TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/2 W104 2186058-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W104 2186058-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Christian BAUMGARTNER über

die Beschwerde

von XXXX , geb. am XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Magistrat der Stadt XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , vom 10.1.2018, Zl. 1101075707-160024058, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.6.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum XXXX erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (in Folge: „Beschwerdeführer“) reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 7.1.2016 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, er sei am XXXX im Iran in XXXX geboren, afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und hänge der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er sei ledig und habe keine Kinder. Zu den Gründen für seine Asylantragstellung befragt, führte er an, er habe im Iran nicht zur Schule gehen können, da er dort illegal gelebt habe. Aus Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan habe er den Iran verlassen. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer niemanden. Zudem herrsche dort Krieg und Hazara würden verfolgt.

3. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Handwurzelröntgen zur Bestimmung des Knochenalters an, dem sich der Beschwerdeführer am 22.1.2016 unterzog. Dieses Röntgen ergab, dass eine zarte Epiphysenfuge (Wachstumsfuge) beim Beschwerdeführer erkennbar ist.

4. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.11.2017 führte der Beschwerdeführer im Beisein seiner gesetzlichen Vertretung und einer Vertrauensperson zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass er selbst noch nie in Afghanistan gewesen sei. Seine Eltern hätten Afghanistan aufgrund des Bürgerkrieges verlassen. Im Iran habe der Beschwerdeführer mangels Dokumenten keine Rechte gehabt. Der Beschwerdeführer habe nicht zur Schule gehen können und in Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan gelebt. In Afghanistan befürchte der Beschwerdeführer, als Hazara getötet zu werden. Weil er keine Zukunft für sich im Iran gesehen habe, habe sich der Beschwerdeführer entschieden, gemeinsam mit seinem Bruder nach Europa zu reisen.

5. Am 21.11.2017 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den von der belangten Behörde ins Verfahren eingeführten Länderinformationen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein. In dieser wir im Wesentlichen näheres zur erhöhten Vulnerabilität des Beschwerdeführers sowie zur schlechten Sicherheitslage in Afghanistan ausgeführt.

6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 10.1.2018, zugestellt am 15.1.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe keine asylrelevante Verfolgung bezogen auf seinen Herkunftssaat Afghanistan glaubhaft machen können. Da es sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden, jungen Mann mit Arbeitserfahrung handle, der zudem auch über ein soziales Netzwerk im Iran verfüge, das in der Lage sei, ihn zu unterstützen, sei es ihm bei einer Niederlassung in seinem Herkunftsstaat (etwa in Kabul) auch zumutbar, seinen Lebensunterhalt zu sichern.

7. Dagegen richtet sich die am 12.2.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen dem Antrag stattgebenden Bescheid gelangt wäre. Darin werden im Wesentlichen eine Verletzung der Ermittlungspflicht, eine mangelhafte Beweiswürdigung und eine unrichtige rechtliche Beurteilung gerügt. Weiter wird ergänzendes Vorbringen zu den Risikoprofilen des Beschwerdeführers aufgrund seiner Minderjährigkeit sowie aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in Kabul, und zur Integration des Beschwerdeführers erstattet.

8. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungskat wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

9. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Schreiben vom 9.7.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 16.9.2019 an, brachte Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.

10. Mit Schreiben vom 7.8.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht die aktuelle EASO Country Guidance: Afghanistan aus Juni 2019 ins Verfahren ein.

11. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 22.8.2019 mit, dass die Regionaldirektion XXXX des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl einen informierten Vertreter der belangten Behörde zur mündlichen Beschwerdeverhandlung am 16.9.2019 entsenden werde.

12. Am 11.9.2019 teilte die gesetzliche Vertretung des Beschwerdeführers dem Bundesverwaltungsgericht telefonisch mit, dass der Verhandlungstermin am 16.9.2019 durch den Beschwerdeführer nicht wahrgenommen werden könne.

13. Mit Schreiben vom 12.9.2019 beraumte das Bundesverwaltungsgericht die für den 16.9.2019 angesetzte mündliche Beschwerdeverhandlung ab.

14. Am 1.10.2019 übermittelte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht eine Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft XXXX . Dieser Verständigung ist zu entnehmen, dass gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen §§ 15 StGB, 27 Abs. 2a SMG erhoben wurde.

15. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 30.9.2019 (rechtskräftig seit 3.10.2019) wurde der Beschwerdeführer zu Zl. XXXX gemäß § 27 Abs. 2a SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, welche unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

16. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Schreiben vom 11.12.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 20.1.2020 an, brachte Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.

17. In seiner Stellungnahme vom 16.1.2020 erstattete der Beschwerdeführer unter anderem Vorbringen zu seinem gesundheitlichen Zustand, zu seiner erhöhten Vulnerabilität als Minderjähriger, zur Situation betreffend Rückkehrer, die außerhalb Afghanistans geboren wurden sowie zu seiner persönlichen Situation und der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan. In einem legte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Integrationsunterlagen sowie medizinische Unterlagen vor.

18. Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts am 20.1.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine gesetzliche Rechtsvertretung und ein Dolmetscher für die Sprache Farsi teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern. In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer insbesondere nochmals zu den geltend gemachten Fluchtgründen, einer möglichen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat, seinem Leben in Österreich sowie zu seinem Gesundheitszustand einvernommen. Der Beschwerdeführer hielt sein Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara aufrecht. Die Vertretung des Beschwerdeführers legte in der mündlichen Verhandlung eine Überweisung des Hausarztes an einen Facharzt der Neurologie/Psychiatrie, eine Situationseinschätzung der fallbetreuenden Sozialarbeiterin sowie ein Empfehlungsschreiben vor.

19. In seiner Stellungnahme vom 19.5.2020 erstattete der Beschwerdeführer ergänzendes Vorbringen zu seinem gesundheitlichen Zustand. Er leide unter einer multiplen psychischen, wie auch psychosomatischen Symptomatik. Eine medikamentöse und fachärztlich-psychiatrische Behandlung sei unbedingt erforderlich. Weiter erstattete der Beschwerdeführer Vorbringen zur Relevanz seiner Erkrankung im gegenständlichen Verfahren sowie zur Situation in Afghanistan aufgrund der COVID-19-Pandemie. In einem legte der Beschwerdeführer ein Konvolut aktueller medizinischer Unterlagen vor.

20. Aufgrund eines Richterwechsels beraumte das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 3.6.2020 eine neuerliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 10.6.2020 an.

21. Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts am 10.6.2020 eine neuerliche mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer insbesondere nochmals zu einer möglichen Rückkehr nach Afghanistan, seinem Leben in Österreich sowie zu seinem Gesundheitszustand befragt wurde. Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers legte in der mündlichen Verhandlung eine Bestätigung, wonach sich der Beschwerdeführer auf der Warteliste für den Pflichtschulabschluss bei einer VHS befindet, sowie eine Vereinbarung für die Einrichtung einer Hilfe für junge Erwachsene vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1. Identität, Herkunft und Sprachkenntnisse:

1.1.1.1. Der Beschwerdeführer trägt den Namen „ XXXX “ und ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde am XXXX in XXXX im Iran geboren und ist dort auch aufgewachsen. Der Beschwerdeführer war noch nie in seinem Herkunftsstaat Afghanistan.

1.1.1.2. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari bzw. Farsi. Neben dieser hat er auch noch Kenntnisse der Sprache Deutsch. In seiner Muttersprache verfügt der Beschwerdeführer über geringe Lese- und Schreibkenntnisse. Der Beschwerdeführer hat zudem einen starken iranischen Akzent.

1.1.2. Volksgruppe und Religion:

Der Beschwerdeführer gehört der afghanischen Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.

1.1.3. Familiäre Situation und wirtschaftliche Lage:

1.1.3.1. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Die Mutter sowie zwei Brüder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben im Iran. Ein Bruder des Beschwerdeführers „ XXXX “ lebt in Österreich.

1.1.3.2. Die afghanische Heimatprovinz der Eltern des Beschwerdeführers kann nicht festgestellt werden.

1.1.3.3. Der Beschwerdeführer hat zu seinen im Iran lebenden Familienangehörigen Kontakt.

1.1.4. Ausbildung und Berufserfahrung:

1.1.4.1. Der Beschwerdeführer hat im Iran zwei Jahre lang eine Koranschule besucht.

1.1.4.2. Der Beschwerdeführer arbeitete im Iran als Hilfsarbeiter in einer Schuhproduktionsfirma. Der Beschwerdeführer trug mit dieser Tätigkeit auch seinen Lebensunterhalt bestreiten und darüber hinaus auch seine Familie finanziell unterstützen.

