TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/20 W250 2197174-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2020
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Entscheidungsdatum

20.07.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W250 2197174-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Nadja LORENZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. und V. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Dem Beschwerdeführer wird der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 30.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 01.12.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass sein Vater vor zwei Jahren von den Taliban getötet worden sei. Der Beschwerdeführer sei Angehöriger der Hazara und deshalb von den Taliban verfolgt. Eines Tages seien die Taliban in sein Heimatdorf gekommen, hätten Wohnungen durchsucht und viele Jugendliche mitgenommen. Auch der Beschwerdeführer sei beinahe von den Taliban festgenommen worden, habe aber noch rechtzeitig fliehen können. Der Heimatort des Beschwerdeführers sei auch von den Taliban bombardiert und dabei die Wohnung seiner Familie zerstört worden. Der Beschwerdeführer und seine Familie habe im Wald geschlafen. Seine Mutter habe ihm dann geraten das Land zu verlassen. Er sei zu seinem Onkel in den Iran geflüchtet. Da er dort jedoch keine Dokumente gehabt habe und nach Afghanistan zurückgeschickt worden wäre, habe er auch den Iran verlassen. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan befürchte er von den Taliban gefunden und getötet zu werden.

3. Am 19.03.2018 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass sein Vater eines Tages als er mit seinem LKW unterwegs gewesen sei, umgebracht und dessen LKW verbrannt worden sei. Der Beschwerdeführer wisse nicht, weshalb oder von wem sein Vater ermordet worden sei. Daraufhin sei sein Dorf von bewaffneten Personen nach dem Beschwerdeführer durchsucht worden. Seine Mutter habe ihn im Keller versteckt. Viele Jugendliche seien von den bewaffneten Personen mitgenommen und nach dem Beschwerdeführer befragt worden. Im Juli/August 2015 sei das Heimatdorf des Beschwerdeführers neuerlich von bewaffneten Personen angegriffen worden. Daraufhin habe sich der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen Schwestern in einem Maisfeld versteckt, weil die Nachbarn ihm die Schuld an den Überfällen auf das Dorf gegeben hätten und ihn umbringen bzw. ausliefern hätten wollen. Der Beschwerdeführer und seine Familie seien zum Geschäftspartner seines Vaters gegangen, der den Beschwerdeführer zum Busbahnhof gebracht habe. Der Beschwerdeführer habe dann Afghanistan verlassen.

4. Mit Schriftsatz vom 21.03.2018 nahm die Rechtsberaterin des Beschwerdeführers Stellung zu den in der Einvernahme beim Bundesamt ausgehändigten Länderberichten.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertige. Der Beschwerdeführer verfüge über Schulbildung, Berufserfahrung und familiäre Anknüpfungspunkte (Mutter und zwei Schwestern) in Afghanistan. Er spreche Dari, Farsi, Englisch und Deutsch und leide an keinen Krankheiten. Er könne auch finanzielle Unterstützung von seinem Onkel aus dem Iran erwarten. Dem Beschwerdeführer sei es zudem vor seiner Ausreise aus Afghanistan bereits möglich gewesen für seine Mutter und seine beiden Schwestern zu sorgen. Es sei daher nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine existenzbedrohende Notlage geraten werde. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass es das Bundesamt bei der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlassen habe auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen und die Gesamtbeurteilung anhand der verfügbaren herkunftsstaatspezifischen Informationen und entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-gerichtes vorzunehmen. Sprachliche Ungenauigkeiten zwischen den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung und der Einvernahme beim Bundesamt seien auf die Heranziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu bei der Erstbefragung zurückzuführen, obwohl die Muttersprache des Beschwerdeführers Dari sei. Zudem sei bei der Erstbefragung entgegen den gesetzlichen Erfordernissen kein Rechtsberater anwesend gewesen. Zudem habe sich das Bundesamt nicht mit der Lage der Hazara in Afghanistan auseinandergesetzt. Neben der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seiner Familie sowie seiner Eigenschaft als unbegleiteter Minderjähriger, sei der Beschwerdeführer auch als Angehöriger der Hazara erhöht gefährdet und sei ihm eine Rückkehr nach Afghanistan keinesfalls zumutbar. Dem Beschwerdeführer sei der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Die Situation in Afghanistan wirke sich so aus, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. In Ermangelung jeglichen sozialen Netzes in Afghanistan sei der Beschwerdeführer auf sich alleine gestellt, weshalb ihm ein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen in Afghanistan nicht möglich sei. IOM biete nur volljährigen Rückkehrern vorübergehende Unterkünfte an und setze bei Minderjährigen die Zustimmung des Obsorgeberechtigten und der Familie des Minderjährigen im Rückkehrland voraus. Eine Rückkehr sei dem Beschwerdeführer unter diesen Umständen nicht zumutbar. Zudem werde insbesondere die Berücksichtigung des Kindeswohls beantragt. Darüber hinaus spreche die in hohem Maß fortgeschrittene Integration des Beschwerde-führers gegen seine Rückkehr. Es wurde die Einvernahme der Patin des Beschwerdeführers zur umfassenden Erläuterung der Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers beantragt.

