TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/14 I419 2147190-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.07.2020
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Entscheidungsdatum

14.07.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 2147190-1/9E
I419 2141948-1/10E
I419 2213265-1/6E
I419 2213263-1/6E
I419 2213267-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 05.01.2017, Zl. 1070025700-150533855, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 09.11.2016, Zl. 1070025907-150533893, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.12.2018, Zl. 1096821404-151870499, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.12.2018, Zl. 1096821600-151870502, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

5. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.12.2018, Zl. 1143690305-170231484, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer, hier als BF und gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch als BF1 bis BF5 bezeichnet, sind Verwandte. BF2 ist der Vater, BF3, seine Gattin, die Mutter der beiden Töchter BF4 und BF5. BF1 ist der Bruder von BF2.

2. Die BF stellten 2015 Anträge auf internationalen Schutz (BF5 nach ihrer Geburt), begründet mit Furcht vor dem Daesh und der angeblichen Bedrohung als Sunniten. Das BFA wies diese mit den bekämpften Bescheiden betreffend die Status von Asylberechtigten ab und zuerkannte den BF jeweils den Status von subsidiär Schutzberechtigten.

3. Die Beschwerden richten sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten. Der Vater von BF1 und BF2 habe für die Amerikaner gearbeitet, sich aber später geweigert, das auch für den Daesh zu tun, und im Herkunftsstaat der BF würden Sunniten verfolgt und vertrieben.

4. Das BFA hat zwei weiteren, 2018 und 2019 in Österreich geborenen Kindern von BF2 und BF3 jeweils ebenfalls subsidiären Schutz zuerkannt, aber keinen Asylstatus erteilt, wobei gegen deren Bescheide keine Beschwerde erhoben wurde und diese auch nicht als in Beschwerde gezogen gelten (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0252).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zu den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern:

Die erwachsenen BF sind zwischen Mitte 20 und Mitte 30, BF4 und BF5 noch nicht in der Volksschule. Sie sind Sunniten arabischer Muttersprache und stammen aus Bagdad, wo BF1 und BF2 sieben oder acht Jahre in die Schule gingen, BF3 eine nicht feststellbare Zahl von Jahren.

BF1 und BF2 haben Verwandte im Herkunftsstaat, darunter einen Cousin, der in Bagdad im Stadtteil Sadr City wohnt (früher Hay Saddam, Saddam-Viertel). Dieser ist wohlauf, und BF1 hat Kontakt mit ihm. Ein weiterer Cousin ist Arzt in Schweden, eine Cousine lebt in Norwegen.

BF3 wohnte bei ihren Eltern in Bagdad, wo genau ist nicht feststellbar. Diese, Mitte 50 und Anfang 60, wohnen nach wie vor in Bagdad, auch im Viertel Sadr City, ferner wohnen dort zwei Schwestern von BF3. Die Familie stammt aus Tikrit. In Bagdad hält sich auch ihr Bruder auf, der sonst mit der dritten Schwester in Malaysia wohnt, aber zur Beschaffung von Dokumenten dorthin musste.

Außer den BF und den beiden jüngsten Kindern von BF2 und BF3 wohnen noch weitere Angehörige von BF1 und BF2in derselben Unterkunft in Wien, und zwar deren Eltern, Mitte 60, drei Brüder, Mitte 20 bis Anfang 30, sowie zwei Schwestern, knapp und Anfang 20. Diese Personen haben Anträge auf internationalen Schutz gestellt, die das BFA 2018 sowohl betreffend den Status von Asyl- als auch den von subsidiär Schutzberechtigten abwies. Gegen diese Bescheide sind Beschwerdeverfahren anhängig.

Dennoch befindet sich der Großteil der Familie von BF1 und BF2 im Herkunftsstaat. Auf dem Weg über die Eltern ist auch BF2 informiert, wie es den Verwandten im Herkunftsstaat geht.

BF1 und BF2 zogen 2006 mit ihren Eltern und Geschwistern von Bagdad in den Bezirk Mosul in der Provinz Ninewa, wo die Familie herstammt, und nach rund einem halben Jahr in die Stadt Mosul, ins Viertel 17. Juli (Hay 17 Tammoz). BF2 begab sich danach noch mindestens zweimal nach Bagdad, im Sommer 2012 um BF3 vorgestellt zu werden, die er nach wenigen Tagen heiratete und nach Mosul mitnahm, und 2013 um einen Staatsbürgerschaftsnachweis zu erlangen.