1.1.5. Gesundheitszustand:

1.1.5.1. Der Beschwerdeführer leidet an einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode und einer komplexen Traumafolgestörung. Auf psychosomatischer und somato-psychischer Ebene sind multiple Symptome diagnostizierbar. Das Krankheitsbild des Beschwerdeführers geht mit Schlafstörungen mit Albträumen, starken Stimmungsschwankungen ins Depressive, flash-back-artigen traumatischen Erinnerungen und dissoziativen Störungen mit negativen Inhalten einher. An körperlich-psychischer Mischsymptomatik stehen chronische Kopfschmerzen, Magen-Darm-Verdauungsstörungen, allgemeine körperliche Schwächezustände, erhöhte Erschöpfung, Müdigkeit und psychovegetative Auffälligkeiten wie Zittern, Schwitzen, Unruhe, kollapsnahe Zustände und Schwindel im Vordergrund. Die emotionale Situation des Beschwerdeführers ist instabil, impulsiv und stark schwankend. Die Stimmung-Antrieb-Befindlichkeitserhebung zeigt eine eindeutig depressive Symptomatik. Der gelegentliche Drogenkonsum des Beschwerdeführers ist als sekundäre Reaktionsbildung auf die zugrundeliegende komplexe psychische Überlastung und Symptomatik zu verstehen. Der Beschwerdeführer hat überdies immense Schwierigkeiten, Vertrauen aufzubauen.

1.1.5.2. Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund seiner Erkrankung in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung bei XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. Aus Sicht des behandelnden Facharztes sind eine fachärztlich-psychiatrische Behandlung, psychotherapeutisch-pädagogische Stützung und Therapie, Integration und Rehabilitation in ein stabiles soziales Umfeld, sowie psychosoziale Unterstützung und Betreuung im Sinn von sozialpädagogischen Angeboten im Fall des Beschwerdeführers indiziert. Eine weitere kontinuierliche Behandlung des Beschwerdeführers ist unbedingt erforderlich. Der Beschwerdeführer befindet sich zudem in medikamentöser Behandlung und nimmt das Medikament Trittico retard 75 mg ein.

1.1.6. Ausreise aus dem Iran und Antragstellung in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste ungefähr im Mai 2015 aus dem Iran aus und hält sich seit Oktober 2015 in Österreich auf. Am 7.1.2016 stellte er schließlich im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Zum individuellen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer wurde bezogen auf seinen Herkunftsstaat weder vom Staat, noch regierungsfeindlichen Organisationen oder sonstigen Personen persönlich bedroht oder wurden sonstige Handlungen oder Maßnahmen gegen diesen gesetzt.

1.2.2. Die Eltern des Beschwerdeführers verließen Afghanistan aufgrund des Bürgerkrieges und der damit einhergehenden schlechten Sicherheitslage. Sie wurden weder persönlich bedroht, noch wurden sonstige Handlungen oder Maßnahmen gegen diese gesetzt.

1.2.3. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat weder Probleme mit den Behörden noch wurde er wegen seiner Nationalität, seinem Geschlecht, seiner sexuellen Orientierung oder seinem Bekenntnis zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam, seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder wegen einer Zugehörigkeit zu einer anderen gesellschaftlichen Gruppe bedroht oder wurde sonst eine Handlung oder Maßnahme aus diesen Gründen gegen ihn gesetzt.

1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

1.3.1. Der Beschwerdeführer lebt in einer Unterkunft in XXXX .

1.3.2. In Österreich lebt ein Bruder, „ XXXX “, des Beschwerdeführers. Zu diesem hat der Beschwerdeführer regelmäßig Kontakt.

