TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/29 Ra 2020/21/0126

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52 Abs5
FrPolG 2005 §53 Abs3
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z6
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z9
StGB §278a
StGB §278b Abs2
StGB §282a Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des U A, zuletzt in W, vertreten durch Rast & Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2019, G304 2221082-1/5E, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nordmazedoniens, wurde am 6. Juni 2001 in Österreich geboren und ist hier aufgewachsen. Im Oktober 2001 wurde ihm eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erteilt, die nunmehr als „Daueraufenthalt-EU“ gilt.

2        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. Oktober 2018 wurde er wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB, des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB und wegen des Vergehens der Gutheißung terroristischer Straftaten nach § 282a Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, wobei zehn Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Dem Schuldspruch lag zusammengefasst zugrunde, der Revisionswerber habe sich zumindest von Februar 2017 bis Februar 2018 als Mitglied an der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt, indem er in wiederkehrenden Angriffen Propagandamaterial des IS über Messengerdienste versendet und auf seinem Instagram-Account sichtbar eingestellt habe sowie in wiederholten Angriffen persönliche Gespräche und Chatunterhaltungen über Messengerdienste geführt habe, in denen er den IS, dessen Ideologie und Kämpfer verherrlicht und terroristische Straftaten ausdrücklich gebilligt und gerechtfertigt habe, um Personen als Mitglieder des IS zu gewinnen und anzuwerben bzw. Personen in ihrem Entschluss, sich als Mitglieder des IS zu betätigen, zu bestärken und die Gruppenmoral, sich an der terroristischen Vereinigung zu beteiligen, zu stärken.

3        Bei der Strafbemessung wertete das Strafgericht die Unbescholtenheit und das Geständnis des Revisionswerbers als mildernd, erschwerend hingegen das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen und den langen Tatzeitraum von zumindest Februar 2017 bis Februar 2018.

4        Der Revisionswerber befand sich von 17. Juni 2018 bis 2. Juli 2018 in Untersuchungshaft, welche auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wurde. Er wurde unter Anordnung von Bewährungshilfe und der Weisung, Gesprächstermine beim Verein DERAD (Netzwerk Sozialer Zusammenhalt für Dialog, Extremismusprävention und Demokratie) zu absolvieren und dem Gericht unaufgefordert alle drei Monate darüber eine Bestätigung zu übersenden, aus der Haft entlassen.

5        Im Hinblick auf die Straftaten des Revisionswerbers erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 6. Juni 2019 gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nordmazedonien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Des Weiteren verhängte es über ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1, 6, 7, 8 und 9 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach es aus, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt werde (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde (Spruchpunkt V.).

6        Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

7        Mit Teilerkenntnis vom 5. August 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG als unbegründet ab und erkannte gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung nicht zu. Den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wies es als unzulässig zurück.

8        Am 5. August 2019 wurde der Revisionswerber nach Nordmazedonien abgeschoben.

9        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. Oktober 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde im Übrigen als unbegründet ab.

10       Das Bundesverwaltungsgericht stellte zusammengefasst fest, dass der nunmehr 18-jährige Revisionswerber im Bundesgebiet zuletzt im Schuljahr 2015/2016 eine islamische Privatschule besucht und positiv abgeschlossen habe. Auch sein darauffolgendes polytechnisches Lehrjahr im Schuljahr 2016/2017 habe der Revisionswerber positiv abschließen können. Er lebe in Österreich mit seinen Eltern und Geschwistern zusammen und arbeite im Familienbetrieb seines Vaters mit. In Nordmazedonien befänden sich sein Onkel und seine Großeltern. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA habe er zu seiner Zukunft befragt angegeben, dass er bald mit einer Lehre beginnen werde, in einem Betrieb arbeiten und selbständig werden möchte.

11       In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht zur Rückkehrentscheidung im Wesentlichen aus, dass der Revisionswerber aufgrund seiner rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung die Gefährdungsannahme des § 52 Abs. 5 FPG bzw. § 53 Abs. 3 FPG jedenfalls erfülle. In Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter Berücksichtigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet seit seiner Geburt und seiner „mehr oder weniger berücksichtigungswürdigen Integrationsschritte“ würden angesichts des vor allem aus der Art seiner Straftaten hervorgehenden Persönlichkeitsprofils und aufgrund des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen die privaten Interessen des Revisionswerbers in den Hintergrund gedrängt. Die Rückkehrentscheidung sei gerechtfertigt und unbedingt notwendig.

