Entscheidungsdatum
01.07.2020Norm
AEUV Art267Spruch
I421 2165378-2/18E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin Steinlechner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA Nigeria, vertreten durch LegalFocus, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2018, Zl. 1066035510-171181132, beschlossen:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 17 Abs 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Verfahren wird gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Verfahren Ro 2019/14/0006 ausgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Zum ersten Asylverfahren:
1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen von Ungarn kommend ins Bundesgebiet ein und stellte am 24.04.2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 25.04.2015 gab der Beschwerdeführer befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass ihm, nachdem seine Mutter gestorben sei, gesagt worden sei, dass er adoptiert worden wäre und deshalb keinen Anspruch auf das Erbe seines Vaters haben würde. Es sei daraufhin zu einem Streit zwischen seinen Brüdern und ihm gekommen und habe er dabei einen schwer am Kopf verletzt. Er habe Angst gehabt, dass etwas Schlimmes passieren könnte und sei deshalb geflohen. Im Falle seiner Rückkehr habe er Angst vor seinen Brüdern.
2. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG vom 25.04.2015 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da eine Dublin Zuständigkeit von Ungarn vorliegen würde. Am 06.05.2015 stimmte Ungarn der Rücknahme des Asylwerbers zu. Mit Schreiben vom 12.05.2015 erfolgte eine Verständigung der ungarischen Behörden, dass um Erstreckung der Transferfrist ersucht werde, da der Asylwerber flüchtig sei.
3. Mit Schriftsatz vom 14.07.2015 legte der Beschwerdeführer eine Vollmachtsbekanntgabe von RA Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler vor und eine Krankenstandsbestätigung für den Zeitraum vom 08.05.2017 bis 20.07.2017.
4. Am 04.09.2015 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich einvernommen, in deren Verlauf der Beschwerdeführer zusammengefasst ausführte, Ungarn sei nie das Ziel seiner Reise gewesen, er habe zwar seine Fingerabdrücke abgegeben, er habe dort aber nicht bleiben wollen. Seitens der anwesenden Rechtsberatung wurde der Antrag auf Selbsteintritt aufgrund der prekären Lage in Ungarn gestellt. Mit Schreiben vom 15.09.2017 erstattete der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertreterin zu den Länderfeststellungen Ungarn eine Stellungnahme und führte zusammengefasst aus, dass eine Ausweisung aus Ungarn aus Gründen des Menschenrechtes und der Grundrechtcharta nicht möglich sei, da sich die Lage in den Flüchtlingslagern dramatisch verschlechtert hätte. Auch sei mit einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu rechnen.
5. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 14.01.2016, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon neun Monate bedingt mit einer Probezeit von 3 Jahre verurteilt.
6. Am 24.05.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde erneut niederschriftlich einvernommen.
7. Zu seinem Fluchtgrund führte er im Wesentlichen aus, dass er ein Jahr nach dem Tod seiner Adoptivmutter Probleme mit den Kindern der Zweitfrau seines Vaters gehabt hätte. Diese hätten ihm gesagt, er sei nicht der Sohn seines Vaters und es wäre kein Platz in Ihrem zuhause. Er habe dies nicht gewusst und versucht die Wahrheit herauszufinden. Sein Adoptivvater habe ihm zwar gesagt, dass dies nicht die Wahrheit sei, er habe aber später in dessen Zimmer ein Dokument gefunden, wonach er adoptiert sei. Er führte weiters aus, dass er die Besitzurkunde von der Farm aus dem Zimmer des Vaters gestohlen und diese letztlich an einen Geschäftsmann, dessen Namen er nicht wisse, verkauft habe. Danach habe er seine Sachen gepackt und habe von Zuhause wegwollen. Eines der Kinder habe ihn aufhalten wollen und habe die Dokumente von ihm gefordert, wobei es zu einem Streit gekommen sei in dessen Verlauf dieser mit seinem Kopf auf einen Stein am Boden gefallen