TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/21 I407 1417178-2

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Veröffentlicht am 21.07.2020
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Entscheidungsdatum

21.07.2020

Norm

AVG §69 Abs1 Z1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §32
VwGVG §32 Abs1 Z1
VwGVG §32 Abs2
VwGVG §32 Abs3

Spruch

I407 1417178-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Einzelrichter über den Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 26.08.2019 auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.12.2019, Zl. I407 1417178-1/7E, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens beschlossen bzw. zu Recht erkannt:

A)       Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG als verspätet zurückgewiesen.

B)       Das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.12.2019, Zl. I407 1417178-1/7E, rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren wird gemäß § 32 Abs. 3 iVm Abs. 1 Z 1 VwGVG von Amts wegen wiederaufgenommen.

C)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Der damalige Beschwerdeführer, Herr XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, stellte im Jahr 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet und gab dabei an, aus Algerien zu stammen und algerischer Staatsbürger zu sein. Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.12.2010 abgewiesen.

2.       Nach Durchführung einer Verhandlung wurde mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.12.2014, Zl. I407 1417178-1 7/E, das Verfahren hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten eingestellt und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

3.       Dem ehemaligen Beschwerdeführer wurden daraufhin 2016 eine „Aufenthaltsberechtigung plus“, 2017 eine „Rot-Weiß-Rot-Karte (plus)“ und 2018 ein Aufenthaltstitel mit dem Zweck „Familienangehöriger“ ausgestellt.

4.       Im Zuge eines Verlängerungsantrages des zuletzt ausgestellten Aufenthaltstitels legte Herr XXXX der BH XXXX einen tunesischen Reisepass vor, woraufhin die Behörde Mitteilung an die Antragstellerin aufgrund des Verdachts, dass der damalige Beschwerdeführer im Asylverfahren wissentlich falsche Angaben zu seiner Identität bzw. Herkunft gemacht habe, erstattete.

5.       Mit Schriftsatz vom 26.08.2019 stellte die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens an das Bundesverwaltungsgericht, da der damalige Beschwerdeführer sich das Erkenntnis vom 04.12.2014 gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 erschlichen habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der oben unter I. dargestellte und sich vollständig aus dem vorliegenden Verwaltungsakt sowie dem vorliegenden Vorakt des Bundesverwaltungsgerichtes ergebende Verfahrensgang wird festgestellt.

Festgestellt wird, dass ein Wiederaufnahmegrund vorhanden ist, da der Verdacht besteht, dass das vorangegangen Erkenntnis durch die Täuschung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Herkunft bzw. die Staatsangehörigkeit des damaligen Beschwerdeführers erschlichen wurde.

Festgestellt wird, dass es sich bei dem vorgelegten Reisepass um ein neues Beweismittel handelt, welches in Verbindung mit den Aussagen des ehemaligen Beschwerdeführers geeignet sein kann, ein anderes Ergebnis herbeizuführen.

Es konnte nicht festgestellt werden, wann die Antragstellerin Kenntnis von dem dem gegenständlichen Antrag zugrundeliegenden Sachverhalt erlangt hat, es wird jedoch festgestellt, dass der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht fristgerecht gestellt wurde.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie der nunmehr dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Gerichtsakten zu den GZ I407 1417178-1 und I407 1417178-2.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A): Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens:

Gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist (Z1) oder neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruches anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten (Z2), oder das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde (Z3), oder nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte (Z4).

§ 32 Abs. 2 VwGVG normiert, dass der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen ist. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

§ 32 VwGVG entspricht dabei weitgehend - mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit - den diesbezüglichen Bestimmungen des AVG (Fister/Fuchs/Sachs, VwGVG § 32, ErläutRV 2009 BlgNr. 24. GP, S 171). Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (im Folgenden: VwGH) zu § 69 AVG ist daher auch für das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung maßgebend, ob der Antrag auf Wiederaufnahme innerhalb der gesetzlich vorgesehenen objektiven Frist von 3 Jahren gestellt wurde.

Das gegenständliche Erkenntnis wurde am 04.12.2014 mündlich verkündet und am 15.12.2014 schriftlich ausgefertigt. Die Antragstellerin hat den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens am 26.08.2019 gestellt. Die in § 32 Abs. 2 VwGVG normierte objektive Antragsfrist von drei Jahren wurde daher nicht eingehalten und der Wiederaufnahmeantrag der Antragstellerin verspätet eingebracht.