1.3.3. Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise an mehreren Deutsch- und Integrations- bzw. Basisbildungskursen teilgenommen, darunter an mehreren Alphabetisierungskursen und zuletzt an einem Deutschkurs auf Niveau A2+ des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. In den Schuljahren 2015/16 und 2016/17 besuchte der Beschwerdeführer die dritte bzw. vierte Klasse einer Neuen Mittelschule als außerordentlicher Schüler. Im Rahmen dieses Schulbesuches absolvierte der Beschwerdeführer seine berufspraktischen Tage von 7.11.2016 bis 10.11.2016 an der XXXX (erprobter Lehrberuf: Fotograf). Im Wintersemester 2016/17 und im Sommersemester 2017 war der Beschwerdeführer als außerordentlicher Studierender an der XXXX inskribiert und nahm als solcher am Workshop „Zeichnen“ im Rahmen des XXXX teil. Derzeit besucht der Beschwerdeführer einen Brückenkurs im Rahmen der Bildungsinitiative XXXX , der bis 17.12.2020 dauert. Er möchte zukünftig seinen Pflichtschulabschluss machen und befindet sich bereits auf der Warteliste einer Volkshochschule. Anschließend möchte der Beschwerdeführer gerne eine Ausbildung zum Elektriker oder Computertechniker absolvieren. Aufgrund seiner psychischen Erkrankungen war es dem Beschwerdeführer bislang nicht möglich, eine ehrenamtliche Tätigkeit auszuüben.

1.3.4. Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein.

1.3.5. In seiner Freizeit geht der Beschwerdeführer mit Freunden im Park spazieren, besucht das Fitnesscenter oder lernt Deutsch.

1.3.6. Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft.

1.3.7. Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht erwerbstätig. Er bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt auch über keine Einstellzusage.

1.3.8. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 30.9.2019 (rechtskräftig seit 3.10.2019) wurde der Beschwerdeführer zu Zl. XXXX gemäß § 27 Abs. 2a SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, welche unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

1.4. Zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers bei Rückkehr nach Afghanistan:

1.4.1. Allgemeines:

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück.

In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten.

1.4.2. Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung:

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen.

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden. Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess. Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzt. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes, und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen. Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen.

Bereits 2017 hat die afghanische Regierung mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben mit neuer rechtlicher Grundlage an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Eine Hürde ist die Identifizierung von geeigneten, im Staatsbesitz befindlichen Ländereien. Generell führt die unklare Landverteilung häufig zu Streitigkeiten. Gründe hierfür sind die jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, mangelhafte Verwaltung und Dokumentation von An- und Verkäufen, das große Bevölkerungswachstum sowie das Fehlen eines funktionierenden Katasterwesens. So liegen dem afghanischen Innenministerium Berichte über widerrechtliche Aneignung von Land aus 30 Provinzen vor.

1.4.3. Unterstützung durch IOM:

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an. Hinsichtlich des Ausmaßes und der Art von Unterstützung wird zwischen freiwillig und unfreiwillig zurückgeführten Personen unterschieden.

So ist beispielsweise die Provinz Herat hauptsächlich von der Rückkehr von Afghanen aus dem Iran betroffen. Landesweit ist die Zahl der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan höher, als die der Rückkehrer aus Europa. Das von IOM durchgeführte Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) Programme besteht aus einer Kombination von administrativen, logistischen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für Personen, welche beschließen, freiwillig aus Europa, Australien und der Türkei in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Im Zuge des AVRR-Programmes wurden im Jahr 2018 von IOM 2.182 Rückkehrer unterstützt. Etwa die Hälfte von ihnen erhielt Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens.

Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt.

IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro sowie Informationen, etwa über Hotels. Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können, je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden. Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt.

Freiwillige Rückkehrerinnen und Rückkehrer, die am Reintegrationsprojekt RESTART II teilnehmen, haben nach wie vor die Möglichkeit, neben der Unterstützung in Bargeld von 500 Euro, die zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse vorgesehen sind, eine Unterstützung für die Weiterreise und für temporäre Unterkunft bis zu max. 14 Tagen (in Kabul: Spinzar Hotel) zu erhalten. Unterstützungsleistungen aus dem Projekt RESTART II, welches durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert wird, können im gesamten Land bezogen werden und sind daher in Städten wie Mazar-e Sharif und/oder Herat dieselben wie in Kabul. Wichtig ist, dass die Teilnahme am Reintegrationsprojekt RESTART II durch das BFA und IOM für die Rückkehrerinnen und Rückkehrer bewilligt wurde.