Im Mosul wohnten sie nach eigenen Angaben bis zum Einmarsch des Daesh, worauf sie nach Asch-Schirqat in der Nachbarprovinz Salah ad-Din zu einem Onkel von BF1 und BF2 gezogen und wenig später ausgereist seien. Es kann nicht festgestellt werden, wann die BF den Herkunftsstaat verlassen haben und ob dies zugleich oder unterschiedlichen Zeiten war.

BF1 und BF2 reisten im Mai 2015 illegal ein, BF3 ebenso illegal mit BF4 im Oktober 2015. Es kann nicht festgestellt werden, von wo im Herkunftsstaat aus sie die Ausreise begannen.

1.2 Zur Situation im Herkunftsstaat:

In den angefochtenen Bescheiden wurden die Länderinformationsblätter der Staatendokumentation zum Irak von 08.04.2016 (BF 1, BF2) und 24.08.2017 (weitere BF) zitiert. Aktuell steht ein zuletzt am 17.3.2020 aktualisiertes Länderinformationsblatt zur Verfügung. Im gegebenen Zusammenhang sind davon folgende Informationen relevant und werden festgestellt:

1.2.1 Islamischer Staat (IS)

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

1.2.2 Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vgl. FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).

Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).

In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).

Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vgl. TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vgl GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).

Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vgl. USDOS 21.6.2019). Einige PMF gehen jedoch auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 11.3.2020).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).

Geleitet wurden die PMF von Jamal Jaafar Mohammad, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Mahdi al-Mohandis, einem ehemaligen Badr-Kommandanten, der als rechte Hand von General Qasem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden fungierte (GS 18.7.2019). Am 3.1.2020 wurden Abu Mahdi Al-Muhandis und Generalmajor Qassem Soleimani bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Als Rechtfertigung diente unter anderem ein Raketenangriff, der der Kataib-Hezbollah (KH) zugeschrieben wurde, auf einen von US-Soldaten genutzten Stützpunkt in Kirkuk, bei dem ein Vertragsangestellter getötet wurde (MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020).

Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 23.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 23.2.2020).

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der „Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak“ wurde später zum „Obersten Islamischen Rat im Irak“ (OIRI), siehe Abschnitt „Politische Lage“]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie die Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen (Süß 21.8.2017). Die Badr-Organisation besteht offiziell aus elf Brigaden, kontrolliert aber auch einige weitere Einheiten (FPRI 19.8.2019). Zu Badr und seinen Mitgliedsorganisationen gehören Berichten zufolge die 1., 3., 4., 5., 9., 10., 16., 21., 22., 23., 24., 27., 30., 52., 55. und 110. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Bei den Wahlen 2018 bildete die Badr-Organisation gemeinsam mit Asa‘ib Ahl al-Haqq und Kata‘ib Hizbullah die Fatah-Koalition (Wilson Center 27.4.2018), die 48 Sitze gewann (FPRI 19.8.2019), 22 davon gewann die Badr-Organisation (Wilson Center 27.4.2018). Viele Badr-Mitglieder waren Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). Die Badr-Organisation strebt die Erweiterung der schiitischen Macht in den Sicherheitskräften an, durch Wahlen und durch Eindämmung sunnitischer Bewegungen (Wilson Center 27.4.2018). Badr-Mitglieder und andere schiitische Milizen misshandelten und misshandeln weiterhin sunnitisch-arabische Zivilisten, insbesondere Sunniten im ehemaligen IS-Gebiet (FPRI 19.8.2019).

Die Kata’ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hezbollah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und bis zu seinem Tode 2019 auch angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist (Süß 21.8.2017). Kata’ib Hizbullah bilden die 45. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018). Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von mindestens 400 bis zu 30.000 Mann (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center). Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata’ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017). Ihr Anführer Jamal Jaafar Ibrahimi alias Abu Mahdi al Muhandis war auch stellvertretender Leiter der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission (Al-Tamini 31.10.2017).

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak (Süß 21.8.2017). Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch (Clingendael 6.2018). Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern (Süß 21.8.2017). Asa‘ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018).

Die Harakat Hezbollah al Nujaba (HHN, Bewegung der Partei der Edlen Gottes) ist ein Ableger von Kata’ib Hizbullah und Asa‘ib Ahl al-Haqq, die 2013 zur Unterstützung des Assad Regimes in Syrien von Sheikh Akram al Ka‘abi gegründet wurde. Die pro-iranische HHN hat eigenen Angaben zufolge etwa 9.000 Kämpfer, von denen einige nach wie vor in Syrien aktiv sind. Sie stellt die 12. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017).

