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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §38Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Strohmayer sowie die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima LL.M., über die Revision des DI R P in W, vertreten durch Dr. Christian Leskoschek, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 75-77/12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. März 2016, W209 2116165-2/2E, betreffend Nachentrichtung verjährter Beiträge zur Pensionsversicherung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Gebietskrankenkasse; nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. la VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2.1. Der - im Jahr 1947 geborene - Revisionswerber stellte im März 2009 bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) einen Antrag auf vorzeitige Alterspension zum Stichtag 1. Juni 2009. Die PVA erkannte ihm mit Bescheid vom 3. September 2009 eine Pension ab dem genannten Stichtag in bestimmter Höhe zu.
Mit der Behauptung weiterer zu berücksichtigender Versicherungszeiten begehrte der Revisionswerber beim Arbeits- und Sozialgericht Wien (ASG Wien) die Zuerkennung einer höheren Pension. Das ASG Wien unterbrach das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage der Versicherungspflicht in den strittigen Zeiträumen im Verwaltungsweg.
2.2. Die mit der Klärung dieser Frage befasste (belangte) Behörde sprach mit Bescheid vom 24. August 2010 aus, dass der Revisionswerber in den betreffenden Zeiträumen der Vollversicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei, und stellte die Beitragsgrundlagen fest. Die Behörde führte begründend unter anderem aus, das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Pensionsversicherungsbeiträgen für die betreffenden Zeiträume sei gemäß § 68 Abs. 1 ASVG verjährt. Verjährte Beiträge könnten zwar nach § 68a Abs. 1 ASVG auf Antrag des Versicherten durch diesen nachentrichtet werden, der diesbezügliche Antrag sei jedoch bis längstens zum Stichtag (§ 223 Abs. 2 ASVG) beim zuständigen Träger der Krankenversicherung zu stellen, der das Vorliegen der Zeiten der Pflichtversicherung festzustellen und die Beiträge vorzuschreiben habe. Die hier nachzuentrichtenden Beiträge würden aktuell € 35.536,40 betragen. Im Falle der Rechtskraft des Bescheids stehe dem Revisionswerber frei, der Behörde mitzuteilen, ob er diese Beiträge zur Gänze oder für einen Teil der Versicherungszeiten entrichten wolle. Die Behörde werde dann eine Vorschreibung übermitteln, woraufhin die Beiträge binnen drei Monaten einzuzahlen seien. Ab der Zahlung der Beiträge würden die betreffenden Monate bei der Berechnung der Pensionshöhe berücksichtigt.
Dieser Bescheid wurde im Instanzenzug bestätigt und erwuchs in Rechtskraft.
2.3. In der Folge erkannte das ASG Wien mit Urteil vom 29. April 2014 dem Revisionswerber - unter Berücksichtigung eines Teils der betreffenden Zeiträume als weitere Versicherungszeiten - ab dem Stichtag eine höhere Pension zu; das Mehrbegehren wies es ab. Der dagegen erhobenen Berufung der PVA gab das Rechtsmittelgericht Folge und setzte die Pensionshöhe geringfügig herab. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.
2.4. Mit Schreiben vom 11. November 2014 stellte der Revisionswerber bei der Behörde den (hier gegenständlichen) Antrag, ihm hinsichtlich der weiteren - vom ASG Wien nicht als Beitragszeiten anerkannten - Zeiträume die nachzuentrichtenden Beiträge gemäß § 68a Abs. 1 ASVG vorzuschreiben. Er wolle die betreffenden Versicherungslücken durch Nachentrichtung der Beiträge schließen, wozu es der Bekanntgabe des Nachkaufbetrags bedürfe.
Da die Behörde über diesen Antrag nicht zeitnahe entschied, erhob der Revisionswerber eine Säumnisbeschwerde.
3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers vom 11. November 2014 als unbegründet ab.