Wird der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht innerhalb der im Gesetz bestimmten Frist gestellt, so ist er als verspätet zurückzuweisen (VwGH vom 23.06.1995, Zl. 95/17/0149).

Ermittlungen hinsichtlich der Einhaltung der subjektiven Antragsfrist von zwei Wochen konnten unterbleiben, da eindeutig feststeht, dass die objektive dreijährige Frist jedenfalls verstrichen ist, sodass der Antrag auf Wiederaufnahme spruchgemäß zurückzuweisen war.

Zu Spruchteil B): Amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens:

Gemäß § 32 Abs. 3 VwGVG kann ein Verfahren auch von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 leg. cit. wiederaufgenommen werden. Aber auch diesfalls ist die objektive Frist von 3 Jahren, außer beim Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes des § 32 Abs. 1 Z. 1 VwGVG, vom Bundesverwaltungsgericht einzuhalten. Die Antragstellerin macht in ihrem Antrag einen Grund nach Z 1 geltend, nämlich, dass der damalige Beschwerdeführer das Erkenntnis durch die Täuschung über seine Herkunft bzw. Staatsangehörigkeit erschlichen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hielt mit Erkenntnis vom 31.8.2015, Ro 2015/11/0012 (vgl. auch VwGH 28.06.2016, Ra 2015/10/0136), unter Verweis auf die Materialien zu § 32 VwGVG fest, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet seien und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden könne.

Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG (bzw. gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG) hat nach herrschender Ansicht absoluten Charakter; es kommt nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich ein anders lautender Bescheid ergangen wäre (VwGH 08.06.2006, 2004/01/0470; vgl. auch VwGH 25.09.1990, Zl. 86/07/0071, VwGH 6.11.1972, 1915/70; siehe weiters Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69 Rz 27). Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts hat die Bewilligung bzw. Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht allein die Zulässigkeit einer neuerlichen Entscheidung der schon einmal entschiedenen Sache zur Folge, sondern darüber hinaus auch die Aufhebung der seinerzeitigen Entscheidung (VwGH 21.11.2002, 2001/07/0027). Der das vorangegangene, das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid tritt bereits im Zeitpunkt der Erlassung (Zustellung) der Bewilligung (Verfügung) der Wiederaufnahme des Verfahrens außer Kraft (VwGH 23.03.1977, 1341/75 [verstärkter Senat], VwGH 13.11.1986, 86/08/0163, VwGH 17.11.1995, 93/08/0114).

Im gegenständlichen Fall besteht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedenfalls der Verdacht, dass der damalige Beschwerdeführer die damalige belangte Behörde sowie das Bundesverwaltungsgericht durch die Verschleierung seiner Staatsangehörigkeit getäuscht haben könnte. Ob diese Täuschung geeignet war, ein anderslautendes Ergebnis herbeizuführen, ist für die Wiederaufnahme nicht entscheidungsrelevant, sodass schon aufgrund des bestehenden Verdachtes das Verfahren von Amts wegen wieder aufzunehmen war.

Mit Erlassung des gegenständlichen Erkenntnisses tritt das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.12.2014, Zl. I407 1417178-1/7E, ex tunc außer Kraft (vgl. Hengstschläger-Leeb, AVG § 70 AVG Rz 6) und ist das Verfahren neu zu führen.

Da die Sachlage aufgrund des von der Antragstellerin in ihrem Wiederaufnahmeantrag erstatteten Vorbringens als geklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben. Im vorliegenden Fall liegen keine widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft. Vielmehr ist die hier zu beantwortende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG vorliegt, rechtlicher Natur. Im Übrigen fällt ein Wiederaufnahmeantrag grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK (vgl. VwGH 29.05.2017, Ra 2017/16/0070).

Zu Spruchteil C): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Wie bereits oben ausgeführt, wurde § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG nach den Materialien der Bestimmung des § 69 AVG nachempfunden, weshalb auf die einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG zurückgegriffen werden kann. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

amtswegige Wiederaufnahme Erschleichen falsche Angaben Fristablauf Fristüberschreitung Fristversäumung Identität Rechtskraft der Entscheidung Reisedokument Rot-Weiß-Rot-Karte plus subsidiärer Schutz Täuschung verspäteter Antrag Verspätung Wiederaufnahmeantrag Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I407.1417178.2.00

Im RIS seit

03.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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