Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Univ.-Prof. Dr. P*****, vertreten durch Dr. Kurt Bayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei MMag. Dr. E*****, vertreten durch Dr. Robert Eiter, Rechtsanwalt in Landeck, wegen Räumung, über den (richtig:) Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. Februar 2020, GZ 4 R 217/19v-15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 2. August 2019, GZ 12 C 77/19a-11, aufgehoben und die Rechtssache in das außerstreitige Verfahren überwiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Der Rekurs wird, soweit er sich gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts richtet, zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die im Jahr 1983 geschlossene Ehe der Streitteile wurde im Jahr 2016 geschieden. Zwischen den Parteien wird vor dem Erstgericht seit dem Jahr 2017 ein Aufteilungsverfahren geführt. In diesem beantragte die Frau die „Zuweisung“ der Ehewohnung. Mieter dieser ihm im Jahr 1999 zur Verfügung gestellten Dienstwohnung ist der Mann. Mangels Zustimmung des Dienstgebers wurde im Aufteilungsverfahren der Antrag der Frau, es wolle ausgesprochen werden, dass die Mietrechte an der Ehewohnung allein ihr zustünden, mit rechtskräftigem Teilbeschluss abgewiesen (1 Ob 154/18f).
Daraufhin begehrte der Mann (als Kläger) im streitigen Verfahren die Räumung der Wohnung mit der Begründung, die Frau benütze sie (seit Jänner 2017) titellos und weigere sich, die dem Aufteilungsverfahren nicht unterliegende Dienstwohnung zu räumen.
Die Beklagte berief sich darauf, dass ihr die Nutzung der Wohnung zustehe, solange über den „gesamten Aufteilungsanspruch“ noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei. Sie verwies auf ihr dringendes Wohnbedürfnis und ihre Unmöglichkeit, sich eine adäquate andere Wohnmöglichkeit zu beschaffen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Aus Anlass der Berufung hob das Berufungsgericht das Ersturteil mit dem angefochtenen Beschluss als nichtig auf, erklärte das dazu geführte (streitige) Verfahren für nichtig und sprach aus, dass über das Räumungsbegehren im Aufteilungsverfahren zu entscheiden sei. Die Kosten des für nichtig erklärten Verfahrens erster und zweiter Instanz erlegte es dem Kläger auf.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Frau beantwortete (richtig) Rekurs des Mannes mit dem Antrag, diesen Beschluss aufzuheben und das Ersturteil wiederherzustellen.
Rechtliche Beurteilung
Zu I.:
Das Rechtsmittel des Mannes richtet sich ausdrücklich auch gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts. Rekurse gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts über den Kostenpunkt sind aber unzulässig (RIS-Justiz RS0044233; RS0053407), was auch für Rekurse gegen Kostenentscheidungen gilt, die das Berufungsgericht funktionell als erste Instanz fällt (RS0110033).
Der Rekurs ist damit insoweit als absolut unzulässig zurückzuweisen (10 Ob 29/10b mwN).
Zu II.:
1. Hingegen ist ein gegen einen im Berufungsverfahren ergangenen Beschluss, mit dem das Urteil als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur Entscheidung ins außerstreitige Verfahren überwiesen worden ist, erhobener Rekurs in analoger Anwendung des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO
– unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands und unabhängig vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne von § 502 Abs 1, § 528 Abs 1 ZPO – zulässig (RS0041890 [T2], RS0043890).
2. Der Mann stützt sich darauf, dass, auch wenn „prinzipiell“ über das Räumungsbegehren einer Ehewohnung im Aufteilungsverfahren entschieden werden solle, dies dann keine Gültigkeit haben könne, wenn in diesem bereits rechtskräftig ausgesprochen worden sei, dass die „Frage der Benützungsregelung der ehelichen Wohnung“ mangels gesetzlicher Voraussetzungen nicht mehr der Aufteilung unterliege. Über Fragen, über die das Außerstreitgericht ohnehin bereits entschieden habe, solle nicht neuerlich verhandelt werden.
