TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/6 W226 2224262-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.08.2020
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Entscheidungsdatum

06.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W226 2224262-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Hubert WAGNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2019, Zl.: 1014433910/190838995, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.06.2020 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der damals minderjährige BF, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste im Jahr 2003 gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und wurde für den BF durch seine gesetzliche Vertretung am 06.09.2003 ein Asylerstreckungsantrag gestellt, welchem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2003 stattgegeben wurde und dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

2. Mit Protokollsvermerk und gekürzter Urteilsausfertigung des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX (RK 14.06.2016) wurde der BF wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 21.05.2015 eine Urkunde, über die er nicht verfügen darf, – nämlich eine Jahreskarte der Wiener Linien – mit dem Vorsatz unterdrückte, den Gebrauch durch den Berechtigten im Rechtsverkehr zum Beweis von Rechtsverhältnissen oder Tatsachen zu verhindern.

Als mildernd wurden die bisherige Unbescholtenheit, das umfassende reumütige Geständnis und das Alter unter 21 Jahren gewertet. Als erschwerend wurde kein Umstand gewertet.

3. Mit Protokollsvermerk und gekürzter Urteilsausfertigung des Landesgerichtes XXXX vom XXXX (RK 30.06.2016) wurde der BF wegen der Vergehen des teilweise vollendeten, teilweise versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls teilweise durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 und Z 2, 130 Abs. 1 1. Fall, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Zudem wurde für den BF eine Bewährungshilfe angeordnet.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF fremde bewegliche Sachen, wobei der Wert der Sachen im Zweifel 5.000 EUR nicht übersteigt, verschiedenen Personen mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern weggenommen hat und zwar:

-        in der Zeit von 20.09.2014 bis 26.09.2014 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter in drei Angriffen durch Einsteigen in einen Lagerplatz, wobei diverse Lebensmittel, Süßigkeiten und Getränke im Gesamtwert von ca. 284 EUR weggenommen wurden, indem einer der beiden Mittäter über ein 3,5m hohes Tor und einen 5m hohen Palettenstapel in den Lagerplatz einstieg, die Waren an sich nahm und sie die andere Person jenseits des Tores entgegennahm;

-        am 05.09.2014 durch Einsteigen in ein Gebäude sowie durch Aufbrechen eines Behältnisses einem Opfer Bargeld in Höhe von ca. 350 EUR sowie das Bankomatzahlgerät von nicht mehr festzustellendem Wert wegnahm, indem er auf den Türgriff der Eingangstüre stieg und durch das angelehnte Fenster in ein Blumengeschäft gelangte, dann die Kasse mit einem Schraubenzieher und einem Hammer aufbrach und das Bargeld sowie das Bankomatzahlgerät an sich nahm;

-        im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter gewerbsmäßig mehrere Gegenstände aus unversperrten PKWs an sich nahmen und zwar in der Nacht von 29.08.2014 auf 30.08.2014 ein Mobiltelefon im Wert von ca. 200 EUR, in der Nacht von 13.09.2014 auf 14.09.2014 ein Fernglas im Wert von 1.500 EUR, ein Navigationsgerät im Wert von ca. 200 EUR, einen Fotoapparat im Wert von ca. 400 EUR und zwei LED –Taschenlampen im Gesamtwert von 100 EUR, zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt von 19.09.2014 bis 21.09.2014 eine Fotokamera im Wert von 70 EUR, am 20.09.2014 ein Etui im Wert von 30 EUR, ein Navigationsgerät im Wert von 100 EUR, eine Geldbörse und eine Sonnenbrille im Wert von 120 EUR; am 14.09.2014 ca. 50 weiteren nicht mehr festzustellenden Personen verschiedene nicht mehr festzustellende Gegenstände von nicht mehr festzustellendem Wert, von August bis September 2014 ca. 44 weiteren nicht mehr festzustellenden Personen verschiedene nicht mehr festzustellende Gegenstände von nicht mehr festzustellendem Wert sowie zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im August 2014 nicht mehr festzustellenden Gewahrsamsträgern ein Mobiltelefon von nicht mehr festzustellendem Wert sowie Bargeld in Höhe von 20 EUR wegnahmen, indem sie aus einem unversperrten weißen Pritschenwagen die Gegenstände an sich nahmen;

-        im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter durch Einsteigen in einen Lagerplatz, wobei versucht wurde 24 Dosen Red Bull, 10 Kipferl und diverse Süßigkeiten im Gesamtwert von ca. 150 EUR wegzunehmen, indem der BF und ein weiterer Mittäter über ein 3,5m hohes Tor und einen 5m hohen Palettenstapel in einen Lagerplatz kletterten, die Ware an sich nahmen und zwei weitere Personen Aufpasserdienste verrichteten, wobei es nur beim Versuch blieb, weil sie auf frischer Tat betreten und festgenommen wurden.

