TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/28 I419 2001918-4

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Veröffentlicht am 28.07.2020
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Entscheidungsdatum

28.07.2020

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 2001918-4/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17.06.2020, Zl. 1000101609-200457739, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal ein und stellte 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, der 2015 nach Beschwerde rechtskräftig abgewiesen wurde (I406 2001918-1), verblieb trotz Ausreiseverpflichtung im Bundesgebiet und stellte 2017 einen Folgeantrag, den das BFA wegen entschiedener Sache – verbunden mit einer Rückkehrentscheidung – zurückwies, was dieses Gericht 2019 bestätigte (I419 2001918-2).

2. Darauf beantragte er noch 2019 einen Aufenthaltstitel nach § 55 Abs. 1 AsylG (Aufenthaltsberechtigung plus). Diesen Antrag wies das BFA mangels eines geänderten Sachverhalts als unzulässig zurück, was dieses Gericht am 10.01.2020 ebenfalls bestätigte (I403 2001918-3).

3. Am 04.06.2020 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf eine Aufenthaltsberechtigung plus, den das BFA mit dem nun bekämpften Bescheid wiederum mangels eines geänderten Sachverhalts als unzulässig zurückwies.

4. Beschwerdehalber wird dagegen vorgebracht, der Zeitraum seit der Rückkehrentscheidung sei keinesfalls kurz, und die Änderungen des Sachverhalts seien nicht zu vernachlässigen. Den Unterlagen sei eine „intensive soziale, sprachliche und familiäre Integration des Beschwerdeführers zu entnehmen“, die seit seinem Asylverfahren stattgefunden habe. Dieser habe ein Deutschzertifikat B1 sowie eine Einstellungszusage. Im Zuge seines „extrem langen“ Aufenthalts in Österreich habe er eine Verbundenheit zu Land und Kultur entwickelt, die er nicht mehr zurücklassen könne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias Seine Identität steht nicht fest.

Er hat in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte. Eine maßgebliche soziale Verfestigung liegt nicht vor. Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Er verfügte von Sommer 2017 bis 23.10.2019 über eine Obdachlosenanschrift und hat seitdem einen gemeldeten Hauptwohnsitz in Wien in einer Unterkunft, in der weitere vier im Herkunftsstaat in verschiedenen Bundesstaaten geborene Männer zwischen Ende 20 und Ende 30 gemeldet sind. Keiner davon hat Gemeinsamkeiten im Namen mit dem Beschwerdeführer. Es kann nicht festgestellt werden, dass er dort auch wohnt.

Der Beschwerdeführer ist seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und hält sich weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Aus dem Antragsvorbringen des Beschwerdeführers zu § 55 AsylG 2005 sowie der Beschwerde geht betreffend die Rückkehrentscheidung nicht hervor, dass sich im Vergleich zum Erkenntnis dieses Gerichts vom 26.06.2019 die Integrationsmerkmale des Beschwerdeführers über den Zeitablauf hinaus derart verstärkt hätten, dass ihr Gewicht im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens eine ergänzende oder neue Abwägung seines Interesses am Verbleib erforderlich macht.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I geführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und der Beschwerde sowie den Erkenntnissen in den vorangegangenen Beschwerdeverfahren.

Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zum Beschwerdeführer

Soweit Feststellungen zur Person, den Lebensumständen und zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den Angaben im Akt und den im angeführten Erkenntnis dieses Gerichts vom 10.01.2020 und im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Weil der Beschwerdeführer nach wie vor keine geeigneten Urkunden vorgelegt hat, steht seine Identität nicht fest.


Betreffend seinen Wohnsitz und die Negativfeststellung dazu, ob er wirklich wie angemeldet in Wien wohnt, waren wegen der vorgelegten Bestätigungen keine genaueren Feststellungen möglich. Nach der Bestätigung vom 25.05.2020 verkauft der Beschwerdeführer seit vielen Monaten vor einem Supermarkt in Innsbruck eine Straßenzeitung, ebenso nach jener vom 10.03.2020, wonach der Beschwerdeführer dies dort oft zehn Stunden täglich und länger tut.

Gemäß einer Bestätigung vom 18.07.2019 verkaufte er damals seit ungefähr drei Jahren die gleiche Straßenzeitung im Zillertal. Diese in Innsbruck herausgegebene Straßenzeitung bestätigte am 15.07.2019 auch selbst, das der Beschwerdeführer sie verkauft.

Der Bestätigung einer Freikirche vom 14.07.2019 folgend, wohnte er zu diesem Zeitpunkt in Innsbruck.

Es bestehen demnach starke Zweifel am Zutreffen der Hauptwohnsitzmeldung des Beschwerdeführers.

2.3 Zum Vorbringen

Seit dem Erkenntnis dieses Gerichts vom 26.06.2019 betreffend die damals bekämpfte (Zurückweisung und) Rückkehrentscheidung des BFA sind rund 13 Monate vergangen. Nach der Hälfte dieser Zeit erging die Entscheidung dieses Gerichts betreffend die Beschwerde gegen die zurückweisende Entscheidung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 des BFA vom 04.11.2019 über den ersten Antrag des Beschwerdeführers auf eine „Aufenthaltsberechtigung plus“. Bereits dabei, im Erkenntnis vom 10.01.2020, hat dieses Gericht festgestellt, dass gegenüber dem 26.06.2019 ein im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gem. § 9 Abs. 2 BFA-VG geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gem. Art 8 EMRK erforderlich machen würde, nicht hervorkam (S. 2).

