Entscheidungsdatum
13.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I408 2173393-1/21E
Schriftliche Ausfertigung des am 23.06.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX), geb. XXXX, StA. IRAK, vertreten durch Diakonie- und Volkshilfe, gegen den Bescheid des BFA RD Oberösterreich Außenstelle Linz (Ast) vom 21.07.2017, Zl. 1076759704-150803203, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in Österreich am 07.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung gab er zu seinem Fluchtgrund an, als Arzt einen Sunniten behandelt zu haben und deshalb von Sunniten und Schiiten mit dem Tod bedroht worden zu sein.
2. Am 24.04.2017 führte der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme aus, dass nachdem er eine Person mit Schussverletzungen behandelt hatte, eine bewaffnete Gruppe in das Krankenhaus gekommen sei, ihn geschlagen und mit dem Tod bedroht habe. Bei den Bewaffneten würde es sich um eine mächtige Miliz handeln. Im Anschluss daran habe er sich drei Monate bei einem Freund aufgehalten und dann den Irak verlassen.
3. Die belangte Behörde wies den Antrag des Beschwerdeführers mit dem im Spruch genannten Bescheid hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).
4. Gegen diesen Bescheid wurde am 08.08.2017 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
5. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde die Rechtssache dem erkennenden Richter zugewiesen.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.06.2020 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, in der das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet wurde.
7. Mit Schreiben vom 29.06.2020 wurde vom Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des gegenständlichen Erkenntnisses beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und bekennt sich zum muslimischen-schiitischen Glauben. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest
Der Beschwerdeführer stammt aus Bagdad und war dort bis zu seiner Ausreise aufhältig. Er absolvierte in der Ukraine sein Medizinstudium, weil dort ein Onkel von ihm als Arzt arbeitete. Nach Abschluss seines Studiums kehrte er in den Irak zurück und war bis zu seiner Ausreise 2015 als Arzt in verschiedenen Krankenhäusern beschäftigt.
Die Angehörige des Beschwerdeführers leben in guten wirtschaftlichen Verhältnissen. Sein Vater und zwei Brüder sind ebenfalls Ärzte, seine Mutter und eine Schwester Pharmazeutinnen und die anderen Geschwister weisen ebenfalls einen universitären Abschluss auf. Er hat regelmäßigen telefonischen Kontakt zu seiner Familie.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten, gesund und arbeitsfähig.
Er reiste schlepperunterstützt, unter Umgehung der Grenzkontrollen in Österreich ein und legte erst im April 2017 identitätsbezeugende Dokumente vor. Kurz nach seiner Antragstellung im Juli 2015 entzog er sich dem Asylverfahren, reiste illegal nach Schweden und stellte dort einen weiteren Asylantrag. Aus diesem Grund wurde das gegenständliche Asylverfahren ab 09.09.2015 eingestellt und erst nach seinem neuerlichen Auftauchen in Österreich wieder aufgenommen.
Der Beschwerdeführer erhält und bezieht seit Anbeginn Leistungen der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Nur von 19.05.2019 bis 19.10.2019 war er saisonal als Hilfsarbeiter in einem Gastronomiebetrieb erwerbsmäßig beschäftigt. Für diesen Zeitraum erhielt er auch keine staatlichen Unterstützungsleistungen. Er lebt mit zwei irakischen Freunden in einer privat angemieteten Wohnung.
Eine vom AMS für die Wintersaison vom 02.12.2019 bis 05.03.2020 bewilligte Saisonarbeitsstelle trat er nicht an, weil er damit erst im Jänner beginnen wollte. Ehrenamtlich engagierte er sich in den Jahren seines Aufenthaltes in einem Alten- und Pflegeheim, einer evangelischen Gemeinde, dem Bauhof der Gemeinde XXXX, beim Verein XXXX und wurde auch regelmäßig als Dolmetscher zwischen Ärzten und arabischsprechenden Patienten herangezogen. Über diese Aktivitäten hat er auch soziale Kontakte geknüpft. Er spricht Deutsch auf einem guten Niveau und hat am 25.06.2018 die Integrationsprüfung B1 bestanden. In den Jahren seines Aufenthaltes waren keine erfolgversprechenden Schritte, sein medizinisches Fachwissen über eine Nostrifizierung der universitären Abschlüsse einsetzen zu können, erkennbar. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine familiären Anknüpfungspunkte und es haben sich auch keine weiteren, besonders hervorzuhebenden, sozialen oder beruflichen Kontakte ergeben.
