TE Vwgh Erkenntnis 2020/10/14 Ra 2019/22/0138

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Veröffentlicht am 14.10.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §56
NAG 2005 §19 Abs2 idF 2019/I/025
NAG 2005 §24 Abs4 idF 2019/I/025
NAG 2005 §64 idF 2019/I/025
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des T S, vertreten durch Dr. Christian Perner, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Pramergasse 8/17, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 21. Mai 2019, VGW-151/006/8522/2018-6, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein mongolischer Staatsangehöriger, verfügte seit 23. Jänner 2014 über einen Aufenthaltstitel als Student gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Am 13. August 2015 beantragte er fristgerecht dessen Verlängerung.

2        Aufgrund eines Fehlers des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) wurde dem Revisionswerber irrtümlich ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ mit Gültigkeit vom 15. August 2015 bis 15. August 2016 ausgestellt und am 28. August 2015 ausgehändigt.

3        Nachdem der Fehler erkannt worden war, teilte die Behörde dem Revisionswerber mit Schreiben vom 4. Juli 2016 mit, es sei beabsichtigt, dass der irrtümlich ausgestellte Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ vom Bundesminister für Inneres gemäß § 3 Abs. 5 Z 2 NAG als nichtig erklärt werde.

4        Am 8. August 2016 brachte der Revisionswerber einen Zweckänderungsantrag ein, wobei er als letzte Aufenthaltsberechtigung den Titel „Daueraufenthalt - EU“ mit Gültigkeit bis 15. August 2016 angab und künftig eine „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ beantragte.

5        Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Dezember 2016 (zugestellt am 21. Dezember 2016) wurde der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ gemäß § 68 Abs. 4 Z 4 AVG iVm § 3 Abs. 5 Z 3 NAG für nichtig erklärt. Eine gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde des Revisionswerbers wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien (VwG) vom 28. November 2017 mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Nichtigerklärung gemäß § 68 Abs. 4 Z 4 AVG iVm § 3 Abs. 5 Z 2 NAG erfolge. In der Begründung führte das VwG aus, über den Verlängerungsantrag des Revisionswerbers vom 13. August 2015 sei noch nicht entschieden worden. Der Nichtigerklärung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ komme nur ex nunc (somit ab 21. Dezember 2016) Wirkung zu. Dies bedeute jedoch nicht, dass dem Zweckänderungsantrag vom 8. August 2016 stattzugeben sei, zumal die Voraussetzungen des § 41a NAG nicht vorlägen.

6        Daraufhin wies die Behörde - nach Durchführung eines Verfahrens gemäß § 13 Abs. 3 AVG betreffend die Präzisierung des Aufenthaltszweckes - mit Bescheid vom 23. Mai 2018 den Antrag des Revisionswerbers vom 13. August 2015 auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels als Student ab und den Zweckänderungsantrag vom 8. August 2016 zurück, weil der Revisionswerber den beantragten Aufenthaltszweck „nach Überprüfung und Aufforderung der Behörde nicht abgeändert“ habe.

7        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das VwG die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das VwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - aus, der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ sei „antragslos“ ausgestellt worden und sei nur bis 15. August 2016 gültig gewesen. Der Revisionswerber erfülle weder die Voraussetzungen eines langfristig Aufenthaltsberechtigten noch jene gemäß § 64 Abs. 1 NAG, weil er keinen Studienerfolg nachgewiesen habe. Trotz Belehrung darüber, dass der Revisionswerber zwei Anträge für verschiedene Aufenthaltszwecke eingebracht habe, sei auch nachträglich kein genauer Aufenthaltszweck genannt worden. Daher habe die Behörde den zweiten Antrag vom 8. August 2016 richtigerweise in Verbindung mit § 19 Abs. 2 FPG (gemeint wohl: NAG) zurückgewiesen.

8        Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

9        Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       In der Zulässigkeitsbegründung rügt der Revisionswerber unter anderem ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung, weil das VwG über den Zweckänderungsantrag vom 8. August 2016 inhaltlich hätte absprechen müssen.

11       Angesichts dieses Vorbringens ist die Revision zulässig, sie ist auch begründet.

12       §§ 19, 24 Abs. 4, 41a, 45 und 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 25/2019, lauten auszugsweise:

Allgemeine Verfahrensbestimmungen

§ 19. (1) ...

(2) Im Antrag ist der Grund des Aufenthalts bekannt zu geben; dieser ist genau zu bezeichnen. Nicht zulässig ist ein Antrag, aus dem sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben, das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge und das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nach diesem Bundesgesetz einschließlich jener bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts. ...

Verlängerungsverfahren

(1) ...

(4) Mit einem Verlängerungsantrag (Abs. 1) kann bis zur Erlassung des Bescheides ein Antrag auf Änderung des Aufenthaltszwecks des bisher innegehabten Aufenthaltstitels oder auf Änderung des Aufenthaltstitels verbunden werden. Sind die Voraussetzungen für den beantragten anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt, ist darüber gesondert mit Bescheid abzusprechen und der bisherige Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck zu verlängern, soweit die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen.

