Entscheidungsdatum
20.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W214 2182546-1/34E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Iran, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.12.2017, Zl. 1117050801/160773195, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden, stellte am XXXX .06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am XXXX .06.2016 gab der Beschwerdeführer an, vor ca. 3 ½ Monaten illegal und schlepperunterstützt in die Türkei ausgereist zu sein, sich zwei Monate lang in Griechenland aufgehalten zu haben und anschließend schlepperunterstützt über Mazedonien, Serbien und Ungarn illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist zu sein.
Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, Kurde zu sein, sein Volk werde im Iran schlecht behandelt. Man könne dort schlecht leben als Kurde und außerdem habe er keine Arbeit im Iran gehabt, weshalb er weggegangen sei.
Am XXXX .03.2017 wurde der Beschwerdeführer erstmals vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.
Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Kopie seines Militärdienstausweises sowie seiner Geburtsurkunde, ein Empfehlungsschreiben vom März 2017, eine Deutschkursbesuchsbestätigung vom 16.12.2016, eine Urkunde betreffend die Absolvierung des Intensivkurses für Deutsch-Anfänger vom 05.08.2016 sowie eine Teilnahmebestätigung am Integrationskurs und Supervision vom 27.03.2017 jeweils des Vereins XXXX eine Teilnahmebestätigung am Deutschkurs Level A1 der MENTOR Management-Entwicklung-Organisation GmbH & Co OG vom 17.03.2017, eine Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeiten für die Gemeinde XXXX vom 30.01.2017 sowie einen ärztlichen Befundbericht vom 21.03.2017 vor.
Befragt nach seinem Gesundheitszustand führte der Beschwerdeführer aus, dass er in ärztlicher Behandlung stehe und Medikamente nehme, er habe Angstzustände und Störungen, die nach seiner Flucht entstanden seien.
Der Beschwerdeführer gab an, iranischer Kurde zu sein, seine Eltern seien Muslime gewesen, er sei zwar im Iran geboren, auf dem Papier stehe, dass er schiitischer Moslem sei, er glaube aber nicht an diese Religion. Nachdem er an Gott glaube, sei er hier auf der Suche nach einem neuen Weg zu Gott. Er werde höchstwahrscheinlich die christliche Religion annehmen. Er habe von Anfang an Probleme mit dem Islam gehabt, hier in Österreich könne er sich frei entscheiden. Zurzeit besuche er keine Kirche, er interessiere sich für das Christentum und wolle in die Kirche gehen, wenn er die Sprache besser verstehe. Er kenne einer paar Leute, die wegen eines positiven Bescheides in die Kirche gehen würden, er wolle die Religion jedoch nicht dazu missbrauchen.
Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zunächst an, dass Kurden im Iran ungerecht behandelt und weniger Rechte besitzen würden. Als er den Militärdienst abgeleistet habe, sei ihm vorgeworfen worden, dass er die Iranische Flagge beleidigt habe und sei er zwei Monate ins Gefängnis gekommen. Nach Ableistung seines Militärdienstes habe er im Iran etwa vier Jahre lang indirekt mit der Demokratischen Kurdischen Partei Iran zusammengearbeitet. Gemeinsam mit zwei anderen Personen habe er Geldspenden und Medikamente von Sympathisanten eingesammelt. Die gesammelten Spenden hätten sie dann zwei Personen gegeben, die direkt mit der Partei zusammengearbeitet hätten. Im Gegenzug dafür hätten sie Flyer ausgehändigt bekommen, welche sie wieder an die Sympathisanten verteilt hätten. Auch am XXXX .02.2016 hätten sie die gesammelte Unterstützung den offiziellen Parteimitgliedern abgegeben, später am Abend habe ihn seine Mutter angerufen und ihn aufgeregt gefragt, wo er heute gewesen sei und was er getan habe. Sie habe ihm mitgeteilt, dass ein paar Leute in ihrem Wohnhaus gewesen und ihn hätten mitnehmen wollen. Er habe dann seinen Freund, der mit ihm indirekt für die Partei gearbeitet habe, angerufen, dessen jüngerer Bruder habe abgehoben und ihm gesagt, dass sein Freund verhaftet worden sei. Das Handy seines anderen Freundes, mit welchem er die Sympathisanten aufgesucht habe, sei abgeschaltet gewesen. Er habe daraufhin seinen Bruder angerufen, dieser habe ihm geholfen, einen Schlepper für die Flucht zu organisieren.