In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro durchgeführt und vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) kofinanziert. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019 [in Folge: „LIB“], Abschnitt 23. „Rückkehr“)

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.5.1. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten. Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni.

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19). Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand.

Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September 2019 von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019 [in Folge: „LIB“], Abschnitt 3. „Sicherheitslage“)

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Allgemeines

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Abschnitt. 3. „Sicherheitslage“)

Grundversorgungs- und Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 2.9.2019; AF 2018). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport.

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern. Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern.

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft, wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar. Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert.

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird. Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 21. „Grundversorgung“)

Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council – AUC) beraten. Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht.

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen. Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen – einschließlich Menschenrechtsverträge – vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist. Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle, als auch das islamische Recht anzuwenden.

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht.

Gemäß dem allgemeinen Scharia-Vorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und stehen Fortschritten im Menschenrechtsbereich entgegen. Wenn keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht durch. Es gibt einen Mangel an qualifiziertem Justizpersonal und manche lokale und Provinzbehörden, darunter auch Richter, haben nur geringe Ausbildung und fundieren ihre Urteile auf ihrer persönlichen Interpretation der Scharia, ohne das staatliche Recht, Stammesrecht oder örtliche Gepflogenheiten zu respektieren. Diese Praktiken führen oft zu Entscheidungen, die Frauen diskriminieren.

Trotz erheblicher Fortschritte in der formellen Justiz Afghanistans, bemüht sich das Land auch weiterhin für die Bereitstellung zugänglicher und gesamtheitlicher Leistungen; weit verbreitete Korruption sowie Versäumnisse vor allem in den ländlichen Gebieten gehören zu den größten Herausforderungen. Auch ist das Justizsystem weitgehend ineffektiv und wird durch Drohungen, Befangenheit, politischer Einflussnahme und weit verbreiteter Korruption beeinflusst. Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten durchgesetzt. Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent und innerhalb des Landes uneinheitlich angewandt.

Dem Gesetz nach gilt für alle Bürgerinnen und Bürger die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Beschuldigte werden von der Staatsanwaltschaft selten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informiert. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt. Dem Justizsystem fehlen die Kapazitäten, um die große Zahl an neuen oder veränderten Gesetzen zu absorbieren. Der Zugang zu Gesetzestexten wurde verbessert, jedoch werden durch die schlechte Zugänglichkeit immer noch einige Richter und Staatsanwälte in ihrer Arbeit behindert.

Richterinnen und Richter

Das Justizsystem leidet unter mangelhafter Finanzierung und insbesondere in unsicheren Gebieten einem Mangel an Richtern. Die Unsicherheit im ländlichen Raum behindert eine Justizreform, jedoch ist die Unfähigkeit des Staates, eine effektive und transparente Gerichtsbarkeit herzustellen, ein wichtiger Grund für die Unsicherheit im Land.

Die Rechtsprechung durch unzureichend ausgebildete Richter basiert in vielen Regionen auf einer Mischung aus verschiedenen Gesetzen. Ein Mangel an Richterinnen – insbesondere außerhalb von Kabul – schränkt den Zugang von Frauen zum Justizsystem ein, da kulturelle Normen es Frauen verbieten, mit männlichen Beamten zu tun zu haben. Nichtsdestotrotz, gibt es in Afghanistan zwischen 250 und 300 Richterinnen. Der Großteil von ihnen arbeitet in Kabul; aber auch in anderen Provinzen wie in Herat, Balkh, Takhar und Baghlan.

Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt. Richter und Anwälte erhalten oft Drohungen oder Bestechungen von örtlichen Machthabern oder bewaffneten Gruppen. Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern, jedoch kommt es immer wieder zu Übergriffen auf und Bedrohung von Strafverteidigern durch die Staatsanwaltschaft oder andere Dienststellen der Exekutive. Anklage und Verhandlungen basieren vorwiegend auf unverifizierten Zeugenaussagen, einem Mangel an zuverlässigen forensischen Beweisen und willkürlichen Entscheidungen, die oft nicht veröffentlicht werden.

Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte sowie Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems. Es gibt eine tief verwurzelte Kultur der Straflosigkeit in der politischen und militärischen Elite des Landes. Im Juni 2016 wurde auf Grundlage eines Präsidialdekrets das „Anti-Corruption Justice Center“ (ACJC) eingerichtet, um gegen korrupte Minister, Richter und Gouverneure vorzugehen. Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen. Das ACJC, zu dessen Aufgaben auch die Verantwortung für große Korruptionsfälle gehört, verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte, davon 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen, aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken. Alleine von 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige Personen der Korruption beschuldigt und bei einer Verurteilungsrate von 94% strafverfolgt. Unter diesen Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied des Provinzialrates.

(Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 4. „Rechtsschutz/Justizwesen“)

Sicherheitsbehörden in Afghanistan

Im Zeitraum 2011 – 2014 wurde die Verantwortung für die Sicherheitsoperationen in Afghanistan schrittweise auf die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) übertragen. Die ANSF setzt sich aus staatlichen Sicherheitskräften zusammen, darunter die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Luftwaffe (AAF), die afghanische Nationalpolizei (ANP), die afghanische lokale Polizei (ALP) und das National Directorate for Security (NDS), welches als Geheimdienst fungiert.

Die Wirksamkeit der afghanischen Streitkräfte hängt nach wie vor von der internationalen Unterstützung ab, um die Kontrolle über das Territorium zu sichern und zu behalten und die operative Kapazität zu unterstützen.

Die Polizeipräsenz ist auch in den Städten stärker und die Polizeibeamten sind verpflichtet, Richtlinien wie den ANP-Verhaltenskodex und die Richtlinien zum Einsatz von Gewalt einzuhalten. Die Reaktion der Polizei wird jedoch als unzuverlässig und inkonsistent bezeichnet, die Polizei hat eine schwache Ermittlungskapazität, es fehlt an forensischer Ausbildung und technischem Wissen. Der Polizei wird auch weit verbreitete Korruption, Gönnerschaft und Machtmissbrauch vorgeworfen: Einzelpersonen in den Institutionen können ihre Machtposition missbrauchen und Erpressung zur Ergänzung ihres niedrigen Einkommens einsetzen. Es kam weiterhin zu willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Polizei, und Folter ist bei der Polizei endemisch. Untätigkeit, Inkompetenz, Straffreiheit und Korruption führen zu Leistungsschwächen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019 [in Folge: „EASO-Länderleitfaden Afghanistan“], des European Asylum Support Office [in Folge: „EASO“], abrufbar https://www.easo.europa.eu/country-guidance, abgerufen 1.7.2020, S. 122 mit Verweis auf weitere Quellen)

Folter und unmenschliche Behandlung

Laut der afghanischen Verfassung (Artikel 29) sowie dem Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) ist Folter verboten. Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC). Wenngleich Afghanistan die UN-Konvention gegen Folter ratifiziert hat, Gesetze zur Kriminalisierung von Folter erlassen hat und eine Regierungskommission zur Folter einsetzte, hat die Folter seit Regierungsantritt im Jahr 2014 nicht wesentlich abgenommen – auch werden keine hochrangigen Beamten, denen Folter vorgeworfen wird, strafrechtlich verfolgt.

Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken, dennoch gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlung durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Mitarbeiter von Haftanstalten und Polizisten. Obwohl es Fortschritte gab, ist Folter in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet. Rund ein Drittel der Personen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen wurden, sind gemäß einem Bericht der UNAMA von Folter betroffen. Es gibt dagegen keine Berichte über Folter in Haftanstalten, die der Kontrolle des General Directorate for Prison and Detention Centres des afghanischen Innenministeriums unterliegen. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger.

