TE Vwgh Beschluss 2020/10/8 Ra 2020/01/0343

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Veröffentlicht am 08.10.2020
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Index

E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
StbG 1985 §28
StbG 1985 §28 Abs1 Z1
StbG 1985 §28 Abs2
StbG 1985 §34
VwGG §34 Abs1
62017CJ0221 Tjebbes VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des M H in T, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 9. Oktober 2019, Zl. VGW-152/058/8584/2019/E-22, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Vorgeschichte

1        Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 1. April 2019 wurde in der Sache der Antrag des Revisionswerbers, eines (auch) iranischen Staatsangehörigen, auf Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs der US-amerikanischen Staatsangehörigkeit gemäß § 28 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen.

Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Bewilligung nach § 28 Abs. 2 StbG sei nicht möglich, da der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft durch Verleihung (gemäß § 10 Abs. 3 StbG) erworben habe.

2        Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 17. Juni 2019, E 1832/2019 = VfSlg. 20.330, wurde dieses Erkenntnis aufgehoben.

Begründend führte der VfGH unter anderem aus:

„2. § 28 StbG regelt die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit, der sonst unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG ex lege zum Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft führt, ohne dass es dafür einer behördlichen Entscheidung bedarf (VfGH 11.12.2018, E 3717/2018). In diesem System kommt dem Verfahren zur Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 28 StbG insofern grundrechtliche Bedeutung zu, als die Behörde anlässlich eines Antrages auf Beibehaltung der Staatsbürgerschaft die Folgen eines allfälligen Verlustes auf ihre Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 8 EMRK prüfen kann und muss (EGMR 21.6.2016, Fall Ramadan, Appl. 76.136/12, Z 90 ff.; für die unionsrechtlich gebotene Abwägung der Folgen des Verlustes der Unionsbürgerschaft siehe im gegebenen Zusammenhang EuGH 12.3.2019, Rs. C-221/17, Tjebbes ua., Rz 41 f.). Gegebenenfalls besteht ein Rechtsanspruch auf Beibehaltung der Staatsbürgerschaft gemäß § 28 StbG.

Vor diesem Hintergrund ist der mit BGBl 394/1973 zur Vermeidung von Härtefällen (Erläut. zur RV 729 BlgNR 13. GP, 7) in das StbG 1965 eingefügte und nunmehr in § 28 Abs. 1 Z 1 StbG normierte Tatbestand, dass ‚aus einem besonders berücksichtigungswürdigen Grund‘ die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft im Interesse der Republik liegt, auch dann erfüllt, wenn der gesetzlich angeordnete Verlust der Staatsbürgerschaft eine Verletzung des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens und damit einen Verstoß gegen die Verpflichtung der Republik Österreich zur Gewährleistung dieses Konventionsrechts bedeuten würde. Denn es wäre sachlich nicht gerechtfertigt, dass entsprechend gewichtige Gründe des Privat- und Familienlebens die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit nur begründen können sollen, wenn die Staatsbürgerschaft durch Abstammung (siehe § 28 Abs. 2 StbG), nicht aber, wenn sie auf anderem Weg, insbesondere durch Verleihung, erworben wurde (also ein Fall des hinsichtlich des Erwerbes der Staatsbürgerschaft allgemeinen § 28 Abs. 1 StbG vorliegt).

3. Indem das Verwaltungsgericht Wien eine Prüfung von im Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers begründeten Umständen von vornherein schon deshalb ausschließt, weil dieser die österreichische Staatsbürgerschaft nicht durch Abstammung bei der Geburt, sondern durch Verleihung erworben hat, hat es § 28 StbG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt.“

Angefochtenes Erkenntnis

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. Oktober 2019 wurde im fortgesetzten Verfahren in der Sache der Antrag des Revisionswerbers (auf Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs der US-amerikanischen Staatsangehörigkeit) neuerlich gemäß § 28 StbG abgewiesen.

Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Revisionswerbers in rechtlicher Hinsicht aus, nach dem Erkenntnis des VfGH vom 17. Juni 2019, E 1832/2019, sei zu prüfen, ob ein im Privat- und Familienleben des Revisionswerbers besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliege, der die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft rechtfertige.