Am 17.10.2017 wurde der Beschwerdeführer erneut vor der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.
Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer ein ÖSD Zertifikat über die gut bestandene Prüfung A1 vom 18.08.2017 sowie eine Teilnahmebestätigung am Deutschkurs Level A1 der MENTOR Management-Entwicklung-Organisation GmbH & Co OG vom 20.07.2017 vor.
Der Beschwerdeführer gab an, einen Monat nach seiner ersten Einvernahme eine gute Kirche, das XXXX , gefunden zu haben, seit ca. 5 Monaten besuche er nun samstags diese Kirche. Er besuche auch einen Taufvorbereitungskurs, dieser habe bis jetzt zweimal stattgefunden. Dienstags koche er auch für die Gemeinde am Versammlungsplatz.
Dem Beschwerdeführer wurden einige Wissensfragen zum Christentum gestellt, die er teilweise korrekt beantworten konnte.
Im Übrigen wiederholte er der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe aus der ersten Einvernahme vor der belangten Behörde. Ergänzend befragt gab er an, in Österreich nicht politisch aktiv zu sein.
Am 01.12.2017 langte bei der belangten Behörde das Taufzeugnis des Beschwerdeführers sowie die Mitgliedschaftsbestätigung des Beschwerdeführers beim XXXX vom XXXX 2017 ein.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.), und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Entscheidung (Spruchpunkt VI.).
Die belangte Behörde stellte neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen und der Identität des Beschwerdeführers fest, dass der Beschwerdeführer iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden sei. Er sei ledig. Im Iran habe er zuletzt in der Stadt XXXX gewohnt, seinen Lebensunterhalt habe er als Tischler bestritten. Aktuell leide er an psychischen Problemen. In Österreich habe er Beschwerdeführer keine Verwandten und verfüge auch sonst über keinerlei Bindungen.
Nicht festgestellt habe werden können, dass der Beschwerdeführer den Iran aufgrund einer Verfolgung oder der Furcht vor einer solchen verlassen habe. Eine politische Verfolgung habe ebenso wenig glaubhaft festgestellt werden können, wie eine Konversion zum Christentum aus innerster Überzeugung. Eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr in den Iran habe daher nicht festgestellt werden können.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass es in der Fluchtgeschichte beträchtliche Widersprüche in den einzelnen Angaben des Beschwerdeführers gegeben habe, welche den Schluss zulassen würden, dass sich der Beschwerdeführer einer konstruierten Geschichte bedient habe. Der Beschwerdeführer habe in der Erstbefragung politische Aktivitäten mit keinem Wort erwähnt. Zudem sei der Beschwerdeführer trotz behaupteter jahrelanger Tätigkeit für die Partei nicht in der Lage gewesen, eine der Abkürzungen der Partei zu benennen. Vor diesem Hintergrund könne auch davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer nie einen Flyer in Händen gehalten habe, da auf diesem die Abkürzung der Partei in irgendeiner Form vermerkt gewesen wäre und der Beschwerdeführer dann jedenfalls darüber Bescheid gewusst hätte. Weiters habe der Beschwerdeführer über keinerlei tiefgründige Informationen die Partei betreffend verfügt und habe auch die Ziele der Partei nur sehr vage benennen können, was jedenfalls den Schluss zulasse, dass der Beschwerdeführer sich eines Konstrukts bedient habe, zumal zu erwarten sei, dass eine Person keinesfalls eine Tätigkeit für eine Partei ausüben würde, wenn sie sich nicht vollends mit den Zielen bzw. Werten dieser Gruppe identifizieren könnte, wodurch sie jedoch erstmals mit diesen vertraut sein müsste. Gerade wenn es sich um eine im Iran verbotene Organisation handle, könne davon ausgegangen werden, dass sich Sympathisanten etwaiger Konsequenzen bewusste seien und aus diesem Grund bereits von überlegten, zielgerichteten Handlungen ausgegangen werden könne. Weiters sei nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer trotz jahrelanger Tätigkeit sich kein soziales Netzwerk in der Partei aufgebaut habe und nichts über „Gegner“ der kurdisch demokratischen Partei bzw. andere Parteien im Iran zu berichten gewusst habe. Ein weiteres Indiz dafür, dass der Beschwerdeführer niemals politisch engagiert gewesen sei, sei, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, aktuelle Geschehnisse die Partei betreffend wiederzugeben. Es wäre zu erwarten gewesen, dass er die Machenschaften der Partei auch nach seiner Ausreise zumindest grob im Auge behalte.