Der Anteil der Personen, die über Folter berichteten, ist in den vergangenen Jahren leicht gesunken. Auch existieren große Unterschiede abhängig von der geografischen Lage der Haftanstalt: wurde bei einer Befragung durch UNAMA durchschnittlich von rund 31% der Befragten (45 Häftlinge) in ANP-Anstalten von Folter oder schlechter Behandlung berichtet (wenngleich dies ein Rückgang zum Vorjahreswert ist, der 45% betrug), so gaben 77% der Befragten (22 Häftlinge) aus einer ANP-Anstalt in Kandahar an, gefoltert und schlecht behandelt zu werden. Anstalten des NDS in Kandahar und Herat, konnten erwähnenswerte Verbesserungen vorweisen, während die Behandlung von Häftlingen in den Provinzen Kabul, Khost und Samangan auch weiterhin besorgniserregend war. Die Arten von Misshandlung umfassen schwere Schläge, Elektroschocks, das Aufhängen an den Armen für längere Zeit, Ersticken, Quetschen der Hoden, Verbrennungen, Schlafentzug, sexuelle Übergriffe und Androhung der Exekution.

Die afghanische Regierung hat Kontrollmechanismen eingeführt, um Fälle von Folter verfolgen und verhindern zu können. Allerdings sind diese weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig. Daher erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten. Die Rechenschaftspflicht der Sicherheitskräfte für Folter und Missbrauch ist schwach, intransparent und wird selten durchgesetzt. Eine unabhängige Beobachtung durch die Justiz bei Ermittlungen oder Fehlverhalten ist eingeschränkt bis inexistent. Mitglieder der ANP und ALP sind sich ihrer Verantwortung weitgehend nicht bewusst und unwissend gegenüber den Rechten von Verdächtigen.

Das Gesetz sieht Entschädigungszahlungen für die Opfer von Folter vor, jedoch ist die Barriere für einen Beweis der Folter sehr hoch. Für eine Entschädigungszahlung ist der Nachweis von physischen Anzeichen von Folter am Körper eines Inhaftierten notwendig.

(Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 6. „Folter und unmenschliche Behandlung“)

Binnenflüchtlinge

Im Jahresverlauf 2018 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre. UNHCR berichtet für das gesamte Jahr 2018 von ca. 350.000-372.000 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden. Trotz des im Zeitvergleich hohen Ausmaßes der Gewalt war im Jahr 2018 das Ausmaß der konfliktbedingten Vertreibungen geringer als im Jahr 2017, als ca. 450.000-474.000 Menschen durch den Konflikt innerhalb Afghanistans vertrieben wurden. Aufgrund der Dürre, vorwiegend in den Provinzen Herat und Badghis, kommen ca. 287.000 IDPs hinzu. Nach Angaben von UNOCHA sind im ersten Halbjahr 2019 rund 210.000 neue Konflikt induzierte Binnenflüchtlinge hinzugekommen. Mehr als die Hälfte von ihnen stammen aus den Provinzen Takhar, Faryab und Kunar.

Die Gesamtzahl von Binnenflüchtlingen lag IDMC zufolge Stand Jahresende 2018 bei ca. 2,598,000 Menschen.

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft.

IDPs sind in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kommt es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung. Mehr als 80% der Binnenvertriebenen benötigen Nahrungsmittelhilfe. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen.

Die afghanische Regierung kooperiert mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen – inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran – ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, der erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen fördert sowie humanitäre und entwicklungspolitische Aktivitäten erstellt und diese koordiniert.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 20. „IDPs und Flüchtlinge“)

Zu den Rückkehrern nach Afghanistan

Die Zahlen der Rückkehrer aus Iran sind auf hohem Stand, während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen ist (2017: 154.000; 2018: 46.000), was im Wesentlichen mit den afghanischen Flüchtlingen jeweils gewährten Rechten und dem gewährten Status in Iran bzw. Pakistan zu begründen ist. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2018 ca. 3,2 Millionen Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Seit dem Jahr 2016 hat sich die Zahl der Rückkehrer jedes Jahr deutlich verringert, jedoch hat sich die Zahl der Rückkehrer aus Europa leicht erhöht 15% aller Rückkehrer siedeln in die Provinz Nangarhar.

Je nach Organisation variieren die Angaben zur Zahl der Rückkehrer:

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Davon waren 32.260 zwangsweise und 31.189 freiwillige Rückkehrer; 25.561 Personen kehrten aus dem Iran und aus Pakistan zurück; 1.265 aus Europa. 672 Personen erhielten Unterstützung von Hilfsorganisationen: Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück bzw. 180.000 Personen aus dem Iran und 125.000 Personen aus Pakistan. Im Jahr 2017 stammten 464.000 Rückkehrer aus dem Iran 464.000 und 154.000 aus Pakistan.

