TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/14 I414 2232833-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

14.07.2020

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §53 Abs2 Z5
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I414 2232833-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über

die Beschwerde

von XXXX, geb. XXXX, StA. UNGARN, vertreten durch Mag. Alexander VAJDA als Erwachsenenvertreter, dieser vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid

des

Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 25.05.2020, Zl.  XXXX,

zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die 49-jährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Ungarn, sie ist seit ihrer Einreise 2008 im österreichischen Bundesgebiet aufhältig. Seit 2014 verfügt die Beschwerdeführerin über eine Anmeldebescheinigung. In Österreich war die Beschwerdeführerin als Prostituierte tätig und weist mehrere Übertretungen nach den Bestimmungen der Prostitution auf. Im Jahr 2018 beantragte die Beschwerdeführerin die Bescheinigung des Daueraufenthaltes. Die Beschwerdeführerin leidet an einer psychischen Erkrankung im Sinne einer chronisch-produktiven paranoiden Schizophrenie. Sie befindet sich aktuell in einer betreuten Wohneinrichtung und wird durch den Psychosozialen-Dienst medizinisch versorgt. Für die Beschwerdeführerin wurde ein gesetzlicher Erwachsenenvertreter bestellt.

Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (kurz BFA oder als belangte Behörde bezeichnet) vom 04.03.2019 wurde die Beschwerdeführerin (kurz BF) davon in Kenntnis gesetzt, dass aufgrund ihrer zweimaligen Verstöße gegen Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, die Erlassung eines Aufenthaltsverbots beabsichtigt sei, und aufgefordert, sich zu äußern.

Mit Stellungnahme des gesetzlichen Erwachsenenvertreters vom 05.05.2019 wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die BF psychisch beeinträchtigt sei und sich aktuell in einer betreuten Wohneinrichtung befinde und durch den Psychosozialen-Dienst medizinisch versorgt werde. Die Strafverfügungen würden lange zurückliegen und eine Zukunftsprognose lasse keine weiteren Gefahren für die Gesellschaft erwarten, da die psychosozialen Umstände durch Wohnort und gerichtliche Erwachsenenvertretung stabilisiert seien.

Mit dem gegenständlich bekämpften Bescheid wurde gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein dreijähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und zugleich wurde gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.

Begründend wurde das Aufenthaltsverbot mit den mehrfachen Verstößen gegen Vorschriften gegen das Wiener Prostitutionsgesetz und einer Verurteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 06.04.2010, Zl. XXXX wegen das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 StGB.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, das Aufenthaltsverbot zu beheben, in eventu, das Aufenthaltsverbot zu verkürzen, in eventu, den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Begründend wurde in der Beschwerde zusammengefasst ausgeführt, dass die strafgerichtliche Verurteilung der BF mehr als 10 Jahre zurückliege und sie seither unbescholten sei. Wie bereits in der Stellungnahme ausgeführt, würden die Verwaltungsübertretungen, insbesondere vor dem Hintergrund ihrer psychischen Erkrankung, kein Aufenthaltsverbot rechtfertigen, zumal die BF im Besitz einer Kontrollkarte gewesen war und sich die Strafverfügungen sich nicht auf die Verletzung der Unterziehung von ärztlichen Untersuchungen bezögen. Das Verhalten der BF habe das Grundinteresse der Gesellschaft an der Bekämpfung ansteckender Krankheiten nicht verletzt. In Anbetracht dessen könne nicht von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgegangen werden.

Darüber hinaus befinde sich die BF seit 2008 durchgehend in Österreich und spreche sehr gut Deutsch. Zwar seien ihre sozialen Bindungen nicht sehr ausgeprägt, dies sei jedoch auf Grund ihrer psychischen Erkrankung nicht vorwerfbar. Zu berücksichtigen sei, dass die BF aktuell in einer betreuten Wohneinrichtung lebe und dort medizinisch versorgt werde. Ihr Zustand habe sich aufgrund der Wohnsituation, der medizinischen Betreuung und der gerichtlichen Erwachsenenvertretung stabilisiert. Der Wegfall dieser Umstände würde ihren gesundheitlichen Zustand drastisch verschlechtern.

Aufgrund eines Auskunftsersuchens des Bundesverwaltungsgerichtes wurde mit Schreiben vom 13.07.2020 der aktuelle Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt hinsichtlich der gerichtlichen Erwachsenenvertretung der BF übermittelt.