Auch hinsichtlich der behaupteten Konversion habe der Beschwerdeführer widersprüchliche Angaben getätigt, die jedenfalls als Indiz für das Konstruieren eines Nachfluchtgrundes gewertet werden könnten. Der Beschwerdeführer habe die Sakramente ebenso wenig benennen können wie auch nur ein einziges Gebet oder Kirchenlied. Selbst die Beschreibung der Messe sei vage und unzureichend substantiiert gewesen. Zudem könne nicht davon ausgegangen werden, dass zwei Unterrichtseinheiten eines Taufvorbereitungskurses in fünf Monaten ausreichend wären, um zumindest die wesentlichsten Inhalte der christlichen Lehre zu vermitteln und überhaupt eine innere Überzeugung einer Person herbeizuführen bzw. zu stärken. Daran ändere auch das vorgelegte Taufzeugnis nichts.
Auch das Erfordernis der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde von der belangten Behörde verneint, grundsätzlich bestünden bezüglich Iran keine Anhaltspunkte dafür, dass dort gegenwärtig eine extreme Gefahrenlage herrsche, durch die praktisch jeder der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Es sei dem Beschwerdeführer zuzumuten, im Falle einer Rückkehr einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Da die Gründe für eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG nicht vorlägen, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen ebenfalls nicht erteilt.
Weiters erließ die belangte Behörde eine Rückkehrentscheidung und führte hierzu aus, dass diese zulässig sei, da der Beschwerdeführer dadurch nicht in seinem Recht auf Familienleben oder Privatleben verletzt sei. Der Beschwerdeführer sei illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe keine Verfestigungs- oder Integrationstatbestände verwirklicht. In Abwägung sei dem Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mehr Gewicht einzuräumen als den bloß privaten Interessen des Beschwerdeführers, weshalb die Rückkehrentscheidung nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG zulässig sei.
Die Abschiebung in den Iran sei auch zulässig, da keine Hinderungsgründe des § 50 FPG vorlägen und habe die Ausreise des Beschwerdeführers binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides zu erfolgen (§ 55 FPG).
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und führte (nach Wiederholung des Sachverhaltes und des Vorbringens bei der belangten Behörde aus), dass er als Kurde im Iran immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt und ein Mensch zweiter Klasse sei. Während seines Militärdienstes sei er für zwei Monate inhaftiert gewesen.
Er würde sich gut im Christentum auskennen und könne sich damit identifizieren. Er habe einen Taufschein, der einen Beweis für seine Konversion darstelle, vorgelegt.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass er an Angst- und Zwangsstörungen und einer reaktiven Depression leide.
4. Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde– ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen – dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
5. Am 22.11.2018 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht eine Kopie des ÖSD Zertifikat vom 19.07.2018 über die bestandene Prüfung A2.
6. Am 15.01.2020 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, dessen Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt.
Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Verhandlung eine Bestätigung einer Pfarrgemeinderätin vom November 2019, eine Bestätigung des XXXX vom 20.10.2019, eine Bestätigung der Teilnahme am Workshop „interkulturelle Genderkompetenz – Mannsein in Österreich“ vom 05.03.2019, eine Zeitbestätigung des ÖIF vom 09.01.2020 betreffend Teilnahme an einer Informationsveranstaltung, sowie Bestätigungen über eine Gewerbean- und -abmeldung vom 08.01.2019 bzw. 27.03.2019 vor.