sei und geblutet habe. Er habe gedacht, dass dieser tot sei und sei geflüchtet. Gefragt woher dieser gewusst habe, dass er die Dokumente habe, antwortete er, dass alle gewusst hätten, dass ihn sein Vater sehr geliebt habe und er das älteste Kind gewesen sei. Er sei der einzige gewesen, der gewusst hätte, wo die Dokumente im Zimmer seines Vaters gewesen seien. Im Verlauf des Streites mit XXXX , hätten sie sich gegenseitig geschlagen und bei einem Schlag von ihm sei XXXX auf den Boden gefallen und mit dem Kopf auf einem Stein aufgeschlagen. Er führte weiters aus, dass die Aussage der Zweitfrau seines Vaters, dass er kein Recht auf ein Erbe oder sonstige Rechte habe, in dazu bewogen habe, die Farm zu verkaufen. Gefragt was ihn erwarten würde, wenn er zurückkehren müsste, antwortete er wörtlich: „Ich habe dort niemanden. Ich bin ein Waisenkind. Was zwischen mir und der Familie passiert ist und der Kampf. Ich weiß nicht, vielleicht ist mein Bruder sogar tot. Als ich das Land verlassen habe, wusste ich nicht ob er tot ist. Ich weiß nicht ob sie mich verfolgen oder nicht.“
8. Mit Bescheid vom 05.07.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt. „Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen. Weiters wurde „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für eine freiwillige Ausreise wurde „gemäß § 55 Absatz 1a FPG" nicht eingeräumt (Spruchpunkt IV.). Auch wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz „gemäß § 18 Absatz 1 Ziffer 2 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF" die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Zugleich erließ die belangte Behörde „gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.).
9. Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 07.07.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
10. Mit Schreiben vom 21.07.2017 wurde die Vollmacht der Rechtsvertreterin durch den Beschwerdeführer widerrufen.
11. Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 21.07.2017 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte darin Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, mangelhafte und unrichtige Bescheidbegründung sowie Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften. Begründend führte er unsubstantiiert aus, dass die Behörde ihrer Verpflichtung zu amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhaltes und der Wahrung des Parteiengehörs nicht nachgekommen sei und deshalb das Verfahren mit Mangelhaftigkeit behaftet sei. Dazu wiederholte er sein Fluchtvorbringen und führte zum Einreiseverbot an, dass aus seiner Sicht keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit von ihm ausgehen würde, weshalb die Dauer des Einreiseverbotes von fünf Jahren nicht gerechtfertigt sei, da er sein Fehlverhalten bedauern würde.
12. Mit Erkenntnis vom 28.07.2017. GZ. I416 2165378-1/3E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 21.07.2017 als unbegründet ab.
Zum gegenständlichen Asylverfahren:
13. Am 17.10.2017 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes sagte er aus, er habe bei seiner ersten Einvernahme nicht erwähnt, dass er zur Minderheit der BIAFRA gehöre. Seit den letzten Unruhen in Nigeria wisse er, dass er nicht mehr nach Nigeria zurückkehren könne. Er habe Angst um sein Leben. Er habe hiermit alle Fluchtgründe genannt, er habe keine weiteren Gründe, um in Österreich um Asyl anzusuchen.
14. Am 22.11.2017 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich von der belangten Behörde einvernommen. Im Zuge der Einvernahme gab er an, Mitglied bei der Biafra Organisation gewesen zu sein. Er sei damals sehr beängstigt gewesen und habe sich nicht getraut diese Geschichte zu erzählen, da er Angst gehabt habe, dass er aufgrund dieser Aussage nach Nigeria abgeschoben werden könnte. Hinsichtlich seiner vorgebrachten Fluchtgründe (Probleme mit der Familie) zum ersten Asylantrag im April 2015 führte er aus, dass er damals nicht die Wahrheit gesagt habe. Er habe Angst gehabt, abgeschoben zu werden, wenn er die Geschichte erzähle. Seine alten Fluchtgründe seien nicht aufrecht.
