Höhe von EUR 954,00, deren Quelle unbekannt ist. Auch dieser Abzugsposten ist nicht weiter beachtlich.

Wenn es in der Begründung des Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe heißt, dass die „zu erwartenden Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung“ seinen notwendigen Unterhalt beeinträchtigen würden, kann dies nicht nachvollzogen werden, zumal die Verfahrensführung vor dem Bundesverwaltungsgericht kostenlos ist und seine Eingabe entsprechende Angaben zur erwarteten Höhe der Kosten seiner rechtsanwaltlichen Vertretung zur Gänze vermissen lässt. Damit lässt sich nicht einschätzen, ob und bejahendenfalls in welchem Ausmaß er von den Kosten seiner rechtsfreundlichen Vertretung beeinträchtigt sein könnte.

Hinzu kommt, dass die gegenständlich die Verfahrensführung nicht aussichtsreich erscheint, zumal der ASt mit seiner Anregung auf Einleitung eines Verfahrens vom 09.04.2019, mit der er sich offenbar auf ein mit Bescheid der ÖGK vom XXXX .12.2000 zu GZ: XXXX entschiedenes Verfahren bezieht, vermeint, er verfüge infolge eines wesentlich geänderten Sachverhalts einen Anspruch auf Erlassung eines neuen Bescheides. Die Anregung des ASt auf Einleitung eines neuerlichen Verfahrens hat die ÖGK im nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom XXXX .11.2019, BZ.: XXXX , als Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom XXXX .12.2000 erledigten Verfahrens gem. § 69 AVG gedeutet und diesen (im Ergebnis als verspätet) zurückgewiesen. In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde führte der BF aus, dass er gar keinen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt hätte; er habe die wesentliche Änderung der Tatsachen nur durch eine neue Antragstellung geltend machen können. Dem widerspricht wiederum die belangte Behörde, die ihrerseits meint, dass eine wesentliche Änderung der Tatsachen gar nicht stattgefunden habe.

Dem liegt der Sachverhalt zu Grunde, dass die ÖGK mit Bescheid vom XXXX .12.2000 die Haftung des ASt gem. § 67 Abs. 10 ASVG für unberichtigt aushaftende Beiträge der XXXX infolge des Konkursverfahrens zu 25 S 31/94 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen festgestellt hat. Die Haftung wurde mit dem Betrag von ATS 8.634.267,73 s.A. ausgesprochen. Zudem besteht ein weiterer Haftungsbescheid über in Haftung gezogene Beiträge in Höhe von insgesamt ATS 3.681.759,82 vom 09.01.1996, wobei beide Haftungsbescheide rechtskräftig und vollstreckbar sind. Mit seiner Eingabe vom 09.04.2019 führte der ASt unter Bezugnahme auf ein zwischen ihm und der PVA beim Landesgericht XXXX zu XXXX anhängiges Verfahren aus, dass im Haftungsbescheid von einer Quote von 1% angenommen worden sei und der Konkurs jedoch mit 1,32630% aufgehoben worden sei, sodass sich der Sachverhalt wesentlich geändert habe und er einen Anspruch auf Erlassung eines neuen Bescheides habe.

Die Anregung des BF ist jedoch so formuliert, dass sie von der ÖGK nur als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 69 AVG verstanden werden konnte, der obendrein noch verspätet gestellt wurde. Selbst wenn der ASt mit seinem Beschwerdevorbringen im Recht sein sollte, dass seine „Anregung“ nicht als Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 69 AVG zu verstehen ist, ist gegenständlich von einer Identität der Sache auszugehen, da weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgebenden tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich entsprechende Anhaltspunkte dahin auch dem Vorbringen des ASt nicht entnehmen lassen.

1.2. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

1.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß Abs. 4 kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Gemäß Abs. 5 kann das Verwaltungsgericht von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Der fallbezogen maßgebliche Sachverhalt konnte schon durch die Aktenlage als hinreichend geklärt erachtet werden. Im Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wurden keine Tatsachenfragen aufgeworfen, die einer Klärung durch das erkennende Gericht bedurft hätten. Gegenständlich war auch keine komplexe Rechtsfrage zu lösen. Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist im vorliegenden Fall gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, abhängt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen und es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aussichtslosigkeit notwendiger Unterhalt Verfahrenshilfe Vermögensbekenntnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G305.2229095.2.00

Im RIS seit

11.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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