Zunächst befragt nach seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, dass er früher Angstzustände gehabt habe, jetzt gehe es ihm gut.
Weiter befragt gab der Beschwerdeführer an, seine Eltern und Geschwister würden noch im Iran leben, er habe Kontakt zu ihnen, es gehe ihnen gut, jedoch sei sein ältester Bruder vor ein paar Tagen bei einer Demonstration wegen eines abgeschossenen Flugzeugs von der Polizei festgenommen worden. Drei Cousins und drei Cousinen väterlicherseits würden seit 20 bis 25 Jahren in Deutschland leben, sie hätten die deutsche Staatsbürgerschaft.
Befragt zu den Fluchtgründen und auf Vorhalt der von der belangten Behörde aufgezeigten Widersprüche, gab der Beschwerdeführer hinsichtlich der Unstimmigkeiten in seiner Aussage bezüglich der Aufnahme der Tätigkeit für die Partei an, dass er vielleicht die Frage damals nicht richtig verstanden habe und es deswegen zu diesen Missverständnissen gekommen sei. Im Übrigen hielt der Beschwerdeführer seine Fluchtgeschichte aufrecht.
Auf Ersuchen des Beschwerdeführers, die Verhandlung zu vertagen, weil er wegen der Ereignisse rund um seinen Bruder kaum geschlafen habe und sich nicht konzentrieren könne, wurde die mündliche Verhandlung vertagt.
7. Am 26.05.2020 fand die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, dessen rechtlicher Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt.
Zunächst abermals befragt nach seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund sei, derzeit nicht in ärztlicher Behandlung stehe und keine Medikamente nehme.
Weiter befragt gab der Beschwerdeführer an, dass sein Bruder aufgrund der Demonstrationsteilnahme immer noch im Gefängnis sei. Im Übrigen hielt der Beschwerdeführer seine Fluchtgeschichte und seine Fluchtgründe aufrecht.
In der mündlichen Verhandlung wurde der Pastor des XXXX XXXX , als Zeuge (Z1) einvernommen. Er gab an, den Beschwerdeführer seit Frühling 2017 zu kennen. Der Beschwerdeführer sei in die Gemeinde gekommen, im Anschluss zu den Gottesdiensten habe der Z1 mit ihm geplaudert. Vor ein paar Jahren habe es auch eine Art Tageszentrum für Flüchtlinge gegeben, wo verschiedene Kurse angeboten worden sei, dort sei er dem Beschwerdeführer auch begegnet. Der Beschwerdeführer erscheine nur unregelmäßig zum Gottesdienst, dies habe mit seiner finanziellen Situation zu tun, da er nicht in XXXX P wohne. Zeitweise habe das XXXX den Beschwerdeführer und andere Flüchtlinge mit Tickets unterstützen können, da sei der Beschwerdeführer regelmäßig zu den Gottesdiensten und zu einem der Deutschkurse gekommen. Die Taufvorbereitung finde anhand eines Glaubensgrundkurses statt, welcher in der Regel sechs Monate dauere und aus sieben bis zehn Einheiten bestehe. Über den persönlichen Glauben des Beschwerdeführers könne der Z1 wenig sagen, da er ihn nicht so gut kenne, da er nicht so regelmäßig gekommen sei. Was der Z1 beobachtet habe, sei die sanfte und ruhige Art des Beschwerdeführers, in der er ein Wirken Gottes erkennen könne. Der Z1 habe nie den Eindruck gehabt, dass er Beschwerdeführer irgendetwas von ihm haben hätte wollen. Es habe zwei Gespräche zwischen dem Beschwerdeführer und dem Z1 gegeben, in diesen sei es um die frühere Drogensucht des Beschwerdeführers, das Thema der Vergebung und das Privatleben des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit Jesus Christus gegangen. Der Beschwerdeführer habe ihm erzählt, dass er die Bibel lese und auch seinen alten Freunden im Iran über seine persönliche Veränderung durch seinen Glauben erzählt habe. In der Kirchengemeinde selbst sei der Beschwerdeführer wenig engagiert.
