TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/6 I408 2233614-1

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Veröffentlicht am 06.08.2020
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Entscheidungsdatum

06.08.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
StGB §107 Abs1
StGB §127
StGB §83 Abs1
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I408 2233614-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. Deutschland, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2020, Zl. 1250443404/191089729, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Aufgrund einer Anklageerhebung gegen den seit 2017 in Österreich aufhältigen Beschwerdeführer teilte die belangte Behörde diesem mit Schreiben vom 14.04.2020 mit, dass eine Beweisaufnahme stattgefunden habe und die Erlassung einer Ausweisung sowie in eventu eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn beabsichtigt sei. Die Möglichkeit, dazu binnen zweiwöchiger Frist eine schriftliche Stellungnahme zu erstatten, nutzte der Beschwerdeführer nicht.

2.       Mit Bescheid vom 24.06.2020 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

3.       Mit Schriftsatz vom 21.07.2020 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde gegen diesen Bescheid.

4.       Am 03.08.2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland, geschieden und Vater einer 11-jährigen Tochter, welche bei Pflegeeltern in Deutschland lebt.

Der Beschwerdeführer war bereits in Deutschland massiv straffällig und weist dort neun Vorverurteilungen, ua. wegen schwerer Körperverletzung, Vergewaltigung und unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln in Deutschland auf. Zuletzt wurde er am 14.07.2017 wegen unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 27.04.2020, XXXX , wurde er wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB, der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten rechtskräftig verurteilt. Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit in Haft. 
Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass er im Juli und August 2019 wiederholt seine Verlobte XXXX gefährlich bedrohte, indem er ihr sinngemäß drohte: „Ich brech dir die Nase, schlag dir die Zähne ein, wenn ich mit dir fertig bin bist a Krüppel!“ Anfang August 2019 verletzte er sie mit mehreren Faustschlägen gegen die linke Schläfe und das linke Kiefer sowie den rechten Rippenbereich und fügte ihr am 23.09.2019 durch einen Faustschlag auf das Auge, Versetzen von mehreren Ohrfeigen und Ausdrücken von mehreren Zigaretten auf der Wange Hämatome, Brandwunden und Prellungen zu. Außerdem beging er einen Diebstahl an Bargeld seiner Verlobten. Einer Diversion stand dabei spezialpräventiv entgegen, dass der Beschwerdeführer nicht einmal eine bedingte Unrechtseinsicht oder eine partielle Verantwortungsübernahme gezeigt hat. Erschwerend wurden seine zahlreichen einschlägigen Vorstrafen sowie das Zusammentreffen mehrerer Vergehen bzw. Tatwiederholungen gewertet.

Der Beschwerdeführer hält sich seit August 2017 in Österreich auf. In dieser Zeit war er überwiegend als obdachlos gemeldet. Abgesehen von drei eintägigen Arbeitsversuchen über die Arbeitsgemeinschaft für Obdachlose Im Jahr 2017 ging er keiner Erwerbstätigkeit nach.

Anhaltspunkte für das Vorliegen einer tiefgreifenden Integration in Österreich in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht liegen nicht vor. Abgesehen von der Beziehung zu Verlobten M. Z., die selbst Opfer seiner körperlichen Übergriffe war, verfügt der Beschwerdeführer über keine berücksichtigungswürdigen privaten oder familiären Beziehungen im Bundesgebiet.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungserhebliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt des vorgelegten Behördenaktes.

Die Feststellungen zur Volljährigkeit, zum Familienstand und zur Tochter des Beschwerdeführers beruhen auf dem im Akt einliegenden Personalblatt der Landespolizeidirektion XXXX (AS 25).

Die Feststellungen zum Aufenthalt in Österreich, zu den Wohnsitzmeldungen, zur Obdachlosigkeit und zur fehlenden Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus den eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister und dem AJ-WEB Auskunftsverfahren. Sie finden auch im Schreiben seiner Vorlobten, welches der Beschwerde beigefügt ist, Deckung. Weitere Hinweise für eine vertiefende oder berücksichtigungswürdigende Integration im Bundesgebiet sind nicht vorgebracht worden und können auch der Beschwerde nicht entnommen werden.

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers in Österreich sind dem Strafregister der Republik Österreich und der von der belangten Behörde eingeholten Urteilsausfertigung (AS 159) entnommen. Die Feststellungen zu den insgesamt neun Vorverurteilungen des Beschwerdeführers in Deutschland beruhen auf dem im Akt einliegenden Auszug aus dem Europäischen Strafregister-Informationssystem (ECRIS, AS 175) und finden auch im Strafurteil ihren Niederschlag.

Die in der Beschwerde vorgebrachte und über ein handschriftliches Schreiben dokumentiere Beziehung zu M.Z. (AS 245) wird maßgeblich relativiert durch das deliktische Verhalten des Beschwerdeführers ihr gegenüber und seinen derzeitigen Haftaufenthalt

Das in der Beschwerde angeführte Drogenproblem des Beschwerdeführers, das auch aus seinen einschlägigen Suchtgiftverurteilungen hervorgeht, wird zur Kenntnis genommen, vermag ein persönliches Interesse für einen Verbleib im Bundesgebiet nicht zu verstärken.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Vorab ist festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer hinreichend die Möglichkeit geboten wurde, sich zur Sache zu äußern und allfällige Beweismittel in Vorlage zu bringen. Der Beschwerdeführer wurde dadurch in die Lage versetzt, seine Rechte geltend zu machen (VwGH 18.01.2001, 2000/07/0090). Eine Einvernahme schreibt weder das Gesetz noch die einschlägige Judikatur des VwGH vor (vgl. VwGH 18.01.2001, 2000/07/0099; 05.09.1995, 95/08/0002; 24.02.1988, 87/18/0126; 18.10.1990, 89/09/0145; 17.09.2002, 2002/18/0170) und es wurde eine Verletzung des Parteiengehörs im Rahmen der Beschwerde auch nicht moniert.

3.1. Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Als Staatsangehöriger von Deutschland ist der Beschwerdeführer EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Da sich der Beschwerdeführer erst seit August 2017 kontinuierlich im Bundesgebiet aufhält, ist im gegenständlichen Fall der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden.

Aufgrund der vom Beschwerdeführer begangenen Vergehen der gefährlichen Drohung, der Körperverletzung und des Diebstahls in einer derartigen – wie umseits geschilderten – dichten Begehungsweise besteht durch einen Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Auch die neun massiven und zum Teil einschlägigen Verurteilungen des Beschwerdeführers in Deutschland, u.a. wegen schwerer Körperverletzung, Vergewaltigung und unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten und ausgesprochenen Freiheitsstrafen von insgesamt über elf Jahren, belegen unzweifelhaft von einer gravierenden kriminellen Energie des Beschwerdeführers und einer daraus ableitbaren hohen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.

Insoweit in der Beschwerde vorgebracht wird, dass der Beschwerdeführer nun versuchen wolle, ein rechtskonformes Leben zu führen und ihm die Verurteilung zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe „eine deutliche Lehre“ sei, so ist dem zu entgegnen, dass eine Änderung des persönlichen Verhaltens trotz des bereits mehrfach erlittenen Haftübels in der Vergangenheit nicht stattgefunden hat, sodass eine (erneute) Rückfälligkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Die genannten Gründe lassen jedenfalls eine Prognose für eine Tatwiederholung nicht als unbegründet erscheinen und bedarf es für eine Änderung dieses Umstandes jedenfalls eine längere Zeit des Wohlverhaltens in Freiheit, zumal die jüngste Verurteilung erst rund vier Monate zurückliegt.

Das Aufenthaltsverbot greift in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ein. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Dabei ist zu seinen Gunsten die Beziehung zu seiner ebenfalls im Bundesgebiet aufhältigen Verlobten zu berücksichtigen. Diese ist allerdings haftbedingt eingeschränkt und auch sein Aufenthalt durch seine andauernde Obdachlosigkeit und sein strafbares Verhalten schwer belastet.

Weiters erfährt die Beziehung zu seiner Verlobten durch den Umstand, dass die letzte Verurteilung des Beschwerdeführers aus Straftaten zu ihrem Nachteil resultiert, eine gewichtige Relativierung. So ergibt sich aus der Urteilsbegründung, dass der Beschwerdeführer seiner Verlobten mehrfach mit der Faust gegen den Kopf geschlagen, Zigaretten in ihrem Gesicht ausgedrückt und Geld von ihr gestohlen hat. Aufgrund dieser massiven Begehungsweisen zum Nachteil seiner Verlobten, muss hinsichtlich der Intensität der Beziehung eine gewichtige Minderung hingenommen werden.

Es ist dem Beschwerdeführer jedenfalls zumutbar, sich trotz seiner mehrjährigen Abwesenheit wieder in die deutsche Gesellschaft einzugliedern, zumal er dort sozialisiert wurde und den Großteil seines Lebens dort verbracht hat. Die Aufrechterhaltung der Beziehung zu seiner Verlobten wird dem Beschwerdeführer - ähnlich wie während der Haft - jedenfalls via Telefon, Brief oder Internet möglich sein. Des Weiteren steht dem Beschwerdeführer und seiner Verlobten jederzeit frei, ihre Beziehung nach Verbüßung der Haft in Deutschland fortzusetzen. Es sind anlassbezogen keine Umstände hervorgekommen oder behauptet worden, die einer Übersiedlung der Verlobten entgegenstünden.

Zudem ist im Sinne einer Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere von Suchtgift- und Gewaltkriminalität, als sehr groß zu bewerten (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474).

Bei Abwägung aller relevanten Umstände sind die öffentlichen Interessen an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes höher zu gewichten als die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers. Das vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten ist als schwerwiegend und geeignet, die öffentlichen Interessen maßgeblich zu gefährden, anzusehen, sodass die Voraussetzungen für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegenständlich vorliegen und unter den gegebenen Umständen die Erlassung eines solchen auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 9 BFA-VG zulässig ist.

Auch was die gewählte Dauer des Aufenthaltsverbotes betrifft, bewegt sich diese innerhalb des dem Bundesamt zur Verfügung stehenden Rahmens. So sieht § 67 Abs. 2 FPG die Erlassung eines bis zu 10 Jahren befristeten Aufenthaltsverbotes vor. In Anbetracht der massiven strafrechtlichen Delinquenz des Beschwerdeführers sowie unter Berücksichtigung fehlender Bezugspunkte und Integration in Österreich, ist die von der belangten Behörde gewählte Dauer von fünf Jahren nicht zu beanstanden und bedarf daher keiner Korrektur.

3.2. Zur Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist.

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, diese binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des oder der Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten würde oder für ihn oder sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit stützt, genau zu bezeichnen.

Im gegenständlichen Fall sind weder die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung noch die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs korrekturbedürftig. Aufgrund der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten und des unmittelbar anschließenden mehrmonatigen Freiheitsentzugs ist seine sofortige Ausreise nach dem Eintritt der Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbots aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit jedenfalls notwendig. Dies führt auch dazu, dass ihm kein Durchsetzungsaufschub zu erteilen ist, zumal er die Vorbereitungen für seine Ausreise auch schon während des Strafvollzugs (insbesondere im Rahmen des Entlassungsvollzugs iSd §§ 144 ff StVG und von Ausgängen gemäß § 147 StVG) treffen und organisieren kann. Auch die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids ist somit abzuweisen.

3.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn - wie im vorliegenden Fall - deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu: Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur Gänze angeschlossen. Das Beschwerdevorbringen wirft keine neuen oder noch zu klärenden Sachverhaltsfragen auf und richtet sich ausschließlich gegen die rechtliche Beurteilung. Der Sachverhalt ist aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes in Verbindung mit der Beschwerde zweifelsfrei geklärt, zumal das Bundesverwaltungsgericht ohnedies von den Behauptungen des Beschwerdeführers zu seinen familiären und privaten Anknüpfungen im Inland ausgeht, sodass keine weiteren Beweise aufzunehmen waren.

Das Bundesverwaltungsgericht musste sich trotz des Vorliegens einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im vorliegenden Fall auch keinen persönlicher Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da selbst unter Berücksichtigung aller zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten auch dann für den Beschwerdeführer kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, weshalb eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233; 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 bis 0423, Ra 2017/19/0424).

Zudem liegt ein Verfahren nach § 18 BFA-VG vor, welches das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet, innert sieben Tagen zu entscheiden, es sei denn es lägen Gründe vor, die aufschiebende Wirkung nach § 18 Abs. 5 VFA-VG zuzuerkennen. Dies war im gegenständlichen Fall - wie oben dargelegt - aber nicht gegeben.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2233614.1.00

Im RIS seit

06.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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