Die Kata‘ib Sayyid al Shuhada (KSS, Meister der Märtyrerbrigade), ist eine Miliz, die im Mai 2013 gegründet wurde, um an der Seite des Assad-Regimes in Syrien zu kämpfen. Nach dem Aufstieg des IS im Jahr 2014 dehnte die KSS ihre Operationen auf den Irak aus und war insbesondere im Gouvernement Salah ad-Din, aber auch in Anbar und Ninewa aktiv. Geschätzt auf über 2.000 Kämpfer im Jahr 2017, wird die KSS von den Iranischen Revolutionsgarden (Islamic Revolutionary Guards Corps, IRGC) unterstützt und finanziert (Wilson Center 27.4.2018). Sie stellt die 14. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017).

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali as-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam sind der militärische Arm der Sairoun Partei (Allianz für Reformen, Marsch in Richtung Reform). Diese ist eine multiethnische, nicht-konfessionelle (wenn auch meist schiitische), parlamentarische Koalition, die sich aus anti-iranischen Schiiten-Parteien, der Kommunistischen Partei und einigen anderen kleineren Parteien zusammensetzt (FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam bilden mindestens drei Brigaden und stellen damit das zweitgrößte Kontingent der PMF. Muqtada as-Sadr verkündete, dass die Saraya as-Salam-Brigaden die Durchführungsverordnung von Premierminister Mahdi sofort annehmen würden und fortan nur noch unter den ihnen zugeteilten Nummern, 313, 314 und 315, bekannt sein würden. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Sadr auch weiterhin großen Einfluss auf diese Milizen haben wird (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass schätzungsweise 15.000 weitere seiner Kämpfer außerhalb der PMF-Brigaden organisiert sind (Wilson Center 27.4.2018).

Auch die Kata’ib al-Imam Ali (KIA, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). […]

Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

Die PMF genießen auch breite Unterstützung in der irakischen Bevölkerung für ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat nach dem teilweisen Zusammenbruch der irakischen Armee im Jahr 2014 (TDP 3.7.2019). Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017).

Einige PMF haben sich Einkommensquellen erschlossen, die sie nicht aufgeben wollen, darunter Raub, Erpressung und Altmetallbergung (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass die PMF einen Teil der lokalen Wirtschaft in Ninewa kontollieren, was von diesen zurückgewiesen wird (Reuters 29.8.2019). Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distrikt-Vorsteher und andere Amtsträger auszuüben (ACCORD 11.12.2019). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

Neben der Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017).

1.2.3 Minderheiten

Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.1.2019). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 4.3.2020). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 11.3.2020).

Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 12.1.2019). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt. Zudem ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen – eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.1.2019).

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer-Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.1.2019).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.1.2019; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der KRI durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017). Es gibt auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 13.3.2019). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.1.2019).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in dem ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Gouvernement Diyala (AA 12.1.2019). Im Gouvernement Ninewa wurden alle Distriktverwaltungen angeordnet, dem Bundesgesetz von 2017 folge zu leisten und den Familien von PMF-Märtyrern, die im Kampf gegen den IS gefallen sind (zumeist Schiiten), Land zuzuweisen. Diese Anordnung schloss auch Distrikte mit sunnitischer und nicht-muslimischer Mehrheit ein. Es kam zu Widerstand unter Verweis auf das in der Verfassung verankerte Verbot eines erzwungenen demografischen Wandels, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya (USDOS 21.6.2019). […]

Die territoriale Niederlage des IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräften gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdische Bewohner auszogen, und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber (FH 4.3.2020). Aufgrund der konfliktbedingten internen Vertreibungen und Rückkehrbewegungen hat sich seit 2014 die Demographie einiger Gebiete von mehrheitlich sunnitisch zu mehrheitlich schiitisch bzw. zu konfessionell gemischt entwickelt, insbesondere in den Gouvernements Bagdad, Basra und Diyala. Im Distrikt Khanaqin in Diyala ist die Anzahl der Orte mit einer sunnitischen Mehrheit von 81 auf 73 gesunken, jene mit einer kurdisch-sunnitischen Mehrheit von 20 auf 17. Im Gouvernement Babil sind vormals arabisch-sunnitisch-schiitische Mischstädte wie Jurf al-Sakhr und Musayab vollständig schiitisch geworden. In der KRI hat die Präsenz sunnitischer Araber zugenommen, sodass die Anzahl der Orte mit einer sunnitisch-arabischen Mehrheit seit 2014 von 2 auf 25 angewachsen ist (IOM 2019).