Weiters wurde die Pfarrgemeinderätin und Zuständige für das Katechumenat der Stadtpfarrkiche XXXX , XXXX , als Zeugin (Z2) einvernommen. Sie gab an, den Beschwerdeführer vom Sehen zu kennen, er wohne mit ihren Taufkindern im selben Haus. Sie habe den Beschwerdeführer öfters bei der Messe in der katholischen Stadtpfarrkirche XXXX gesehen, in den letzten Monaten sei er auch regelmäßig in die Abendmesse gegangen. Über den persönlichen Glauben des Beschwerdeführers könne die Z2 keine Auskunft geben, da sie ihn dazu zu wenig kenne, sie hätten sich auch nicht über Glaubensfragen ausgetauscht.
8. Am 08.06.2020 übermittelte der Beschwerdeführer ein von ihm unterschriebenes Dokument des XXXX betreffend die „Absage vom Islam und allen damit verbundenen geistlichen Mächten“ vom XXXX 2017.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang wird als maßgeblich festgestellt.
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und das im Spruchkopf genannte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer wurde als Moslem (Schiit) geboren, mittlerweile bezeichnet er sich als protestantischer Christ. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er wurde im Iran im Dorf XXXX (Provinz XXXX ) geboren, ab seinem dritten Lebensjahr bis zu seiner Ausreise war der Beschwerdeführer in der Stadt XXXX wohnhaft. Er hat im Iran die Schule besucht, diese mit Matura abgeschlossen und nach Ableistung des Militärdienstes selbstständig als Tischler gearbeitet.
Der Beschwerdeführer ist am XXXX .06.2016 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Im Herkunftsstaat leben noch die Eltern, zwei Brüder sowie vier Schwestern des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Familie.
Der Beschwerdeführer geht keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Seit der Antragstellung befand sich der Beschwerdeführer lediglich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes. In der Vergangenheit hat der Beschwerdeführer ehrenamtlich für die Gemeinde XXXX und den Verein XXXX gearbeitet. Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Österreich und auch keine fixe Freundin oder Lebensgefährtin. Der Beschwerdeführer hat keine Freunde oder Bekannte in Österreich, zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis oder eine über ein herkömmliches Freundschaftsverhältnis hinausgehende Bindung besteht. Der Beschwerdeführer verfügt somit im österreichischen Bundesgebiet über keine im Sinne von Art. 8 EMRK relevanten familiären Bindungen oder ein schützenswertes Privatleben.
Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse, er hat in der Vergangenheit mehrere Deutschkurse absolviert und die Prüfung ÖSD Zertifikat A2 bestanden. Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2017 weiters an einem Integrations-Wertevermittlungskurs des Vereins XXXX teilgenommen.
Der Beschwerdeführer ist gesund, es liegen bei ihm keine Hinweise auf eine die Schwelle des Art. 3 EMRK überschreitende ernsthafte physische oder psychische Krankheit vor. Auch die aktuell vorherrschende COVID-19 Pandemie bildet mit Blick auf sein Alter und das Fehlen von Vorerkrankungen kein Rückkehrhindernis. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Mitglied des XXXX s, er hat ab Frühjahr 2017 einen Glaubensgrundkurs besucht und wurde am XXXX 2017 getauft. Der Beschwerdeführer besucht unregelmäßig den Gottesdienst des XXXX , darüber hinaus ist er in der Gemeinde nicht engagiert. Seit einigen Monaten besucht der Beschwerdeführer regelmäßig die Abendmesse der katholischen Stadtpfarrkiche XXXX und nimmt an der Kommunion teil.
Der Beschwerdeführer beschäftigt sich mit der Bibel und hat Grundkenntnisse vom Christentum, jedoch nur mangelhafte Kenntnisse von den Grundlagen des protestantischen Glaubens.
