TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/1 I408 2231721-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.2020
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Entscheidungsdatum

01.07.2020

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I408 2231721-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. Slowenien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2020, Zl. 1216674210/191277967, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Erkenntnis des Landesgerichtes XXXX vom 23.01.2020 wurde der Beschwerdeführer ua. wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.

2.       Mit Schreiben der belangten Behörde vom 31.01.2020 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er kam dieser Aufforderung mit seiner schriftlichen Stellungnahme vom 19.02.2020 nach.

3.       Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer ein zweijähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung begründet.

4.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 24.05.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein slowenischer Staatsangehöriger, hält seit 06.11.2018 mit seiner Familie in Österreich und ist im Besitz einer unbefristeten Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer). Beschäftigungsverhältnisse in Österreich bestanden aber bereits seit Ende 2017.

Er ist verheiratet und für zwischenzeitlich vier minderjährige Kinder sorgepflichtig. Ehefrau und die Kinder leben zwischenzeitlich getrennt vom Beschwerdeführer, der den Aufenthalt seiner Familie nicht kennt und ein Kontaktverbot auferlegt bekommen hat.

Der Beschwerdeführer geht mit kurzen Unterbrechungen seit 14.11.2017 Erwerbstätigkeiten im Bundesgebiet nach. Er ist dabei wochenweise auf verschiedenen Baustellen beschäftigt, bringt netto rund EUR 2.000, -- ins Verdienen. Seit der Trennung von seiner Familie hält er sich an den arbeitsfreien Wochenenden in Slowenien auf.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 23.01.2020 zu XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach §§ 107b Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 StGB sowie des Vergehens der versuchten Bestimmung zur falschen Beweisaussage nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 288 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, wobei die Strafe unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.

Der Verurteilung lag spruchgemäß zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum 07.11.2018 bis 11.07.2019, sohin eine längere Zeit hindurch, fortgesetzt gegen seine Kinder dadurch Gewalt ausgeübt, dass er seine am XXXX .2011 geborene Tochter, seinen am XXXX .2013 geborenen Sohn und seine am XXXX .2009 geborene Tochter in jeweils mehr als zehn Angriffen vorsätzlich am Körper misshandelte, indem er ihnen zumindest ein- bis zweimal pro Woche Schläge mit der flachen Hand auf den Kopf und in das Gesicht versetzte und sie fest an den Ohren und Haaren zog sowie seiner am XXXX .2011 geborenen Tochter Tritte gegen den Körper versetzte; am 06.10.2019 seine Ehefrau zu einer falschen Beweisaussage vor Gericht als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache zu bestimmen versucht, indem er sie via Facebook anwies, sie solle wahrheitswidrig angeben, die Kinder hätten sich das alles ausgedacht, weil sie traurig und eifersüchtig gewesen seien, da er sich ihr und nicht den Kindern gewidmet habe; sie solle zum Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen angeben, dass sie bei ihrer polizeilichen Aussage verwirrt gewesen sei und habe deshalb erklärt, dass der Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen erfolgt sei. Von Vorwurf, er habe gegen den Willen seiner Ehefrau den Beischlaf vorgenommen wurde der Beschwerdeführer dann aber gemäß $ 259 Z 3 stopp freigesprochen.

Im Rahmen der Strafbemessung wurden erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen und Tatbegehung zum Nachteil von drei Kindern, mildernd hingegen der bisherige ordentliche Lebenswandel sowie, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, gewertet.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes in Zusammenschau mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers anlässlich seiner Stellungnahme vom 19.02.2020 und in der Beschwerde vom 24.05.2020.

Die Feststellungen zu seinen familiären Verhältnissen ergeben sich aus dem Akteninhalt in Verbindung mit den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, welche in der Beschwerde unwidersprochen blieben.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, seine beruflichen Tätigkeiten im Bundesgebiet sowie der Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sind auf seine Angaben, die Wohnsitzmeldung laut dem Zentralen Melderegister sowie den eingeholten Auszug aus dem AJ-WEB zurückzuführen und entsprechen auch den Angaben in seiner Stellungnahme vom 19.02.2019 sowie der Zeugeneinvernahme seiner Ehefrau im Zuge der polizeilichen Erhebungen am 12.07.2019. Dass der Beschwerdeführer den Aufenthalt seiner Kinder nicht kennt, wird auch vom Jugendamt bestätigt. Ebenso, dass er seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommt und von der Behörde ein Aufenthalt sowie ein damit verbundener unmittelbarer Zugriff kein Nachteil wäre.

Die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers, die zugrundeliegenden Taten und die Erschwerungs- und Milderungsgründe sind dem im Akt aufliegenden Strafurteil entnommen.

Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A) Behebung der Entscheidung:

Als Staatsangehöriger von Slowenien ist der Beschwerdeführer EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Obwohl der Beschwerdeführer wegen eines Delikts gegen die körperliche Unversehrtheit gegenüber Unmündigen verurteilt wurde, weist die von ihm begangene Tat - insbesondere unter Berücksichtigung, dass im Strafverfahren mit einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Höhe von zehn Monaten das Auslangen gefunden wurde - nicht eine solche Schwere auf, dass der anzuwendende Gefährdungsmaßstab erfüllt ist. Das Strafgericht erachtete bei einem möglichen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren eine Strafe am unteren Rand für ausreichend, um den Beschwerdeführer in Zukunft von der Begehung weiterer Delikte abzuhalten. Unter Einbeziehung dieser Aspekte erreicht die Delinquenz des Beschwerdeführers nicht den in § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG festgelegten Schweregrad.

Auch wenn die Begehung von Straftaten den Schluss auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters zulässt und der Beschwerdeführer auch im Rahmen seines Beschwerdeschriftsatzes keinerlei Reue erkennen ließ, ist bei konkreter Betrachtung seiner Taten und ihrer Begehungsweise von keiner hohen kriminellen Energie auszugehen. Der Beschwerdeführer hat sich vor seiner Verurteilung rechtmäßig und strafrechtlich unauffällig in Österreich aufgehalten. Zudem ist durch die mittlerweile erfolgte Auflösung der Haushaltsgemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau sowie den gemeinsamen Kindern nicht davon auszugehen, dass eine gegenwärtige Gefahr für die erneute Begehung gleichgelagerter Straftaten besteht. Hinzu kommt, dass das Jugendamt, das die Familie betreut, solange der Beschwerdeführer in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachgeht im einfachen Weg über Gehaltsexekutionen offenen Unterhaltsbeiträge einheben kann. Somit liegt die Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch im Interesse seiner Familie.

Bei dieser fallbezogenen Betrachtung muss es dem Beschwerdeführer klar sein, dass jedes weitere strafbare Fehlverhalten sowie ein Missachten bestehender Unterhaltspflichten zu einem Aufenthaltsverbot führen kann.

Aus diesen Überlegungen war der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid ersatzlos zu beheben.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung Erwerbstätigkeit EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Gehaltsexekution Gesamtbetrachtung Gesamtbeurteilung Gesamtverhalten AntragstellerIn Gewalttätigkeit Haft Haftstrafe Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Unionsbürger Unterhaltspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2231721.1.00

Im RIS seit

04.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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