7. Mit Urkundenvorlage vom 11.06.2018, 17.09.2018, 11.03.2020 und 19.06.2020 legte der Beschwerdeführer Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.06.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache sowie die Sprachen Paschtu und etwas Englisch. Er ist ledig und hat keine Kinder (AS 1, 72 f; Verhandlungsprotokoll vom 26.06.2020 = OZ 17, S. 3, 7).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Helmand, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen zwei Schwestern in einem Eigentumshaus aufgewachsen. Er hat acht Jahre die Schule in Afghanistan besucht. Der Vater des Beschwerdeführers hat gemeinsam mit einem Geschäftspartner eine Autowerkstatt betrieben, in der der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan mitgearbeitet hat. Die Familie bestritt den Lebensunterhalt aus den Einkünften der Werkstatt (AS 1, 72 f; OZ 17, S. 7, 9).

Die Mutter und Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatdorf des Beschwerdeführers. Die Familie des Beschwerdeführers besitzt in seinem Heimatdorf nach wie vor ein Eigentumshaus. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seinen Familienangehörigen in seinem Heimatdorf.

Der Onkel des Beschwerdeführers väterlicherseits ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt im Iran in XXXX . Er arbeitet auf Baustellen (OZ 17, S. 10). Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seinem Onkel im Iran.

Der Beschwerdeführer hat episodische Spannungskopfschmerzen, wobei intermittierend auch gelegentliche Migräneattacken auftreten, die er gut mit Medikamenten behandeln kann (OZ 13). Er leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund sowie arbeits- und anpassungsfähig (OZ 17, S. 8).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1 Der Vater des Beschwerdeführers hat nicht als LKW-Fahrer gearbeitet. Er wurde weder von Angehörigen der Taliban, des IS oder anderen Personen getötet. Weder der Vater des Beschwerdeführers noch der Beschwerdeführer selbst oder seine Familie wurden in Afghanistan jemals von den Taliban oder von Anhängern des IS oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht. Nach dem Beschwerdeführer wurde in Afghanistan nicht gesucht. Das Heimatdorf des Beschwerdeführers wurde weder überfallen noch bombardiert oder Jugendliche entführt um diese nach dem Beschwerdeführer zu befragen. Die Taliban, der IS und keine andere Gruppe hatte ein Interesse am Beschwerdeführer.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban, dem IS oder durch andere Personen.

1.2.2. Darüber hinaus droht dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell keine physische oder psychische Gewalt in Afghanistan. Angehörige der Religionsgemeinschaft der Schiiten oder der Volksgruppe der Hazara sind in Afghanistan nicht allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

1.2.3. Der Beschwerdeführer ist nunmehr volljährig. Der Beschwerdeführer gilt nicht mehr als unbegleiteter Minderjähriger, weshalb ihm auch aufgrund dessen keine Verfolgung im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in die Provinz Helmand aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Der Beschwerdeführer ist mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut und zudem anpassungs- und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer kann zudem zumindest anfänglich von seinem Onkel väterlicherseits aus dem Iran bei einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell unterstützt werden. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten. Er kann zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Mazar-e Sharif sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif kann der gesunde Beschwerdeführer trotz der auch in Afghanistan bestehenden COVID-19 Pandemie grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist, stellte hier am 30.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und hält sich seitdem durchgehend in Österreich auf. Er ist in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse bis zum Niveau B1 besucht (AS 155-157). Er hat die ÖSD Deutschprüfung auf dem Niveau A1 am 20.01.2017 (AS 159) und jene auf dem Niveau A2 am 03.05.2017 bestanden (AS 163). Er war zur ÖSD-Deutschprüfung für die Stufe B1 angemeldet, die wegen der COVID-Maßnahmen verschoben wurde (OZ 17, S. 12). Der Beschwerdeführer verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse (OZ 9, S. 11).

