TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/30 Ra 2020/10/0026

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Veröffentlicht am 30.09.2020
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Index

L55002 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Kärnten
L55302 Geländefahrzeuge Motorschlitten Kärnten
L80402 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Kärnten
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §66 Abs4
AVG §68 Abs1
NatSchG Krnt 1986 §15 Abs1
NatSchG Krnt 1986 §5
NatSchG Krnt 1986 §5 Abs1
NatSchG Krnt 1986 §57 Abs1
NatSchG Krnt 2002 §5 Abs1
OrtsbildpflegeG Krnt 1979
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwGVG 2014 §28 Abs5
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.Wurzer, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt gegen das am 19. August 2019 mündlich verkündete und am 18. Dezember 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten, Zl. KLVwG-346/16/2019, betreffend eine naturschutzrechtliche Angelegenheit (mitbeteiligte Partei: H E in D), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit Spruchpunkt II. des verwaltungsbehördlichen Bescheides aufgehoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt - der nunmehrigen Revisionswerberin - vom 16. Jänner 2019 wurde gemäß § 66b des Kärntner Naturschutzgesetzes 2002 (K-NSG 2002) festgestellt, dass die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen (rechtmäßiger Bestand) in Bezug auf das bestehende Wohnhaus auf einem näher genannten Grundstück gegeben seien und daher das Vorliegen der Bewilligung vermutet werde (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der mitbeteiligten Partei die nachträglich beantragte naturschutzrechtliche Bewilligung gemäß § 5 Abs. 1 lit. i K-NSG 2002 für die Errichtung von Zu- und Umbauten am bestehenden Wohnhaus und zur Errichtung einer Carportanlage und einer Stützmauer versagt (Spruchpunkt II.) und der mitbeteiligten Partei zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes aufgetragen, die ohne die erforderliche naturschutzrechtliche Genehmigung errichteten Zu- und Umbauten am bestehenden Wohnhaus sowie die Carportanlage und die Stützmauer bis 31. Dezember 2019 zu entfernen (Spruchpunkt III.).

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten wurde der dagegen erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Partei Folge gegeben und der angefochtene Bescheid „wegen Unzuständigkeit der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde aufgehoben“. Weiters wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

3        Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe von Rechtsvorschriften - soweit für das vorliegende Verfahren von Relevanz - im Wesentlichen aus, das verfahrensgegenständliche Wohnobjekt der mitbeteiligten Partei befinde sich in einer Hanglage mit unterschiedlicher Neigung in einer Streusiedlungslage. Entlang der Zufahrtsstraße befänden sich mehrere Wohnobjekte südlich der gegenständlichen Fläche in einer Entfernung von ca. 100 m. Von dieser Straße führe ein Zufahrtsweg mit Serpentinen durch Wiesenflächen zum Anwesen der mitbeteiligten Partei und dem Anwesen L. Die nächstgelegenen Wohnobjekte zum Anwesen der mitbeteiligten Partei befänden sich in südöstlicher Richtung in einer Entfernung von ca. 30 bis 40 m. Es handle sich dabei um zwei ältere Objekte, wobei eines nicht mehr bewohnt werde (und sanierungsbedürftig sei) und „das zweite scheinbar nur noch zeitweise“ bewohnt werde. Das Wohnhaus und das Nebengebäude der mitbeteiligten Partei seien im Zusammenhang mit den Wohnobjekten der Hofstelle L. und dem zugehörigen Wirtschaftsgebäude als Siedlungssplitter zu betrachten; das Anwesen der mitbeteiligten Partei bilde zusammen mit den Wohnobjekten der Hofstelle L. und dem Streuobstbestand im Südosten eine Siedlungseinheit bzw. ein Siedlungsgebiet im Sinne des K-NSG 2002.

4        Die belangte Behörde - so das Verwaltungsgericht weiter - bringe vor, dass ein Gebäude bestimmten rechtlichen Anforderungen genügen müsse, um als Wohngebäude qualifiziert zu werden. Ein solches Gebäude müsse ganz oder überwiegend zum Wohnen genutzt werden, eine Nutzfläche von mindestens 25 m2 aufweisen und müsse die nach den Bauvorschriften erforderlichen technischen Anforderungen an eine Wohnung erfüllen. Dem sei entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber die Begriffe der freien Landschaft und der geschlossenen Siedlung nicht definiert habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe sich mit dem Begriff der Siedlung bereits befasst und ausgeführt, dass als Untergrenze für eine Siedlung iSd § 5 Abs. 1 K-NSG eine Ansammlung von mindestens drei Wohngebäuden verlangt werde (Verweis auf VwGH 13.10.2004, 2001/10/0200). Nähere Ausführungen zur Beschaffenheit eines Wohngebäudes seien der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu entnehmen. Die Erläuterungen zum K-NSG würden in diesem Zusammenhang den Begriff „Wohnobjekt“ nennen, wobei nicht danach differenziert werde, ob ein solches Wohngebäude ganzjährig oder zeitweilig genutzt bzw. als Haupt- oder Nebenwohnsitz verwendet werde. Auch eine Einschränkung dahingehend, dass das Wohngebäude bestimmte bauchtechnische Anforderungen (wie Größe, Beschaffenheit, Haustechnik) aufzuweisen habe, sei den Materialien nicht zu entnehmen. Gegen die Ansicht der belangten Behörde spreche auch, dass rechtmäßige Wohngebäude über einen baurechtlichen Konsens verfügten und Gebäude, die bereits seit langem bestünden, häufig nicht die geltenden technischen Anforderungen erfüllten. Der Baurechtsgesetzgeber habe daher festgelegt, dass bei Änderungen bereits bestehender Gebäude Abweichungen von den bautechnischen Anforderungen möglich seien. Die Bauvorschriften würden keine Bestimmung des Inhalts kennen, wonach Wohngebäude unabhängig davon, ob diese geändert würden, den geltenden bautechnischen Anforderungen anzupassen seien. Die von der belangten Behörde formulierten Einschränkungen könnten dem Gesetz nicht unterstellt werden.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde.

6        Das Verwaltungsgericht legte die Akten vor.

7        Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden außerordentlichen Revision wird geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Ansicht, dass es bei der Beurteilung, ob eine geschlossene Siedlung im Sinne des § 5 Abs. 1 K-NSG 2002 vorliege, nicht darauf ankomme, ob ein Wohngebäude „überhaupt (noch) bewohnbar ist bzw. bewohnt wird“.

9        Die Revision ist aus dem angeführten Grund zulässig. Sie erweist sich - allerdings nur im Ergebnis und teilweise - als begründet:

10       Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass - entgegen der Ansicht der mitbeteiligten Partei in ihrer Revisionsbeantwortung - die belangte Behörde die vorliegende Revision gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGG nicht durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abzufassen und einzubringen hatte.

11       Nach § 5 Abs. 1 K-NSG 2002 bedürfen in der freien Landschaft, das ist der Bereich außerhalb von geschlossenen Siedlungen, Gewerbeparks und den zu diesen Bereichen gehörigen besonders gestalteten Flächen, wie Vorgärten, Haus- und Obstgärten und Parkplätzen, die nachfolgend genannten Maßnahmen einer Bewilligung.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 5 Abs. 1 Einleitungssatz K-NSG 1986 - der im hier relevanten Bereich dem geltenden Gesetz entspricht - bereits ausgeführt, dass darin „freie Landschaft“ als der Bereich außerhalb von geschlossenen Siedlungen und der zum Siedlungsbereich gehörigen besonders gestalteten Flächen, wie Vorgärten, Haus- und Obstgärten, definiert wird. Den Gesetzesmaterialien (Verf-30/11/1986) zufolge sollte damit als Gegenstück zum „bebauten Gebiet“ im Sinne des Kärntner Ortsbildpflegegesetzes, LGBl. Nr. 81/1979, das Gebiet außerhalb der geschlossenen Siedlungen festgelegt werden. Als „Siedlung“ sollte eine Ansammlung von Gebäuden gelten, wobei als Untergrenze mindestens drei Wohnobjekte vorhanden sein müssten. Als „geschlossen“ werde ein Siedlungsbereich dann anzusehen sein, wenn er optisch einen Zusammenhang zwischen den Gebäuden und den dazugehörigen besonders gestalteten Flächen (Obst- und Vorgärten usw.) erkennen lasse und sich vom übrigen nicht bebauten Gebiet sichtbar abhebe. Eine konkrete Höchstentfernung zwischen den einzelnen Gebäuden, die noch einen Siedlungszusammenhang ergäbe, lasse sich nicht festlegen. Allerdings könne ganz allgemein für den Bereich der Ortsränder festgehalten werden, dass diese bei größeren Gebäudeansammlungen eine weniger „geschlossene“ Bebauung aufweisen müssten, als bei kleineren Einheiten und demnach auch größere Abstände von 100 m und mehr noch immer eine zusammenhängende Besiedlung bewirkten (vgl. VwGH 13.10.2004, 2001/10/0200; 18.10.1999, 97/10/0235, VwSlg. 15246 A; siehe auch VwGH 15.11.1999, 99/10/0180).

13       Die Amtsrevisionswerberin nimmt - unter Wiedergabe dieser Judikatur - den Standpunkt ein, unter Wohnobjekten müssten jedenfalls „bewohnte bzw. bewohnbare Objekte gemeint sein“. Begründet wird diese Ansicht im Wesentlichen unter Verweis auf eine - auszugsweise wiedergegebene - Stellungnahme des Amtes der Kärntner Landesregierung vom 31. Mai 2016 sowie auf Definitionen des Begriffs „Siedlung“ bei „Wikipedia“ sowie im „Duden“. Die genannte Stellungnahme vom 31. Mai 2016 vertritt dazu die - auf Bauvorschriften gestützte - Auffassung, dass als Wohnobjekte nur Gebäude zu verstehen seien, die ganz oder überwiegend zum Wohnen genutzt würden, eine Nutzfläche von mindestens 25 m2 hätten sowie die bautechnischen Anforderungen an Wohnungen erfüllten; sie müssten jedoch nicht ganzjährig genutzt werden.

14       Dem ist nicht zu folgen:

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dem - hier lediglich in den Materialien zu § 5 K-NSG 1986 verwendeten - Begriff „Wohnobjekt“ bereits die Ansicht vertreten, dass darunter entsprechend dem Sprachgebrauch ein Gebäude zu verstehen ist, das von seiner Bestimmung und seiner Konstruktion her Wohnzwecken dienen soll. Darauf, ob das Gebäude zur Zeit bewohnt wird oder ob es sich zur Zeit in einem bewohnbaren Zustand befindet, kommt es jedoch nicht an (vgl. das zu einer Verordnung über eine Wasserleitungsabgabe ergangene Erkenntnis VwGH 18.9.2000, 96/17/0352).

16       Es ist nicht zu erkennen, dass dem Gesetzgeber des Kärntner Naturschutzgesetzes insofern ein anderes Begriffsverständnis vor Augen gestanden wäre. Derartiges lässt sich - wie bereits vom Verwaltungsgericht angemerkt - den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Vielmehr sprechen diese Materialien für ein derartiges Verständnis, verweisen diese doch bei der hier in Rede stehenden Beurteilung einer „geschlossenen Siedlung“ auf den optischen Zusammenhang zwischen den Gebäuden und den dazugehörigen besonders gestalteten Flächen und deren sichtbare Abhebung vom übrigen nicht bebauten Gebiet. Aus welchen Gründen ein derartiger optischer Zusammenhang nicht (mehr) gegeben sein sollte, wenn das betreffende Gebäude nicht bewohnt wird bzw. sich dieses nicht in einem bewohnbaren Zustand befindet, ist nicht ersichtlich.

17       Der von der Amtsrevisionswerberin vertretenen Ansicht ist demnach nicht zu folgen. Soweit in der Revision - gestützt auf diese Ansicht - Verfahrensmängel geltend gemacht werden, mangelt es diesen an Relevanz.

18       Soweit mit dem angefochtenen Erkenntnis daher die Spruchpunkte I. und III. des verwaltungsbehördlichen Bescheides - ersatzlos - aufgehoben wurden, erweist sich die Revision als unbegründet, sodass diese insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

19       Die ersatzlose Behebung des verwaltungsbehördlichen Bescheids hat zur Folge, dass die Verwaltungsbehörde über den Gegenstand nicht mehr neuerlich entscheiden darf. Liegt dem verwaltungsbehördlichen Bescheid aber ein Parteiantrag zugrunde, kommt eine bloße Kassation nicht in Betracht; es muss der Parteiantrag erledigt werden (vgl. VwGH 29.9.2017, Ra 2017/10/0044, 0045, mwN).

20       Im angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der angefochtene Bescheid - ohne weitere Entscheidungspflicht der Verwaltungsbehörde - ersatzlos zu beheben gewesen sei, weil der Behörde die Zuständigkeit zur Erlassung des angefochtenen Bescheides gefehlt habe. Dabei wird übersehen, dass der verfahrenseinleitende Antrag solcherart unerledigt bleibt und über diesen jedenfalls abzusprechen ist. Indem das Verwaltungsgericht den verwaltungsbehördlichen Bescheid dennoch ersatzlos behoben hat, hat es sein Erkenntnis insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher insoweit, als damit Spruchpunkt II. des verwaltungsbehördlichen Bescheides aufgehoben wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 30. September 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020100026.L00

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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