1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:
Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer den Irak aufgrund einer Bedrohung durch bewaffnete Milizen verlassen musste.
Der Beschwerdeführer war auch keiner sonstigen persönlichen Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt.
1.3. Zu allgemeinen Lage im Irak:
Seit dem Sieg über den IS kehrt der Irak nach den Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen und Übergriffen unter den einzelnen Bevölkerungsgruppen/religiösen Bekenntnissen langsam zur Normalität zurück und widmet sich verstärkt dem Wiederaufbau, der auch international unterstützt wird. Die Bekämpfung der Korruption, das Wiedererlangen von Vertrauen innerhalb der gespaltenen Gesellschaft, die Beseitigung der Zerstörungen der Infrastruktur und die Eingliederung der Milizen in die staatlichen Strukturen geht langsam vor sich, vielen zu langsam und das findet in unterschiedlichster Ausprägungen ihren Niederschlag (IS und Milizen zeigen in Form von gezielten Anschlägen ihre Präsenz, Bevölkerungsgruppen demonstrieren und bringen ihre Unzufriedenheit aktiv zum Ausdruck, etc). Sie haben sich aber zuletzt auf einem Niveau eingependelt, dass die damit verbundenen Vorfälle nicht zu einer unübersichtlichen Lage und eine, für jeden dort Aufhältigen unmittelbar, lebensbedrohliche Situation führen.
So sind im Gouverment Bagdad, mit einer Bevölkerung von mehr als 7 Millionen Menschen, von November 2019 bis Feber 2020 85 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 52 Toten und 94 Verletzten verzeichnet. Zudem kommt es seit 01.10.2019 zu teils gewalttätigen Demonstrationen. Eine systematische Verfolgung von Sunniten durch Schiiten ist aber nicht feststellbar.
Auch wenn derzeit im Irak die Fallzahlen der Corona-Pandemie im Steigen sind, ist daraus für einen gesundheitlich nicht beeinträchtigten jungen Mann keine unmittelbare Gefahr erkennbar.
Eine in den Irak zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen und der in seinem Herkunftsort Bagdad über Anknüpfungspunkte zu einer wirtschaftlich gut situierten Familie verfügt, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche oder lebensbedrohliche Lage versetzt.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde der Inhalt des Behördenaktes und alle von Beschwerdeführer im Laufe des gerichtlichen Verfahrens und in der Beschwerde vorgelegten Unterlagen herangezogen.
Zudem wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem AJ-WEB und der Grundversorgung (GVS) eingeholt und der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 dazu befragt und der Sachverhalt mit ihm in Anwesenheit seiner Rechtsvertreterin erörtert und abgeklärt.
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers und seiner Religionszugehörigkeit sowie zu der erst nachträglichen Vorlage von Identitätsdokumenten ergeben sich aus der Niederschrift zur Erstbefragung und der Befragung durch die belangte Behörde. Aus dem vorgelegten und in Ablichte aufliegenden irakischen Personalausweis, Staatsbürgerschaftsnachweis und Führerschein geht seine Identität zweifelsfrei hervor.
Die Feststellungen zur Dauer des Aufenthaltes in Österreich und zur Unterbrechung desselben durch seine Ausreise nach Schweden beruhen auf dem unzweifelhaften Inhalt des Behördenaktes sowie auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, wo er auf Nachfrage angab, dass er nach Schweden weitergereist sei, weil dort sein Cousin leben würde und er nicht gewusst habe, dass dies nicht zulässig wäre.