12       Zum verhängten Einreiseverbot erwog das Bundesverwaltungsgericht insbesondere, dass der im Rahmen der Nachbetreuung des Revisionswerbers nach seiner Haftentlassung in einem Bericht vom Februar 2019 dargestellten Ansicht, wonach der Revisionswerber keine extremistische Einstellung aufweise, nicht gefolgt werden könne. Die mit seinem Betreuer im Rahmen der Extremismusprävention geführten Gespräche könnten die aus den begangenen Straftaten hervorgehende Persönlichkeitsstruktur des offensichtlich „terroristisch veranlagten“ Revisionswerbers nicht „leugnen“. Offenbar habe sich der Revisionswerber bereits allein wegen der aus seiner bedingten strafrechtlichen Verurteilung offenen Probezeit gegenüber seinem Betreuer stets nur von der besten Seite zeigen wollen. Da der Revisionswerber in der achten Schulstufe einer im Bundesgebiet besuchten Privatschule die Fächer „Arabisch“ und „Islam“ jeweils mit Note 2 und das Fach „Geschichte/Soziologie“ mit Note 1 abschließen habe können, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er sich des Inhaltes der Propagandamaterialien tatsächlich bewusst gewesen sei und diese wissentlich zwecks Einschüchterung und Rekrutierung an zumindest 450 „Mitmenschen“ weitergegeben habe. Die strafgerichtliche Verurteilung „korreliert jene These“. Des Weiteren lege der ausgezeichnete Lernerfolg im Fach „Geschichte/Soziologie“ nahe, dass sich der Revisionswerber „durch das Versenden von Materialien des ,Islamischen Staates‘ bezüglich der potentiellen Zersetzung der demokratischen Institutionen und Gefährdung der Bürger der Republik Österreich und des EWR des Unrechts bewusst war und wissentlich jene Gräueltaten gutgeheißen hat“.

13       Der Revisionswerber habe die terroristischen Handlungen vor nicht langer Zeit - zumindest von Februar 2017 bis Februar 2018 - gesetzt, und die dreijährige Probezeit sei noch offen. Deswegen und weil das auf einer Internetplattform öffentlich von etwa 450 Personen einsehbare Propagandamaterial zwischenzeitig einer Vielzahl von Personen bekannt geworden sei, gehe „vom [Revisionswerber] bzw. dem einer Vielzahl von Personen bekannt gewordenen vom [Revisionswerber] auf einer Internetplattform öffentlich gestellten Propagandamaterial“ auch aktuell eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Von einer positiven Zukunftsprognose könne jedenfalls nicht ausgegangen werden, da der Revisionswerber im Schuljahr 2015/16 die Unterrichtsfächer„Arabisch“ und „Islam“ mit der Note 2 und „Geschichte/Soziologie“ mit der Note 1 absolviert habe und damit während seines altersmäßigen Reifungsprozesses vermehrt Wissen rund um die islamische Werteordnung gesammelt habe sowie im Zuge seines Schulbesuchs offenbar mit radikalen Kreisen in Berührung gekommen sei. Er habe zumindest von Februar 2017 bis Februar 2018 Propagandamaterial des IS verbreitet und terroristische Straftaten ausdrücklich gebilligt, gerechtfertigt und gutgeheißen, wobei dieses Propagandamaterial zwischenzeitig mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ins Bewusstsein einer Vielzahl von Personen getreten sei und der Revisionswerber seine vormals öffentlich dargelegte terroristische Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit immer noch in sich trage.

14       Im gegenständlichen Fall liege jedenfalls eine vom Revisionswerber ausgehende schwerwiegende Gefahr im Sinn von § 53 Abs. 3 Z 1, 6, 7, 8 und 9 FPG vor. Aufgrund der von ihm ausgehenden besonderen Gefährlichkeit und des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Verhinderung weiterer, für die Bevölkerung besonders gefährlicher strafbarer Handlungen komme auch keine Herabsetzung der Dauer des vom BFA erlassenen unbefristeten Einreiseverbotes infrage.

15       Die Beziehung zu seinen Eltern und Geschwistern könne der Revisionswerber jedenfalls auch in Nordmazedonien über moderne Kommunikationsmittel und zudem auch durch Besuche ihrerseits aufrecht erhalten, besitze seine Familie im Herkunftsstaat doch ein Haus, wo sie sich regelmäßig in der Nähe ihrer dort verbliebenen Verwandten aufhalte.

16       Die beantragte mündliche Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen können. Auch eine Verhandlung könnte nämlich zu keinem anderen Entscheidungsergebnis führen, habe doch erkannt werden können, dass sich der Revisionswerber nach seiner Haftentlassung bei Gesprächen mit seinem Betreuer im Rahmen der Extremismusprävention offenbar wegen der offenen Probezeit von seiner besten Seite gezeigt habe und deswegen ab dem Zeitpunkt seiner Haftentlassung bis zur Abschiebung auch keine weiteren terroristischen Aktionen öffentlich gesetzt habe, dass er aber immer noch eine für die Bevölkerung besonders gefährliche terroristische Gesinnung in sich trage.

17       Eine Rückführung des Revisionswerbers nach Österreich für die Verhandlung werde für der öffentlichen Sicherheit im Bundesgebiet stark abträglich gehalten; nicht nur deswegen, weil der Revisionswerber wegen seiner offenen Probezeit offensichtlich besonders darauf bedacht sei, seine wahre Gesinnung vor Behörden, Gerichten und vor allem vor auf Extremismusprävention spezialisierten Betreuungsvereinen geheim zu halten, sondern bereits aufgrund der aus den besonders gefährlichen terroristischen Aktionen und der daraus erkennbaren besonders gefährlichen Persönlichkeitsstruktur des Revisionswerbers, der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit während des Besuchs einer islamischen Privatschule mit radikalen Schülern bzw. Personen in Kontakt gekommen sei und eine IS-freundliche Gesinnung entwickelt habe, die er immer noch in sich trage.

18       Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

19       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (Beschlüsse vom 21. Jänner 2020 und vom 27. Februar 2020 zu E 4602/2019) fristgerecht eingebrachte - außerordentliche Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

20       Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird - sowohl bei der Erstellung der Gefährdungsprognose als auch bei der Interessenabwägung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist und zudem die Verhandlungspflichtverletzt hat.

21       Eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber, der über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ verfügt hat, wäre gemäß § 52 Abs. 5 FPG nur zulässig, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigten, dass sein weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

22       Durch die Verurteilung und die dieser zugrunde liegenden Straftaten des Revisionswerbers ist zwar jedenfalls die Erfüllung der vom BFA und vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Tatbestände der Z 1, 6 und 9 des § 53 Abs. 3 FPG zu bejahen, sodass eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 53 Abs. 3 FPG indiziert war. Allerdings stand dieser Gefährdungsannahme und einer daraus konkret ableitbaren Gefährdung nach § 52 Abs. 5 FPG insbesondere der Bericht des Vereins DERAD vom 5. Februar 2019 entgegen, der - nach Betreuung des Revisionswerbers auf Basis der strafgerichtlichen Weisung - zum Ergebnis kam, dass beim Revisionswerber von einer extremistischen Einstellung nicht die Rede sein könne; es gehe bei ihm nicht um die „Dekonstruktion problematischer Sichtweisen durch alternative und Gegennarrative“, vielmehr sei er schon einen Schritt weiter; seine ohnehin kritische Sicht auf die Ideologisierung von Religion müsse lediglich weiter gefördert werden. Damit wird dem Revisionswerber, der im Tatzeitraum erst 15 bzw. 16 Jahre alt war, eine positive Persönlichkeitsentwicklung attestiert. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass sich der Revisionswerber gegenüber dem Betreuer wegen der offenen Probezeit offenbar stets nur von der besten Seite zeigen habe wollen, in Wahrheit aber immer noch „terroristisch veranlagt“ sei, erweist sich demgegenüber - ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber und ohne Befragung des Betreuers bzw. allfälliger weiterer Zeugen - als rein spekulativ.

23       Einzuräumen ist zwar, dass die seit der Haftentlassung verstrichene Zeit erst kurz war; das schließt aber nicht aus, dass unter besonderen Umständen ein für die Gefährdungsprognose maßgeblicher Gesinnungswandel konstatiert wird. Dies könnte nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa dann ausnahmsweise der Fall sein, wenn - wie hier - die zu Grunde liegenden Straftaten knapp nach Überschreiten der Strafmündigkeitsgrenze gesetzt wurden und wenn die altersmäßige Persönlichkeitsentwicklung des betreffenden Fremden in Verbindung mit dem nach der Tat gesetzten Verhalten eine deutliche Abkehr von dem in der Vergangenheit gezeigten Verhaltensmuster schon nach kurzer Zeit hinreichend deutlich erkennen bzw. erwarten lässt (vgl. in diesem Sinn - betreffend einen jugendlichen, wiederholt wegen Terrorismusdelikten verurteilten Straftäter - VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0027, Rn. 16, und das Folgeerkenntnis im zweiten Rechtsgang VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0161, Rn. 15, mwN). Hingegen ist eine vom Fremden erzeugte und sodann unabhängig von seinem Zutun weiterbestehende Gefahr - wie hier vom Bundesverwaltungsgericht wegen der Verbreitung terroristischen Gedankenguts angenommen - nicht für die Beurteilung von dessen weiterer eigener Gefährlichkeit maßgeblich.

24       Nach dem Gesagten durfte das Bundesverwaltungsgericht auch nicht im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG davon ausgehen, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war.

25       Das Bundesverwaltungsgericht führte für das Absehen von der Verhandlung auch ins Treffen, dass die Rückführung des Revisionswerbers nach Österreich zwecks Durchführung einer Verhandlung „stark abträglich“ für die öffentliche Sicherheit im Bundesgebiet sei. Begründet wurde dies damit, dass der Revisionswerber wegen seiner offenen Probezeit offensichtlich besonders darauf bedacht sei, seine wahre Gesinnung „vor Behörden, Gerichten und vor allem vor auf Extremismusprävention spezialisierten Betreuungsvereinen“ geheim zu halten. Abgesehen davon, dass ein solches Bemühen des Revisionswerbers eher gegen die Gefährlichkeit seiner Wiedereinreise zwecks Teilnahme an einer Verhandlung sprechen würde, handelt es sich dabei um keinen Rechtfertigungsgrund für das Absehen von einer Verhandlung.

26       Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

27       Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

28       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. September 2020

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210126.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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