Als mildernd wurden das Geständnis, die Unbescholtenheit und die Tatbegehung überwiegend als Jugendlicher gewertet. Als erschwerende wertete das erkennende Gericht die Vielzahl der Tathandlungen.

4. Mit Protokollsvermerk und gekürzter Urteilsausfertigung des Landesgerichtes XXXX vom XXXX (RK 29.05.2019) wurde der BF wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 und Z 2, 130 Abs. 2, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsichten wurde abgesehen und die dortigen Probezeiten auf fünf Jahre verlängert.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF fremde bewegliche Sachen durch Einbruch mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen bzw. wegzunehmen versuchte und zwar:

-        am 13./14. Jänner 2019 Bargeld in der Höhe von insgesamt 155 EUR wegnahm, indem er eine Scheibe einer Kebap/Pizzeria einschlug und die Registrierkasse aufbrach;

-        am 30. Jänner 2019 versuchte stehlenswerte Sachen zu stehlen, indem er eine Fensterscheibe eines Marktstandes aufbrach, wobei es beim Versuch blieb, da er das Fenster nicht öffnen konnte;

-        am 30. Jänner 2019 Bargeld in Höhe von insgesamt 830 EUR wegnahm, indem er eine Fensterscheibe zu einem Kebap/Pizzeria-Lokal aufhebelte und die Registrierkassa mit einem auf der Kassenlade liegenden Schlüssel öffnete;

-        am 20./21. Dezember 2018 Bargeld in Höhe von insgesamt 120 EUR sowie eine Geldbörse und ein Feuerzeug im Gesamtwert von ca. 60 EUR wegnahm, indem er ein Fenster eines Kebap/Pizzeria-Lokals aufbrach;

-        am 13. Februar 2019 Bargeld in Höhe von 200 EUR wegnahm, indem er ein Fenster eines Lebensmittelgeschäftes aufbrach und das Geld aus der unversperrten Registrierkasse nahm;

-        am 20./21. Februar 2019 versuchte stehlenswerte Sachen zu stehen, indem er das Verkaufsfenster eines Imbissstandes aufdrückte, wobei es jedoch beim Versuch blieb, weil er keine Diebesbeute vorfinden konnte;

-        am 19./20. Februar 2019 eine Spendenbox mit Bargeld in der Höhe von 50 EUR wegnahm, indem er ein Schiebfenster eines Kebap-Lokals aufbrach und die am Verkaufspult aufgestellte Spendenbox entnahm;

-        am 6./7. März 2019 einen Laptop, Bierdosen und ca. 500 EUR Bargeld wegnahm, indem er das Verkaufsfenster einer Cafe-Konditorei aufzwängte;

-        am 29. bis 31. Dezember 2018 eine Handkasse mit Bargeld in der Höhe von 545,50 EUR sowie Lebensmittel m Wert von 199,40 EUR wegnahm, indem er ein Schiebefenster eines Lebensmittelgeschäftes aufzwängte;

-        am 28. Februar 2019 Bargeld in Höhe von ca. 200 EUR wegnahm, indem er ein Schiebefenster eines Imbisslokals aufzwängte;

-        am 20./21. März 2019 Bargeld in nicht mehr festzustellendem Wert wegnahm, indem er ein Schiebefenster eines Geschäftes aufzwängte und das Geld aus der Registrierkasse entnahm;

-        am 20./21. März 2019 versuchte, stehlenwerte Sachen zu stehlen, indem er das Verkaufsfenster eines Imbissstandes aufzwängte, wobei es beim Versuch blieb, weil er keine Diebesbeute vorfinden konnte;

-        am 12.04.2019 eine Kellnerbrieftasche samt Bargeld in der Höhe von 200 EUR sowie Münzgeld wegnahm, indem er ein Fenster eines Lokals aufbrach.

Als mildernd wurde die geständige Verantwortung und die Bereitschaft zur Schadenswiedergutmachung gewertet. Als erschwerend wertete das erkennende Gericht die einschlägige Vorstrafe, den Rückfall innerhalb offener Probezeit und die mehrfache Tatbegehung.

5. Am 16.08.2019 leitete das BFA ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ein.

6. Am 12.09.2019 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich in den Sprachen Russisch/Deutsch einvernommen.

Der BF gab an, den Anwesenden Dolmetscher gut zu verstehen, er selbst aber nur wenig Russisch spreche. Seine Muttersprache sei Tschetschenisch. Zudem spreche er Deutsch, Englisch und ein wenig Russisch.