Aus den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass er aus Bagdad stammt, seine Angehörigen dort als Akademiker in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben und er dort auch Arzt gearbeitet hat. Aus den von ihm vorgelegten Unterlagen und seinen Angaben ergibt sich auch, dass er in der Ukraine Medizin studiert hat.
Die Feststellung zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers erschließt sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Auch aus der Aktenlage sind keinerlei Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen zu entnehmen.
Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse, die Lebensumstände und die Integration des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, den vorgelegten Dokumenten (Beschäftigungsbewilligung AMS vom 08.05.2019, Arbeitsbestätigung, Zeugnis zur Integrationsprüfung B1, Bestätigungen über ehrenamtliche Mitarbeit der jeweiligen Vereine bzw. Einrichtungen, zahlreiche Empfehlungsschreiben von Bekannten) und einem Auszug aus dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.
Hinweise auf ein Familienleben oder besonders intensive private Beziehungen in Österreich sind zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens hervorgekommen und wurde diesbezüglich auch kein Vorbringen erstattet. Zwar wurden zahlreiche Empfehlungsschreiben vorgelegt, maßgebliche Bindungen zu in Österreich lebenden Personen lassen sich daraus nicht ableiten.
Die Feststellung zu seinen guten Deutschkenntnissen erschließt sich aus dem vorgelegten Zertifikat auf Niveau B1 sowie dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung. Diese konnte im Wesentlichen auf Deutsch geführt werden.
Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung, ob der Beschwerdeführer in Österreich medizinisch tätig war, verneinte er dies. Begründend führt er dazu auf Nachfragen aus, dass ihm dies aus verschiedensten Gründen nicht möglich gewesen wäre. U.a. konnte er aufgrund seiner Aufenthaltsbeschränkung nicht Universitäten aufsuchen, an denen ein Medizinstudium angeboten wird. Diesen Ausführungen und Erklärungsversuche in der mündlichen Verhandlung ist kein echtes Bemühen zur ehestmöglichen Ausübung seines Arztberufes zu entnehmen, welches von einem Asylwerber mit dieser Ausbildung zu erwarten ist.
Der Bezug von Leistungen der Grundversorgung vor und nach seiner saisonbedingen Beschäftigung 2019 ist dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem sowie dem Auszug aus dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zu entnehmen. Die Feststellung des Nichtantrittes der bewilligten Beschäftigung in der Wintersaison 2019/20 beruht auf seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung. Im Ergebnis ist dem Beschwerdeführer auch nach einem fast fünfen Jahren Aufenthalt die Selbsterhaltungsfähigkeit abzusprechen.
Die Nichtfeststellbarkeit von sonstigen Anhaltspunkten, welche das Vorliegen einer außergewöhnlichen Integration nahelegen könnten, beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:
Zunächst ist festzuhalten, dass schon die belangte Behörde in ihrem Bescheid nachvollziehbar dargelegt hat, warum sie das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft erachtet.
Dem Beschwerdeführer wurde im Verfahren vor der belangten Behörde sowie im gegenständlichen Beschwerdeverfahren hinreichend die Möglichkeit geboten, in freier Erzählung sowie unter Beantwortung konkreter Fragen seine Fluchtgründe darzulegen.
Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, dass der den Irak aufgrund einer Bedrohung durch schiitische Milizen verlassen habe. Er habe als Arzt in der Notaufnahme des Krankenhauses einen Sunniten mit Schussverletzungen behandelt, worauf eine Gruppe von bewaffneten Milizionären den Beschwerdeführer aufgesucht, geschlagen und mit dem Tod bedroht habe.
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.
Das BVwG erachtet das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Bestehens einer Bedrohung im Irak aus den folgenden Erwägungen als nicht glaubhaft:
Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auf Nachfrage in der niederschriftlichen Einvernahme am 24.04.2017 angab, dass es im Irak keine konfessionell getrennten Krankenhäuser gebe. So habe er selbst über die Jahre zahlreiche Sunniten behandelt (Protokoll S. 7). Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer gerade durch die Behandlung eines einzelnen Sunniten die Aufmerksamkeit und in weiterer Folge eine Bedrohung durch schiitischen Milizen erfahren haben soll, welche ihn nach drei Monate zum Verlassen des Iraks bewegte. Der Beschwerdeführer konnte oder wollte diesbezüglich auch keine Begründung darlegen.