Vom Revisionswerber werde zunächst ins Treffen geführt, ihm drohe durch die Nichtannahme der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft der Verlust der Green Card, da er im Iran geboren sei und zu befürchten sei, dass unter der Präsidentschaft Trump ein völliger „Stopp von muslimischer Zuwanderung“ in den USA erreicht werden solle. Weiter sei zu befürchten, dass der Revisionswerber die Green Card verliere, da er im Jahr 2009 Arbeitslosengeld bezogen habe und die Gefahr bestünde, dass er auch in naher Zukunft wieder Arbeitslosengeld beziehen müsse und von der Regierung beabsichtigt sei, Green Card Besitzern die Green Card zu entziehen, wenn sie jemals staatliche Unterstützung erhalten hätten. Im vorliegenden Revisionsfall sei ein solcher Verlust der Green Card nicht konkret zu befürchten. Zwar könne unter Umständen die Erteilung einer Green Card von der Nationalität abhängig und die Ausstellung von Visa und/oder Green Cards an iranische Staatsbürger problematisch sein; davon seien aber Personen wie der Revisionswerber, die bereits im Besitz einer Green Card seien, nicht betroffen. Die Verlängerung einer Green Card habe mit der Nationalität der betreffenden Person nichts zu tun. Auch dass der Bezug gewisser Sozialleistungen berücksichtigt werden könne, betreffe ausschließlich Personen, die erstmals in die USA einwandern wollten. Zwar könne natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass die derzeitigen Gesetze künftig geändert werden könnten, jedoch könnten zukünftige ungewisse Ereignisse ein Beibehaltungsrecht nicht begründen.

Der Revisionswerber leite eine extreme Beeinträchtigung seines Privat- und Familienlebens, die nur durch die Annahme der US-Staatsbürgerschaft vermieden werden könnte, zudem daraus ab, dass er schon seit längerer Zeit eine Beziehung zu einer japanischen Staatsangehörigen führe und es unsicher sei, dass dieser nach einer Eheschließung eine Green Card erteilt werden würde. Dazu sei festzuhalten, dass der Revisionswerber und seine Freundin derzeit nicht verheiratet seien und es auch noch keine konkreten Hochzeitspläne gebe. Selbst wenn man annehmen würde, dass der Revisionswerber und die (näher bezeichnete) japanische Staatsangehörige in naher Zukunft heiraten würden, könnte die Letztgenannte als Ehegattin eines Green Card Inhabers eine Green Card beantragen und ein Aufenthaltsrecht in den USA erhalten. Die dabei zu erwartende längere Wartezeit stelle keine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens dar, da der Revisionswerber und die (näher bezeichnete) japanische Staatsangehörige ihr Familienleben bis zur Erteilung der Green Card durch regelmäßige gegenseitige Besuche aufrecht erhalten könnten.

Auch das Vorbringen, der Revisionswerber sei bei der Einreise in die USA auf Grund seiner iranischen Herkunft strengeren Kontrollen unterworfen als möglicherweise andere Green Card Inhaber und ihm seien bei der Einreise in die USA schon öfters diskriminierende Fragen im Zusammenhang mit seiner Herkunft gestellt worden, vermöge für sich allein das Recht auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht zu begründen. So habe es bisher noch nie erhebliche Schwierigkeiten gegeben, die ihn an der Einreise in die USA gehindert hätten.

Zur möglichen zukünftigen Pflegebedürftigkeit der (österreichischen) Mutter des Revisionswerbers sei auszuführen, dass diese noch nicht eingetreten sei und auch nicht konkret zu befürchten sei. Die Mutter des Revisionswerbers sei derzeit gesund und bewältige ihren Alltag in Österreich alleine. Die Erkrankung an Brustkrebs reiche für die Annahme der unmittelbar drohenden Pflegebedürftigkeit nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes nicht aus. Der vom Revisionswerber vorgebrachte ihm drohende Verlust der Green Card bei einer möglichen Pflegebedürftigkeit seiner Mutter und einem damit verbundenen längeren Aufenthalt in Österreich sei nicht zu befürchten.