Die Frau hält dagegen, dass der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung darauf hingewiesen habe, dass die Unzulässigkeit der Zuweisung dieser Dienstwohnung an den Ehepartner des Mieters nichts daran ändere, dass es sich bei der Ehewohnung um eheliches Gebrauchsvermögen handle und durch die vorgenommene [Abweisung der begehrten] Teilregelung (im Aufteilungsverfahren) für die Endentscheidung in Ansehung der verbleibenden gerichtlich aufzuteilenden Vermögensmasse Ausgleichsmöglichkeiten nicht verschlossen worden seien. Sie vertritt die Auffassung, dass damit lediglich die Zuweisung der Mietrechte an sie ausgeschlossen worden sei, jedoch bestünde ihr Anspruch (als wohnbedürftige Ehegattin auf Benutzung der Wohnung) nach § 97 ABGB im Aufteilungsanspruch nach §§ 81 ff EheG fort. Da der Mann im Aufteilungsverfahren die gegenständliche Wohnung „angesprochen“ habe, also ihren „Zuspruch“ begehre, strebe er im Ergebnis auch deren Räumung durch sie an. Eine Entscheidung darüber sei aber erst mit der Entscheidung des Außerstreitgerichts möglich, wobei – da es sich ja um eheliches Gebrauchsvermögen handle – auch eine Ausgleichszahlung im Aufteilungsverfahren zuzusprechen sein werde. Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspräche daher dem Vorrang des Aufteilungsverfahrens.
3. Der Rekurs des Mannes ist nicht berechtigt.
3.1. Der Vorrang des Aufteilungsverfahrens (siehe dazu 1 Ob 221/16f; 9 Ob 4/19g; RS0111605) bedeutet, dass soweit aufzuteilendes Vermögen der Ehegatten betroffen ist, „dessen Rechtszuständigkeit“ im Außerstreitverfahren geklärt werden solle. Aus dem Vorrang des Aufteilungsverfahrens ist abzuleiten, dass die Eigenschaft eines Vermögenswerts als Teil des ehelichen Gebrauchsvermögens oder der ehelichen Ersparnisse auch für die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs zu prüfen ist (1 Ob 26/15b mwN).
3.2. In seinem Beschluss zu 1 Ob 154/18f hielt der erkennende Senat unmissverständlich fest, dass es sich bei dieser Wohnung (der ehemaligen Ehewohnung) um eheliches Gebrauchsvermögen handelt. Mit dieser – vom Mann auch gar nicht angezweifelten – Qualifikation hat es aber zu einer (wertmäßigen) Einbeziehung in das Aufteilungsverfahren zu kommen (so ausdrücklich zur mangels Zustimmung des Dienstgebers nicht dem anderen Ehegatten zugewiesenen Dienst-/Ehewohnung auch Stabentheiner in Rummel, ABGB3 § 88 EheG Rz 8; vgl auch Deixler-Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR § 88 EheG Rz 14). Wegen der wertmäßigen Einbeziehung wurde etwa in der Entscheidung zu 6 Ob 566/87 ausgesprochen, dass die fehlende Zustimmung des Dienstgebers im Aufteilungsverfahren nur den Zuspruch der Ehewohnung an den anderen Ehegatten ausschließt, nicht aber eine Ausgleichszahlung. In dem damals beurteilten Fall wurde dem einen Teil die Räumung der Ehewohnung (einer Werkswohnung des anderen) Zug um Zug gegen Leistung einer bestimmten Ausgleichszahlung nach § 94 EheG (auch zur Erleichterung der Einrichtung einer neuen Wohnung) aufgetragen.
