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90/02 Kraftfahrgesetz;Norm
KDV 1967 §34 Abs1 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des H in L, vertreten durch Mag.rer.soc.oec. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 8. August 1996, VerkR-392.241/6-1996/Vie, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B und C gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm bis zur Feststellung der geistigen und körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die bekämpfte Entziehungsmaßnahme beruht auf der Annahme, der Beschwerdeführer besitze nicht die nötige geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B und C. Die belangte Behörde stützte sich dabei auf das Gutachten eines ihr beigegebenen ärztlichen Amtssachverständigen vom 14. Mai 1996 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 17. Juni 1996. Das Gutachten vom 14. Mai 1996 referiert zunächst kurz die vom Amtsarzt eingesehenen (insgesamt sechs) Unterlagen, von denen sich lediglich das Gutachten des Amtsarztes der Erstbehörde im Akt befindet. Es folgt die Wiedergabe des Ergebnisses der Untersuchung des Beschwerdeführers durch den Amtssachverständigen. Daran schließt sich folgende abschließende "Beurteilung":
"Bei Herrn H wurde bereits ein chron. Alkoholismus diagnostiziert. Außerdem wurde eine deutliche corticale Hirnatrophie festgestellt. Der Gamma GT-Wert liegt deutlich über der Norm. Auch der klinische Befund weist auf einen körperlichen und geistigen Abbau hin. Im Gutachten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit wurde Herr H vom Standpunkt der verkehrspsychologischen Begutachtung aus für derzeit nicht geeignet befunden.
Insgesamt ergibt sich aus der ha. Untersuchung und aus den vorgelegten Befunden, daß mit einer Verbesserung des Gesundheitszustandes des Herrn H gerechnet werden kann. Er ist jedoch derzeit sicherlich noch nicht geeignet, ein KFZ der Gruppen A, B oder C zu lenken."
Aufgrund des Hinweises des Beschwerdeführers, daß zwei für ihn positive Befunde einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom Amtssachverständigen nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, hielt dieser in der Stellungnahme vom 17. Juni 1996 fest, aus diesen Bestätigungen lasse sich lediglich ableiten, daß eine Stabilisierung bei schwerer depressiver Episode eingetreten, ein Fortschritt in psychischen Befunden festzustellen und kein Grund für einen floriden "C2OH-Abusus" anzunehmen sei. Eine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen lasse sich daraus jedoch nicht ableiten. Vielmehr seien beim Beschwerdeführer eine deutliche corticale Hirnatrophie (Hirnschwund) bei chronischem Alkoholismus diagnostiziert und außerdem im Gutachten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit Einschränkungen im Bereich der Beobachtungsfähigkeit und des Reaktionsverhaltens festgestellt worden. Aus diesem Gesamtsachverhalt ergebe sich die Nichteignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B und C.
Das vorhin wiedergegebene ärztliche Gutachten ist mit wesentlichen Mängeln behaftet, sodaß es nicht als taugliche Grundlage für die Beurteilung der geistigen und körperlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen angesehen werden kann:
Was die Beurteilung der besagten Eignung aus rein medizinischer Sicht anlangt, beschränkt es sich auf die geraffte Wiedergabe des im Gutachten zuvor festgehaltenen Ergebnisses der Einsichtnahme des Amtssachverständigen in den Befundbericht der O.ö. Landesnervenklinik Wagner-Jauregg vom 28. November 1995 ("Diagnose: Alk. chron., Tranquilizer-Abusus, abnorme Erlebnisreaktion unter Alkoholeinfluß. Gamma-GT:
370 bzw. 214. CT-Befund: Deutliche corticale Hirnatrophie") und die Feststellungen, daß der Gamma GT-Wert deutlich über der Norm liege und auch der erhobene klinische Befund auf einen körperlichen und geistigen Abbau hinweise. Mangels näherer Ausführungen über den chronischen Alkoholismus und die corticale Hirnatrophie, die Bedeutung des erhöhten Gamma-GT-Wertes im gegebenen Zusammenhang sowie das Ausmaß des "körperlichen und geistigen Abbaus" des Beschwerdeführers und die damit verbundenen Auswirkungen auf sein Fahrverhalten ist die abschließende Beurteilung, er sei "derzeit sicherlich noch nicht geeignet, ein Kraftfahrzeug der Gruppen A, B oder C zu lenken", nicht nachvollziehbar. Dazu kommt, daß es sich bei den angegebenen Gamma GT-Werten offenbar nicht um aktuelle, sondern bereits länger zurückliegende (anläßlich des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im besagten Krankenhaus im November 1995 erhobene) Werte handelt. Außerdem hätten die vom Amtssachverständigen letztlich für entscheidend erachteten gesundheitlichen Mängel des Beschwerdeführers (chronischer Alkoholismus und corticale Hirnatrophie) im Sinne des § 34 Abs. 3 (in Verbindung mit Abs. 1 lit. b und d) KDV 1967 eine Begutachtung durch einen entsprechenden Facharzt erfordert (ob und mit welchem Ergebnis eine solche durch die vom Beschwerdeführer kontaktierte Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie erfolgte, ist der Aktenlage nicht zu entnehmen).