Der Beschwerdeführer hat von 04.04.2016 bis 02.05.2018 die XXXX zunächst als außerordentlicher Schüler und ab dem Schuljahr 2017/18 als ordentlicher Schüler besucht. Er engagierte sich in der Schul-Volleyballmannschaft. Er wurde von der Direktorin und seinen Lehrern aufgrund seiner aufgeschlossenen, engagierten und hilfsbereiten Art sehr geschätzt (AS 139-147, 153). Der Beschwerdeführer beendete seinen Schulbesuch aufgrund einer ihm zugesagten Lehrstelle in der Hotellerie (OZ 13).

Der Beschwerdeführer besucht seit 16.09.2019 den Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses. Er hat die Abschlussprüfungen am 06.02.2019 aus Deutsch, Kommunikation und Gesellschaft genügend, am 25.06.2019 aus Natur und Technik genügend und am 26.06.2019 aus Englisch, Globalität und Transkulturalität genügend bestanden sowie an der Abschlussprüfung zur Berufsorientierung erfolgreich teilgenommen. Die Abschlussprüfung am 10.12.2019 aus Gesundheit & Soziales hat er ebenso genügend bestanden (OZ 13).

Der Beschwerdeführer hat ein Seminar betreffend Bewerbung im Oktober 2016 besucht (AS 161) und im Dezember 2017 den Talenteparcours des Test- und Ausbildungszentrums erfolgreich absolviert sowie an einem Sexualpädagogischen Workshop teilgenommen. Er zeigt ehrenamtliches Engagement und ist seit Jänner 2019 als freiwilliger Mitarbeiter einmal pro Woche (Samstags) beim Roten Kreuz tätig, wo er bei der Ausgabe von Lebensmitteln an Bedürftige mitwirkt (OZ 13). Er hat regelmäßig am Training im Fitnesscenter teilgenommen (OZ 13).

Er war in den Semesterferien von 12.02.2018 bis 16.02.2018 als Schnupperlehrling in einem Möbelunternehmen beschäftigt. Der Beschwerdeführer arbeitete von 27.04.2018 bis 26.07.2018 als Restaurantfachmann-Lehrling in einem Hotelbetrieb (OZ 6). Das Lehrverhältnis wurde aus Gründen auf Arbeitgeberseite in der Probezeit durch den Arbeitgeber aufgelöst. Von 20.09.2019 bis 19.11.2019 war der Beschwerdeführer als Servicemitarbeiter in einem Restaurant beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete mit Ablauf der vom AMS genehmigten Saison-Beschäftigungszeit (Beschäftigungsbewilligung des AMS [Branchenkontingent]) (OZ 13). Von 07.06.2019 bis 31.08.2019 arbeitete der Beschwerdeführer aufgrund der Beschäftigungsbewilligung (Branchenkontingent) des AMS vom 06.06.2019 in einem Hotel als Servicekraft (OZ 13) Der Beschwerdeführer hat aufgrund einer Beschäftigungsbewilligung des AMS (Branchenkontingent) im März 2020 als Küchenhilfe gearbeitet (OZ 13; Beilage ./E).

Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage als Servicekraft in einer Pizzeria vom 25.06.2020 sowie über eine Einstellungszusage eines Hotels als Lehrling im Bereich Service vom 13.09.2018 (OZ 13), die nach wie vor aufrecht ist.

Der Beschwerdeführer bezieht seit 17.06.2019 keine Leistungen aus der Grundversorgung. Er war über die Jahre hinweg stets um (auch ehrenamtliche) Arbeit bemüht. Der Beschwerdeführer wird auch künftig seinen Lebensunterhalt unabhängig von staatlichen Unterstützungsleistungen bestreiten können.

Der Beschwerdeführer wurde im Rahmen eines Projekts der XXXX im Juli 2017 in einer österreichischen Patenfamilie untergebracht. In dieser Patenfamilie ist der Beschwerdeführer überaus stark integriert. Der Beschwerdeführer bringt sich aktiv in das Familienleben seiner Patenfamilie ein. So unterstützt er insbesondere seine Patenmutter aufgrund deren Erkrankung im Haushalt sowie bei Arzt- oder Behördengängen und ist ihr psychisch eine große Stütze. Der Beschwerdeführer wird als Gegenleistung für seine (Pflege)Leistungen für seine Patenmutter sowie im Haushalt finanziell von seinen Pateneltern unterstützt. Die Familie – insbesondere die Patenmutter – ist auf die Unterstützungs-leistungen des Beschwerdeführers angewiesen.