15. Mit Schriftsatz vom 06.12.2017 gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab und legte einige Beilagen vor. Vorgebracht wurde im Wesentlichen, dass gegenwärtig eine Rückkehr wegen dem aktuellen Aufkommen der Unruhen und Zusammenstöße in Verbindung mit der Biafra Bewegung unzumutbar sei.
16. Mit Bescheid vom 08.06.2018, Zl. 1066035510-171181132, wies die belangte Behörde den Antrag vom 17.10.2017 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I. und II.). Begründend wurde ausgeführt, dass entschiedene Sache im Sinne von § 68 AVG vorliege.
17. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 10.07.2018 zugestellten Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 10.07.2018 (bei der belangten Behörde eingelangt am 18.07.2018). In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Behörde jedenfalls einen maßgeblich geänderten Sachverhalt hätte feststellen müssen und eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages nicht unterlassen werden könne.
18. Mit Schriftsatz vom 10.07.2018, beim BVwG eingelangt am 12.07.2018, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
19. Mit Schriftsatz vom 14.08.2019 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis einer Beweisaufnahme informiert und die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen.
20. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16.08.2019, Zl. 1066035510-190791611, wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs 2 Z 1 FPG eine Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendigenden Maßnahme angeordnet (Spruchpunkt I.).
21. Am 23.10.2019 teilte die belangte Behörde dem BVwG mit, dass sich der Beschwerdeführer seit 22.08.2019 in Schubhaft befindet und bis Dato keine Schubhaftbeschwerde eingereicht wurde.
22. Mit Schreiben vom 23.08.2019 gab der MigrantInnenverein St. Marx dem BVwG die Kündigung des Vollmachtsverhältnisses mit dem Beschwerdeführer bekannt, da kein Kontakt zu ihm hergestellt werden konnte.
23. Mit Schriftsatz vom 28.08.2019 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis einer Beweisaufnahme informiert und die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen.
24. Mit Schreiben vom 11.09.2019 wurde dem BVwG eine Vollmacht für den Verein LegalFocus und eine Stellungnahme mit Berichten über Nigeria hinsichtlich der Biafra-Bewegung übermittelt.
25. Mit Schriftsatz vom 21.10.2019 übermittelte der Beschwerdeführer dem BVwG eine weitere Stellungnahme.
26. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.05.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Abteilung I406 abgenommen und der Abteilung I421 neu zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig, kinderlos, Staatsbürger von Nigeria und hält sich seit (mindestens) 24.04.2015 in Österreich auf. Er bekennt sich zum Christentum und gehört der Volksgruppe der Igbo an. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren Krankheit noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig. Er ist arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer absolvierte eine zwölfjährige Schulbildung in Nigeria und handelte danach mit Palmöl. Sein Vater hat eine Palmölplantage.
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte und befindet sich nicht in einer Beziehung oder Lebensgemeinschaft. Die Familie des Beschwerdeführers bestehend aus seinen Eltern, seinen 8 Brüdern und seiner Schwester, mit welcher er ca. einmal im Monat telefonisch in Kontakt steht, hält sich nach wie vor in Nigeria auf.
Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung und spricht kein Deutsch.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich vorbestraft:
01) LG XXXX vom 14.01.2016 RK 19.01.2016
§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG
Freiheitsstrafe 12 Monate davon neun Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre
02) LG XXXX vom 27.07.2018 RK 27.07.2018
§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG
Freiheitsstrafe 14 Monate
Der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 24.04.2015 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.07.2017. Zl. I416 2165378-1/3E, rechtskräftig abgewiesen.
Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer in seinem gegenständlichen (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz vom 17.10.2017 erstmals in der Erstbefragung am 17.10.2017 vorbrachte, zur Biafra zu gehören.
1.2. Zum Fluchtvorbringen
Im ersten, abgeschlossenen Asylverfahren brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, Probleme mit den Kindern der Zweitfrau seines Vaters gehabt zu haben. Diese hätten ihm gesagt, er sei nicht der Sohn seines Vaters und es wäre kein Platz in Ihrem zuhause.
