TE Vwgh Beschluss 2020/10/5 Ra 2020/10/0064

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Veröffentlicht am 05.10.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
10/10 Grundrechte
74/01 Kirchen Religionsgemeinschaften

Norm

B-VG Art133 Abs4
IslamG 2015 §28 Abs2
StGG Art15
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, über die Revision des M M in G, vertreten durch die Rihs Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 11. Oktober 2019, Zlen. VGW-101/014/8793/2019-9, VGW-101/V/014/8798/2019, betreffend Zurückweisung einer Wahlaufsichtsbeschwerde gemäß § 28 Abs. 2 IslamG 2015 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien Bundeskanzleramt [nunmehr: Bundesministerin für Frauen und Integration] mitbeteiligte Partei: X in W), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Schreiben vom 18. Februar 2019 gab die mitbeteiligte Partei gemäß § 7 Z 3 Islamgesetz 2015 (IslamG 2015) der belangten Behörde die am 2. Februar 2019 gewählten organschaftlichen Vertreter der „Y der X“ (in der Folge: Kultusgemeinde) bekannt.

2        Der Revisionswerber ist Mitglied der Kultusgemeinde. Er erachtet die Wahl dieser Organe als „nichtig“; er selbst sei der rechtmäßig bestellte Vorstandsvorsitzende der Kultusgemeinde.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien wurde - im Beschwerdeverfahren - die vom Revisionswerber eingebrachte Wahlaufsichtsbeschwerde gegen die Wahl der genannten Organe zurückgewiesen.

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe die in § 28 Abs. 2 IslamG 2015 vorgesehene innerreligionsgesellschaftliche (Anfechtungs-)Möglichkeit, nämlich die Befassung des Schiedsgerichts der mitbeteiligten Partei, nicht ausgeschöpft, weshalb die belangte Behörde zu Recht ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über die Wahlaufsichtsbeschwerde verneint habe.

5        Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 11. Dezember 2019, E 4117/2019-8, die Behandlung der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde mit weiterem Beschluss vom 7. Jänner 2020, E 4117/2019-12, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        Die vom Revisionswerber in weiterer Folge eingebrachte außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es gebe keine Rechtsprechung zur Wahlaufsichtsbeschwerde gemäß § 28 IslamG 2015. Es sei insbesondere die Frage zu klären, ob gemäß Art. 14 der Verfassung der mitbeteiligten Partei ein innerreligionsgesellschaftlicher Instanzenzug zur Überprüfung der Wahl offenstehe.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision ist nicht zulässig.

11       Gemäß § 8 Abs. 1 erster Satz IslamG 2015 sind Kultusgemeinden Teile einer islamischen Religionsgesellschaft, die zugleich selbstständige Körperschaften öffentlichen Rechts sind.

12       Gemäß § 28 Abs 2 leg. cit. steht, falls außenvertretungsbefugte Organe durch Wahl bestimmt werden, jeder und jedem aktiv Wahlberechtigten oder jeder und jedem, der oder die aufgrund der Wahlregelungen gemäß Abs. 1 aktiv wahlberechtigt sein könnte, nach Erschöpfung der innerreligionsgesellschaftlichen Möglichkeiten das Recht einer Wahlaufsichtsbeschwerde an den Bundeskanzler zu.

13       Zu den „inneren Angelegenheiten“ im Sinne des Art. 15 StGG gehören neben der Sittenlehre und dem Kultus jedenfalls auch Verfassung und Organisation einer Kirche (vgl. VwGH 30.1.2020, Ro 2019/10/0026, mit Hinweis auf VfSlg. 19.540). Die Durchführung von Wahlen zu Organen von (anerkannten) Kirchen und Religionsgesellschaften ist eine derartige Angelegenheit der inneren Organisation und damit eine „innere Angelegenheit“ im Sinne des Art. 15 StGG (vgl. VfSlg. 4955 und VfSlg. 7982).

14       Gemäß § 28 Abs. 2 IslamG setzt die vorliegende Wahlaufsichtsbeschwerde des Revisionswerbers demnach die Erschöpfung der „innerreligionsgesellschaftlichen Möglichkeiten“ voraus.

15       Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verfassung der mitbeteiligten Partei (in der Folge: „Verfassung“) wird bei allen Muslimen in Österreich, welche im Melderegister bei den Angaben zum Religionsbekenntnis „Islam“ angegeben haben und nicht bereits einer anderen in der Republik Österreich gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft oder einer eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft angehören, die Mitgliedschaft bei der mitbeteiligten Partei vermutet.

16       Gemäß Art. 14 Abs. 2 der Verfassung trifft das Schiedsgericht „weisungsfrei und unabhängig Entscheidungen gemäß den Bestimmungen dieser Verfassung über alle aus dem Verhältnis in der X entstehenden Streitigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gremien oder zwischen einzelnen Mitgliedern und den zuständigen Gremien der X, wenn es von einer Streitpartei dazu schriftlich gerufen wird“.

17       Das Verwaltungsgericht hat - von der Revision unwidersprochen - die Mitgliedschaft des Revisionswerbers bei der mitbeteiligten Partei im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Verfassung festgestellt. Davon ausgehend hat es aus Art. 14 Abs. 2 der Verfassung die Zuständigkeit des Schiedsgerichts der mitbeteiligten Partei zur Entscheidung über die gegenständliche Wahlaufsichtsbeschwerde abgeleitet (und sohin das Bestehen einer „innerreligionsgesellschaftlichen Möglichkeit“ einer Wahlanfechtung angenommen).

18       Eine im konkreten Einzelfall getroffene Auslegung von Verträgen, Satzungen oder Organisationsstatuten (bzw. hier: einer „Verfassung“) kann nur dann eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen, wenn sie grobe Auslegungsfehler oder sonstige krasse Fehlbeurteilungen erkennen lässt (vgl. etwa VwGH 2.10.2018, Ra 2018/01/0403; 27.2.2019, Ra 2019/10/0010; 20.5.2020, Ra 2019/07/0086). Dass dem Verwaltungsgericht ein derartiger Fehler unterlaufen wäre, wird in der Revision nicht aufgezeigt.

19       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 5. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020100064.L01

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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