(5) ...

Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus‘

§ 41a. (1) Drittstaatsangehörigen kann in einem Verfahren gemäß § 24 Abs. 4 oder § 26 ein Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus‘ erteilt werden, wenn

1.   sie bereits zwei Jahre einen Aufenthaltstitel gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 Z 1 bis 3 besitzen,

2.   sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

3.   eine Mitteilung gemäß § 20e Abs. 1 Z 2 AuslBG vorliegt.

(2) ...

Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt - EU‘

§ 45. (1) Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, kann ein Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt - EU‘ erteilt werden, wenn sie

1.   die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2.   das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 10 IntG) erfüllt haben.

(2) ...

Studenten

§ 64. (1) Drittstaatsangehörigen ist eine Aufenthaltsbewilligung als Student auszustellen, wenn sie

...

(2) Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen der Durchführung eines ordentlichen oder außerordentlichen Studiums, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung für diesen Zweck nur zulässig, wenn dieser nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften einen Studienerfolgsnachweis der Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität oder Pädagogischen Hochschule erbringt und in den Fällen des Abs. 1 Z 4 darüber hinaus spätestens innerhalb von zwei Jahren die Zulassung zu einem Studium gemäß Abs. 1 Z 2 nachweist. Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen der Durchführung einer gesetzlich verpflichtenden fachlichen Ausbildung gemäß Abs. 1 Z 7, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung zu diesem Zweck nur zulässig, wenn der Drittstaatsangehörige einen angemessenen Ausbildungsfortschritt nach Maßgabe der der jeweiligen Ausbildung zugrundeliegenden gesetzlichen Vorschriften erbringt. Liegen Gründe vor, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind, kann trotz Fehlens des Studienerfolges oder Ausbildungsfortschrittes eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden.

(3) ...“

13       Gemäß § 19 Abs. 2 zweiter Satz NAG ist u.a. das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln unzulässig. Das VwG erkannte auch zutreffend, dass - entgegen der vom Revisionswerber vertretenen Ansicht - mit der Ausstellung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ nicht über den Antrag vom 13. August 2015 betreffend die Verlängerung des Aufenthaltstitels gemäß § 64 NAG entschieden wurde.

14       Im Antrag vom 8. August 2016 kreuzte der Revisionswerber das Kästchen „Zweckänderungsantrag“ an und gab als letzten Aufenthaltstitel in Österreich den Titel „Daueraufenthalt - EU“ mit Gültigkeit bis 15. August 2016 an. In seiner Stellungnahme vom 7. Februar 2018 führte er auf Anfrage der Behörde, „welcher Antrag weiter behandelt werden soll bzw. [...] welchen der beiden Anträge Sie zurückziehen wollen“, aus, er habe über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ verfügt und sei berufstätig; ihm sei „sinngemäß ein Aufenthaltstitel auszustellen“, mit dem er nach wie vor freien Zugang zum Arbeitsmarkt habe; er beantrage die Zweckänderung auf einen Titel, der ihm weiter den freien Zugang zum Arbeitsmarkt ermögliche. In der Mailnachricht vom 10. April 2018 wiederholte der Revisionswerber, es sei über den Antrag vom 8. August 2016 zu entscheiden; jener vom 13. August 2015 sei jedoch nicht zurückzuziehen, weil dieser bereits durch die Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ erledigt sei. Aus diesen Äußerungen ergibt sich unzweifelhaft, dass der Revisionswerber die Änderung seines Aufenthaltszweckes auf einen solchen, der ihm den freien Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht, beantragte. Der fehlende Hinweis im Zweckänderungsantrag auf seinen Aufenthaltstitel gemäß § 64 NAG kann dem Revisionswerber angesichts des von der Behörde zu vertretenden Irrtums, nämlich der Ausstellung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ ohne einen entsprechenden Antrag, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Gleiches gilt für den Umstand, dass er von einer Erledigung des Antrages vom 13. August 2015 ausging und in seinem Zweckänderungsantrag vom 8. August 2016 nicht auf diesen Bezug nahm.

15       Angesichts der Ausführungen zu Rn. 14 wäre die Behörde gehalten gewesen, über den Zweckänderungsantrag vom 8. August 2016 inhaltlich zu entscheiden. Entgegen der vom VwG vertretenen Rechtsansicht ist ein während eines anhängigen Verlängerungsverfahrens (betreffend den nach wie vor unerledigten Antrag vom 13. August 2015) gestellter Zweckänderungsantrag gemäß § 24 Abs. 4 NAG zulässig und verstößt nicht gegen § 19 Abs. 2 NAG, wonach das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge unzulässig ist.

16       Da das VwG dies verkannte, war das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Auf das übrige Revisionsvorbringen war daher nicht mehr einzugehen.

17       Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden.

18       Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. Oktober 2020

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220138.L00

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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