TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/2 I419 1243913-3

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Veröffentlicht am 02.07.2020
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Entscheidungsdatum

02.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 1243913-3/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch VEREIN MENSCHENRECHTE ÖSTERREICH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 28.05.2020, Zl. 731793008-180878728,

zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem bekämpften Bescheid erteilte das BFA dem Beschwerdeführer (im zweiten Rechtsgang nach einer Zurückverweisung) keinen Aufenthaltstitel aus „berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ (Spruchpunkt I), erließ wider ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II), stellte fest, dass dessen Abschiebung „nach“ (gemeint: nach Nigeria) zulässig sei (Spruchpunkt III), verhängte ein 10-jähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt IV), gewährte für die freiwillige Ausreise keine Frist (Spruchpunkt V) und aberkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt VI).

2. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer befinde sich seit 2003 hier, seit 2008 in einer Lebensgemeinschaft mit der Mutter seiner beiden minderjährigen Kinder, sei zwar straffällig und vor zwei Jahren verurteilt worden, aber Inhaber einer nach seiner Haftentlassung verlängerten Rot-Weiß-Rot-Karte plus, welche bis 02.10.2020 gelte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer nigerianischer Staatsangehörigkeit weist seit Juni 2003 mit Ausnahme eines halben Jahres 2009/10 durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen im Inland auf. Seinen Asylantrag vom 14.06.2003 hat das BAA noch im selben Jahr abgewiesen, die Beschwerde dagegen wies der AsylGH am 11.10.2010 ab.

Von 12.09.2011 bis 22.02.2016 wohnte er mit kurzen Unterbrechungen (3 Monate 2015) mit seiner Lebensgefährtin gleicher Staatsangehörigkeit zusammen, was er seit 27.02.2017 wieder tut. In der gemeinsamen Unterkunft leben ferner die beiden mit der Lebensgefährtin gemeinsamen Kinder des Beschwerdeführers, 2009 und 2016 jeweils in Österreich geboren und seither hier. Diese hat eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus inne, die bis 05.02.2022 gilt.

Das LGS Graz hat den Beschwerdeführer am 13.03.2019 zu 20 Monaten Freiheitsstrafe wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels und der Vorbereitung von Suchtgifthandel verurteilt, weil er von Mai bis 12.09.2018, als er festgenommen wurde, 4 kg Cannabiskraut mit 480 g Reinsubstanz oder 24 Grenzmengen angekauft und gewinnbringend an diverse Personen verkauft sowie 4,92 kg davon mit 492 g Reinsubstanz oder 21,45 Grenzmengen in seinem Fahrzeug und seiner Wohnung hatte. Das OLG Graz erhöhte das Ausmaß der Freiheitsstrafe auf 24 Monate, die Rechtskraft trat am 19.06.2019 ein.

Er hatte 2011/12 eine Niederlassungsbewilligung und ist seit 29.12.2012 Inhaber jeweils einer Rot-Weiß-Rot-Karte plus. Seine derzeitige Rot-Weiß-Rot-Karte plus vom 03.10.2019 gilt bis 02.10.2020. Die Verlängerung der „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ hatte der Beschwerdeführer am 10.09.2019 beantragt.

Der Beschwerdeführer war von 12.09.2018 bis 10.01.2020 in Haft, aus der er bedingt entlassen wurde.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt des Verwaltungsaktes des BFA, einschließlich der Beschwerde und des Urteils des Strafgerichts, sowie dem Urteil des OLG Graz vom 19.06.2019, 8 Bs 151/19w. Außer Letzterem wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) ergänzend eingeholt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) (Stattgebung der Beschwerde und Aufhebung des Bescheids):

3.1 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels (Spruchpunkt I)

Im Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheids sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt werde. Damit war offensichtlich das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemeint (S. 50 des Bescheids, AS 298). Dem wäre durch die Richtigstellung des Spruchs Rechnung zu tragen, hätte dieser mit Ergehen der vorliegenden Entscheidung nicht gänzlich zu entfallen.

