TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/1 G304 2234201-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.10.2020
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Entscheidungsdatum

01.10.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G304 2234201-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Vorsitzende, sowie den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER und die fachkundige Laienrichterin Maria HIERZER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Kärnten vom 29.07.2020, OB: XXXX , betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ nicht vorliegen, zu Recht erkannt:

A)

Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF. iVm. §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl. Nr. 22/1970 idF. BGBl. I Nr. 138/2013 wird die gegen den angefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 18.04.2020 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Kärnten (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ samt Beilaen in den Behindertenpass ein.

2. Im Antrag führte der BF aus wie folgt:

„Aus gegebenen Anlass COVID-19 und Zugehörigkeit zur „RISIKOGRUPPE“ versuche ich erneut um positive Erledigung meiner Begehrlichkeit.

Kritisch zeigt die Zukunft eine entspannende Ansteckungsgefahr.

Für mich steht nun fest, dass ich niemals mehr öffentliche Verkehrsmittel nützen kann, dies ist emotional schon nicht mehr nachvollziehbar.

Des Weiteren ändern sich bereits zu häufig und rasch die lästigen („Lungenbeschwerden“?), welche geziemte Herzinsuffizienz nicht begünstigen.“

Eine der Beilagen war ein nicht datiertes „COVID-19-Risiko-Attest“ von Dr. XXXX .

Dieses Attest lautet wie folgt:

COVID-19-Risiko-Attest

Hiermit wird ärztlich bestätigt, dass Herr/Frau und SV-Nummer der betroffenen Person (darüber handschriftlich der Großbuchstabe des BF vermerkt) aufgrund der individuellen gesundheitlichen Situation ein erhöhtes Risiko hat, im Falle einer COVID-19-Infektion einen schweren Krankheitsverlauf durchzumachen. Dadurch wird eine Zugehörigkeit zu einer COVID-19 Risikogruppe begründet.“

Hiernach folgt die Unterschrift der Stempel des Dr. XXXX .

Unter dem Unterschriftfeld findet sich dann noch folgender Text:


„Hinweis:

Es wird darauf hingewiesen, dass die im vorliegenden COVID-19-Risiko-Attest vorgenommene

ärztliche

Feststellung anhand der „Empfehlung des BMSGPK zur Erstellung einer individuellen COVID-19 Risikoanalyse bezüglich eines schweren Krankheitsverlaufs“ vorgenommen wurde. Diese Einschätzung der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe trifft keine Aussage über ein individuelles Infektionsrisiko sowie über die tatsächlich Schwere einer möglichen künftigen Erkrankung an COVID-19.“

Das Feld „Ort, Datum“ ist nicht ausgefüllt, das Attest ist somit undatiert.

2.1. Im eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Fachärztin für Psychiatrie, vom 27.07.2020 wird zur beantragten Zusatzeintragung Folgendes festgehalten:

„dem U. ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar, im Vordergrund steht eine somatoforme Störung bzw. somatische Belastungsreaktion, bisher erfolgte keine Behandlung, es liegt keine phobische Angststörung, keine hochgradige Entwicklungsstörung, keine schwere kognitive Einschränkung und kein Anfallsleiden vor.“

2.2 Mit Schreiben vom 07.05.2020 wurde dem BF das oben angeführte Sachverständigengutachten Dris. XXXX sowie eine abschlägige Stellungnahme Dris. XXXX im Rahmen des Parteiengehörs gem § 45 AVG übermittelt.

2.3 Mit Schreiben vom 15.05.2020 übermittelte der BF Einwendungen, lautend wie folgt:

„Nach vorliegendem Recht (Anspruch) und säumiger Evaluierung, konnte Fr. XXXX nur hinnehmend einschätzen.

In gegensätzlicher Interpretation zum apostolischen Verlangen des Herrn Minister Rudi Anschober, um „Schutz gefährdeter Personengruppen“.

Oder sollen wir als ohnmächtige Opfer im Gedenken an „COVID-19“, unbändigen COVID-Ignoranten ausgeliefert, als Statisten goutieren.

Ethisch verächtlich, diskriminierend und zudem zutiefst beängstigend auch, die kläglich weit auseinander liegenden Standpunkte verschiedenster Fachgruppen zur COVID-19 Pandemie

Sicher jedoch:

?         Rasche Ansteckung und Verbreitung

?         Offensichtlich rasch totbringender Verlauf

?         Ungewissheit bleibender Schäden

?         Bedenkenlosigkeit (Verhüller, Generation, Klientel, …)

Dieser überraschend eingetretene Umstand (COVID-19) im knappen Zeitfenster, rechtfertigen keine Ablehnung meines zueignenden Begehrens.

PS. als vorbildlicher Schutzmaskenträger, fällt es mit Atemnot leider schwer dies über einen längeren Zeitraum auszuhalten (Öffis) und ungeklärt auch der Umstand einer Verschärfung, vorliegender Beschwerden.“

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 29.07.2020 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gem. §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. 283/1990, idgF, abgewiesen.

Dieser Bescheid wurde auf das im Zuge des behördlichen Ermittlungsverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten gestützt.

Begründend wurde ausgeführt, die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei insbesondere bei Vorliegen erheblicher Funktionseinschränkungen unzumutbar. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 Meter) nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, auch unter der Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung des erforderlichen Behelfs die Benützung des öffentlichen Transportmittels in hohem Maß erschweren würde. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauerhafte Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieses Verkehrsmittels angegebenen Bedingungen auswirke. Da das ärztliche Begutachtungsverfahren ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen, sei der Antrag abzuweisen.

4. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Die Beschwerde lautete wie folgt:

„Ich bin überrascht und bestürzt über benachteiligenden Befehl, tatsächlich einem sozial geprägten Bundesland wie Kärnten nicht würdig.

Unter den 5 angeführten Punkten (unzumutbare Benützung – öffentlicher Verkehrsmittel, wenn…), treffen gewiss zwei in meinem Fall zu (*3, *4), berücksichtigt man einerseits unter Gesamtgrad der Behinderung:

a) Unverträglichkeit der Biologica aufgrund einer Immunerkrankung und andererseits

b) Aufhellung Dr. XXXX Med. Psychotraumatherapeutin (DeGPT) Spezialistin.

Weil laut ExpertInnen, in Anbetracht der Pandemie COVID-19, ehestens in 1 ½ Jahren mit einem Impfstoff zu rechnen sei, wäre es ja schon ein angemessener Schritt, für diesen Zeitraum eine Vornahme der Zusatzeintragung in den Behindertenpass zu gewähren!“

5. Am 26.08.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

6. Im Akt liegen hinsichtlich des BF folgende Sachverständigengutachten, die jeweils von der belangten Behörde in vorangegangen Verfahren eingeholt wurden (es wird auch jeweils die gutachterliche Stellungnahme der Unzumutbarkeit der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln wiedergegeben):

-        Gutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 13.09.2017

„keine der eingeschätzten Gesundheitsschädigungen stellen ein Hindernis zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dar.“

-        Gutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 08.10.2019

„Der Untersuchte kann eine kurze Wegstrecke aus eigener Kraft ohne fremde Hilfe zurücklegen. Er führt selbstständig täglich Gymnastik und muskelstärkende Übungen in Kombination mit Slackline-Übungen durch. Das Einsteigen und das Aussteigen und der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel sind möglich.“

-        Gutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, vom 13.11.2019

„Der Antragsteller ist durchaus in der Lage Wegstrecken von 300-400 m am Stück ohne fremde Hilfe zurücklegen. Die Bewältigung von 2-3 Stufen in beide Richtungen stellt ebenso wenig eine Gefährdung der Gesundheit des Antragstellers da wie der Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblicherweise herrschenden Bedingungen.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF hat seinen Wohnsitz in Österreich und ist im Besitz eines Behindertenpasses.

Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung ist nicht zumutbar“ liegen nicht vor.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Dass der BF seinen Wohnsitz im Inland hat, ergab sich aus dem Akteninhalt.

2.3. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (VwGH vom 20.03.2001, GZ 2000/11/0321).

Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).

Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

2.4. Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte, insbesondere der zitierten Entscheidungen, werden die Gutachten der Sachverständigen Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 08.10.2019, Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, vom 13.11.2019 sowie Dr. XXXX , Fachärztin für Psychiatrie, vom 27.07.2020, die jeweils unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde und einer Begutachtung des BF erstellt wurden, schlüssig und nachvollziehbar.