Auch habe der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben, er sei in den letzten Jahren „nicht so oft“ in Österreich gewesen, da er oft nach Japan zu seiner Freundin gereist sei und nicht so viel Urlaub gehabt habe. Ein Verlust der Green Card könne dadurch vermieden werden, dass der Revisionswerber vor der Ausreise eine Wiedereinreisegenehmigung („Reentry Permit“) beantrage, die für die Dauer von zwei Jahren einem Verlust der Green Card entgegenstehe.

Auch darin, dass der Revisionswerber die Wohnung seiner Mutter erben und deshalb die österreichische Staatsbürgerschaft beibehalten wolle, liege kein besonders berücksichtigungswürdiger Grund vor, welcher eine Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft rechtfertigen würde, zumal die Mutter des Revisionswerbers derzeit noch gar nicht Eigentümerin der Wohnung sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den VfGH. Dieser lehnte mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 4315/2019-5, die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zur Entscheidung ab.

Begründend führte der VfGH unter anderem aus, spezifische verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Verwaltungsgericht die Regelung des § 28 Abs. 2 StbG im Hinblick auf die konkrete Situation des (nunmehrigen) Revisionswerbers in jeder Hinsicht zutreffend angewendet hat, nicht anzustellen.

5        Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

Zulässigkeit

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass im vorliegenden Fall (auf Grund der langjährigen Trennung des Revisionswerbers von seiner zukünftigen Ehefrau) eine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens vorliege und sei damit von der (näher zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 2 StbG abgewichen.

10       Zudem sei im angefochtenen Erkenntnis eine nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-221/17, Tjebbes u.a., erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unterblieben. Hätte das Verwaltungsgericht eine solche durchgeführt, hätte es auf Grund der Tatsache, dass dem Revisionswerber „ein gemeinsames Familienleben mit seiner zukünftigen Ehefrau“ für zumindest fünf bis sieben Jahre verwehrt bleibe, der regelmäßige Besuch seiner Mutter im Bundesgebiet zukünftig durch den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht mehr gesichert sei und zudem auf Grund seiner iranischen Staatsangehörigkeit die Verlängerung der E-Card „fraglich“ sei, von einer Unverhältnismäßigkeit ausgehen müssen.

11       Zu diesem Vorbringen ist Folgendes festzuhalten:

12       Vorauszuschicken ist, dass dem österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht die Ordnungsvorstellung zugrunde liegt, mehrfache Staatsangehörigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2018/01/0159, mwN).

13       § 28 StbG normiert drei Tatbestände für die Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft. Nach § 28 Abs. 1 Z 1 StbG muss die Beibehaltung wegen der bereits erbrachten oder noch zu erwartenden Leistungen oder aus einem anderen besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Interesse der Republik und nicht bloß des Betroffenen selbst liegen. Der durch die Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 geschaffene Tatbestand des § 28 Abs. 2 StbG wiederum soll Staatsbürgern die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit ermöglichen, wenn ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt, um extreme Beeinträchtigungen des Privat- oder Familienlebens des Staatsbürgers zu vermeiden, die sich aus der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit oder dem Verlust der Staatsbürgerschaft ergeben (vgl. zu allem VwGH 15.5.2019, Ra 2018/01/0076, mwN).

14       Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG wurden durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits Leitlinien bzw. Grundsätze aufgestellt. Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen auch im vorliegenden Einzelfall zutreffen, unterliegt grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. zu allem VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0437, mwN).

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits berücksichtigt, dass der VfGH in seiner jüngsten Rechtsprechung (Verweis auf das - in der vorliegenden Rechtssache ergangene - Erkenntnis VfGH 17.6.2019, E 1832/2019) in verfassungskonformer Interpretation den Tatbestand des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG dahin ausgelegt hat, dass ein Grund im Interesse der Republik auch dann vorliegt, wenn der gesetzlich angeordnete Verlust der Staatsbürgerschaft eine Verletzung des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens bedeuten würde und dabei insbesondere auf die Rn. 15 dieses Erkenntnisses mit Verweis auf EGMR 21.6.2016, Ramadan, Appl. 76.136/12, und EuGH 12.3.2019, C-221/17, Tjebbes, hingewiesen. Im Hinblick auf diesen (verfassungsrechtlich gebotenen) Inhalt des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG wies der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass sich das Verwaltungsgericht (in der dortigen Rechtssache) ausführlich mit den Auswirkungen seiner Entscheidung auf das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers nach Art. 8 EMRK auseinandergesetzt hat (vgl. zu allem VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0437, mwN).