Der Beschwerdeführer führt mit der Tochter seiner Pateneltern seit Sommer 2017 eine Lebensgemeinschaft. Er hat seit August 2018 eine Einliegerwohnung im damaligen Eigentumshaus seiner Pateneltern gemietet und bewohnt seit ca. Jänner 2020 eine Wohnung im nunmehrigen Haus seiner Pateneltern gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin.

Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich auch außerhalb seiner Patenfamilie einen breiten Bekannten und Freundeskreis mit österreichischen Staatsbürgern aufgebaut und nimmt intensiv am sozialen Leben in seinem Wohnumfeld teil. Er wird von seinen Mitmenschen sehr geschätzt (OZ 13).

Der Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt samt seiner Ehefrau und seinen vier Kindern in Österreich. Der Beschwerdeführer hat zu seinem Onkel und dessen Familie regelmäßig Kontakt, steht mit ihm jedoch in keiner engen Beziehung.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war zu keiner Zeit geduldet. Er war weder Zeuge noch Opfer von Gewalt oder anderen strafbaren Handlungen in Österreich, seine Anwesenheit ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen erforderlich. Es wurde nie eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen; es lag nie ein Sachverhalt vor, auf Grund dessen eine einstweilige Verfügung hätte erlassen werden können.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.5.1. Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.05.2020 - LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.5.1.1. Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 2).

Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 3).

Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 2).

Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 2).

1.5.2. Taliban

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 3).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 3).

Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 3)

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 3).

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.5.3. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.4. Provinzen und Städte

1.5.4.1. Provinz Helmand:

Die Provinz Helmand liegt im Süden Afghanistans und ist die größte Provinz Afghanistans. Die Einwohnerzahl Helmand wird auf 1.420.682 geschätzt. Die Mehrheit der Einwohner von Helmand sind Paschtunen, mit einer belutschischen Minderheit im Süden an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan und Hazara in Nawamish im Norden. Während die nördlichen Distrikte von Helmand – Baghran, Kajaki und Musa Qala – hauptsächlich von Mitgliedern des Alizai-Stammes bevölkert werden, sind die Distrikte Marja und Nad Ali in ihrer Zusammensetzung heterogener. Dort leben Angehörige der Nurzai, Ishaqzai, Alizai, Alekozai sowie mehrerer kleinerer Stämme. Die Ishaqzai sind angeblich einer der religiös-konservativsten Stämme in ganz Afghanistan (LIB, Kapitel 3.14).

Helmand ist von geostrategischer Bedeutung, da ein Abschnitt der Ring Road durch die Distrikte Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer verläuft, welcher das Bevölkerungszentrum Herat im Westen mit Kandahar im Osten und schließlich der Hauptstadt Kabul verbindet. In Lashkargah gibt es einen Regionalflughafen mit Linienflugbetrieb (LIB, Kapitel 3.14).

Helmand zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie versuchen terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchzuführen. Die Taliban können auf eine große Anzahl an Unterstützern aus der Bevölkerung zurückgreifen. Neben den Taliban soll auch Al-Qaida in Helmand präsent sein. Es sind keine Kämpfer des Islamischen Staats (IS) in Helmand aktiv.

Neben den regulären afghanischen Streitkräften wie der ANP, der ALP, der ANA sowie regierungsfreundlichen Milizen und den US-Streitkräften, soll eine spezielle Abteilung namens Sangorian auf Seite der Regierung in Helmand aktiv sein. Die Sangorian wurde im Januar 2016 vom Einsatzkommandanten der afghanischen Streitkräfte in Helmand als verdeckte anti-Taliban Miliz mit dem Ziel gegründet, die Taliban zu infiltrieren und von innen zu schwächen. Die Sangorian-Kämpfer sind Einheimische, Taliban-Dissidenten und ehemalige Taliban-Aufständische. (LIB, Kapitel 3.14).

Im Jahr 2019 gab es 675 zivile Opfer (284 Tote und 391 Verletzte) in der Provinz Helmand. Dies entspricht einem Rückgang von 23% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Luftangriffen und Kämpfen am Boden (LIB, Kapitel 3.14).