Ebenso wurde ein Rückgang von assyrischen Christen in vormals gemischt-konfessionellen Regionen im Gouvernement Ninewa verzeichnet, sowie von vormals ethnisch-konfessionell gemischten Orten in den Distrikten Mossul, Sinjar und Telfar, in denen die Zahl der kurdischen Sunniten, Jesiden und Schabak zurückging. Im Gouvernement Diyala sind turkmenisch-sunnitische Mischgebiete verschwunden, während sich die turkmenische Präsenz in der Region um Kirkuk verstärkt zu haben scheint (IOM 2019).

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt (AA 12.1.2019). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.1.2019).

Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020). Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul (USCIRF 4.2019).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

1.3 Zum Fluchtvorbringen:

1.3.1 Die erwachsenen BF – BF4 und BF5 haben keine eigenen Fluchtgründe – haben im Wesentlichen vorgebracht, als Sunniten vor schiitischen Milizen, konkret der Mahdi-Armee, später Saraya as-Salam, aber auch Asa‘ib ahl al Haqq geflohen, und seit Angriffen des Daesh auch vor diesem auf der Flucht zu sein. BF1 hat auch von Verfolgung durch Al Khaida berichtet (AS 59).

1.3.2 Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF (soweit bereits geboren) den Herkunftsstaat aus anderen als aus Gründen der allmeinen Sicherheit verlassen hätte. Es kann nicht festgestellt werden, dass sie eine Verfolgung oder eine Bedrohung durch Asa‘ib Ahl al-Haqq oder eine andere Miliz erlitten hätten, ebenso wenig, dass der Daesh gedroht hätte, BF1 oder BF2 oder jemand von ihren Geschwistern umzubringen.

1.3.3 Es kann nicht festgestellt werden, dass den BF private Verfolgung droht, weil der Vater von BF1 und BF2 2012 zwei Sprengstoffattentäter angezeigt hätte.

1.3.4 Es kann nicht festgestellt werden, dass den BF aus anderen, und sei es auch unterstellten, Gründen der politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Herkunftsstaat staatliche Verfolgung oder eine private Verfolgung drohen würde, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könnte oder wollte.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben im Rahmen der Verhandlung, wo die BF (außer BF5) als Partei befragt wurden, und durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der Angaben der BF sowie in die vorgelegten Urkunden.

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und der Gerichtsakten. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Integrierten Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zu den Personen:

2.2.1 Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen, dem Gesundheitszustand und der Glaubenszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben der BF und die Feststellungen der bekämpften Bescheide, ebenso zu Ausbildung und Tätigkeit der erwachsenen BF, jeweils aktualisiert durch die jüngsten Angaben bei der Verhandlung. Wo in Bagdad BF3 zuletzt gewohnt hat, kann nicht genau festgestellt werden, weil ihre Angaben dazu in der Beschwerdeverhandlung (S. 7) nicht nachvollziehbar sind. Sie sagte einerseits, sie hätte alleine gewohnt und markierte eine Gegend im Norden des Stadtbezirks Mansour auf einem Luftbild (Washash und Iskan), andererseits, dass sie im benachbarten Stadtbezirk Kerch (Karkh) gewohnt habe, aber nicht allein: „Wir wohnten in Kerch.“ Auf die zuvor gestellte Frage, wo sie zuletzt gewohnt habe, gab sie allerdings an: „In Elam bei den Eltern habe ich gewohnt.“ Dieses Viertel (Al Alam, Hayy Al-A'amel, Amil) liegt allerdings im Stadtbezirk Rasheed (Al Rashid).

2.2.2 Betreffend den Ausreisezeitpunkt war keine genauere Feststellung möglich, weil BF1 und BF2 erstbefragt angegeben haben, sie seien am 15.08.2014 mit der Familie nach Istanbul gefahren, und zwar „mit dem Bus“ (AS 9, 11 bzw. 13, 15), BF3 dagegen, sie habe den Ausreiseentschluss im Oktober 2014 gefasst und von Bagdad aus im Oktober 2014 mit dem Auto und anderen Verkehrsmitteln den Irak verlassen, und zwar mit der Familie von BF2 (AS 13, 15).