Zu seinem Gesundheitszustand befragt, gab der BF an, gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen. Er könnte auch arbeiten gehen. Er sei beim Grünen Kreis in Behandlung und habe früher Drogen genommen, jetzt befinde er sich in Therapie. Er sei stationär aufgenommen worden, früher habe er das Medikament „Seroquel“ genommen, jetzt nehme er aber keine Medikamente mehr zu sich. Die Behandlung dauere bis 08. Jänner, danach sei er 18 Monate ambulant und müsse er regelmäßige Tests dort abgeben.

Zu seinem Lebenslauf gab er an, in Tschetschenien ( XXXX ) geboren zu sein und er dort bis zu seinem vierten/fünften Lebensjahr aufgewachsen sei. Ab dem Jahr 2003 habe er mit seiner Familie (Eltern und Geschwister) ununterbrochen in Österreich gewohnt. Er habe vier Jahre die Volksschule, vier Jahre die Hauptschule sowie eine Polytechnische Schule besucht. Die Polytechnische Schule habe er wegen der Drogeneinnahme aber abgebrochen. Er sei beim AMS gemeldet gewesen und habe diverse Kurse besucht. Er habe als Lagerarbeiter, Produktionsarbeiter, Stapelfahrer, Hilfsarbeiter auf Baustellen und als KFZ-Lehrling gearbeitet. Er sei ledig und habe keine Kinder. Seine Eltern, seine beiden Brüder, seine Schwester und seine Halbschwester würden in Österreich leben. Die Schwester und die Halbschwester seien bereits verheiratet und hätten Kinder. Auch der älteste Bruder sei verheiratet, habe aber keine Kinder. Ein weiterer Bruder lebe im Haushalt der Eltern. Vor seinem Haftantritt habe auch der BF im Haushalt der Eltern gelebt. Seine Mutter besitze die österreichische Staatsbürgerschaft, die restlichen Familienangehörigen seien zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt. Seine Familie komme ihn immer besuchen.

Nach Angehörigen im Herkunftsland befragt, gab der BF an, niemanden zu haben. Nach Vorhalt, dass sein Bruder bei seiner Einvernahme angegeben habe, dass er zwei Tanten väterlicherseits und zwei Onkel mütterlicherseits in Tschetschenien hätte und es darüber hinaus auch Angehörige mütterlicherseits gäbe, welche in Russland leben würden; gab der BF an: „Nein, diese sind bereits verstorben.“ Auf Nachfrage führte der BF aus, diese seien vor rund einem Jahr verstorben. Er habe keine Ahnung, was sein Bruder damals gesagt habe, aber soweit er wisse, seien sie nicht mehr am Leben, sonst hätte er auch Kontakt mit ihnen. Als die Verwandten noch am Leben gewesen seien, habe der BF noch Kontakt zu ihnen gehabt. Zum Zeitpunkt ihres Begräbnisses befragt, gab der BF an, keine Ahnung zu haben, vielleicht wisse seine Mutter etwas darüber.

Zu seinen aktuellen Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr nach Tschetschenien befragt, gab der BF an, er habe Angst getötet zu werden. Als Kind habe ihn niemand bedroht, aber jetzt als Erwachsener drohe ihm Gefahr. Dies, weil sie von dort geflüchtet seien und sein Vater Soldat gewesen sei. Aufgrund der damaligen Ausreisegründe würde er im Falle der Rückkehr bedroht werden. Persönlich sei er nicht bedroht worden, aber sie würden in Tschetschenien gesucht werden. Wenn er dort zurückkehren sollte und jemand seinen Nachnamen lese, dann werde er getötet. Er bzw. seine Familienangehörigen würden von den russischen Soldaten und von Präsident Kadyrow bzw. seinen Leuten gesucht werden. Er wisse das deshalb, weil seine Mutter damals Kontakt mit seinem Cousin gehabt habe, noch bevor dieser nach Österreich gereist sei. Dieser habe erwähnt, dass er nach ihnen befragt worden sei. Der Cousin sei vor zwei Jahren nach Österreich ausgereist. Befragt, ob es auch zuvor ein Interesse an seiner Person bzw. den Familienangehörigen gegeben habe, gab der BF an, dass es sich noch etwas gegeben habe, er es aber nicht wisse, da er damals jung gewesen sei.

Nochmals zur behaupteten Interessensbekundung an den Cousin befragt, gab der BF an, er habe nur von seiner Mutter gehört, dass sie gesucht werde bzw. sie alle gemeinsam dort gesucht werden würden, also dort Gefahr drohe. Er wisse nur, dass seine Mutter dabei gesucht worden sei, sonst wisse er nichts darüber.