16       Unter Berücksichtigung der (zu EuGH Tjebbes u. a.) ergangenen Rechtsprechung des VfGH (Verweis auf VfGH 17.6.2019, E 1832/2019, mit Verweis auf EGMR 21.6.2016, Ramadan, Appl. 76.136/12, Z. 90ff) ist die unionsrechtlich gebotene Abwägung vor dem Hintergrund von Art. 8 EMRK zu betrachten. Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist jedoch im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG und daher vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten hat oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat bzw. die Entscheidung auf einer verfahrensrechtlich nicht einwandfreien Grundlage erfolgte (vgl. VwGH 28.1.2020, Ra 2019/01/0466, mwN).

17       In der vorliegenden Rechtssache ist, da der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft nicht - wie in § 28 Abs. 2 StbG als Voraussetzung normiert - durch Abstammung erworben hat, sondern durch Verleihung, § 28 Abs. 1 Z 1 StbG anwendbar. Zu dieser Bestimmung besteht - wie oben aufgezeigt - bereits ausreichend Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, welche auch bereits das in der vorliegenden Rechtssache ergangene und damit maßgebliche Erkenntnis des VfGH vom 17. Juni 2019, E 1832/2019 (VfSlg. 20.330), berücksichtigt (vgl. VwGH 14.12.2018, Ro 2018/01/0015, mwN, wonach bei Prüfung der vom Verwaltungsgericht erlassenen Ersatzentscheidung auch der Verwaltungsgerichtshof an die Rechtsauffassung des VfGH gebunden ist).

18       Nach dieser Rechtsprechung ist der Tatbestand des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG dann erfüllt, wenn der gesetzlich angeordnete Verlust der Staatsbürgerschaft eine Verletzung des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens bedeuten würde. Dabei ist auch die (nach EuGH Tjebbes u.a.) unionsrechtlich gebotene Abwägung vor dem Hintergrund von Art. 8 EMRK zu betrachten. Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist jedoch im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

19       Vorliegend zeigt die Revision eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht nicht auf.

20       So ist zu den vom Revisionswerber behaupteten Eingriffen in sein Privat- und Familienleben darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um nur hypothetische oder potentielle Folgen handeln darf(vgl. VwGH 18.2.2020, Ra 2020/01/0022, mwN; u.a. auf EuGH 12.3.2019, C-221/17, Tjebbes u.a., Rn. 44) bzw. um konkret zu erwartende Beeinträchtigungen handeln muss und nicht um solche, die von ungewissen, in der Zukunft vom Beibehaltungswerber selbst zu setzenden Handlungen abhängen (vgl. zu § 28 Abs. 2 StbG VwGH 14.12.2018, Ra 2018/01/0415, mwN).

21       Wenn die Revision in diesem Zusammenhang rügt, das Verwaltungsgericht habe einem Beweisantrag des Revisionswerbers nicht stattgegeben, so ist darauf hinzuweisen, dass der dargestellte Antrag auf eine Anfrage an die pakistanische Botschaft (als derzeit diplomatische Vertretung für den Iran in den USA), ob die Erteilung bzw. Verlängerung von Green Cards für iranische Staatsangehörige in der Vergangenheit problematisch gewesen sei, einen unzulässigen Erkundungsbeweis darstellt (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/18/0332, mwN, wonach ein bloß allgemeines Vorbringen, das aus Mutmaßungen besteht, nach der Rechtsprechung in der Regel auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, zu dessen Aufnahme das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet ist).

22       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 8. Oktober 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0221 Tjebbes VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010343.L00

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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