Demgegenüber gab BF2 beim BFA wiederum abweichend an, sie seien von Erbil nach Istanbul geflogen (AS 99) und BF1, sie seien am 15.08.2014 in die Türkei geflogen (AS 54). BF3 erklärte dann beim BFA ebenfalls, am 15.08.2014 mit der Familie geflüchtet zu sein, nämlich aus Mosul (AS 83). In der Beschwerdeverhandlung gab BF3 dann an (S. 8), sie habe im Oktober 2014 in Mosul gewohnt, auf Vorhalt dann aber, dass sie ganz sicher im August geflohen sei (S. 8 f) sowie, dass sie von Mosul aus in die Türkei sei, wobei BF3 keinen Pass gehabt hätte, sodass sie die Türkei erst hätten verlassen können, als sie diesen Pass gehabt hätten. (S. 9)

Neben den unterschiedlichen Angaben betreffend die Zeiten und Örtlichkeiten ist zu den angeblichen Verkehrsmitteln noch bemerkenswert, dass eine Flugreise Irak-Türkei ohne Reisepass schwer vorstellbar erscheint, noch dazu aus Erbil, der Hauptstadt der Kurdenregion.

2.2.3 Die Ausbildung von BF3 betreffend erwies sich, dass diese nach der Erstangabe (12 Jahre, AS 9) und der beim BFA („mit Matura abgeschlossen“, AS 83) in der Beschwerdeverhandlung aussagte, sie habe die Matura nicht abgeschlossen, die zweite und dritte Schulstufe wiederholt, und sei dadurch auf 12 Schuljahre gekommen. Die Schule habe sie beendet, als sie ca. 13 gewesen sei (und gab dazu das Schuljahr an, in dem sie 15 wurde). Auf den Vorhalt, dass sie nicht mit 13 bereits 12 Schuljahre hinter sich gehabt haben könne, gab sie an, dass das schon so lange her sei, nach dem Bürgerkrieg könne sie sich an nichts mehr erinnern.

2.2.4 Nach all dem waren zu den genannten Themen keine genaueren Feststellungen möglich.

2.3 Zum Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie z. B. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstands, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die BF haben in der Verhandlung zu den Länderberichten vorgebracht, es sei sicher noch viel schlimmer als beschrieben (BF3, S. 10), die Tatsachen seien ganz anders, was da stehe, habe mit der Wahrheit gar nichts zu tun, z. B. sei Bagdad drei Tage zuvor von drei Raketen der Asa‘ib ahl al Haqq und anderer Milizen angegriffen worden (BF1, S. 15), und der Bericht sei völlig oberflächlich, das Leben spiele sich anders ab, die Schiiten hätten die Macht und die Mehrheiten. Die meisten Sunniten hätten Bagdad verlassen, und die, die noch dort seien, hätten verwandtschaftliche oder andere Beziehungen zu Sunniten (BF2, S. 18 f).

Die BF traten den Quellen und ihren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren damit nicht substantiiert entgegen.

2.4 Zum Fluchtvorbringen

2.4.1 Wie bereits beim BFA vermochten die Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung kein plausibles Geschehen darzulegen, das ihn zur Flucht veranlasste.

2.4.2 Erstbefragt haben BF1 und BF2 übereinstimmend angegeben (die erste Niederschrift wurde anscheinend fast gänzlich kopiert und in das zweite Dokument eingefügt, daher Seitenangaben von BF1), sie hätten zuletzt in Mosul gewohnt und am 05.08.2014 den Ausreiseentschluss gefasst (AS 8). An diesem Tag sei der Daesh bei ihnen eingedrungen, und sofort seien sie nach Asch-Schirqat geflohen. Dort seien sie aber bombardiert worden, weshalb sie am 15.08.2014 den Herkunftsstaat verlassen hätten müssen. Sie hätten Angst, getötet zu werden. Auch BF3 gab erstbefragt an, sie hätten sehr viel Angst vor dem Daesh, es gebe keine Möglichkeit, ein sicheres Leben zu führen, sodass sie sich zur Flucht entschlossen hätten. (AS 17)

Im folgenden Jahr beim BFA einvernommen, führte BF1 aus, sie seien 2006 aus Bagdad geflohen, nachdem sie von der Mahdi-Armee einen Brief mit der Aufforderung erhalten hätten, das Wohngebiet zu verlassen, dem eine Munitionspatrone beigelegen sei. (AS 55) Der Vater habe dann in Mosul Sozialeinrichtungen renoviert und gebaut und zwei große Aufträge gehabt. Der Daesh habe davon erfahren und den Vater erpresst. Dieser hätte kooperieren und Geld geben sollen, sonst würde einer der Söhne umgebracht. Sie hätten eine Bombe unter einem Mistkübel in der Nähe des Hauses installiert. Die Polizei, die der Vater verständigt habe, hätte dann die Situation lösen können. Sie hätten noch ein paar weitere Monate in Mosul gelebt, wo es leider viele Explosionen mit Todesopfern und andere Tötungen gegeben habe. Als der Daesh dann in Mosul eingerückt sei, seien sie geflüchtet. Das sei sein einziger Fluchtgrund.

