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19/05 Menschenrechte;Norm
AufG 1992 §13 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, über die Beschwerde des BH (geboren am 26. September 1959), vertreten durch
Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 5. Juli 1995, Zl. Fr-5895/94, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 5. Juli 1995 gerichtet, mit welchem der Beschwerdeführer gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes (FrG) aus dem Gebiet der Republik Österreich ausgewiesen wurde. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß sich der Beschwerdeführer seit dem 1. Februar 1994 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, weil er es verabsäumt habe, sich rechtzeitig um die Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung zu bemühen. Die Merkmale des § 17 Abs. 1 FrG seien somit eindeutig erfüllt. Zwar werde durch die verhängte Ausweisung in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen, jedoch sei diese Maßnahme im Hinblick auf den Umstand, daß der Beschwerdeführer dreimal (nämlich am 18. März 1994, am 13. April 1994 und am 3. Mai 1994) jeweils wegen rechtswidrigen Aufenthaltes im Bundesgebiet gemäß § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG bestraft worden sei, jedenfalls zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, nämlich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (an einem geordneten Fremdenwesen) dringend geboten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers sei auch für den Unterhalt seiner Familie nicht notwendig, da er keiner Beschäftigung nachgehe und seinen eigenen Unterhalt durch finanzielle Mittel, die seine Frau erhalte, bestreite. Durch die Ausweisung werde dem Beschwerdeführer lediglich aufgetragen, aus dem Bundesgebiet auszureisen, einer Wiedereinreise auf legalem Wege unter Beachtung der einschlägigen fremden- bzw. aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen stehe nichts im Wege.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 FrG Bedacht zu nehmen. Nach letzterer Vorschrift ist die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele "dringend geboten ist".
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil er seit nunmehr 17 Jahren in Österreich lebe, ohne jemals Sozialhilfeleistungen empfangen zu haben. Seine derzeit schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse seien auf eine Rechtsverletzung durch seinen ehemaligen Arbeitgeber zurückzuführen. Der Beschwerdeführer habe in Österreich eine Familie gegründet, sein Sohn sei in Österreich geboren, seine Verwandten lebten hier, und er habe sich hier einen Bekannten- und Freundeskreis aufgebaut. Der Beschwerdeführer erfülle alle Voraussetzungen zur Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz und habe einen solchen Antrag gestellt. Sei es jedoch vorhersehbar, daß ihm eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden müsse, so könne es nicht dringend notwendig sein, ihn aus Gründen der öffentlichen Ruhe und Ordnung oder aus Gründen des wirtschaftlichen Wohles der Republik Österreich aus dem Bundesgebiet auszuweisen.
Im übrigen habe der Beschwerdeführer gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei einen Rechtsanspruch auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Der angefochtene Bescheid sei auch insoferne rechtswidrig.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt. Zwar ist es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß ein unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden in Österreich eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung hinsichtlich der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet regelnden Vorschriften ("das Fremdenwesen") darstellt. Gegenüber diesem öffentlichen Interesse haben verschiedentlich private und familiäre Interessen von Fremden mit rechtswidrigem Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 19 FrG zurückzutreten und ist gemäß § 17 Abs. 1 FrG eine Ausweisung auszusprechen, zumal sich ansonsten bei Abstandnahme von der Erlassung einer Ausweisung Fremde mit unrechtmäßigem Aufenthalt durch die bloße Dauer eines unrechtmäßigen Aufenthaltes auch ein Recht dazu verschaffen könnten. Dies bedeutet jedoch noch nicht, daß bei Anwendung des § 19 FrG das öffentliche Interesse an der Beendigung eines unrechtmäßigen Aufenthaltes stets höher zu bewerten sei als die privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden. Eine derartige Auslegung würde dem § 19 FrG jeden Anwendungsbereich entziehen, was dem Gesetzgeber jedoch nicht unterstellt werden kann. Wenn gemäß § 19 FrG die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 MRK genannten Ziele "dringend geboten ist", so bedeutet dies, daß die Ausweisung zur Erreichung zumindest eines dieser Ziele ein "zwingendes soziales Bedürfnis" im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte darstellen muß (vgl. die Hinweise bei Mayer, B-VG, 1994, 447, und die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0444, und vom 22. Mai 1997, Zl. 95/21/1144). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage den privaten und familiären Interessen des nach dem Beschwerdevorbringen und der Aktenlage seit dem Jahre 1977 in Österreich lebenden Beschwerdeführers in Anwendung des § 19 FrG geringeres Gewicht beigemessen als den öffentlichen Interessen daran, daß er sich nicht rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte, und insoferne relevante Feststellungen unterlassen. Die belangte Behörde hätte hiebei auch den Umstand berücksichtigen müssen, daß der Beschwerdeführer nach der Aktenlage bis zum Jahr 1994 weitgehend einer Beschäftigung im Bundesgebiet nachging und auch seine Ehegattin in Österreich beschäftigt ist.
Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ist die Rechtswidrigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit dem 1. Februar 1994 offensichtlich darauf zurückzuführen, daß er es verabsäumt habe, sich rechtzeitig um die Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung zu bemühen. Hiebei wäre auch im vorliegenden Fall bei Anwendung des § 19 FrG darauf Bedacht zu nehmen gewesen, daß der Beschwerdeführer die Frist zur Stellung eines Antrages auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz nur kurzfristig versäumt hat, und einer derartigen Versäumung bei der Beurteilung gemäß § 19 FrG bei Fremden, die sich Jahre bzw. jahrzehntelang im Bundesgebiet aufgehalten haben, oder bei denen spezifische private oder familiäre Interessen vorliegen, angesichts des Art. 8 EMRK kein erhebliches Gewicht zukommt (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 1995, B 1611-1614/94, und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. März 1996, Zl. 95/21/0714; weiters auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 1996, B 1838/94).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war im Hinblick darauf abzuweisen, daß der Beschwerde zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nur eine Kopie des angefochtenen Bescheides anzuschließen war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995210943.X00Im RIS seit
02.05.2001