Aufgrund eines Auskunftsersuchens des Bundesverwaltungsgerichtes wurde mit Schreiben vom 13.07.2020 der aktuelle Verwaltungsstrafregisterauszug hinsichtlich der BF übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die 49-jährige BF ist ungarische Staatsbürgerin. Sie hat acht Jahre in Ungarn die Pflichtschule besucht. Sie spricht ungarisch und deutsch. Sie hat eine in Budapest lebende nicht deutschsprechende volljährige Tochter.

Die BF lebt seit 2008 durchgehend in Österreich. Ihr wurde am 17.11.2014 eine Anmeldebescheinigung als Selbstständige ausgestellt.

In Österreich war die BF vom 01.01.2010 bis 30.11.2016 als Prostituierte erwerbstätig und in dem Zeitraum vom 10.01.2013 bis 30.11.2016 kranken- und unfallversichert.

Die BF leidet an einer chronisch-produktiven paranoiden Schizophrenie.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 04.01.2019, Zl.XXXX wurde ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt. Seither wird die BF vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie in finanziellen Angelegenheiten vertreten.

Die BF ist aktuell in einer betreuten Wohneinrichtung und wird durch den Psychosozialen-Dienst medizinisch versorgt.

Aus dem Verwaltungsstrafregister sind nachfolgende Vormerkungen vermerkt:

Die BF wurde am 13.09.2019 wegen Anbahnung der Prostitution in Wohngebieten nach § 9 Abs 2 lit. a Wiener Prostitutionsgesetz (WPG), am 12.09.2018 wegen fehlender Kontrollkarte und Anbahnung der Prostitution in Wohngebieten nach §§ 4 lit. c und 9 Abs 2 WPG, am 20.06.2018 wegen Anbahnung der Prostitution in Wohngebieten nach § 9 Abs 2 WPG, sowie 3 Übertretungen im Jahr 2016 wegen Anbahnung der Prostitution in Wohngebieten nach § 9 Abs 2 WPG, abgestraft.

Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt, den vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht aufgrund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahren und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die Feststellungen zur Identität der BF und zu ihren persönlichen Verhältnissen beruhen auf den unbedenklichen Akteninhalt.

Die Feststellung, wonach die BF seit 2008 durchgehend in Österreich lebt, ergibt sich aus der Stellungnahme des gesetzlichen Erwachsenenvertreters vom 05.06.2019, aus den Feststellungen des gegenständlichen Bescheides des BFA vom 25.05.2020, aus dem Beschwerdeschriftsatz vom 25.06.2020 sowie aus dem Auszug aus dem Melderegister.

Die Feststellung, wonach der BF am 17.11.2014 eine Anmeldungsbescheinigung als Selbständige ausgestellt wurde, ergibt sich aus dem Auszug aus dem Fremdenregister.

Die Feststellung, wonach die BF vom 01.01.2010 bis 30.11.2016 als Prostituierte erwerbstätig war und in dem Zeitraum vom 10.01.2013 bis 30.11.2016 kranken- und unfallversichert war, ergibt sich aus einer Anfragebeantwortung der gewerblichen Sozialversicherungsanstalt vom 22.03.2019.

Die Feststellung, wonach die BF an einer chronisch-produktiven paranoiden Schizophrenie leidet, ergibt sich dem im Auftrag des Pflegschaftsgerichtes erstellten psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 19.02.2019, sowie aus der Stellungnahme des gesetzlichen Erwachsenenvertreters und dem Beschwerdeschriftsatz.

Die Feststellung, wonach mit Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 04.01.2019, Zl. XXXX, ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt wurde und die BF seither vor Gerichten, Behörden sowie in finanziellen Angelegenheiten vertreten wird, ergibt sich aus dem im Akt vorliegenden Beschluss des BG Leopoldstadt vom 04.01.2019 sowie vom Beschluss des BG Leopoldstadt vom 03.02.2020 zu Aktenzahl XXXX.

Die Feststellung, wonach die BF aktuell in einer betreuten Wohneinrichtung untergebracht ist und durch den Psychosozialen-Dienst medizinisch versorgt wird, ergibt sich aus der Stellungnahme des gerichtlichen Erwachsenenvertreters, aus dem psychiatrisch-neurologischen Gutachten, aus dem Beschwerdeschriftsatz sowie aus dem Melderegisterauszug.

Ebenfalls die Übertretungen nach den Wiener Prostitutionsgesetz vom 13.09.2019, 12.09.2018, 20.06.2018 sowie die Übertretungen im Jahr 2016 ergeben sich aus dem aktuellen Auszug aus dem Verwaltungsstrafregister vom 13.07.2020. Die in den Feststellungen des BFA angeführten 23 Übertretungen nach dem WPG sind getilgt und scheinen im aktuellen Verwaltungsstrafregisterauszug nicht auf.