Bereits hier ist festzuhalten, dass der Daesh schon Anfang Juni 2014 in Mosul einrückte und die Stadt am 10.06.2014 vollständig kontrollierte. Das korrespondiert nicht mit einem Ausreiseentschluss am 05.08.2014.

2.4.3 BF2 gab dem BFA gegenüber 2016 an, der Vater habe Probleme gehabt, weil er für die Amerikaner tätig gewesen sei, und die ganze Familie habe Bagdad 2006 verlassen. Ab 2012 sei der Vater in Mosul in der Baubranche gewesen und habe Schulen restauriert und renoviert. Terroristen in Mosul hätten erfahren, dass der Vater für die Amerikaner tätig gewesen sei, und diesen erpresst, wobei sie Schutzgeld oder eines von dessen Kindern verlangt hätten. Etwa nach einer Woche, im April 2012, habe der Vater aus dem Fenster einen großen Kübel gesehen, in dem Bomben und sehr viele Kabel gewesen seien. Er habe die Polizei gerufen, die diesen entschärft hätte. Am selben Abend habe der Vater Anrufe von den Terroristen bekommen, warum er die Polizei gerufen hätte. Diese hätten angekündigt, alle 7 Kinder zu töten. (AS 97)

Dabei fällt auf, dass die angebliche Erpressung unterschiedlich berichtet wird, und schließlich die Drohung von einem Kind auf alle ausgedehnt wird. Ferner berichtete im Gegensatz zu BF1 der (5 Jahre ältere) BF2 nichts von einem Drohbrief mit einer Patrone.

In der Beschwerdeverhandlung kam dazu, dass BF1 zwei von der Familie angeblich der Polizei angezeigte Sprengstoffattentäter mit Vornamen und der Ergänzung nannte, dass deren Familie nun an den BF Rache nehmen wolle. Das passt ebenso wenig zum längeren folgenden Verbleib der BF in Mosul bis 2014 wie die Zeitangaben (BF2: Bombe im April 2012 bzw. BF1: Verbleib in Mosul [Anm.: nur] noch ein paar weitere Monate nach dem Bombenfund).

2.4.4 Beim BFA 2018 befragt, gab BF3 als Fluchtgrund an: „Wegen der Kriegssituation im Irak, man kann dort unten nicht leben. Wegen unserer Zukunftsaussichten auch, meiner, meiner Kinder und meines Gatten. Wir haben im Irak wegen der Kriegssituation nichts gelernt, ich will, dass meine Kinder ganz normal aufwachsen und hier zu[r] Schule gehen können.“ (AS 84)

Nach Bedrohungen gefragt, gab sie dann an, ihr Bruder und ihr Vater seien von Asa‘ib ahl al Haqq bedroht worden, der Bruder 2015 geflohen.

In der Beschwerdeverhandlung ergänzte sie, die Mahdi-Armee, habe vom Besuch des BF2 erfahren, der 2012 nach Bagdad gekommen sei, um sie kennenzulernen. Sie hätten den Vater von BF3 bedroht, weil dieser mit BF2 zu tun gehabt habe, der als Schwiegersohn aufgetreten sei.

Ferner gab sie in der Beschwerdeverhandlung an, ihre Eltern hätten zunächst in Elam (Al Elam, Al Alam im Südwesten von Bagdad) gewohnt. Wegen der Erpressung durch Asa‘ib ahl al Haqq, die Schutzgeld oder auch Waffen gewollt hätte, seien sie ins Saddam-Viertel (Sadr City) gezogen. Asa‘ib ahl al Haqq hätte auch wissen wollen, wo sie BF2 finden, weil dieser dort gemeldet gewesen sei. (S. 7)

Nach der beim BFA berichteten Bedrohung von Vater und Bruder gefragt, gab BF3 in der Beschwerdeverhandlung an: „Sie haben von meinem Vater Schutzgeld und Waffen verlangt. Inzwischen hatten sie ihren Namen geändert in Saraya as-Salam.“ Anschließend gab sie noch erstmals an, diese hätten ein Kuvert mit einer Patrone geschickt und es unter der Türe durchgeschoben. (S. 7, 9)