Was die Verneinung der Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen "vom Standpunkt der verkehrspsychologischen Begutachtung" anlangt, liegt dem Gutachten des ärztlichen Amtssachverständigen ein verkehrspsychologischer Befund zugrunde, der ebenfalls wesentliche Mängel aufweist. In diesem Befund vom 10. Jänner 1996 wird der Beschwerdeführer wegen nicht ausreichender kraftfahrspezifischer Leistungsfähigkeit und Fehlens der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung als "derzeit nicht geeignet" beurteilt.
In Ansehung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen findet sich im verkehrspsychologischen Befund folgende
Beurteilung: Hinsichtlich der Beoachtungsfähigkeit: "Visuelle
Auffassung: Stark vermindert. Überblicksgewinnung:
Herabgesetzt"; hinsichtlich des Reaktionsverhaltens:
"Reaktionszeit: Verlängert. Reaktionssicherheit: Erhöhte Anzahl von Entscheidungsfehlern. Belastbarkeit: Auf allen Anforderungsstufen fällt eine signifikante Häufung von Reaktionsverzögerungen und -auslassungen auf. Unter mittleren (Phase 3) und erhöhten (Phase 2) Belastungsbedingungen kommt es vermehrt zu Fehlreaktionen. Insgesamt ist die reaktive Dauerbelastbarkeit beeinträchtigt"; hinsichtlich der Konzentrationsfähigkeit: "Eine gute Sorgfaltsleistung gelingt nur bei auffällig verlangsamtem Arbeitstempo"; hinsichtlich
Koordination der Muskelbewegungen: "Erschwert"; hinsichtlich
Intelligenz und Erinnerungsvermögen: "Der abstrakt-logische Intelligenzmeßwert ist unterdurchschnittlich, der handlungsorientierte-praktische Leistungswert durchschnittlich ausgeprägt. Eine Minderung des Erinnerungsvermögens ist nicht nachweisbar".
Grundlage dieser Beurteilungen sind offensichtlich die in einer Beilage angegebenen, bei den einzelnen Tests erzielten Testwerte. Die daraus abgeleiteten Beurteilungen der einzelnen Leistungsfähigkeiten sind allerdings mangels Angabe der der jeweiligen Beurteilung zugrundegelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte nicht nachvollziehbar. Dazu kommt, daß den Aussagen wie "herabgesetzt", "verlängert", "erhöhte Anzahl von Entscheidungsfehlern" mangels Bezugnahme auf den jeweiligen Grenzwert nicht entnehmbar ist, ob dieser erreicht oder verfehlt wurde (und in welchem Ausmaß).
Ein solcher Mangel haftet auch der negativen Beurteilung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung an. Insoweit führt der verkehrspsychologische Befund vom 10. Jänner 1996 zwar die angewandten Tests und die bei den einzelnen Skalen erzielten Testwerte an, nicht jedoch die nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie jeweils maßgebenden Grenzwerte. Damit fehlt eine wesentliche Grundlage für die Nachvollziehbarkeit der aus den einzelnen Testwerten gezogenen Schlußfolgerungen.
Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996110271.X00Im RIS seit
12.06.2001