Entscheidungsdatum
20.07.2020Norm
AsylG 2005 §57Spruch
G310 2223710-2/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über den Antrag von XXXX , geboren am XXXX , StA. Serbien, vertreten durch XXXX , auf Wiederaufnahme des vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 05.05.2020, G310 2223710-1/3E, abgeschlossenen Verfahrens beschlossen:
A) Dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird nicht stattgegeben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Feststellungen:
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2019, Zl. XXXX wurde der Antrag der Antragstellerin auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien festgestellt (Spruchpunkt III.), der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.), keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen die Antragstellerin ein vierjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.09.2019, G310 2223710-1/2E, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.05.2020, G310 2223710-1/3E, wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. als unbegründet abgewiesen (Spruchteil A)). Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wurde insofern Folge gegeben, dass es zu lauten hat: „Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“ (Spruchteil B)). Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids wurde Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben (Spruchteil C)). Eine Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (Spruchteil D)).
Eine dagegen erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unter der GZ. E 2195/2020-2 nach wie vor dort anhängig.
Mit Schreiben vom 10.07.2020 beantragte die Antragstellerin die Wiederaufnahme des durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts abgeschlossenen Verfahrens, da neue Tatsachen bzw. Beweismittel bekannt geworden seien, die im Verfahren von der Antragstellerin ohne Verschulden nicht geltend gemacht werden haben können. Dabei handelt es sich um eine Empfehlung des UN CEDAW Comittees vom 26.06.2020, worin im Hinblick auf eine drohende Zwangsehe bzw. einen befürchteten Ehrenmord empfohlen werde, die Abschiebung der Antragstellerin nach Serbien nicht durchzusetzen, und ein E-Mail von Orient Express vom 25.06.2020, wonach kein Frauenhaus in Serbien bereit gewesen sei, die Antragstellerin aufzunehmen, weswegen sie obdachlos und ohne Schutz in XXXX gewesen wäre.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens und der Gerichtsakten des BVwG, so dass sich eine eingehende Beweiswürdigung erübrigt.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
Der Antrag auf Wiederaufnahme ist laut § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
Ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG setzt unter anderem voraus, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0403, mwN). Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist (vgl. VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0510, mwN).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs können Tatsachen und Beweismittel im Sinn des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens bereits vorhanden waren und deren Verwertung der Partei jedoch ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde, nicht jedoch, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt. Dieser Wiederaufnahmegrund ermöglicht nicht die neuerliche Aufrollung eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens in Fragen, die im früheren Verfahren hätten vorgebracht werden können. Der Wiederaufnahmegrund des Hervorkommens neuer Tatsachen oder Beweismittel kann von vornherein nur ein Umstand sein, der den Sachverhalt betrifft, der dem das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheid/Erkenntnis zugrunde gelegt wurde. Eine in einem anderen Verfahren geäußerte Rechtsansicht kann niemals einen solchen Wiederaufnahmegrund darstellen. Auch das nachträgliche Erkennen, dass im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Verfahrensmängel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der Behörde vorgelegen seien, bildet keinen Wiederaufnahmegrund nach dieser Bestimmung (vgl. VwGH 30.04.2019, Ra 2018/10/0064, mwN).
Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0403, mwN).
Ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund nur dann tauglich, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0510, mwN).
Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sein. Es ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wieder aufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor einer höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, das die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG - die wie oben ausgeführt auf die Bestimmungen des § 32 VwGVG anzuwenden sind - handelt es sich beim "Verschulden" im Sinne des Abs. 1 Z 2 um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, 94/07/0063; 10.10.2001, 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB), ist irrelevant (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz 589; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 36 ff.).
Eine Wiederaufnahme setzt nicht Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wieder aufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft; ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Sachverhaltsänderungen nach Abschluss des wieder aufzunehmenden Verfahrens haben bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme außer Betracht zu bleiben (VwGH 13.12.2002, 2001/21/0031; 07.09.2005, 2003/08/0093; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; siehe dazu weiters Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz. 591, die in diesem Zusammenhang von einem "höheren Grad der Wahrscheinlichkeit" sprechen).
Für den vorliegenden Fall ist Folgendes festzuhalten:
Beide Schreiben sind erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem BVwG entstanden XXXX , was keinen Grund für eine Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen kann (vgl. zB. VwGH 08.11.1991, 91/18/0101; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 19.03.2003, 2000/08/0105).
Soweit sich die Antragstellerin auf die Empfehlung des CEDAW-Ausschusses im Hinblick auf die vorläufige Nichtdurchsetzung der Abschiebung bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass daraus nicht konkret hervorgeht, weswegen ein nicht wiedergutzumachender Schaden für die Antragstellerin zu befürchten ist und wurde eine drohende Zwangsehe bzw. ein befürchteter Ehrenmord durch die Familie der Antragstellerin bereits im abgeschlossenen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebracht.
Somit konnte kein tauglicher Wiederaufnahmegrund geltend gemacht werden, sodass dem Antrag auf Wiederaufnahme nicht stattzugeben war.
Zu Spruchteil B)
Zum Unterbleiben einer Beschwerdeverhandlung:
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleibt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil der maßgebliche Sachverhalt ist aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen im Wiederaufnahmeantrag als geklärt anzusehen ist. Zudem wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung auch nicht beantragt.
Zu Spruchteil C):
Die Revision war nicht zu zulassen, weil das BVwG keine qualifizierte Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zu lösen hatte und sich an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte.
Schlagworte
mangelnder Anknüpfungspunkt Voraussetzungen Wegfall der Gründe WiederaufnahmeantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2223710.2.00Im RIS seit
04.11.2020Zuletzt aktualisiert am
04.11.2020