Abgesehen von der Steigerung des Vorbringens fällt auf, dass die beim BFA berichtetet Bedrohung (des Vaters und des Bruders) durch Asa‘ib ahl al Haqq nun zu einer (nur des Vaters) durch die (2008 aufgelöste) Mahdi-Armee bzw. die (2014 gegründete) Saraya as-Salam wurde. Den Zeitpunkt der Bedrohung ließ BF3 in der Beschwerdeverhandlung trotz Frage offen. Das legt nahe, dass BF3 an Ort und Stelle wenig mit Milizen der Schiiten zu tun hatte.

Bemerkenswert ist ferner, dass ihr Vater unstrittig all die Jahre am Flughafen Bagdad arbeitete und immer noch in Bagdad wohnt, auch wenn die BF zu diesem Vorhalt in der Beschwerdeverhandlung angaben, dieser sei nun Pensionist (S. 10), seit ewig in der Position gewesen und habe Beziehungen gehabt (S. 14), und zudem in Frühpension gedrängt worden (S. 18).

2.4.5 Schließlich hat BF2 im Zusammenhang mit seiner Verlobung und der angeblichen Verfolgung in Bagdad in der Beschwerdeverhandlung angegeben, dass er sich wegen der Heirat (2012) in Bagdad registrieren lassen wollte, um eine Art Meldezettel von dort zu bekommen. Er sei immerhin von dort, erst 2006 nach Mosul gezogen, und habe eine Frau aus Bagdad heiraten wollen. Mit einem solchen Ausweis hätte er Vorteile z. B. beim Lebensmittelbezug gehabt. Der zuständige Polizeibeamte hätte BF2 aber als eine Person an Asa‘ib ahl al Haqq verraten, die aus Mosul komme, weshalb BF2 in Bagdad gesucht sei und umgebracht würde. (S. 17 f) Anschließend stellte sich allerdings in der Verhandlung heraus, dass BF2 dem BFA nicht nur ein „Staatsbürgerschaftszeugnis“ von 2010 aus Mosul vorgelegt hat, sondern auch einen „Staatsbürgerschaftsnachweis“ vom 12.11.2013 aus Bagdad.

Es schadet der Glaubwürdigkeit der Behauptung, in Bagdad gesucht zu sein und umgebracht zu werden, und zwar seit 2012, nicht unbeträchtlich, dass BF2 offenbar keine Schwierigkeit hatte, sich das letztgenannte Dokument in Bagdad zu verschaffen. Bei einer entsprechenden Situation wäre auch zu erwarten, dass ein solches Vorbringen früher erstattet worden wäre, jedenfalls nach dem (in der Verhandlung erstmals erwähnten) angeblichen viermaligen Befragen des Schwiegervaters nach BF2 samt Hausdurchsuchung beim Schwiegervater 2019.

2.4.6 Alles in allem sind die Schilderungen über die angeblichen Bedrohungen durch schiitische Milizen bei allen BF weder schlüssig noch lebensnah und auch wenig substantiiert, und damit nicht geeignet, ihr Zutreffen anzunehmen. Die BF vermochten aber auch nicht, die von ihnen ins Treffen geführten Angriffe und Drohungen durch Daesh oder einzelne Bombenleger sowie deren Familie glaubhaft zu machen. Letzteres liegt unter anderem daran, dass völlig offenblieb, warum die BF nach den diversen Erpressungen und Drohungen, der Bombe vor dem Haus und der Gefahr der Rache vonseiten der Familie der Angezeigten noch mehr als zwei Jahre (April 2012 bis Juni oder August 2014) in Mosul hätten verbleiben sollen.

2.4.7 Daneben spielen weitere Unstimmigkeiten nur noch eine die Glaubhaftigkeit weiter belastende Rolle, z. B. die Diskrepanz zwischen den Angaben betreffend den Einmarsch des IS in Mosul (BF1 erstbefragt 05.08.2014 AS 11, später beim BFA 10.06.2014, „Am 14.06.2014 hatte der IS Mosul unter Kontrolle.“, AS 97). Auch angesichts der korrekten Daten – der Daesh hatte Mosul am 10.06. in der Hand – ebenso wie des zuletzt behaupteten (annähernd richtigen) Datums bleibt die Frage, warum die BF nicht zumindest dann sofort das Weite gesucht haben, sondern erst im August, besonders auch, weil BF2 angab, einen Tag nachdem sie (angeblich am 14.06.) nach Asch-Schirqat geflohen seien, wäre der Daesh auch dort bereits gewesen.