Das BFA hat in seiner rechtlichen Beurteilung ausgeführt, ein solcher Aufenthaltstitel nach § 57 sei von Amts wegen zu prüfen, wenn sich ein Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte (und nicht dem 6. Hauptstück [Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung] unterliege). Dabei verkannte es, dass sich Fremde nach § 31 Abs. 1 Z. 2 FPG rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind. Mit „Aufenthaltsberechtigung“ sind dabei Aufenthaltstitel gemeint (vgl. VwGH 20.12.2013, 2013/21/0111, wonach ein Aufenthaltstitel nach dem damaligen § 8 Abs. 1 Z. 10 NAG den Aufenthalt im Sinn des § 31 Abs. 1 Z. 2 FPG rechtmäßig macht, sowie Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, Anm. 2 zu § 31 FPG). Die „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ ist nach § 8 Abs. 1 Z. 2 NAG ein Aufenthaltstitel und damit eine Aufenthaltsberechtigung im Sinn des § 31 Abs. 1 Z. 2 FPG.

Nach dem FPG hält sich ein Fremder (soweit für den vorliegenden Sachverhalt relevant) rechtswidrig auf, wenn er eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 erhalten hat (§ 31 Abs. 1a Z. 4 FPG). Dies ist beim Beschwerdeführer jedenfalls nicht der Fall, seit ihm die Niederlassungsbewilligung und dann jeweils ein „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ erteilt wurden. Da somit auch aus dem FPG keine Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts des Beschwerdeführers folgt, war die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 nicht von Amts wegen zu prüfen. Der Spruchpunkt kann damit keinen Bestand haben und war aufzuheben.

3.2 Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II):

Im Spruchpunkt II stütz das BFA seine Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 5 FPG. Diesem zufolge hat das BFA eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Den Feststellungen nach verfügt der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, sodass die Anwendung dieser Bestimmung ausscheidet. Begründungshalber hat sich das BFA indes nicht darauf bezogen, sondern auf die Nichterteilung des Titels nach § 57 AsylG 2005, welche gemäß dessen § 10 Abs. 2 mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden sei.

Nach § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG ist, wie das BFA weiter ausführt, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ein Drittstaatsangehöriger sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Wie gezeigt, fehlt es einer Rückkehrentscheidung nach dieser Bestimmung fallbezogen an der Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts des Beschwerdeführers.

Nach § 52 Abs. 4 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der einer Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre (Z. 1), was aber angesichts des festgestellten Zeitablaufs – Erteilung der „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ nach Rechtskraft des Strafurteils – auch nicht der Fall ist.

Aus all dem folgt, dass mangels einer Rechtsgrundlage für die Rückkehrentscheidung – sei es nach § 52 Abs. 5 FPG wie im Spruch des bekämpften Bescheids, sei es nach § 52 Abs. 1 FPG wie in dessen Begründung – dieser Spruchpunkt II aufzuheben ist.

3.3 Zur Zulässigkeit der Abschiebung und zum Einreiseverbot (Spruchpunkte III und IV):

Die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers und die Verhängung des Einreiseverbots beruhen auf der – wie eben dargelegt – aufzuhebenden Rückkehrentscheidung. Demgemäß entbehren mit dem Entfall des Spruchpunkts II auch die Spruchpunkte III und IV einer Rechtsgrundlage und sind daher ebenfalls ersatzlos zu beheben.

3.4 Zur Ausreisefrist und zur aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkte V und VI):

Nach § 55 Abs. 1 FPG wird zugleich mit einer Rückkehrentscheidung eine Ausreisefrist festgelegt, es sei denn, dass einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt worden wäre, weil das BFA dann nach Abs. 4 von der Festlegung einer solchen Frist abzusehen hat.

Der in Spruchpunkt V getroffene Ausspruch über die Ausreisefrist, wonach eine solche gemäß der letztgenannten Bestimmung nicht gewährt werde, war demnach zusammen mit der Rückkehrentscheidung zu beheben, da es für die Anwendung von § 55 FPG mit deren Wegfall jedenfalls an der Tatbestandsmäßigkeit fehlt.

Entfällt aber die Rückkehrentscheidung, dann kann auch § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG nicht angewendet werden, wonach einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt werden muss, wenn die sofortige Ausreise eines Drittstaatsangehörigen (wie es das BFA annahm) im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Aus diesen Gründen waren die genannten Spruchpunkte V und VI ebenfalls ersatzlos zu beheben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum rechtmäßigen Aufenthalt.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Schlagworte

Abschiebung Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung berücksichtigungswürdige Gründe Einreiseverbot Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Haft Haftstrafe Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen rechtmäßiger Aufenthalt Rot-Weiß-Rot-Karte plus Rückkehrentscheidung Straffälligkeit Suchtgifthandel Suchtmitteldelikt Verbrechen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.1243913.3.00

Im RIS seit

05.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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