Entscheidungsdatum
22.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W196 2160863-1/32E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch RA Mag. Patrick O. KAINZ, LL.M., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.04.2017, Zl. 1018964607+14619795, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 22.07.2021 erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III. bis IV. werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, reiste als damals Minderjähriger illegal und schlepperunterstützt nach Österreich ein und stellte am 16.05.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Der Beschwerdeführer gab bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.05.2014 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Vater und sein Bruder XXXX , welche in Mogadischu als Gemüseverkäufer gearbeitet und die in Hargeysa wohnhafte Familie unterstützt hätten, im Jahr 2011 erschossen worden seien. Danach sei seine Mutter mit drei seiner Geschwister nach Mogadischu zurückgekehrt und habe ihn und seine Schwester XXXX in Hargeysa bei einer namentlich genannten Bekannten zurückgelassen, weil sie nicht genug Geld für die Rückreise der gesamten Familie gehabt habe. Da diese Bekannte im Zuge einer Familienzusammenführung 2011 nach Äthiopien gereist sei, habe sie den Beschwerdeführer und seine Schwester dorthin mitgenommen und beide ca. 3 Monate später nach ihrer Abreise nach Europa dort zurückgelassen. Er kenne den derzeitigen Aufenthaltsort seiner Mutter und seiner Geschwister in Somalia nicht und habe keinen Kontakt mehr zu ihnen.
Weiters brachte er vor, er sei sunnitischer Moslem und ledig, gehöre dem Clan der Hawiye an und habe bisher sieben Jahre die Grundschule besucht (2003 bis 2004 in Mogadischu, danach bis 2010 in Hargeysa), sei jedoch noch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen.
3. Mit Beschluss eines inländischen Bezirksgerichtes vom 09.10.2014 wurde die Obsorge über den minderjährigen Beschwerdeführer dem örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger übertragen.
4. Einer Bestätigung vom 19.07.2016 von XXXX ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer seit 12.07.2016 wegen einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ eine Psychotherapie in Anspruch nimmt.
5. Nach zahlreichen Urgenzen zur Verfahrenserledigung wurde seitens der bevollmächtigten Deserteurs- und Flüchtlingsberatung ua. ein ÖSD-Deutsch-Zertifikat A2 vom 04.04.2016 für den Beschwerdeführer vorgelegt.
6. Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 03.02.2017 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, Somalisch sei seine Muttersprache, er spreche aber auch Arabisch, Deutsch und Englisch. Er sei gesund und nehme auch keine Medikamente. Er sei in Mogadischu geboren und habe ab 2010 in Hargeysa gelebt. Er sei in Somalia nicht wegen seiner Nationalität verfolgt worden. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Hawiye, des Clans der XXXX und gehöre dem Stamm der XXXX , Subclan XXXX an. Er sei sunnitischer Moslem und gläubig. Von 2003 bis 2010 habe er in Mogadischu die Schule besucht. Er habe in Somalia nicht gearbeitet, erst später in Libyen. Sein Vater und sein Bruder XXXX seien 2011 umgebracht worden. Den Aufenthaltstort seiner Mutter kenne er nicht. Er habe keine Onkel und Tanten. Sein Vater habe ein großes Obst- und Gemüsegeschäft betrieben und ein Haus besessen, seine Mutter sei Hausfrau gewesen. Er habe Hargeysa im Mai 2011 verlassen und sei illegal nach Äthiopien, im Februar 2012 in den Sudan und im März 2012 nach Libyen gekommen, wo er seine Schwester XXXX verloren habe. Am 16.05.2014 sei er illegal nach Österreich eingereist. Er sei vom Schlepper geschlagen worden, weil er nicht habe bezahlen können, und habe dann dafür auf Baustellen 11 Monate lang arbeiten müssen. Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, dass am 16.11.2010 seine Probleme begonnen hätten. Er sei wegen eines Festes beim Friseur gewesen. Vor dem Eingang ihres Hauses sei er dann von vier Männern wegen seiner Frisur angesprochen worden, sie hätten ihn festgehalten und ihm die Haare mit einer Schere abgeschnitten. Dies habe er seiner Mutter im Haus erzählt, worauf er einige Tage zu Hause habe bleiben müssen. Etwa vier Tage nach dem Vorfall seien sie für eine Woche wieder normal zur Schule gegangen, als er gemeinsam mit einem Freund und seinem Bruder auf dem Weg nach Hause gewesen sei und ein Auto mit verschleierten und mit Messern bewaffneten Männern neben ihnen angehalten habe. Sie seien von diesen Männern ins Auto geworfen und nach 1 Stunde und 40 Minuten Fahrt in einem kleinen Ort in ein Haus gebracht worden. Als der Beschwerdeführer versucht habe, davon zu laufen, sei er mit einem Messer verletzt und bedroht worden. Am nächsten Tag sei ein älterer Mann zu ihnen gekommen, habe ihnen aufgetragen, sich zu waschen und zu beten und ihnen erzählt, dass die Männer von AMISOM ihre Frauen vergewaltigen und ihr Land wegnehmen würden und dass sie gegen die Truppen kämpfen müssten, wofür sie trainiert werden würden. Als der Beschwerdeführer gesagt habe, dass er nicht kämpfen wolle, seien ihm Verbrennungen zugefügt worden und er sei mit dem Tod bedroht worden. Ihre Entscheidung sei bis zum nächsten Tag erwartet worden. Sie hätten aus Angst in der Nacht nicht geschlafen und versucht, durch ein Fenster zu entkommen, indem sein Bruder ua. seinen Freund aufgefordert habe, auf seine Schultern zu klettern und das Fenster zu öffnen. Dies sei ihnen nicht gelungen und es seien drei Männer ins Haus gekommen. Der Beschwerdeführer und sein Freund seien hinausgelangt und davon gelaufen. Seinen Freund hätten sie getroffen, aber der Beschwerdeführer habe sich in einer Ecke eines Hauses verstecken können, wo er bis zur nächsten Nacht geblieben sei. Danach habe ihm eine Frau Frauenkleider gegeben sowie Brot und Tee. Am nächsten Tag habe sie ihn in die Stadt mitgenommen, zum Geschäft seines Vaters, welches geschlossen gewesen sei. Daraufhin habe er seinen Vater angerufen, welcher ihm gesagt habe, dass sein Bruder im Krankenhaus sei und der Beschwerdeführer beim Nachbarn bleiben solle. Eine Stunde später sei sein Vater gekommen und habe erzählt, dass sein Bruder mit Verbrennungen im Spital liege, es eine Schießerei gegeben habe und sein Bruder verletzt sei. Zwei Wochen später habe sein Vater entschieden, dass die ganze Familie bis auf ihn selbst und einen Bruder des Beschwerdeführers nach Hargeysa reisen solle. Im März 2011 hätten sie dort telefonisch erfahren, dass der Vater und der Bruder umgebracht worden seien, worauf seine Mutter mit drei seiner Geschwister nach Mogadischu zurückgekehrt sei. Der Beschwerdeführer sei mit seiner Schwester XXXX in Hargeysa geblieben. Dort hätten einige Jugendliche versucht, seine Schwester zu belästigen. Als der Beschwerdeführer sie verteidigt habe, sei er verletzt worden. Sie hätten sich an die Polizei gewendet, welche sie als Teil der Al-Shabaab-Milizen bezeichnet hätte, da sie aus dem Süden stammten. Ungefähr zwei Monate später hätte ihre Mutter ihnen telefonisch mitgeteilt, dass sie nicht nach Mogadischu kommen könnten, weil sie dort selbst Probleme habe. Sie hätte ihnen auch mitgeteilt, dass sie in einem Dorf namens XXXX sei, und mit der Vermieterin in Hargeysa vereinbart, dass sie den Beschwerdeführer und seine Schwester nach Äthiopien bringen solle, was diese auch gemacht und für sie dort eine Unterkunft bei Somalis gefunden habe. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Er sei in Somalia mit einem Messer verletzt worden und es seien ihm Brandwunden zugefügt worden. In Hargeysa habe man ihm mit einer Stange ins Gesicht geschlagen. Er könne nicht nach Hargeysa zurückkehren, weil er dort geschlagen worden sei, als seine Schwester sexuell belästigt worden sei. Er befürchte in Somalia umgebracht zu werden, so wie sein Vater und sein Bruder. Auf die Frage, warum sie entführt worden seien, brachte der Beschwerdeführer vor, dass man oft junge Leute entführe, um sie zu trainieren und zu rekrutieren. Er habe sich insgesamt fünf Monate in Hargeysa aufgehalten.