Das Vorbringen des BF im Verfahren vor der belangten Behörde waren recht emotional, in der Sache erstattete er jedoch kein substantiiertes Vorbringen. Die Beschwerde stützt sich wie bereits der Antrag allein auf das Auftreten der COVID-19-Pandemie. Der BF erstattet hingegen kein Vorbringen hinsichtlich neuer Gesundheitsschädigungen oder einer Verschlechterung der bereits erhobenen.

Das Gutachten von Dr. XXXX ist ebenfalls nicht die von Amts wegen eingeholten (oben angeführten) Sachverständigengutachten entkräften, vielmehr ist zu hinterfragen inwiefern überhaupt ein Gutachten im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur vorliegt.

Zunächst ist die Stellungnahme Dris. XXXX hinsichtlich der gutachterlichen Objektivität der Verfasserin zu hinterfragen, da es sich bei der Psychotraumatherapeutin um die Schwester des BF handelt.

Des Weiteren spricht Dr. XXXX von mehreren Traumatisierungen die der BF auf Grund seiner chronischen Leiden erlitten habe, präzisiert diese jedoch in ihrer Art und Umfang nicht weiter. Sie führt auch nicht aus, inwiefern und warum es dem BF deshalb nicht zumutbar sein soll, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Insgesamt war die Stellungnahme Dris. XXXX nicht geeignet, um die von Amts wegen eingeholten Sachverständigengutachten aus verschiedenen Fachrichtungen zu entkräften.

Im Ergebnis liegt kein substantiiertes Vorbringen des BF vor. Er verweist nur auf die momentane COVID-19 Pandemie. Nachdem 2019 zwei Sachverständigengutachten hinsichtlich der Zumutbarkeit der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln erstellt wurden und der BF anlässlich dieser Gutachtenserstellungen auch eine Begutachtung des BFs stattgefunden hat, war die Einholung eines neuerlichen Gutachtens nicht erforderlich.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Die Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Zu Spruchteil A):

3.2.1. Gemäß § 1 Abs. 2 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

3.2.2. In den von der belangten Behörde eingeholten und seitens des erkennenden Gerichtes als schlüssig und nachvollziehbar erachteten Sachverständigengutachten der Sachverständigen Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 08.10.2019, Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, vom 13.11.2019 sowie Dr. XXXX , Fachärztin für Psychiatrie, vom 27.07.2020, die jeweils unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde und einer Begutachtung des BF erstellt wurden, wird durchwegs eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel verneint. schlüssig und nachvollziehbar. Zwar liegen beim BF objektiviert Gesundheitsschädigungen vor, die auch zu einer Funktionseinschränkung mit eingeschränkter Beweglichkeit und Belastbarkeit führen, jedoch keine Funktionseinschränkung von erheblichem Ausmaß festgestellt und die Zurücklegung einer relevanten Wegstrecke für möglich und bezüglich der Leiden des BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in allen Gutachten für zumutbar gehalten.

Die COVID-19-Pandemie kann hingegen nicht eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel begründen. Die Gefahr der Ansteckung mit COVID-19 ist kein Leiden oder eine Funktionseinschränkung. Diese Gefahr besteht für alle erwachsenen Menschen gleich, bei Risikogruppen ist jedoch ein schwererer Verlauf zu befürchten. Würde man die COVID-19-Pandemie und die Gefahr der Ansteckung als Begründung einer Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel zulassen, hätte dies zur Folge, dass jeder Person mit einem Behindertenpass die verfahrensgegenständliche Zusatzeintragung gewährt werden müsste, das die Ansteckungsgefahr für jede dieser Personen, wie im Übrigen auch für Personen ohne Behindertenpass, besteht.

Aus all diesen Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund der vorliegenden Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 08.10.2019, Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, vom 13.11.2019 sowie Dr. XXXX , Fachärztin für Psychiatrie, vom 27.07.2020 und unter Berücksichtigung des vom BF erstatteten Vorbringens geklärt. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Pandemie Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2234201.1.00

Im RIS seit

11.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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