In der Erstbefragung am 07.07.2015 gab der Beschwerdeführer noch an, von beiden Seiten, also Sunniten und Schiiten, mit dem Tod bedroht worden zu sein (Protokoll S. 5). Es ist zum einen unglaubhaft, dass der Beschwerdeführer durch die Behandlung eines Sunniten von eben dessen Gruppe bedroht worden wäre und zum anderen widersprüchlich zu den weiteren Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren, wo eine Bedrohung von sunnitischer Seite nicht mehr vorgebracht wurde. Wer von einer „mächtigen“ schiitischen Miliz verfolgt wurde, hat dieses zentrale Element seiner Fluchtgeschichte bereits bei seiner Erstbefragung klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen, zumal es sich um den einzig relevanten Vorfall handelte und der Beschwerdeführer erst drei Monate danach geplant und wohlüberlegt den Irak verlassen hatte.
Unabhängig davon sprach er auch in der niederschriftlichen Einvernahme am 24.04.2017 zunächst nur von einer „mächtigen Miliz“ (Protokoll Seite 5) und erst auf Nachfrage im Zuge der Einvernahme von der Miliz Asa'ib Ahl al-Haq (Protokoll Seite 7). Es erscheint zudem unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer – selbst ein Schiit – eine Bedrohung durch eine schiitische Miliz erfahren haben soll.
Weiters ist es nicht glaubhaft, dass der Vater des Beschwerdeführers, welcher den fluchtauslösenden Vorfall bei der Polizei angezeigt hat, keinerlei Probleme mit den schiitischen Milizen bekommen haben soll, obwohl die Milizen angeblich die Polizei kontrollieren (Verhandlungsprotokoll, S. 7). Es wäre lebensnah und geradezu davon auszugehen, dass eine Person mit einer Anzeige an die Sicherheitsbehörden die Aufmerksamkeit ebendieser Gruppe auf sich ziehen würde und etwaige Vergeltung fürchten müsste. Laut den Angaben des Beschwerdeführers ist dies aber nicht der Fall, ganz im Gegenteil, seine Verwandten hatten bzw. haben alle keine Probleme in Bagdad (Verhandlungsprotokoll vom 23.06.2020, Seite 4), wodurch erneut die Glaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens des Beschwerdeführers belastet wird.
Unabhängig davon ist der Ablauf, Mitglieder von Milizen kommen in der Klinik unmaskiert in das Arbeitszimmer des Arztes, um ihn dort mit dem Tod zu bedrohen, töten ihn aber erst außerhalb des Krankenhauses, damit sie als Täter unbekannt bleiben, schlichtweg absurd und steht im Widerspruch zum behaupteten Einfluss und der ihr zugeschriebenen Macht.
Schließlich konnte der Beschwerdeführer auch nicht nachvollziehbar erklären, wie es ihm möglich gewesen sein soll, noch mehrere Monate nach dem Vorfall unbehelligt bei einem Freund zu leben, obwohl die Milizen nach ihm gesucht hätten. Gerade der von ihm geschilderte Ablauf, er sei sofort nach dem Vorfall zu einem Freund geflüchtet, habe von dort aus darüber seinen Vater und die Ärztekammer informiert und sei dann trotz Nachfragen der Milizen im Krankenhaus und in seinem Wohnort, noch drei Monate bei seinem Freund versteckt im Land geblieben, schwer nachvollziehbar.
All diese Ungereimtheiten und Widersprüche zeigen deutlich auf, dass es sich um eine konstruierte Fluchtgeschichte handelt.
2.4. Zu den Länderfeststellungen:
Die Feststellungen zur Lage im Irak basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020 und werden ergänzt durch den EASO Informationsbericht über den Irak mit Stand Februar 2019 sowie den Erwägungen des UNHCR mit Stand Mai 2019. Sie wurden zudem in der mündlichen Verhandlung mit dem Beschwerdeführer erörtert.
Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen nicht entgegen, sondern erwähnte nur, dass es im Irak von Dezember 2019 bis März 2020 mehrere Demonstrationen mit 700 Toten und 20.000 Verletzten gegeben habe. Diese Vorfälle werden einer „dritten Partei“ zugeschrieben, die Milizen selbst würden nicht genannt werden.
Bezüglich dieses Vorbringens ist jedoch festzuhalten, dass dies, abgesehen von den übertriebenen Zahlen nicht im Widerspruch zu den Ausführungen des Länderinformationsblatts steht. Eine relevante Verschlechterung der Sicherheitslage oder ein Beleg für eine überbordende Machtposition von Milizen kann daraus nicht entnommen werden und es vermag das entstandene Gesamtbild wesentlich zu beeinflussen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).
Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, vermochte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine wohlbegründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen.
Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben.
3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Dabei ist zu prüfen, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.
Betreffend die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz hat der Verwaltungsgerichtshof (insbesondere) auf den Maßstab des Art. 3 EMRK abgestellt. So hat der Verwaltungsgerichtshof (in Zusammenhang mit Afghanistan) auf die ständige Judikatur des EGMR verwiesen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 5.9.2013, Nr. 61204/09, I. gg. Schweden).
Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen. Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 mwN). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036; dem folgend aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 23.1.2018, Ra 2017/20/0361, mwN).
Dem Beschwerdeführer droht im Irak keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung. Es droht ihm auch keine reale Gefahr, im Falle seiner Rückkehr entgegen Art 2 oder Art 3 EMRK behandelt zu werden. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzungen des Art 2 oder Art 3 EMRK - was im Irak aufgrund der Sicherheitslage grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann - ist hingegen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend. Diese Lebensumstände betreffen sämtliche Personen, die im Irak leben und können daher nicht als Grund für die Zuerkennung eines Status eines subsidiär Schutzberechtigten herangezogen werden.
Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen. Bagdad zählt nicht zu den stark sicherheitsgefährdeten Regionen im Irak und das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers geht, wie dargelegt, ins Leere.
Das erkennende Gericht kann auch nicht erkennen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer dazu nichts vorgebracht hat, kann auch aus dem Länderberichten nicht erkannt werden, dass es ihm im Falle einer Rückführung in den Irak an jeglicher Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.
Der Beschwerdeführer ist ein gesunder und arbeitsfähiger junger Mann mit einer abgeschlossenen Ausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung als Mediziner. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben kann in Ansehung des Beschwerdeführers vorausgesetzt werden. Das BVwG geht demnach davon aus, dass der Beschwerdeführer im Irak grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit eigener Erwerbstätigkeit ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts zu erwirtschaften. Ferner ist davon auszugehen, dass er aufgrund der gehobenen wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Kernfamilie von dieser auch Unterstützung finden wird.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III., erster Satz des angefochtenen Bescheides):
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde unter Zitierung des § 57 AsylG 2005 zwar ausgesprochen hat, dass ein Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, dass sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides jedoch unzweifelhaft ergibt, dass die belangte Behörde tatsächlich rechtsrichtig über eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005 abgesprochen und eine solche nicht erteilt hat.
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.
3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III., zweiter Satz des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.
Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch eine geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu.
So ist grundsätzlich nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2014, 2013/22/0028)."
Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. April 2013, 2013/22/0106, mwN).
Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. etwa VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0058, mwN). Vielmehr wird verlangt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 10.4.2019 Ra 2019/18/0049, mwN).
Aus zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0122 bis 0125-7; VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0076-10) lässt sich zudem erkennen, dass eine Aufenthaltsbeendigung nach einem Aufenthalt von sechs Jahren im Bundesgebiet trotz vorhandener Integrationsschritte (Deutschkenntnisse, Selbsterhaltungsfähigkeit) im öffentlichen Interesse liegen kann und dass Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland die Interessen an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu stärken vermögen, sondern dass diese - letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen sind.
Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus den folgenden Gründen gegeben:
Das vorliegende Asylverfahren erreichte, gerechnet von der Antragstellung am 07.07.2015 bis zum Datum der nunmehrigen Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht am 23.06.2020 zwar eine Dauer von fünf Jahren, jedoch ist diese durch die zwischenzeitliche Ausreise des Beschwerdeführers nach Schweden ihm zu einem Teil selbst zuzurechnen. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers beruhte zudem auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb er während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann.
Ein schützenswertes Familienleben führt der Beschwerdeführer in Österreich nicht. Zu prüfen wäre daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer durchaus einige nennenswerte integrative Schritte gesetzt hat. So hat er die deutsche Sprache auf dem guten Niveau B1 erlernt, war einmal auch kurzzeitig erwerbstätig und hat zahlreiche ehrenamtliche Engagements sowie daraus resultierende private Bekanntschaften vorzuweisen. Er hat aber die Zeit in keiner Weise genutzt, um eine Nostrifizierung seines Universitätsabschlusses zu erlangen und damit einer Beschäftigung als Mediziner nachgehen zu können. Seine ehrenamtlichen Aktivitäten in diesem Umfeld (Übersetzungstätigkeiten, Mitarbeit in Altersheimen, Angebot zur Mitarbeit beim Roten Kreuz) ersetzen nicht das fehlende Engagement im Hinblick auf die Anerkennung der diesbezüglichen Abschlüsse, welches ihm bei seiner Bildung zumutbar und möglich sein müsste. Damit kann nicht von einer außergewöhnlichen Integration des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Auch die Ausübung einer saisondingte Hilfstätigkeit im Gastgewerbe für drei Monate sowie die Ablehnung einer bereits zugesagten Saisonarbeitsstelle und das damit verbundene Verbleiben in der Grundversorgung sprechen nicht dafür.
Darüber hinaus sind keine weiteren maßgeblichen Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass seinem Privatleben in Österreich im Verhältnis zu den legitimen öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung eine überwiegende und damit vorrangige Bedeutung zukommen würde.
Auch der Verfassungsgerichtshof erblickte in einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen einen kosovarischen (ehemaligen) Asylwerber keine Verletzung von Art 8 EMRK, obwohl dieser im Laufe seines rund achtjährigen Aufenthaltes seine Integration u.a. durch gute Kenntnisse der deutschen Sprache, Besuch von Volkshochschulkursen in den Fachbereichen Rechnen, Computer, Deutsch, Englisch, Engagement in einem kirchlichen Verein, erfolgreiche Kursbesuche des Ausbildungszentrums des Wiener Roten Kreuzes und ehrenamtliche Mitarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz sowie durch die Vorlage einer bedingten Einstellungszusage eines Bauunternehmers unter Beweis stellen konnte (VfGH 22.09.2011, U 1782/11-3, vgl. ähnlich auch VfGH 26.09.2011, U 1796/11-3).
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Darüber hinaus würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.")
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt auch eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Ausreise als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann. Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Ausreise aus.
3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III., dritter Satz des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Im gegenständlichen Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.
Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 - 0062).
Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Weiters steht der Abschiebung keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegen.
Im Ergebnis erweist sich damit eine Rückkehrentscheidung als zulässig.
3.6. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):
Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Derartige "besondere Umstände" wurden vom Beschwerdeführer nicht ins Treffen geführt und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen, sodass keine Veranlassung bestand, die Frist für die freiwillige Ausreise weiter zu verlängern.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seiner Entscheidung auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den, an der jeweiligen Stelle genannten, Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Abschiebung Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel begründete Furcht vor Verfolgung berücksichtigungswürdige Gründe Fluchtgründe freiwillige Ausreise Frist Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Interessenabwägung mündliche Verhandlung mündliche Verkündung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung schriftliche Ausfertigung subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2173393.1.00Im RIS seit
03.11.2020Zuletzt aktualisiert am
03.11.2020