Zu seinen aktuellen Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr in einen anderen Teil der Russischen Föderation befragt, gab der BF an, dass ihm auch dort das gleiche drohen würde. Die Kadyrow-Leute seien überall und würden ihn im Falle der Rückkehr finden.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen in Österreich befragt, führte er aus, dass er hier seine Familie und seine Freundin habe. Er habe auch österreichische Freunde. Seine österreichische Freundin heiße XXXX , den Nachnamen wisse er nicht. Sie kenne auch seinen Nachnamen nicht. Er führe mit ihre seit einem Jahr eine Beziehung. Sie wohne im 10. Bezirk, sei 21. Jahre alt und arbeite glaublich als Zahnarztassistentin im 5. Bezirk. Er habe sie zuletzt vielleicht vor fünf Monaten gesehen, stehe aber in telefonischem Kontakt zu ihr. Ansonsten habe er hier noch Cousins, Tanten und Onkel, welche zum dauernden Aufenthalt berechtigt seien. Früher habe er sie oft gesehen, zuletzt habe er sie vor drei oder vier Monaten gesehen. Er sei beim AMS gemeldet und bekomme, seit er beim Grünen Kreis sei, Notstandshilfe (130 EUR/Monat). Davor habe er Mindestsicherung bekommen. Er sei in Österreich kein Mitglied in Vereinen oder Organisationen.

Im Zuge der Einvernahme legte der BF einen Auszug aus dem Geburtenbuch vor.

7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.09.2019, erkannte das BFA den mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2003 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Ferner wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf 10 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Das BFA stellte fest, dass der BF russischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Tschetschenen angehöre und sich zum muslimischen Glauben bekenne. Er sei in Tschetschenien ( XXXX ) aufgewachsen und habe bis zu seinem vierten/fünften Lebensjahr dort gelebt. Er spreche Tschetschenisch, Deutsch, Englisch und ein wenig Russisch. Er sei arbeitsfähig und leide an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Er habe in Österreich Schulbildung erworben, sei ledig und kinderlos. In seiner Heimat habe er familiäre Anknüpfungspunkte.

Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in der Russischen Föderation habe er nicht glaubhaft machen können. Im Falle einer Rückkehr habe er in seinem Heimatland keine Gefährdungs- oder Gefahrenlage zu befürchten. Er könne seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation bestreiten und würde dort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden. Seine Familienangehörigen seien zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt und führe er eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Er lebe mit ihr aber nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Er spreche Deutsch und gehe in Österreich keiner Arbeit nach. Er sei in Österreich mehrmals straffällig geworden.

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass dem BF kein Glauben geschenkt werde, wenn er behaupte, keine Angehörigen mehr in seinem Heimatstaat zu haben bzw. diese bereits verstorben seien, zumal sein Bruder glaubwürdig ausführte, dass er über eine Vielzahl von Angehörigen im Heimatland verfüge und mit diesen auch in telefonischem Kontakt stehe. Vielmehr habe der BF bewusst versucht den verwandtschaftlichen Hintergrund zu verschleiern und jegliche Anknüpfungspunkte im Heimatland zu verheimlichen.

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und zur Situation im Falle der Rückkehr führte das BFA aus, dass der BF in Bezug auf sein Heimatland keine aktuellen bzw. individuellen Fluchtgründe glaubhaft darlegen habe können, sondern habe er sich lediglich auf eine in den Raum gestellte Gefahr, die sich aus der damaligen Ausreise seiner Familie ableiten lasse, vorgebracht. Er habe nicht glaubhaft vorbringen können, dass er im Falle einer Rückkehr nach wie vor noch einer Bedrohung ausgesetzt sein würde. Hinsichtlich der behaupteten Mitteilung des Cousins gegenüber der Mutter, wonach der BF bzw. seine gesamte Familie nach wie vor noch in Tschetschenien gesucht werden würden, habe er keine Details nennen können. Dies sei nicht nachvollziehbar, da sich eine vernunftbegabte Person mit Sicherheit Informationen darüber einholen würde bzw. das Vorgehen der Suchenden hinterfragen würde. Zudem gäbe es keine plausible Erklärung, warum die Familie 16 Jahre nach ihrer Ausreise aus Russland noch immer im Heimatland gesucht werden sollte, zumal laut dem aktuellen LIB eine Person, welche tatsächlich einer Verfolgung von Kadyrow ausgesetzt sei, überall in der Welt gefunden werde könne. Wäre die Familie tatsächlich nach wie vor einer Verfolgung durch Kadyrow ausgesetzt und würde das Interesse derartig groß sein, dann wäre (auch in Österreich) bereits ein Interesse am BF bzw. seiner Familie gezeigt worden. Da er aber derartiges nicht zu Protokoll gegeben habe, sondern sich darauf beschränke, in Tschetschenien gesucht zu werden, habe eine individuelle Gefährdungs- bzw. Bedrohungslage nicht festgestellt werden können. Auch habe der Bruder des BF in seiner Einvernahme mit keinem einzigen Wort den Vorfall mit der angeblichen Interessensbekundung erwähnt. Wäre der Cousin vor rund zwei Jahren tatsächlich nach den Familienmitgliedern befragt worden, so hätte dies mit Sicherheit auch bereits der Bruder kundgetan. Der BF habe sich somit nicht auf ein tatsachengetreues Vorbringen gestützt, sondern die Behörde bewusst versucht zu täuschen und seien die behaupteten Gründe für eine Gefährdungslage jedenfalls nicht glaubhaft. Da sich aus dem Grund, welcher zur Schutzgewährung des Vaters geführt habe, im Falle einer Rückkehr keine (aktuelle) Gefährdungslage des BF ableiten lasse, sei ihm eine Rückkehr zuzumuten.