Der Beschwerdeführer ist nicht offiziell aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten.
Der Beschwerdeführer war im Iran keiner aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt und wäre auch im Falle seiner Rückkehr dorthin mit nicht maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt.
Dazu im Einzelnen:
Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat weder aus politischen noch aus anderen Gründen (einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Gefahr von) intensiven staatlichen Übergriffen oder intensiven Übergriffen von Privatpersonen ausgesetzt.
Der Beschwerdeführer ist aus seinem Herkunftsstaat nicht geflohen, er wurde dort nicht verfolgt und nicht bedroht. Namentlich wurde er nie von Behörden in seinem Herkunftsstaat verfolgt; es gab keine Übergriffe oder Misshandlungen durch Vertreter von Behörden.
Der Beschwerdeführer war im Iran nicht politisch aktiv und ist dies auch in Österreich nicht.
Der Beschwerdeführer hatte sich vor seiner Ausreise aus dem Iran nicht mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt, ihn nicht praktiziert und auch nicht beschlossen, Christ zu werden.
Der Beschwerdeführer hat in den letzten drei Jahren zwar ein gewisses Interesse am Christentum entwickelt, er ist aber nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert und der christliche Glaube ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers. Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat weiterhin mit dem christlichen Glauben befassen oder nach dem christlichen Glauben leben oder sich privat oder öffentlich zum christlichen Glauben bekennen würde. Der Beschwerdeführer missioniert nicht und würde im Iran auch nicht christlich missionieren.
Die Behörden im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers haben von der – nicht aus inneren Überzeugung geschehenen – Konversion keine Kenntnis und es ist auch nicht davon auszugehen, dass sie vom christlichen Engagement und der Taufe des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr in den Iran Kenntnis erlangen würden.
Nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer konkret als Kurde im Iran verfolgt bzw. benachteiligt wurde.
Andere Gründe, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, wurden von ihm nicht glaubhaft vorgebracht und sind auch im Verfahren nicht hervorgekommen.
Somit wird festgestellt wird, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
1.2 Zur hier relevanten Situation im Iran
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran, Stand 19.06.2020
1. Politische Lage
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 2.2020a; vgl. BTI 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wieder gewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).
Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).
Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 2.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 2.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).
Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020a): Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450, Zugriff 7.4.2020
- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020b): Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 7.4.2020
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020
- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020
- DW – Deutsche Welle (23.2.2020): Konservative siegen bei Parlamentswahl im Iran, https://www.dw.com/de/konservative-siegen-bei-parlamentswahl-im-iran/a-52489961, Zugriff 7.4.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020
- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (2.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 7.4.2020
- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020
- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020
2. Sicherheitslage
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).
In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (4.5.2020b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 4.5.2020
- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.5.2020): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 4.5.2020
- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 4.5.2020
2.1.Verbotene Organisation
Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020).
Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah, und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 26.2.2020). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 10.2019) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nordwesten des Iran durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).
Es scheint eher unwahrscheinlich, dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau, wie z.B. dem Verteilen von Flyern, angeklagt wird, es ist aber schon möglich, dass man inhaftiert wird, wenn man mit politischem Material, oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an, welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 4.5.2020
- AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International's written statement to the 40thsessionof theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english.pdf, Zugriff 4.5.2020
- AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435509/1226_1529323691_mde1385982018english.pdf, Zugriff 4.5.2020
- DIS – Danish Immigration Service (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 14.5.2020
- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 4.5.2020
- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 4.5.2020
3. Rechtsschutz / Justizwesen
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).
Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";
- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
- Spionage für fremde Mächte;
- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).
Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).
Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).
Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020).
Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020
- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 7.4.2020
- AA – Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 7.4.2020
- AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020
- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 7.4.2020
- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020
- BTI – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 7.4.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020
- HRC – UN Human Rights Council (28.1.2020): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/43/61], https://undocs.org/en/A/HRC/43/61, Zugriff 8.4.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022677.html, Zugriff 7.4.2020
- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020
- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020
4. Sicherheitsbehörden
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (US DOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2019).
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BTI 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).
Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).