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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des I K, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 11. Februar 2020, Zl. LVwG-AV-1181/001-2019, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptfrau von Niederösterreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 4. September 2019 wies die Landeshauptfrau von Niederösterreich (belangte Behörde) die Anträge des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Benin, vom 20. August 2019 auf Zulassung zur Inlandsantragstellung, auf Heilung des Mangels der Vorlage eines Reisepasses sowie auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte“ gemäß § 41 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gestützt auf § 21 Abs. 3 und 4, § 19 Abs. 8 Z 3 und Abs. 9 sowie § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 Z 1 NAG ab.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. Februar 2020 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.
Nach Darstellung des Verfahrensganges traf das Verwaltungsgericht - soweit vorliegend relevant - folgende Feststellungen: Der Revisionswerber sei im Juni 2015 illegal in Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. November 2016 - unter einem mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung - abgewiesen worden sei. Ein Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK sei - unter einem mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung - vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17. Dezember 2018 abgewiesen worden. Der Revisionswerber, der lediglich über einen bis 2015 gültigen Reisepass verfügt habe, sei ungeachtet dessen nicht aus Österreich ausgereist und habe auch nicht an der Erwirkung eines Heimreisezertifikates mitgewirkt. Er habe die Deutschprüfung auf dem Niveau B1 absolviert, sei ehrenamtlich beim Roten Kreuz tätig und habe einen Arbeitsvertrag vorgelegt. Zu seinen Unterkunftgebern habe er ein sehr inniges Verhältnis, Familienangehörige würden nicht in Österreich leben. Dass es dem Revisionswerber unzumutbar (gewesen) wäre, den Antrag auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels vom Ausland aus zu stellen sowie ein gültiges Reisedokument vorzulegen, sei nicht festzustellen gewesen.
Zu den zuletzt angeführten Feststellungen verwies das Verwaltungsgericht auf die rechtkräftigen Entscheidungen in den Vorverfahren, auf den Umstand, dass der Revisionswerber im Asylverfahren auf seinen (im Benin befindlichen) Reisepass verwiesen und auch eine Kopie des bis 2015 gültigen Reisepasses vorgelegt habe, sowie auf seine Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, wonach er kein Heimreisezertifikat brauche und an der Erwirkung eines solchen demnach nicht interessiert sei. Es wäre dem Revisionswerber - so das Verwaltungsgericht - möglich, an der Erwirkung eines Heimreisezertifikates mitzuwirken und in der Folge in sein Heimatland zurückzukehren.
In seinen rechtlichen Erwägungen verwies das Verwaltungsgericht zunächst darauf, dass auch der Revisionswerber nicht behauptet habe, dass die Inlandsantragstellung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK erforderlich sei. Das Verwaltungsgericht nahm dennoch eine Abwägung gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG vor und gelangte nach Eingehen auf die in § 11 Abs. 3 Z 1 bis 9 NAG genannten Kriterien mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Zulassung zur Inlandsantragstellung nicht gegeben seien. Auch eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit im Sinn des § 19 Abs. 8 Z 3 NAG sei im Hinblick auf den festgestellten Sachverhalt vom Revisionswerber nicht nachgewiesen worden. Es wäre dem Revisionswerber sowohl möglich als auch zumutbar gewesen, an der Erwirkung eines Heimreisezertifikates mitzuwirken und in der Folge die Ausstellung eines gültigen Reisedokumentes zu erwirken. Infolge der Abweisung der beiden Zusatzanträge sei auch der Hauptantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte“ abzuweisen gewesen. Der Vollständigkeit halber hielt das Verwaltungsgericht zudem fest, dass im Hinblick auf das wiederholte Ignorieren der rechtskräftigen Entscheidungen im Asylverfahren und die Nicht-Erfüllung der Ausreiseverpflichtung auch der Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG vorliege.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 Der Revisionswerber macht in seinem Zulässigkeitsvorbringen geltend, es sei im Verfahren hervorgekommen, dass er nach Abweisung seines Asylantrages in Österreich „verbleiben musste“. Es habe sich herausgestellt, dass die Vertretungsbehörde von Benin für ihn kein Heimreisezertifikat ausgestellt habe; das Verwaltungsgericht habe auch nicht festgestellt, dass mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikates zu rechnen sei. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei ihm um einen dauerhaft nicht abschiebbaren Fremden handle, weshalb er weitere fünf Jahre in prekären Verhältnissen leben müsste und nicht am normalen Erwerbsleben teilnehmen könne, bis er - nach zehn Jahren Inlandsaufenthalt - erfolgreich einen Aufenthaltstitel beantragen könne. Zu diesem Aspekt fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
6 Zum zuletzt dargestellten Vorbringen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Frage der Unmöglichkeit einer Abschiebung eines Fremden (aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenen Gründen) im Rahmen der Duldung nach § 46a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) maßgeblich ist, nicht aber für die hier angefochtene Entscheidung, weshalb schon aus diesem Grund nicht näher darauf eingegangen werden muss.
7 Mit dem weiteren Vorbringen betreffend die unterbliebene Ausstellung eines Heimreisezertifikates wendet sich der Revisionswerber der Sache nach gegen die Abweisung seines Zusatzantrages gemäß § 19 Abs. 8 NAG. Vorbringen explizit zur Interessenabwägung bzw. zu der vom Verwaltungsgericht als nicht erfüllt angesehenen Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG enthält die Zulässigkeitsbegründung nicht.
8 Gemäß § 19 Abs. 8 Z 3 NAG kann die Behörde auf begründeten Antrag die Heilung eines Mangels im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden (wie eines gültigen Reisedokumentes) zulassen, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
9 Die Beurteilung der (Un)Zumutbarkeit bzw. der faktischen (Un)Möglichkeit stellt eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG bekämpft werden kann (vgl. VwGH 9.9.2020, Ra 2020/22/0066, Rn. 16, mwN; weiters VwGH 25.2.2016, Ra 2016/21/0052, Rn. 13, zur ähnlich ausgestalteten Regelung des § 88 Abs. 2a FPG). Eine derartige Unvertretbarkeit bzw. krasse Fehlbeurteilung der - unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und auch der Aussage des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung erfolgten - diesbezüglichen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes zeigt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht auf (vgl. auch VwGH 31.8.2017, Ro 2016/21/0019, Rn. 33, wo der Verwaltungsgerichtshof - im Zusammenhang mit der inhaltlich vergleichbaren Regelung des § 4 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz-Durchführungsverordnung 2005 - ua. auf fehlende Bemühungen des Fremden zur Erlangung von Identitäts- bzw. Heimreisedokumenten Bezug genommen hat).
10 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
11 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
12 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 20. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220061.L00Im RIS seit
09.12.2020Zuletzt aktualisiert am
09.12.2020