Rückkehrer haben zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie. Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen.

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind.

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse – auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt.

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann.

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig. Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren.

Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet. Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Abschnitt 23. „Rückkehr“)

1.5.2. Lage in der Stadt Mazar-e Sharif:

Allgemeines

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt der Provinz Balkh, die sich im Norden Afghanistans befindet. Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird.

Mazar-e Sharif ist als Wirtschaftszentrum des Nordens bekannt und zieht Wirtschaftsmigranten aus ländlichen Gebieten mit seinen Arbeitsmöglichkeiten und seiner relativen Sicherheit an. Als „regionaler Anziehungspunkt im Norden“ nahm die Provinz Balkh Migranten vor allem aus den Nordprovinzen Samangan, Sar-e Pul, Jawzjan und Faryab auf. Laut Daten des IOM hatte die Provinz bis Juni 2018 109 845 Rückkehrer, was die fünftgrößte Zahl unter den afghanischen Provinzen war. Laut einer CSO-Umfrage von 2015 sind etwa 38% der Bevölkerung von Mazar-e Sharif Migranten, die überwiegend aus anderen afghanischen Provinzen stammen und nur 17 % Rückkehrer aus dem Ausland. Laut einer UNHCR-Feldstudie von 2018 war die Zahl der Rückkehrer aus dem Iran und anderen Ländern in Mazar-e Sharif sehr gering. Die meisten derjenigen, die aus dem Iran zurückkehrten, waren Berichten zufolge Studenten, die für einen kurzen Zeitraum zurückkehrten, um die notwendigen Unterlagen zu erhalten, und dann in den Iran zurückkehrten, um ihre Ausbildung fortzusetzen. Der UNHCR dokumentierte 466 Flüchtlingsrückkehrer in die Provinz Balkh im Jahr 2018.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicator. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019 [in Folge: „EASO-Bericht Sozioökonomie“], abrufbar unter: https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf, abgerufen am 1.7.2020, Abschnitt 1.1.3. und 1.2.3.)

Sicherheitslage

Die Balkh-Provinz liegt im nördlichen Teil Afghanistans, an der internationalen Grenze zu Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan und grenzt an Kunduz, Baghlan, Samangan, Sar-e Pul und Jawzjan. Es besteht aus 15 Bezirken. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Das Machtmonopol auf dem Balkan lag lange Zeit bei dem ehemaligen Kriegsherrn Atta Mohammed Noor, der später Gouverneur des Balkans wurde, aber im Dezember 2017 nach einem Streit mit Präsident Ghani zurücktrat. Die Mehrheit der Bezirke auf dem Balkh wird vom LWJ als unter staatlicher Kontrolle oder unbestimmt eingestuft, wobei zwei Bezirke als umstritten und ein Bezirk als unter talibanischer Kontrolle eingestuft werden. Laut GIM wurden im Zeitraum Januar 2018 bis Februar 2019 131 Vorfälle im Zusammenhang mit Aufständischen gemeldet (durchschnittlich 2,2 Vorfälle pro Woche). Während der Balkan angeblich eine der stabilsten Provinzen Afghanistans ist, sind in der Provinz regierungsfeindliche Elemente aktiv und es wurden 2018 und Anfang 2019 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Taliban-Kämpfer haben während des gesamten Jahres 2018 und Anfang 2019 ALP-Personal, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsdienste in den Bezirken Sholgareh, Chahrbulak, Chemtal und Dawlatabad angegriffen. Die ANSF führte mehrere Clearing-Operationen in Balkh durch. Darüber hinaus führte die US-Luftwaffe im April 2018 einen Luftangriff im Bezirk Charbulak durch. Weitere Beispiele für Vorfälle sind eine Bombenexplosion am Straßenrand im Bezirk Sholgareh, die Entführung von Reisenden durch die Taliban, die Entführung und Ermordung von Wahlbeobachtern. UNAMA dokumentierte 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte), was 16 zivile Opfer pro 100.000 Einwohner entspricht. Das ist eine Steigerung von 76 % gegenüber 2017. 99 zivile Opfer wurden durch Bodenverpflichtu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten