TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/29 Ra 2020/21/0196

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §66 Abs4
FrPolG 2005 §66
FrPolG 2005 §67 Abs1
NAG 2005 §55
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. April 2020, W281 2220298-1/4E, betreffend Aufenthaltsverbot (mitbeteiligte Partei: D K, zuletzt in L, vertreten durch Mag. Thomas Hansa, Rechtsanwalt in 4240 Freistadt, Zemannstraße 13), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der seit Juni 2016 im Bundesgebiet lebende Mitbeteiligte, ein serbischer Staatsangehöriger, heiratete am 3. Juni 2016 in Linz eine bulgarische Staatsangehörige, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich in Anspruch genommen hatte. Im Hinblick darauf wurde ihm am 9. Juni 2016 eine bis 9. Juni 2021 gültige Aufenthaltskarte ausgestellt. Die Ehe wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Linz vom 28. November 2017 geschieden.

2        Mit rechtskräftigem Urteil vom 17. Juli 2018 verhängte das Landesgericht Linz über den Mitbeteiligten wegen einer am 1. Jänner 2018 in Linz begangenen schweren Körperverletzung (durch Versetzen zumindest eines Faustschlages gegen seinen Kontrahenten, wodurch dieser eine Nasenbeinfaktur mit Dislokation der Bruchstellen erlitt) eine bedingt nachgesehene sechsmonatige Freiheitsstrafe.

3        Mit Bescheid vom 30. April 2019 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten - mit Bezug auf diese Verurteilung - gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG erteilte es ihm einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 8. April 2020 behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Bescheid über Beschwerde des Mitbeteiligten ersatzlos. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend legte das BVwG dar, dass sich der kinderlose und nicht in einer Beziehung lebende Mitbeteiligte seit Juni 2016 durchgehend im Bundesgebiet befinde, seit dem 12. Juli 2016 einer Beschäftigung als Arbeiter nachgehe, sowie kranken- und unfallversichert sei. Auch halte sich sein Onkel in Österreich auf.

Rechtlich verwies das BVwG darauf, dass der Mitbeteiligte, dem eine Dokumentation seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt worden sei, selbst nach dem Wegfall ihrer Voraussetzungen (durch die in Rn. 1 erwähnte Ehescheidung) bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig bleibe. In einer solchen Konstellation sei gemäß § 55 NAG zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, also einer Ausweisung nach § 66 FPG oder eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG, vorlägen.

Da der Mitbeteiligte allerdings seit 2016 durchgehend im Bundesgebiet erwerbstätig gewesen sei und er nur eine einzige Straftat begangen habe, die er gestanden habe und die am untersten Ende des Strafrahmens sanktioniert worden sei, sei bei Gesamtbetrachtung seines Verhaltens - entgegen der Ansicht des BFA - das Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft iSd § 67 Abs. 1 FPG berühre und somit die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertige, zu verneinen. Die Gefährdungsprognose falle somit zugunsten des Mitbeteiligten aus. Der angefochtene Bescheid des BFA sei daher ersatzlos zu beheben.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

7        Die Revision erweist sich - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt.

8        Das BFA räumt in der Amtsrevision ein, das BVwG habe vertretbar im Rahmen seines Entscheidungsspielraumes angenommen, dass vom Mitbeteiligten keine Gefährdung ausgehe, welche die Erlassung eines Aufenthaltsverbots rechtfertige. Damit sei aber die Sache des Beschwerdeverfahrens noch nicht erledigt. Vielmehr hätte das BVwG in einem nächsten Schritt prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung, bei der es sich dem Aufenthaltsverbot gegenüber um ein Minus handle, vorlägen. Nur wenn auch deren Voraussetzungen fehlten, erschiene die ersatzlose Aufhebung des vor dem BVwG angefochtenen Bescheides rechtmäßig.

Mit diesen Ausführungen ist das BFA im Recht:

9        Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass eine Ausweisung als Teil eines Aufenthaltsverbotes, das aus einer Ausreiseverpflichtung und der Verpflichtung besteht, innerhalb des festgelegten Zeitraums (oder auf Dauer) nicht zurückzukehren, gegenüber dem Aufenthaltsverbot nicht ein Aliud, sondern ein Minus darstellt (vgl. dazu etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 8, unter Hinweis auf VwGH 20.12.2007, 2004/21/0328).

10       Die (von der Amtsrevision unbeanstandet gebliebene) Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber dem Mitbeteiligten hätte somit, was das BVwG in seiner Entscheidungsbegründung selbst andeutet, die Prüfung des Vorliegens der Tatbestandserfordernisse für die Erlassung einer (von der erstinstanzlichen Entscheidung des BFA - wie gesagt - umfassten) Ausweisung nach § 66 FPG nach sich ziehen müssen. Dabei ist anzumerken, dass das BVwG offenkundig - ungeachtet des Fehlens einer aktuellen Meldung des Mitbeteiligten im Bundesgebiet - nicht davon ausgegangen ist, dieser sei im Zuge des Beschwerdeverfahrens ausgereist (zu einer solchen Konstellation siehe VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0237, Rn. 12).

11       Die ersatzlose Behebung des auf § 67 FPG gestützten Aufenthaltsverbotes (ohne weitere Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 FPG und damit ohne vollständige Erledigung des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens) widerspricht somit der Rechtslage.

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 29. September 2020

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210196.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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