Seither sind gut 6,5 weitere Monate vergangen. Außer dem Zeitablauf hat sich keine Änderung des Sachverhalts ergeben. Die beiden in 2.2 angeführten Bestätigungen von 10.03. und 25.05.2020 betreffend den Zeitungsverkauf beziehen sich darauf, dass dieser schon länger stattfindet, was auch den Feststellungen der beiden Erkenntnisse von 2019 und 2020 und den weiteren, damals vorgelegten Bestätigungen entspricht. Auch die – undatierte – Einstellungszusage einer Transportunternehmerin lag bereits im vorigen Verfahren vor.


Worin die „intensive soziale, sprachliche und familiäre Integration“ seit der Rückkehrentscheidung vor 13 Monaten nunmehr bestehen soll, legt weder die Beschwerde dar, noch erschließt es sich sonst. Wie festgestellt, ist der Beschwerdeführer in einer Männer-WG gemeldet, auf familiäre Beziehungen weist dabei nichts hin.

Demnach war nicht davon auszugehen, dass sich die Integrationsmerkmale des Beschwerdeführers gravierend verstärkt hätten, zumal der Aufenthalt während der genannten 13 Monate unrechtmäßig war, und entweder die vorgelegten Meldungen zum Zeitungsverkauf oder die fehlende Eintragung einer Unterkunft in Tirol nicht den Tatsachen entsprechen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

Nach 58 Abs. 10 AsylG 2005 sind Anträge gemäß § 55 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Da der Zurückweisungsgrund gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildet ist, können die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhaltes als wesentlich anzusehen ist, auch für die Frage herangezogen werden, wann eine maßgebliche Sachverhaltsänderung im Sinn des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 vorliegt. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. (VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0173 mwN)

Die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides (bei § 58 Abs. 10 AsylG 2005 eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein. Dazu hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat. Für diese Prognose ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen (VwGH 09.09.2013, 2013/22/0161 und 2013/22/0215).

Vergleichsmaßstab ist dabei der letzte materiell rechtliche Abspruch (VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0173 mwN), fallbezogen damit die Bestätigung der Rückkehrentscheidung vor 13 Monaten. Die neben der vergangenen Zeit, also der Aufenthaltsdauer, beachtlichen Integrationsmerkmale haben sich in diesen 13 Monaten nicht entscheidend verstärkt, wobei deren Gewichtung wie bereits im Jänner 2020 dargetan ausfällt: Die Deutschprüfung B1 ist unter Berücksichtigung des vorher bestätigten Niveaus A2 zu sehen, die Einstellungszusage hat sich auch nicht verändert und bleibt wie damals betrachtet, undatiert und vage. Zu den Unterstützungs- und Bestätigungsschreiben wurde damals bereits festgehalten, dass aus ihnen keine wesentliche Änderung seit Juni 2019 hervorgeht.

Bei einer Aufenthaltsdauer von 6,5 Jahren (einschließlich 27 Monate ohne Anmeldung oder mit Obdachlosenmeldung) und der daraus und den bisherigen Feststellungen zu entnehmenden fehlenden Aufenthaltsverfestigung ergibt sich für die Prognose einer inhaltlichen Behandlung, dass ein anderes Ergebnis als bisher nicht zu erwarten ist. Der Beschwerdeführer hat im Wesentlichen außer der bereits behandelten Sprachprüfung nur den längeren, aber unrechtmäßigen Aufenthalt für sich ins Treffen zu führen. Da der gesamte Aufenthalt auch nicht entfernt jene 10 Jahre ausmacht, nach denen – bei Unbescholtenheit – im Allgemeinen vom Überwiegen der Gründe für den Verbleib ausgegangen wird (vgl. VwGH 11.06.2014, Ro 2014/22/0017 zum damaligen § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG), ist nicht zu sehen, dass der nunmehr vorliegende Sachverhalt bei einer Gesamtbetrachtung eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK ergeben könnte als jener vor 13 Monaten.

Vor diesem Hintergrund erweist es sich nicht als rechtswidrig, dass das BFA den Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung zurückgewiesen hat, dass „eine neuerliche Prüfung des Artikels 8 EMRK“ zu unterbleiben habe, zumal eine neuerliche „Abwägung hinsichtlich Artikel 8 EMRK zu keinem anderen Ergebnis gelangen“ würde als bisher.

Dementsprechend hat das BFA den Antrag richtiger Weise nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückgewiesen. Die Beschwerde dagegen war daher abzuweisen.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

In der Beschwerde wurde zwar ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, das Gericht konnte sich aber auf vom Beschwerdeführer unbestrittene Annahmen stützen. Die Beschwerde läuft letztlich darauf hinaus, dass die - unstrittige - Sachlage vom Verwaltungsgericht rechtlich anders gewürdigt werden soll als vom BFA.

Daran vermag auch das Faktum nichts zu ändern, dass sich die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung durch den (illegalen) Verbleib im Bundesgebiet um etwa 13 Monate verlängert hat. Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt, der im Hinblick auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich zu erörtern gewesen wäre, lag darin nicht. Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Relevanz des Privat- und Familienlebens und der Aufenthaltsdauer bei Rückkehrentscheidungen.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen kamen nicht hervor.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer entschiedene Sache geänderte Verhältnisse Gesamtbetrachtung Identität der Sache Integration Prognose Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung res iudicata unzulässiger Antrag wesentliche Änderung wesentliche Sachverhaltsänderung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2001918.4.00

Im RIS seit

06.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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