Der BF könne seinen Lebensunterhalt in Russland bestreiten, zumal er ein junger, gesunder Mann im erwerbsfähigen Alter sei. Er verfüge über mehrjährige Schulbildung in Österreich und könne die Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden. Er könne seine Existenz mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Zudem habe er in Russland verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte, welche ihn bei einer Rückkehr unterstützen könnten. Auch seine Familie in Österreich könne ihn unterstützen. Da er einen Teil seines Lebens in Tschetschenien verbracht habe und auch in Österreich im Kreise seiner Familie aufgewachsen sei, sei davon auszugehen, dass er mit den russischen Traditionen und Gepflogenheiten nach wie vor vertraut sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in eine unzumutbare Situation geraten würde.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass eine Aberkennung nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG grundsätzlich nur innerhalb von fünf Jahren ab Zuerkennung möglich sei. Da der BF aber mehrmals straffällig geworden sei, sei die Frist von fünf Jahren nicht zu berücksichtigen.

Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF zwar angegeben habe, eine österreichische Freundin zu haben, ein Abhängigkeitsverhältnis könne aber nicht erkannt werden, zumal sie nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben würden und er die Freundin laut seinen Angaben zuletzt erst vor fünf Monaten gesehen habe. Auch würde keine wirtschaftliche oder sonstige Abhängigkeit zu seinen restlichen im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen bestehen. Der BF halte sich seit September 2003 ununterbrochen in Österreich auf. Er sei bis dato zwar mehreren Arbeiten in diversen Branchen nachgegangen, jedoch sei er den Großteil seines Aufenthaltes in Österreich beschäftigungslos gewesen. Der BF sei in Österreich bereits mehrmals straffällig geworden und sei aus der Art der Begehung seiner Straftaten deutlich ersichtlich, dass er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle. Die öffentlichen Interessen an der Rückkehr des BF würden somit gegenüber seinen privaten Interessen überwiegen.

Zum Einreiseverbot führte das BFA aus, dass § 53 Abs. 3 Z 1 FPG im Falle des BF erfüllt sei. Er sei zuletzt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens des BF und unter Bedachtnahme auf sein Gesamtverhalten bzw. im Hinblick darauf, wie er sein Leben in Österreich gestaltet habe, sei insgesamt davon auszugehen, dass der BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Höhe von 10 Jahren sei gerechtfertigt, zumal er innerhalb offener Probezeiten rückfällig geworden sei und trotz einschlägiger Vorstrafen erneut Straftaten verübt habe. Die Verurteilungen würden sich über einen Zeitraum von rund drei Jahren erstrecken und sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der BF auch in Zukunft ein derartiges Verhalten zeigen werde, zumal auch eine Steigerung des Gewaltpotentials ersichtlich sei. Die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer sei gerechtfertigt und notwendig, um die vom BF ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

8. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 17.09.2019 wurde dem BF für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