Helmand war im Frühjahr 2019 eine der aktivsten Konfliktzonen Afghanistans. Während des Jahres 2018 und im ersten Halbjahr 2019 führten die US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte Operationen in der Provinz fort, einschließlich Luftangriffen, die Berichten zufolge Schäden unter der Zivilbevölkerung verursachten. Auch werden seit Juni 2018 Offensiven verstärkt in den strategisch wichtigen Distrikten Nad Ali, Nawa, Garm Ser, Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer durchgeführt. Die Taliban wurden so zurückgedrängt und der Druck auf die Provinzhauptstadt konnte vermindert werden. Aktivisten einer 2018 gegründeten Friedensbewegung, deren Mitglieder Männer als auch Frauen sind, waren auch im ersten Halbjahr 2019 aktiv und riefen die Konfliktparteien zu einer Beendigung ihrer Frühjahrsoffensiven auf (LIB, Kapitel 3.14).

1.5.4.2. Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.6).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 20). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Mazar-e Sharif gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Masar-e Sharif).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die in der Stadt Mazar-e Scharif und Umgebung befindlichen Orte, an denen die Mehrheit der IDPs und Rückkehrer letztlich unterkommen, teilt UNHCR in drei Kategorien ein: Die erste Kategorie ist das Stadtzentrum, wo die Lebenshaltungskosten vergleichsweise hoch sind. In der zweiten Kategorie befinden sich längerfristige und dauerhafte Siedlungen bzw. Stätten („sites“), welche sich in den Vororten oder am Stadtrand befinden. Dort gibt es ein gewisses Maß an Infrastruktur, und humanitäre Organisationen bieten dort ein gewisses Ausmaß an Unterstützung an. Es gibt dort einen gewissen Zugang zu soliden Unterkünften, Bildung und medizinischer Versorgung. Die beiden größten längerfristigen Siedlungen bzw. Stätten sind das Sakhi-Camp (20 km nordöstlich der Stadt), Qalen Bafan (im westlichen Teil von Mazar-e Scharif), sowie Zabihullah (etwa 20 km südöstlich der Stadt). Die dritte Kategorie von Gebieten sind jene Siedlungen oder Stätten, die erst vor kürzerer Zeit und aufgrund der anhaltenden und zunehmenden Vertreibung entstanden sind. Diese Siedlungen, die in der Regel von der Regierung nicht anerkannt werden, befinden sich häufig auf Landstrichen mit unklaren Eigentumsverhältnissen. In diesen neueren Siedlungen leben viele Menschen in Zelten, oft unter prekären Bedingungen und mit stark eingeschränktem Zugang zu humanitärer Hilfe. Es mangelt dort an Wasser, Strom und sozialen Einrichtungen. Im Prinzip ist die Situation hinsichtlich des Zugangs zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wasser und anderen Dienstleistungen umso schlimmer, je weiter außerhalb der Stadt jemand lebt, wobei die Situation in den informellen Siedlungen bzw. Stätten am schlimmsten ist. Ob allerdings die Situation in der Innenstadt besser ist, hängt von den individuellen - insbesondere finanziellen - Umständen eines Binnenvertriebenen oder Rückkehrers ab (ACCORD Masar-e Sharif).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 – teils öffentliche, teils private – Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

1.5.4.3. Herat-Stadt:

Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 3.15).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.15). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.5. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.6. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.5.7. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 1% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen ist. Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (LIB, Kapitel 17.3).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB, Kapitel 17.3).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (LIB, Kapitel 17.3).

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (LIB, Kapitel 17.3).

1.5.8. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten und c.a 10 – 19% Shiiten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16, 16.1).

Die Schiiten Afghanistans sind mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch existieren lokale Diskriminierungsfälle (LIB Kapitel 16.1).

In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt. Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt. Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (LIB Kapitel 16.1).

1.5.9. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.10. Situation für Rückkehrer

Im Zeitraum vom 01.01.2019 bis 04.01.2020 kehrten insgesamt 504.977 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurück: 485.096 aus dem Iran und 19.881 aus Pakistan. Seit 01.01.2020 sind 279.738 undokumentierter Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

-        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

-        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers und der „Patenmutter“ des Beschwerdeführers als Zeugin in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden (Konvolut Auszüge ZMR, GVS, Strafregister; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 13.11.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 18.05.2020; UNHCR-Richtlinie zu Afghanistan vom 30.08.2018; EASO Country Guidance Afghanistan aus Juni 2019; Themendossier zu Afghanistan betreffend die Sicherheitslage und die sozioökonomische Lage in Herat und in Mazar-e Sharif vom 26.05.2020; ACCORD Anfragebeantwortung betreffend die lokale Sicherheits- und Versorgungslage

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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