Im gegenständlichen Asylverfahren brachte der Beschwerdeführer vor, Mitglied der Biafra Organisation zu sein.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria. Zudem wurde Einsicht genommen in den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes zum vorangegangenen Asylverfahren des Beschwerdeführers.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.
Die Feststellungen zu seinem Familienstand, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Volljährigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Religionszugehörigkeit, seiner Familie in Nigeria, seiner Schulausbildung und zu der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde, insbesondere in den Einvernahmen am 17.10.2017 und 22.11.2017.
Dass der Beschwerdeführer in Nigeria mit Palmöl handelte und sein Vater eine Palmölplantage hat, ergibt sich aus seiner diesbezüglichen Aussage in der Einvernahme vom 22.11.2017.
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte hat und sich in keiner Beziehung oder Lebensgemeinschaft befindet, ergibt sich aufgrund seiner Angaben vor der belangten Behörde in der Einvernahme vom 22.11.2017. Die Feststellung zur fehlenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich beruhen auf dem Umstand, dass weder Bescheinigungsmittel vorgelegt noch Angaben gemacht wurden, die eine hinreichende Integration in Österreich in sprachlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht annehmen lassen würden. Insbesondere spricht der Beschwerdeführer – wie er selbst in der Einvernahme vom 22.11.2017 angab – kein Deutsch und legte auch keine (Deutsch-)Kursbesuchsbestätigung vor.
Die strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 12.06.2020.
Dass der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 12.06.2020.
Die Feststellungen zum vorangegangenen Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt und aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.07.2017. Zl. I416 2165378-1/3E.
2.2 Zu den Fluchtgründen
Die Feststellungen zu den vorgebrachten Fluchtgründen im ersten Asylverfahren ergeben sich unzweifelhaft aus den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde im Zuge der Einvernahmen am 25.04.2015 und 24.05.2017. Danach ergibt sich zusammengefasst, dass der Beschwerdeführer angab, Nigeria wegen Problemen mit den Kindern der Zweitfrau seines Vaters verlassen zu haben.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Asylverfahren vorbrachte, zur Biafra zu gehören, beruht auf den Aussagen des Beschwerdeführers im Rahmen der Einvernahmen vom 17.10.2017 (Protokoll S. 3 bzw. AS 7) und 22.11.2017 (Protokoll S. 4 bzw. AS 80, 81).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Rechtliche Grundlagen
§ 16 Abs. 2 BFA-VG lautet:
„(2) Einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der
1. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist,
2. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht oder
3. eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen wird, sowie einem diesbezüglichen Vorlageantrag kommt die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt.“
§ 17 BFA-VG lautet:
„(1) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und
1. diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist oder
2. eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht
sowie der Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG jeweils binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.
(2) Über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung nach Abs. 1 oder gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.
(3) Bei der Entscheidung, ob einer Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, ist auch auf die unionsrechtlichen Grundsätze der Art. 26 Abs. 2 und 27 Abs. 1 der Dublin-Verordnung und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Unionsrechtes Bedacht zu nehmen.
(4) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 1 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.“
§ 32 AVG lautet:
„Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
3.2. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:
Die belangte Behörde begründete ihre Zurückweisung des Antrages damit, dass eine entschiedene Sache iSd § 68 AVG vorliege.
Generell wäre der Antrag nach der aktuellen Rechtslage bzw Rechtsprechung - unabhängig von der Frage der Glaubhaftmachung - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, da der Beschwerdeführer bereits im ersten Asylverfahren Biafra Mitglied war und diesen Umstand nicht vorbrachte.
Nach österreichischem Recht kann eine rechtskräftig entschiedene Sache nicht neuerlich entschieden werden. Stellt ein Antragsteller in derselben Sache einen neuerlichen Antrag, ist eine inhaltliche Entscheidung darüber auch dann ausgeschlossen, wenn die Tatsachen und Beweismitteln, auf die sich der Antragsteller beruft, schon vor Abschluss des Erstverfahrens bestanden haben. In so einem Fall kann ein Antragsteller nur die Wiederaufnahme des früheren Verfahrens begehren (VwGH 28.08.2019, Ra 2019/14/0091).