3.3. Zur wertmäßigen Einbeziehung (und Ausmessung einer allfälligen Ausgleichszahlung) einer mangels Zustimmung des Dienstgebers „nicht zuweisbaren“ Ehewohnung können sich unterschiedliche (im Außerstreitverfahren zu lösende) Fragen stellen. Es können während der Ehe getätigte Verbesserungen der (Dienst-)Ehewohnung eine Rolle spielen (vgl 6 Ob 566/87). Der Gebrauchsvorteil, den ein Ehepartner dadurch erlangt hat, dass er während des Aufteilungsverfahrens die Ehewohnung benutzt und sich die Kosten einer anderen Wohnmöglichkeit erspart hat, kann im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigen sein (1 Ob 46/19z; 1 Ob 176/19t je mwN; RS0131883). Gegebenenfalls ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass derjenige, der aus der Ehewohnung ausziehen muss, von demjenigen Ehegatten, der die Wohnung behält, durch eine Geldzahlung bei der Beschaffung einer neuen Wohnung zu unterstützen ist (RS0057574). Nach dem Grundsatz des „Wohlbestehenkönnens“ soll im Aufteilungsverfahren überhaupt ein für beide Teile tragbares wirtschaftliches Ergebnis gefunden werden (RS0057910). Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn ein Ehegatte noch vor Aufteilung der ehelichen Errungenschaft (die im Einzelfall so ungleich verteilt sein kann, dass ein Ehepartner vorher praktisch vermögenslos ist) die Ehewohnung zu räumen hätte, wiewohl er möglicherweise erst durch die Aufteilung die Mittel erhält, mit denen er sich selbständig wohnversorgen kann.
3.4. Der Aufteilungsrichter kann in der Regel erst nachdem er sich im Verfahren den Überblick über alle zu berücksichtigenden Gesichtspunkte verschafft hat, durch rechtsgestaltende Anordnungen jedem Ehepartner seinen „angemessenen“ oder „billigen“ Anteil an der ehelichen Errungenschaft (s 1 Ob 112/18d; 1 Ob 142/19t; vgl RS0057903) zukommen lassen. Dabei soll er die Aufteilung vordringlich real und nur subsidiär – wenn anders eine den Billigkeitsgrundsätzen entsprechende Aufteilung nicht möglich ist – gegen Auferlegung einer Ausgleichszahlung vornehmen (RS0057550; vgl auch RS0008537).
Wegen der bei Zuteilung der (restlichen) Aufteilungsmasse anlässlich der Aufteilungsentscheidung notwendigen Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte in einer Gesamtbetrachtung, also auch jener Aspekte, die mit der (Dienst-)Ehewohnung verbunden sind, besteht für die vom Kläger begehrte Räumung der Ehewohnung trotz des bereits rechtskräftigen Teilbeschlusses im Aufteilungsverfahren nach wie vor der Vorrang der Entscheidung in diesem Außerstreitverfahren.
Anders als der Kläger meint, wird damit auch nicht über Fragen, über die ohnehin bereits entschieden worden ist, „neuerlich verhandelt“, wurde doch mit dem Teilbeschluss nur über das Begehren der Frau, ihr die Mietrechte an der Dienstwohnung zuzuweisen, abgesprochen.
3.5. Über das Begehren auf Räumung einer Ehewohnung, die zugleich Dienstwohnung ist und mangels erforderlicher Zustimmung des Dienstgebers dem anderen Ehegatten nicht zugewiesen werden kann, ist – aufgrund der wertmäßigen Einbeziehung der Wohnung als eheliches Gebrauchsvermögen – im Aufteilungsverfahren zu entscheiden. Sich aus ihrer Verbesserung, Nutzung und Räumung ergebende und anlässlich der Aufteilung zu beachtende Teilaspekte können nur anlässlich der (einheitlichen) Aufteilungsentscheidung im Außerstreitverfahren berücksichtigt werden. Die Räumung ist daher mit der aufteilungsrechtlichen Bewertung der Wohnung und den erst aus ihr für die Aufteilungsentscheidung resultierenden Folgen so eng verknüpft, dass auch darüber im Aufteilungsverfahren abzusprechen ist.
4. Da der Rekurs des Klägers erfolglos geblieben ist, hat er gemäß § 41 ZPO iVm § 50 ZPO der Beklagten die Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Textnummer
E129564European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00083.20T.0923.000Im RIS seit
06.11.2020Zuletzt aktualisiert am
25.02.2021