Es führte dazu aus, nach § 68a Abs. 1 ASVG könnten Beiträge zur Pensionsversicherung, die gemäß § 68 ASVG bereits verjährt seien, auf Antrag des Versicherten von diesem nachentrichtet werden. Der Antrag sei bis längstens zum Stichtag beim zuständigen Träger der Krankenversicherung zu stellen. Vorliegend stehe der Revisionswerber seit dem 1. Juni 2009 im Bezug einer Alterspension, womit der Stichtag am 1. Juni 2009 ausgelöst worden sei. Es wäre daher eine Antragstellung nach § 68a ASVG bis spätestens 31. Mai 2009 erforderlich gewesen. Der Antrag sei erst nach dem Stichtag gestellt worden, sodass er als unbegründet abzuweisen sei.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) vom 5. Dezember 2000, 10 ObS 328/00h, wonach unter bestimmten Umständen (Änderung des Gesundheitszustands, Gesetzesänderung, sonstige Änderung der Anspruchsvoraussetzungen) ein neuer Stichtag ausgelöst werde, führe zu keiner anderen Beurteilung. Anders als in jener Entscheidung könne vorliegend der durch die Antragstellung auf Alterspension ausgelöste Stichtag nicht verschoben werden. Daran ändere auch der Bescheid vom 24. August 2010 nichts, in dem die Nachentrichtung verjährter Beiträge unrichtig - zumal der Stichtag bereits am 1. Juni 2009 ausgelöst worden sei - angeboten worden sei.
3.2. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in der - im Ergebnis - ein Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachstehend näher erörterten Punkten geltend gemacht wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.
5.1. Der Revisionswerber macht geltend, das Verwaltungsgericht habe den gegenständlichen Antrag zu Unrecht abgewiesen. Es habe das von der Behörde bereits mit rechtskräftigem Bescheid vom 24. August 2010 unterbreitete Nachkaufanbot falsch interpretiert. Die Behörde habe nämlich mit jenem Bescheid - obwohl Stichtag der 1. Juni 2009 und dieser bereits verstrichen gewesen sei - die nachzuentrichtenden Beiträge festgestellt und dem Revisionswerber unbefristet angeboten, er möge mitteilen, inwieweit er die Beiträge nachentrichten wolle, wobei die Behörde für diesen Fall die Übermittlung einer Vorschreibung zur Einzahlung binnen drei Monaten angekündigt habe. Die Behörde sei somit von einer möglichen Nachentrichtung der Beiträge und damit von einer rechtzeitigen Antragstellung ausgegangen. Der Revisionswerber habe das verbindliche Anbot der Behörde sogleich nach Klärung der noch fehlenden Beitragszeiten im ASG-Verfahren durch eine entsprechende Mitteilung und ein Ersuchen um Realisierung des Nachkaufs angenommen.
5.2. Voranzustellen ist, dass - wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt - in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt, wenn die Rechtslage eindeutig ist; dies selbst dann, wenn noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist (vgl. etwa VwGH 7.4.2016, Ra 2015/08/0198).
Vorliegend ist zu der im Blick stehenden Fragestellung im Zusammenhang mit § 68a Abs. 1 ASVG zwar noch keine hg. Rechtsprechung ergangen, die Regelung ist insoweit jedoch völlig klar und eindeutig. In der Bestimmung ist nämlich ausdrücklich geregelt, dass die Nachentrichtung verjährter Beiträge zur Pensionsversicherung einen Antrag des Versicherten voraussetzt, der bis spätestens zum Stichtag (§ 223 Abs. 2) gestellt werden muss, die Zahlung kann indes auch später erfolgen.
Gegenständlich löste der Revisionswerber durch den Antrag auf vorzeitige Alterspension zum 1. Juni 2009 diesen Tag als Pensionsstichtag aus. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 68a Abs. 1 ASVG hätte er daher den Antrag auf Nachentrichtung verjährter Pensionsversicherungsbeiträge spätestens bis zu diesem Stichtag stellen müssen. Da dies nicht geschehen ist, erfüllt er - wie das Verwaltungsgericht ohne Rechtsirrtum erkannte - nicht die Voraussetzungen für einen „Nachkauf“ von Beitragszeiten gemäß § 68a ASVG, eine Nachentrichtung verjährter Beiträge nach dieser Bestimmung kommt daher nicht (mehr) in Betracht.
5.3. Zwar geht der Oberste Gerichtshof in bestimmten Konstellationen - wenn während des Verfahrens eine Änderung des Gesundheitszustands, eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung der Anspruchsvoraussetzungen eintritt - davon aus, dass die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen sei und daher eine Verschiebung des (ursprünglichen) Stichtags eintrete, zu dem sodann die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen seien (vgl. OGH 5.12.2000, 10 ObS 328/00h; 11.11.2016, 10 ObS 97/16m; RIS-Justiz RS0084533, auch [T1]; RS0085973, auch [T2]).
Vorliegend wurde jedoch nicht vorgebracht, dass seit der Beantragung der Pension mit 1. Juni 2009 die Voraussetzungen für eine Stichtagsverschiebung im Sinn der soeben erörterten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eingetreten wären (eine solche wurde auch im ASG-Verfahren weder vom Erst- noch vom Berufungsgericht angenommen).
5.4. Was nun den rechtskräftigen Bescheid der belangten Behörde vom 24. August 2010 betrifft, so ist für den Standpunkt des Revisionswerbers - entgegen seiner oben wiedergegebenen Argumentation - auch daraus nichts zu gewinnen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, kommt es für die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Feststellung eines Rechts bzw. Rechtsverhältnisses grundsätzlich auf die Beurteilung des betreffenden Streitgegenstands als Hauptfrage im Spruch der Entscheidung, nicht jedoch auf eine Beurteilung in den Entscheidungsgründen an (vgl. VwGH 1.6.2017, Ra 2017/08/0022). Maßgeblich ist also der Spruch, weil nur diesem Rechtskraft zukommen kann (vgl. etwa VwGH 17.9.1991, 90/08/0039).
Vorliegend stellte die Behörde im Spruch des Bescheids vom 24. August 2010 lediglich die Versicherungspflicht in den betreffenden Zeiträumen sowie die Beitragsgrundlagen fest, sodass der Entscheidung nur insoweit bindende Wirkung im Rahmen der Rechtskraft zukommt. Indessen finden sich die - hier in Rede stehenden - Ausführungen zur allfälligen Nachentrichtung verjährter Beiträge gemäß § 68a ASVG (ausschließlich) in der Begründung, sodass den Erörterungen keine normative Wirkung beigemessen werden kann. Es handelt sich vielmehr um überschießende rechtliche Erwägungen ohne bindenden Charakter für das weitere Verfahren.
6.1. Der Revisionswerber macht weiters verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 68a ASVG geltend, weil die Nachentrichtung verjährter Beiträge sowohl Dienstnehmer- als auch Dienstgeberanteile umfasse und der Versicherte somit Schuldner auch der Dienstgeberanteile sei, obwohl er unter Umständen keinen Rückersatz vom Dienstgeber (weil dieser womöglich nicht mehr existiere oder eine zu lange Zeit vergangen sei) erlangen könne.
6.2. Nach den obigen Ausführungen fehlt es schon an der rechtzeitigen Antragstellung bis zum Stichtag, sodass eine Nachentrichtung verjährter Beiträge nach § 68a Abs. 1 ASVG durch den Revisionswerber nicht in Betracht kommt. Folglich sind auch die vom Revisionswerber gehegten Bedenken (wonach die Beitragsnachentrichtung auch die Dienstgeberanteile umfasse und insoweit allenfalls faktische Schwierigkeiten bei einem Regress gegenüber dem Dienstgeber bestünden) ohne Relevanz. Fallbezogen kommt es auf diese Thematik nicht an, hängt doch - ausgehend vom festgestellten Sachverhalt - die Entscheidung davon in keiner Weise ab. Für eine allfällige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof würde es daher schon an der Präjudizialität fehlen.
7. Insgesamt vermochte der Revisionswerber daher in der maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 19.12.2018, Ra 2015/08/0098) keine Rechtsfrage aufzuzeigen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 9. Oktober 2020
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2016080071.L00Im RIS seit
04.01.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2021