Diese Rechtslage gilt auch für wiederholte Anträge auf internationalen Schutz (sog. Folgeanträge). Das österreichische Asylrecht enthält insoweit keine Sonderregelungen.
Da der Beschwerdeführer (schuldhaft) erst im zweiten und nicht bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht hatte, zur Biafra zu gehören, stellt sich die Frage, ob die inhaltliche Prüfung des gegenständlichen Folgeantrages abgelehnt werden kann, obwohl Österreich die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat.
In Zusammenhang mit dieser Rechtsfrage hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Ro 2019/14/0006 mit Beschluss vom 18.12.2019, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gestellt (EU 2019/0008), mit folgenden Vorlagefragen:
„1. Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren:
Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen "neue Elemente oder Erkenntnisse", die "zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind", auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?
Falls Frage 1. bejaht wird:
2. Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?
3. Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“
Dass § 38 AVG Anwendung bei Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) findet, wurde vom VwGH wiederholt judiziert (vgl VwGH 13.12.2011, 2011/22/0316). Der Ausgang des gegenständlichen Vorabentscheidungsverfahrens ist unmittelbar für die im gegenständlichen Verfahren zu treffende Rechtsfrage präjudiziell, weshalb das gegenständliche Verfahren bis zur Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Ro 2019/14/0006 – nach entsprechender Beantwortung der vorgelegten Fragen durch den Europäischen Gerichtshof – auszusetzen war.
Die aufschiebende Wirkung war der Beschwerde gemäß § 17 VwGVG aus folgenden Gründen zuzuerkennen: Es liegt eine Zurückweisung des (zweiten) Antrages auf internationalen Schutz vor. Ohne eine meritorische Beurteilung der Frage der Asylrelevanz des Vorbringens des Beschwerdeführers in seinem jetzigen Verfahren kann nicht von Vornherein ausgeschlossen werden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Nigeria ist kein sicherer Herkunftsstaat.
In der Beschwerde wird nur vorgebracht, dass die belangte Behörde feststellen hätte müssen, dass ein maßgeblich veränderter Sachverhalt vorliege und eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages nicht unterlassen werden könne.
Dennoch ist bis zur erfolgten Vorabentscheidung im Verfahren Ro 2019/14/0006 und dem Ausgang dieses Verfahrens – sohin bis zur Fortsetzung dieses Verfahrens – die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ohne eine meritorische Entscheidung zu treffen. Mit der Aussage, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat würde eine oder auch keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen, erfolgt eine meritorische Prüfung des dem gegenständlichen Folgeantrag zugrundeliegenden Vorbringens, was jedoch die „Sache“ des gegenständlichen Verfahrens nach herrschender Rechtsprechung übersteigen würde. Hieran würde auch die Verneinung eines glaubhaften Kerns des nunmehrigen Vorbringens nichts ändern, weil gerade diese Fragestellung den Aussetzungsgrund betrifft.
Es waren daher die aufschiebende Wirkung nach § 17 Abs 1 BFA-VG und die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen im Verfahren Ro 2019/14/0006, gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG auszusprechen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Der gegenständliche Beschluss betrifft die Regelung eines Einzelfalls, der für sich gesehen nicht reversibel ist. Er stützt sich auf die nicht als uneinheitlich zu beurteilende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere die zitierte Rechtsprechung, und wirft keine Rechtsfrage von Bedeutung auf.
Schlagworte
Asylverfahren aufschiebende Wirkung Aussetzung Aussetzungsantrag EuGH ordentliche Revision real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat subsidiärer Schutz Suchtmitteldelikt Vergehen Vorabentscheidungsersuchen Vorabentscheidungsverfahren Vorfrage VwGH ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I421.2165378.2.00Im RIS seit
04.11.2020Zuletzt aktualisiert am
04.11.2020