9. Gegen den oben angeführten Bescheid des BFA erhob der BF fristgerecht eine vollinhaltliche Beschwerde, worin die Rechtwidrigkeit des Bescheidinhaltes geltend gemacht wird. In der Beschwerde wird ausgeführt, dass der BF seit 2003 in Österreich aufhältig sei und den Asylstatus von seinem Vater erstreckt bekommen habe, da dieser von den russischen Behörden verfolgt worden sei. Seitdem sei der BF nicht mehr in Russland gewesen und habe dort auch keine Verwandten mehr. Seine Kernfamilie lebe in Österreich und sei er auf die Hilfe seiner Mutter und seiner Geschwister angewiesen, weil er drogensüchtig geworden sei und wegen seinem Drogenkonsum und der Suchtkrankheit straffällig geworden sei. Der BF würde nach seiner Abschiebung nach Russland von den russischen Behörden verfolgt werden, weil sein Vater in Russland als Freiheitskämpfer verfolgt worden sei und als Gegner von Kadyrows Regime gelte. Der BF als sein Sohn würde ebenso als solcher betrachtet werden. Die Abschiebung nach Russland stelle eine reale Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK dar und sei er einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt bzw. würde er getötet werden. Der BF würde in Russland auch keine Arbeit finden, da er die russische Sprache nicht mehr beherrsche und als Suchtkranker dort nicht überleben könne. Er brauche die Unterstützung seiner Familie und sei derzeit in einer Rehabilitation für suchtranke Menschen. In Russland würde er keine Therapie bekommen. Er bereue seine strafrechtliche Verurteilung und wolle betonen, dass er nie wieder straffällig werde.

Der Beschwerde wurde eine Aufenthaltsbestätigung des Vereines „Grüner Kreis“ (Verein zur Rehabilitation und Integration suchtkranker Menschen), datiert mit 25.09.2019, beigefügt, wonach der BF seit 09.07.2019 in einer Einrichtung untergebracht sei und sich einer stationären gesundheitsbezogenen Maßnahme unterziehe.

10. In einem Telefonat am 05.03.2020 mit einer Mitarbeiterin des Vereins „Grüner Kreis“ wurde mitgeteilt, dass sich der BF nicht mehr in der Einrichtung befinde, sondern nur mehr ambulant behandelt werde und einmal pro Woche zur Therapie komme.

11. Nachdem vom erkennenden Gericht die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 12.03.2020 dem BF nicht zugestellt werden konnte, wurde in weiterer Folge ein Zustellersuchen an eine Polizeiinspektion übermittelt, wobei dem BF die Schriftstücke gegen Zustellschein am 10.03.2020 ausgefolgt wurden und dieser im Zuge dessen wegen einer Ausschreibung von der Polizei festgenommen wurde.

12. Am 12.03.2020 teilte das BFA mit, dass sich der BF seit 11.03.2020 in Untersuchungshaft befinde.

13. Mit Schreiben vom 28.04.2020 teilte die Staatsanwaltschaft XXXX am 06.05.2020 mit, dass gegen den BF ein Ermittlungsverfahren wegen §§ 127, 129 (1) Z 1, 130 (2) 2. Fall StGB geführt werde und sich der BF zu diesem Verfahren in Untersuchungshaft befinde. Eine Anklage sei bis dato noch nicht erhoben worden.

14. Mit Schreiben vom 18.06.2020 teilte das Landesgericht XXXX mit, dass die Hauptverhandlung des BF (wegen §§ 127, 129 (1) Z 1, 130 (2) 2. Fall StGB, § 15 StGB) am XXXX stattfinden werde. Im Strafantrag der Staatsanwaltschaft wurde dem BF erneut zur Last gelegt, diverse fremde bewegliche Sachen gewerbsmäßig durch Einbruch mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen zu haben (im Zeitraum Februar und März 2020 insgesamt neun Einbruchsdiebstähle) bzw. wegzunehmen versucht zu haben (im Zeitraum Februar und März 2020 insgesamt vier Einbruchsdiebstähle).

15. Am 29.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, wobei der BF vom erkennenden Gericht nochmals ergänzend zu seinem Gesundheitszustand, zu seinen strafrechtlichen Verurteilungen, zu den Fluchtgründen seines Vaters und den damaligen Geschehnissen in Tschetschenien, zu seinem in Österreich aufhältigen Cousin sowie zu seiner Integration in Österreich befragt wurde. Weiters wurde auch die Mutter des BF als Zeugin zu den Fluchtgründen des Vaters und den damaligen Geschehnissen in Tschetschenien befragt.

In der Verhandlung wurde das aktuelle LIB der Staatendokumentation und ein Konvolut betreffend die Aussagen des Vaters des BF in dessen Asylverfahren im Jahr 2003 verlesen.

16. Am 15.07.2020 wurde das Landesgericht XXXX ersucht, dem erkennenden Gericht mitzuteilen, ob hinsichtlich des letzten Strafantrages des BF bereits ein Urteil ergangen sei bzw. der BF ein Rechtsmittel eingebracht oder auf ein solches verzichtet habe.