Die Feststellung, wonach die BF in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus den aktuellen Strafregisterauszug, gleichwohl die BF am 06.04.2010 wegen das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer vier Monaten Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren, bedingt nachgesehen, verurteilt wurde. Diese Strafe ist bereits getilgt, daher gilt die BF als strafgerichtlich unbescholten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Die BF ist Staatsangehörige Ungarns und somit als Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist [Abs. 3 Z 1]), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Für den gegenständlichen Fall ergibt sich Folgendes:

Die BF hält sich seit 2008 durchgehend im Bundesgebiet auf und daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG („der weitere Aufenthalt der BF die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch einen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet“) anzuwenden. Die belangte Behörde führt dementgegen aus, dass das persönliche Verhalten der BF eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die Grundinteressen der Gesellschaft darstellt. Somit hat die belangte Behörde den falschen Gefährdungsmaßstab für ihre Beurteilung herangezogen.

Die belangte Behörde stützt die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auf die bereits getilgte gerichtliche Verurteilung und die zahlreichen Strafverfügungen wegen Anbahnung der Prostitution in Wohngebieten und einer Strafverfügung wegen fehlender Kontrollkarte.

Dabei lässt die belangte Behörde außer Acht, dass die strafgerichtliche Verurteilung aus dem Jahr 2010 bereits getilgt ist und die BF somit als unbescholten gilt. Darüber hinaus weist die BF aktuell 8 Übertretungen nach dem Wiener Prostitutionsgesetz auf.

Das Gericht übersieht nicht, dass in der Anbahnung der Prostitution in Wohngebieten ein hoher Störwert inne ruht. Zur Wertung dieses Fehlverhaltens ist zu beachten, dass eine rechtskräftige Bestrafung wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, den Tatbestand nach § 53 Abs. 2 Z 5 FPG für die Erlassung eines Einreiseverbotes erfüllt. Allgemeine Voraussetzung eines solchen ist, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. § 53 Abs. 3 FPG sieht Einreiseverbote für die Dauer von höchstens zehn Jahren bzw. unbefristet vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. In § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 leg. cit. sind bestimmte Tatsachen genannt, die insbesondere eine solche schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen können. Bei diesen Tatbeständen sind Verstöße gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, nicht genannt. Nun enthält der im vorliegenden Fall anzuwendende § 67 Abs. 1 FPG ("der weitere Aufenthalt des BF die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch einen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet ") einen höheren Gefährdungsmaßstab als § 53 Abs. 3 leg. cit. ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"). Stellen Verstöße der genannten Art gegen das Wiener Prostitutionsgesetzt nicht einmal einen Tatbestand für das Vorliegen der Gefährdung nach § 53 Abs. 3 FPG dar, so gilt dies nach dem dargelegten Stufenbau der Gefährdungsmaßstäbe umso mehr für die hier vorzunehmende Beurteilung nach § 67 Abs. 1 leg. cit. Erst wenn aus dem Verhalten der Fremden abzuleiten ist, dass sie weiterhin die Prostitution ausüben wird, ohne zugleich ihrer Verpflichtung zur regelmäßigen amtsärztlichen Untersuchungen fristgerecht nachzukommen, liegt eine für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes relevante erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und eine Verletzung des Grundinteresses der Gesellschaft an der Bekämpfung ansteckender Krankheiten vor. (vgl. VwGH 07.05.2014, 2013/22/0233).

Da aufgrund der obigen Ausführungen aus dem Verhalten der BF keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in maßgeblicher Intensität abgeleitet werden kann, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie unzulässig. Eine Prüfung, ob der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in ihr Privat- und Familienleben verhältnismäßig wäre, muss daher mehr nicht vorgenommen werden. Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen die BF im Ergebnis nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde aufzuheben. Dies bedingt auch die Aufhebung der darauf aufbauende Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids (Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs).

Sollte die BF in Zukunft strafgerichtlich verurteilt werden oder ihrer Verpflichtung zur regelmäßigen amtsärztlichen Untersuchungen nicht fristgerecht nachkommen, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie neuerlich zu prüfen sein.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, kann eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach strafgerichtlicher Verurteilung, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub erhebliche Intensität ersatzlose Behebung Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Gesamtbeurteilung Gesamtverhalten AntragstellerIn Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen Persönlichkeitsstruktur Privat- und Familienleben private Interessen psychische Erkrankung Straffälligkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2232833.1.00

Im RIS seit

05.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten