TE Vwgh Beschluss 2020/10/7 Ra 2020/14/0059

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Veröffentlicht am 07.10.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y in Z, vertreten durch Dr. Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2019, W233 2191116-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am 29. Juli 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2        Mit Bescheid vom 26. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die belangte Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2019 nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Mit Beschluss vom 14. Juli 2020, E 2174/2020-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        In der vorliegenden Revision wird zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen. Es habe dabei vor allem nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber nicht nur zum Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse, sondern auch während des Großteils des Verfahrens minderjährig gewesen sei, ohne dass dem Verfahren ein gesetzlicher Vertreter zugezogen worden wäre. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich überdies nicht in gebotener Weise mit der psychischen Verfassung des Revisionswerbers befasst, der an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einem mittelschweren depressiven Zustandsbild leide. Bei der Interessenabwägung nach § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz habe das Bundesverwaltungsgericht die herausragende Integration des Revisionswerbers außer Acht gelassen.

9        Soweit die Revision davon ausgeht, der Revisionswerber sei während eines Großteils des Verfahrens, insbesondere bei der Vernehmung durch das BFA, minderjährig gewesen, entfernt es sich von den tatsächlichen Annahmen des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses hat zwar keine ausdrücklichen Feststellungen zum Geburtsdatum des Revisionswerbers getroffen, führt jedoch im Kopf der Entscheidung den 8. Jänner 2000 an, der von der Behörde im Hinblick auf die Angaben des Revisionswerbers zu seinem Alter in der Erstbefragung - von ihm in der Vernehmung durch das BFA ausdrücklich bestätigt - zunächst angenommen wurde. Das im Verwaltungsverfahren zum Zwecke der Altersfeststellung eingeholte Gutachten kam zum Ergebnis, dass dieses angegebene Geburtsdatum mit dem ermittelten wahrscheinlichen Alter (mit einer Differenz von lediglich vier Tagen) vereinbar sei; auch mit dem ermittelten „höchstmöglichen Mindestalter“, auf Basis dessen sich ein fiktives Geburtsdatum mit 22. April 2001 und der Eintritt der Volljährigkeit mit 22. April 2019 errechne, sei das angegebene Geburtsdatum vereinbar. Eine Verfahrensanordnung zur Neufestsetzung des Geburtsdatums des Revisionswerbers erging daraufhin nicht. Die Behörde und das Gericht sind also - angesichts des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens in vertretbarer Weise - davon ausgegangen, dass der Revisionswerber bereits am 8. Jänner 2018 - und damit vor seiner Einvernahme durch die Behörde am 7. Februar 2018 - volljährig geworden ist. Dem Revisionsvorbringen, soweit es demgegenüber auf Basis des ermittelten „höchstmöglichen Mindestalters“ von einer Minderjährigkeit bis zum 22. April 2019 ausgeht, ist damit der Boden entzogen.

10       Insofern sich die Revision auch davon abgesehen gegen die Beweiswürdigung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 8.7.2020, Ra 2019/14/0379, mwN).

11       Das Bundesverwaltungsgericht hat sich - nach Durchführung einer Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft und ihn ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt hat - mit dem Vorbringen des Revisionswerbers des Näheren auseinandergesetzt und diesem in nicht unschlüssiger Weise die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beweiswürdigung und die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfolgungsgefahr fallbezogen unvertretbar wären. Darauf, dass anhand der vorliegenden Beweismittel auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar sein könnte, kommt es - wie bereits erwähnt - im Revisionsverfahren nicht an.

12       Soweit der Revisionswerber auf seine Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der geschilderten Ereignisse verweist, legt er - schon mangels näherer Konkretisierung - nicht dar, welche vom Bundesverwaltungsgericht als nicht nachvollziehbar oder widersprüchlich bewerteten Angaben aus welchen auf die damalige Minderjährigkeit des Revisionswerber zurückzuführenden Gründen in einem anderen Licht zu sehen wären (vgl. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0398, mwN).

13       Zu den beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den vorgelegten „First Information Report“ vermisst die Revision eine nachvollziehbare Quelle zur Annahme, dass es problemlos möglich sei, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, bei welchem die Unterlagen formal echt sind. Sie ist diesbezüglich auf die entsprechenden Feststellungen auf S. 25 des angefochtenen Erkenntnisses samt den dort angeführten Quellen sowie die darauf bezogene Beweiswürdigung verwiesen. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht dem vorgelegten Report eine Relevanz nicht nur aus diesem Grund - also aus einer bloß abstrakten Befürchtung heraus - abgesprochen, sodass auch insofern nicht von einer vorgreifenden Beweiswürdigung auszugehen ist.

14       Erstmals in der Revision führt der Revisionswerber ins Treffen, dass er an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einem mittelschweren depressiven Zustandsbild leide. Dem steht zunächst das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) entgegen (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0328, mwN). Dem Revisionswerber gelingt es aber auch nicht dazulegen, dass das Unterbleiben einer amtswegigen gutachterlichen Untersuchung seines psychischen Gesundheitszustandes angesichts seiner eigenen Angaben gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht, wonach er gesund sei, unvertretbar gewesen wäre.

15       Soweit sich die Revision schließlich gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 1.7.2020, Ra 2020/14/0266, mwN).

16       Das Bundesverwaltungsgericht kam diesbezüglich zum Ergebnis, dass der Revisionswerber bei einem relativ kurzen Aufenthalt in Österreich von rund zweieinhalb Jahren beachtliche Integrationsbemühungen geleistet habe. Dennoch liege nicht eine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen des Revisionswerbers vor, dass von einer „außergewöhnlichen Konstellation“ gesprochen werden könnte. Eine solche „außergewöhnliche Integration“ ist jedoch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Fall einer relativ kurzen Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich regelmäßig erforderlich, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. VwGH 30.7.2020, Ra 2020/20/0130, mwN).

17       Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht von den in der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien entfernt hätte, oder die fallbezogen vorgenommene Interessenabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 7. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140059.L00

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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