17. Am 22.07.2020 teilte die Justizanstalt XXXX mit, dass der BF in Strafhaft übernommen worden sei. Er sei mit Urteil des XXXX vom XXXX , GZ XXXX wegen §§ 127 StGB; § 129 Abs. 1 Z 1 StGB; § 130 Abs. 2 2. Fall StGB; § 15 StGB; § 130 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 30 Monaten verurteilt worden. Strafantritt sei der XXXX , das errechnete Strafende sei der 10.09.2022.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Er wuchs in Tschetschenien ( XXXX ) auf, wo er gemeinsam mit seiner Familie bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Zum Zeitpunkt der Ausreise aus Tschetschenien war der BF ca. 6,5 Jahre alt. Im September 2003 reiste die Familie des BF (Eltern sowie Geschwister) ins österreichische Bundesgebiet ein, wo sie Asyl- bzw. Asylerstreckungsanträge stellten.

Dem Asylerstreckungsantrag des BF wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2003 stattgegeben und dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Der BF wurde in Österreich strafrechtlich verurteilt und zwar:

1.)      BG XXXX vom XXXX (RK 14.06.2016)

§ 229 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat: 21.05.2015

Freiheitsstrafe 4 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Zusatz: Junge(r) Erwachsene(r)

2.)      LG XXXX vom XXXX (RK XXXX )

§§ 127, 129 (1) Z 1, 129 Z 2, 130 (1) 1. Fall StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat: 05.09.2015

Freiheitsstrafe 9 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Zusatz: Junge(r) Erwachsene(r)

Nachtrag: zu LG XXXX RK XXXX

zu BG XXXX Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

ausgesprochen durch: LG XXXX vom XXXX

3.)      LG XXXX vom XXXX (RK 29.05.2019)

§§ 127, 129 (1) Z 1, 129 (1) Z 2, 130 (2) StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat: 12.04.2019

Freiheitsstrafe 2 Jahre

Zudem wurde der BF mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , GZ XXXX wegen §§ 127 StGB; § 129 Abs. 1 Z 1 StGB; § 130 Abs. 2 2. Fall StGB; § 15 StGB; § 130 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 30 Monaten verurteilt.

Der BF befindet sich derzeit (seit XXXX ) in Haft. Das voraussichtliche Ende der Strafhaft ist der 10.09.2022.

Festgestellt wird, dass der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 der GFK angeführte Endigungsgrund eingetreten ist.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF oder seinem Vater (von welchem der BF seinen Asylstatus seinerseits abgleitet hat) im Falle der Rückkehr eine aktuelle Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde.

Der BF war drogenabhängig. Er hat sich deshalb beim Verein „Grüner Kreis“ in stationärer Behandlung befunden und hat Medikamente (Seroquel) eingenommen. Seit Jänner 2020 wurde er nur mehr ambulant behandelt. Nunmehr (seit XXXX ) befindet sich der BF in Strafhaft, weshalb davon auszugehen ist, dass die Drogentherapie des BF in der Justizanstalt fortgesetzt wird. Der BF nimmt in Haft keine Medikamente ein.

Die Eltern sowie die Geschwister (eine Schwester, eine Halbschwester und ein Bruder) des BF leben in Österreich und sind zum dauerhaften Aufenthalt in Österreich berechtigt. Die Eltern des BF sind mittlerweile geschieden und leben getrennt. Die Mutter des BF besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft. Einem Bruder des BF ( XXXX ) wurde – wie der BF selbst – mehrmals straffällig und wurde diesem mit Bescheid des BFA bereits der Status des Asylberechtigten aberkannt und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Der Aberkennungsbescheid des XXXX wird mit heutigem Tag vom erkennenden Gericht bestätigt, weshalb XXXX zeitnah das österreichische Bundesgebiet verlassen und in die Russische Föderation zurückkehren wird.

Weiters lebt noch ein Cousin des BF als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu den in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen des BF aus gesundheitlichen oder anderen Gründen besteht nicht.

Der BF ist ledig, kinderlos und hat keine Obsorgeverpflichtungen. Der BF gab zwar an, in Österreich eine Freundin zu haben, aber auch zu dieser besteht kein Abhängigkeitsverhältnis und kein gemeinsamer Haushalt. Der BF spricht und versteht Deutsch einwandfrei. Zusätzlich spricht und versteht er Tschetschenisch (Muttersprache) sowie Russisch. Er spricht auch Englisch. In Österreich besuchte der BF im Rahmen der Schulpflicht die Volks- und Hauptschule sowie ein Polytechnikum, welches er jedoch abgebrochen hat. Er hat in Österreich diverse Tätigkeiten (Lagerarbeiter, Produktionsarbeiter, Stapelfahrer, Hilfsarbeiter auf Baustellen, KFZ-Lehrling) ausgeübt, vor seiner Haft war er aber beim AMS gemeldet und hat Sozialleistungen bezogen.

Der BF stellt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Ein Lebenswandel konnte nicht festgestellt werden.

Der BF ist erkennbar in der Lage, Hilfstätigkeiten auszuüben und ist auch arbeitswillig.

Eine Rückkehr des BF in die Russische Föderation stellt keine Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention dar. Im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation droht dem BF weder die Todesstrafe noch eine Haftstrafe unter unmenschlichen Bedingungen, Folter oder unmenschliche Behandlung.

Dem BF droht in der Russischen Föderation keine Doppelbestrafung und auch außerhalb der Strafverfolgung keine Verfolgung auf Grund des der Verurteilung in Österreich zugrundliegenden Verhaltens. Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Folter oder unmenschliche Behandlung auf Grund seiner Verurteilung in Österreich und des dieser Verurteilung zugrundeliegenden Verhaltens. Ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Verfolgung wegen der Asylantragstellung oder wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation.

Es ist dem BF jedenfalls möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, entweder in Tschetschenien selbst oder auch in anderen Landesteilen niederzulassen und anzumelden sowie durch eigene Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele russische Städte verfügen über eine große tschetschenische Diaspora und bieten die stärkeren Metropolen und Regionen Russlands bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch Chancen für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der BF hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Zudem sind weiterhin Verwandte des BF (jedenfalls ein Onkel mütterlicherseits samt Familie sowie zwei Tanten väterlicherseits) im Heimatland bzw. Tschetschenien aufhältig und kann der BF den Kontakt zu diesen Personen (notfalls über seine in Österreich lebende Familie) wiederherstellen.

Zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien:

Politische Lage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 2.2020c, vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 2.2020a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 2.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der [derzeitigen] Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt (GIZ 2.2020a). Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c).

Im Jänner 2020 kündigte Präsident Putin bei seiner Neujahrsrede Verfassungsänderungen an. Daraufhin trat die Regierung unter Ministerpräsident Medwedew zurück (Spiegel Online 15.1.2020). Kurz darauf wurde Putins Kandidat Michail Mischustin, der zehn Jahre lang Leiter der russischen Steuerbehörde war, von der Duma zum neuen Ministerpräsident gewählt (Spiegel Online 16.1.2020). Dmitrij Medwedew wird Vizevorsitzender im Sicherheitsrat. Die angestrebte Verfassungsänderung ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, bei dem es sich laut Putin um von der Gesellschaft geforderte Veränderungen handelt (Spiegel Online 15.1.2020). Das Volk wird über die Verfassungsänderungen abstimmen, um diese zu legitimieren (NZZ 19.3.2020), jedoch wird die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie vom geplanten Termin im April nach hinten verschoben (ORF.at 25.3.2020). Vorgesehen ist nicht nur eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Putin soll nach einem Votum der Abgeordneten auch die Möglichkeit haben, sich noch einmal für maximal zwei Amtszeiten zu bewerben – er könnte also bei Wiederwahl bis 2036 im Amt bleiben. Nach bisheriger Verfassung könnte er 2024 nicht mehr antreten. Kritiker und Oppositionelle werfen Putin einen Staatsstreich vor. Das Verfassungsgericht hat den Änderungen bereits zugestimmt (NZZ 19.3.2020).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 2.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016, vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht infrage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 2.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 2.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2020

-        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

-        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (19.3.2020): Putin hält trotz Coronavirus-Krise an der Verfassungsabstimmung fest, https://www.nzz.ch/international/coronavirus-in-russland-krise-ueberschattet-verfassungsabstimmung-ld.1547213, Zugriff 26.3.2020

-        ORF.at (25.3.2020): Putin verschiebt Abstimmung über Verfassungsänderung, https://orf.at/stories/3159340/, Zugriff 26.3.2020

-        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

-        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

-        Spiegel Online (15.1.2020): Putins Operation Machterhalt, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-putins-operation-machterhalt-a-aafe31f8-54b2-4d38-9bf4-6e613e586b96, Zugriff 2.3.2020

-        Spiegel Online (16.1.2020): Michail Mischustin ist neuer Premierminister Russlands, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-michail-mischustin-ist-neuer-premierminister-a-1b3bd2eb-bc42-43cf-9033-25c8221cc7ed, Zugriff 2.3.2020

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

-        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS (Islamischer Staat) kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

-        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 1

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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