Es wurde – als eine andere Unstimmigkeit – auch keine nachvollziehbare Erklärung für die behauptete Verfolgung der BF durch den Daesh angeboten, zumal sich auch die Angaben betreffend die Berufstätigkeit des Vaters von BF1 und BF2 widersprechen. BF1 gab an, dieser habe in Mosul „soziale Einrichtungen erbauen lassen bzw. renoviert“, insgesamt aber nur ca. 4 Monate in Mosul gearbeitet. Zuvor in Bagdad habe der Vater einen Vertrag mit den Amerikanern gehabt und eine Schule renoviert. (AS 55 f) BF2 dagegen gab an, der Vater habe ab 2012 in Mosul Schulen restauriert und renoviert. (AS 97) Auch die Berufstätigkeit von BF1 als Kellner in einem Restaurant, bis zu dreimal wöchentlich in einem anderen Teil Mosuls (soweit seine Eintragungen im Luftbild bei der Beschwerdeverhandlung, S. 12) wirft die Frage auf, wie sie mit der behaupteten Gefährlichkeit vereinbar war („Seitdem mein Vater bedroht wurde, sind wir kaum hinausgegangen.“ AS 57), oder gar mit dem laut BF2 durch den Vater verhängten Hausarrest („Danach durften wir das Haus nicht mehr verlassen“, AS 97, inhaltsgleich in der Einvernahme beim BFA am 17.09.2018, S. 5).

2.4.8 In der Verhandlung hat BF2 angegeben, einen Monat zuvor, im Ramadan, hätte der Daesh in Tikrit Personen aus der Familie von BF3 überfallen. Dieser hätte im selben Monat auch Überfälle in Bagdad und Babil unternommen und sei um Bagdad herum sowie in Mosul wieder sehr aktiv. Inwieweit das Schlüsse auf eine Verfolgung der BF aus Konventionsgründen zulasse, wurde indes nicht näher erklärt.

2.4.9 Wie festgestellt, wohnen auch weiterhin Verwandte der BF im Herkunftsstaat. Eine generelle Verfolgung arabischer Sunniten in Bagdad ist aus den Länderberichten (zumal Sunniten wie die BF dort sowohl in eigenen oder in gemischten Stadtteilen wohnen) nicht feststellbar (vgl. VwGH 29.06.2018, Ra 2018/18/0138; 25.04.2017, Ra 2017/18/0014), eine individuelle solche wegen der Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit konnten die BF nicht glaubhaft machen.

Unter Berücksichtigung all dessen ist es den BF auch im Beschwerdeverfahren, wie bereits beim BFA, nicht gelungen, substantiiert und nachvollziehbar darzutun, dass sie deshalb eine Verfolgung oder eine Bedrohung durch Asa‘ib Ahl al-Haqq, eine andere Miliz oder den Daesh erlitten hätten, das BF1 oder BF2 wegen ihrer Familienzugehörigkeit Verfolgung zu erwarten hätten, oder dass einem oder einer der BF Verfolgung oder Diskriminierung drohen würde, weil die BF Sunniten oder weil sie Araber sind, und auch nicht, dass ihnen aus anderen, und sei es auch unterstellten, Gründen der politischen Gesinnung, Rasse, Religion oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Herkunftsstaat staatliche Verfolgung oder eine private Verfolgung drohen würde, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könnte oder wollte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.2 Zum Vorbringen der BF – sie würden als Sunniten generell, aber auch als Angehörige ihrer bedrohten Familien Verfolgung durch Milizen, den Daesh und Private Verfolgung zu erwarten haben – ist festzuhalten, dass das Geschilderte soweit es die behaupteten Erlebnisse der BF vor der Ausreise und deren Kausalität als Fluchtgründe betrifft – wie es bereits das BFA sah (S. 59, AS 129 f bei BF1, S. 67 f, AS 195 f bei BF2, S. 177 f, AS 267 f bei BF3) – sich als vage, abstrakt und wenig glaubwürdig erwies, im Laufe des Verwaltungsverfahrens und hernach vor dem Verwaltungsgericht modifiziert und gesteigert wurde und damit in seiner Gesamtheit nicht geeignet war, um festzustellen, es entspräche den Tatsachen.

3.3 Wie die Feststellungen zeigen, haben die BF damit

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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