Index
82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal;Norm
ÄrzteausbildungsO 1994 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 1. Februar 1996, Zl. Vd-2144/1, betreffend Anerkennung als Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin, (mitbeteiligte Partei: Dr. P), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Antrag der mitbeteiligten Partei - eines Arztes für Allgemeinmedizin - vom 2. Mai 1995 auf Ausstellung des Diplomes "Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin" gemäß § 11 Abs. 1 Ärztegesetz 1984 idF BGBl. Nr. 100/1994 iVm § 36 Abs. 1 der Ärzte-Ausbildungsordnung BGBl. Nr. 152/1994 (im folgenden: ÄAO 1994) Folge gegeben, der den Antrag abweisende erstinstanzliche Bescheid vom 28. August 1995 behoben und die Österreichische Ärztekammer angewiesen, das von der mitbeteiligten Partei begehrte Diplom auszustellen.
In der auf § 11b Ärztegesetz 1984 gestützten Beschwerde macht die beschwerdeführende Partei Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt. Die mitbeteiligte Partei hat sich zur Beschwerde nicht geäußert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 36 Abs. 1 der mit 5. März 1994 in Kraft getretenen ÄAO 1994 sind Personen, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung eine Ausbildung im Sinne der nach dieser Verordnung vorgesehenen Ausbildung zum Facharzt für unter anderem Arbeits- und Betriebsmedizin oder nachweislich eine zumindest sechsjährige Tätigkeit in diesem Fach zurückgelegt haben, nach Eintragung in die Ärzteliste zur Führung der Berufsbezeichnung "Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin" berechtigt.
Die mitbeteiligte Partei erlangte im Jahre 1989 die Berufsberechtigung als Arzt für Allgemeinmedizin. Sie ist seit 2. Jänner 1990 Betriebsarzt in einem näher genannten Betrieb in Tirol. In der Folge betreute sie zusätzlich noch vier weitere Betriebe in arbeitsmedizinischer Hinsicht. Sie hat einen zwölfwöchigen arbeitsmedizinischen Lehrgang an der Österreichischen Akademie für Arbeitsmedizin absolviert und besitzt das ÖÄK-Diplom Arbeitsmedizin.
Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung mit dem Hinweis auf die besagte Ausbildung in Verbindung mit der von der mitbeteiligten Partei bis zum Inkrafttreten der ÄAO 1994 absolvierten arbeitsmedizinischen Tätigkeit (über 6.000 Stunden in der Metallindustrie, über 3.000 Stunden im Bereich Eisen- und Metallwaren) und die Tatsache, daß die mitbeteiligte Partei im Zeitpunkt der Entscheidung durch die belangte Behörde eine mehr als sechsjährige Tätigkeit im Fach Arbeits- und Betriebsmedizin aufweise. Insoweit sei nicht der Zeitpunkt des Inkrafttretens der ÄAO 1994, sondern vielmehr der Entscheidungszeitpunkt maßgebend.
Die beschwerdeführende Partei bringt vor, nach der Begründung des angefochtenen Bescheides stehe unbestritten fest, daß die mitbeteiligte Partei vor dem Inkrafttreten der ÄAO 1994 keine Ausbildung zum Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin abgeschlossen habe. Unzutreffend sei die Ansicht der belangten Behörde, die Wendung "vor Inkrafttreten dieser Verordnung" beziehe sich nur auf den ersten und nicht auch auf den zweiten Tatbestand des § 36 Abs. 1 ÄAO 1994; dagegen sprächen Wortlaut und Zweck dieser Übergangsbestimmung.
Die beschwerdeführende Partei ist mit dieser Ansicht im Recht. Die besagte Wendung bezieht sich, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 16. Mai 1997, Zl. 97/11/0021, ausgesprochen hat, auf beide Tatbestände des § 36 Abs. 1 ÄAO 1994. Es besteht aus der Sicht des Beschwerdefalles keine Veranlassung, von dieser Auffassung abzugehen. Dies insbesondere auch nicht im Hinblick auf die Argumentation der belangten Behörde betreffend angeblich unsachliche Schlechterstellung von Ärzten, die das Erfordernis einer sechsjährigen Mindestpraxis vor dem 5. März 1994 knapp verfehlen. Dazu genügt es, auf die Möglichkeit der Anrechnung derartiger Zeiten gemäß § 9 Ärztegesetz 1984 hinzuweisen. Daß dort von "Ausbildungszeiten" die Rede ist, steht einer Anrechnung der arbeitsmedizinischen Praxistätigkeit der mitbeteiligten Partei, bei der es sich nicht um eine solche Ausbildungszeit im engeren Sinn (also um die unselbständige Ausübung des Arztberufes im Sinne des § 2 Abs. 3 Ärztegesetz 1984) handelt, nicht entgegen. Es wäre mit Sinn und Zweck der gegenständlichen Regelungen nicht vereinbar, würde man eine inhaltsgleiche selbständige arbeitsmedizinische Tätigkeit vor dem 5. März 1994 nicht als gleichwertig mit einer unselbständigen arbeitsmedizinischen Tätigkeit im Rahmen einer entsprechenden Ausbildung nach der ÄAO 1994 ansehen. Für eine solche Gleichwertigkeit spricht gerade auch der zweite Tatbestand des § 36 Abs. 1 ÄAO 1994, der die Gleichwertigkeit einer zumindest sechsjährigen selbständigen arbeitsmedizinischen Tätigkeit mit einer solchen Tätigkeit im Rahmen einer Ausbildung nach den Bestimmungen der ÄAO 1994 zum Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin voraussetzt.
Konsequenz der erst mit der ÄAO 1994 erfolgten Normierung einer Ausbildung zum Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin und des Fehlens entsprechender Übergangsbestimmungen ist allerdings, daß eine nach dem 5. März 1994 absolvierte selbständige arbeitsmedizinische Tätigkeit nicht mehr anrechenbar ist. Mit anderen Worten: Fehlende Zeiten für die Erlangung des Facharzttitels können nur noch im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses nach der ÄAO 1994 erbracht werden. Das jeweils in Betracht kommende Zeitausmaß ergibt sich aus der Entscheidung über die Anrechnung der bisherigen arbeitsmedizinischen Tätigkeit gemäß § 9 Ärztegesetz 1984.
Die belangte Behörde hat die Rechtslage verkannt, indem sie zum einen das Erfordernis einer zumindest sechsjährigen arbeitsmedizinischen Praxis vor dem Inkrafttreten der ÄAO 1994 für die Anerkennung als Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin verneinte und zum anderen, was die Zeit nach dem 5. März 1994 anlangt, von der Anrechenbarkeit einer arbeitsmedizinischen Tätigkeit außerhalb eines Ausbildungsverhältnisses nach der ÄAO 1994 ausging.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996110058.X00Im RIS seit
22.05.2001