7. In der Stellungnahme vom 17.02.2017 bemängelt die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung als Vertreter des Beschwerdeführers, dass dieser als Minderjähriger entgegen § 49 Abs. 3 BFA-VG nicht im Beisein eines Vertreters erstbefragt worden sei, was als wesentlicher Verfahrensfehler zu werten sei, sodass diese Erstbefragung nicht bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden dürfe. Außerdem wurden die Umstände der Einvernahme am 03.02.2017 kritisiert und die niederschriftliche Erfassung der Angaben des Beschwerdeführers bemängelt. Da er seinem Vater die Umstände seiner Entführung berichtet habe, vermute der Beschwerdeführer einen Zusammenhang der Ereignisse vom „16.11.2011“ mit dessen Ermordung. Schon aus dem übergebenen Länderinformationsblatt ergebe sich, dass im Gebiet der Al-Shabaab alle Bewohner strenge Vorschriften bezüglich Kleidung und Rasur befolgen müssten und schwere Strafen bis hin zum Tod drohten. Auch die darin hervorgehobene Propaganda gegen AMISOM schildere der Beschwerdeführer. Auch würden die Länderberichte den systematischen Einsatz von Kindersoldaten durch die Al Shabaab bestätigen. Nach aktuellen Berichten vom Jänner 2017 sei die Al Shabaab nach wie vor in Mogadischu präsent. Der Beschwerdeführer sei ins Blickfeld der Al Shabaab geraten und würde von diesen im Fall der Rückkehr wiedererkannt werden, sodass er asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte. Der somalische Staat sei nicht willens bzw. nicht in der Lage, den Beschwerdeführer dort vor Verfolgung zu schützen. Der Beschwerdeführer habe sogar um Hilfe bei den Behörden ersucht, diese sei ihm aber verweigert worden. Auch hätten die somalischen Behörden weder seinen Vater noch seinen Bruder schützen können. Nach Ansicht von UNHCR sei die Weigerung einer Person, sich einer militanten Gruppe anzuschließen, als Ausdruck einer politischen oder religiösen Überzeugung zu werten, und könne diese Person deshalb in Gefahr von Verfolgung bringen, indem ihr von Al Shabaab eine missliebige politische und/oder religiöse Gesinnung unterstellt werde und sie als regierungstreu angesehen würde. Auch sei dem Beschwerdeführer unter Bedachtnahme auf die Zugehörigkeit zur Gruppe der westlich orientierten Männer Asyl zuzuerkennen. Außerdem habe er keinen Kontakt zu Familienangehörigen und wäre bei einer Rückkehr vollkommen auf sich alleine gestellt. Eine inländische Fluchtalternative stehe ihm nicht offen, weil die Al Shabaab in ganz Somalia gezielt gegen Feinde vorgehe. Zudem habe der Beschwerdeführer als 12-jähriger Somalia verlassen und sei in keinem Teil verwurzelt.
8. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 28.04.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 16.05.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Die belangte Behörde traf Feststellungen zum Beschwerdeführer, zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates, zur Situation im Falle seiner Rückkehr sowie zur Lage in Somalia.
Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die Identität des Beschwerdeführers mangels Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten nicht feststehe. Die vorgebrachten Fluchtgründe seien im Ergebnis nicht glaubhaft dargelegt worden. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl lägen somit nicht vor. Eine Rückkehr des gesunden, erwachsenen und arbeitsfähigen Beschwerdeführers nach Mogadischu, wo er als Angehöriger eines noblen Clans den Großteil seines Lebens verbracht habe, die Regierung dauerhaft die Kontrolle ausübe und kein Risiko mehr bestehe, von Al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden, bewirke keine reale Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels seien nicht gegeben. Mangels Familienlebens und Integration in Österreich nach illegaler Einreise sei eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen.
9. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 26.05.2017. Das BFA sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht vorliege. Die Erstbefragung des damals Minderjährigen hätte nicht den Vorschriften entsprochen und die Länderfeststellungen zur Zwangsrekrutierung seien unzureichend bzw. nicht aktuell gewesen. Hinsichtlich der als widersprüchlich gewürdigten Angaben des Beschwerdeführers wurde ausgeführt, dass seine Angaben nachvollziehbar und ohne Widersprüche gewesen seien und geringfügige Abweichungen seinem jugendlichen Alter entsprechen würden. Die Beweiswürdigung erweise sich daher als mangelhaft. Sein Vorbringen sei jedenfalls asylrelevant. Der Beschwerdeführer sei als Zugehöriger der Gruppe der westlich orientierten Männer (infolge seines Haarschnittes und Auftretens) als auch jener Gruppe junger Männer, welche der Gefahr der Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab unterliege, Flüchtling im Sinne der GFK. Mangels sozialem Netz bzw. Kontakt zu seiner Familie in Somalia wäre er bei seiner Rückkehr vollkommen auf sich alleine gestellt und würde ihm zudem wegen seines langen Aufenthalts in Europa westliche Gesinnung unterstellt werden. Hinsichtlich subsidiären Schutzes wären neben fehlenden familiären Bindungen auch der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers (posttraumatische Belastungsstörung mit therapeutischer Behandlung) sowie die in Somalia herrschende Dürre zu berücksichtigen gewesen. Schließlich sei das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich nicht ausreichend berücksichtigt worden, er sei nie straffällig geworden. Beantragt werde ua. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
10. Die Beschwerde langte samt Verwaltungsakt am 08.06.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
11. Mit Schriftsatz vom 12.12.2017 ersuchte der ebenfalls bevollmächtigte Migrantinnenverein St. Marx unter Nachreichung von Integrationsunterlagen erneut um baldige positive Entscheidung.
12. Nach einem Patientenbrief des XXXX -Spitals in XXXX vom 24.04.2018 besteht beim Beschwerdeführer nach seinem Aufenthalt vom 13.03.2018 bis 24.04.2018 eine „offene kavernierende pulmonale Tuberkulose im linken Oberlappen“ mit medikamentöser Behandlung seit 14.3.2018 für sechs bis neun Monate.
13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.06.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen und ein Dolmetscher für die Sprache Somalisch beigezogen wurde. Die belangte Behörde hat entschuldigter Weise nicht teilgenommen.
14. Mit Schriftsatz vom 16.06.2018 des Migrantinnenvereins St. Marx wurde auf die katastrophale Sicherheitslage und die fehlende Existenzmöglichkeit des Beschwerdeführers in Somalia im Fall seiner Rückkehr hingewiesen. Er kenne den Aufenthalt seiner Familie nicht, weshalb er befürchte, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten – auch auf Grund der aktuellen Hungersnot infolge der Dürre in Somalia. Infolge der ausgesprochen schlechten Sicherheitslage und Versorgungslage in Somalia bestehe daher die reale Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung. Während seines bisherigen Aufenthaltes in Österreich habe der arbeitsfähige Beschwerdeführer große Anstrengungen zur Integration unternommen und sei eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig.
15. Mit Schriftsatz vom 20.05.2019 ersuchte eine weitere bevollmächtigte Vertreterin des Beschwerdeführers um Ausfertigung des Erkenntnisses für den Beschwerdeführer und wies erneut auf die katastrophale Sicherheitslage und fehlende Existenzmöglichkeit des Beschwerdeführers in Somalia hin. Zu erneut ausgebliebenen Regenfällen wurde auf verschiedene Zeitungsartikel verwiesen. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass es gegenüber 2017 und 2018 wohl nicht zur Verbesserung der Versorgungslage kommen werde und Mogadischu sich nicht als interne Fluchtalternative anbiete. Die Einbeziehung der Berichte werde erbeten, weil das Länderinformationsblatt und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom Mai 2018 nicht mehr aktuell sei. Abschließend wurde eine positive Entscheidung erbeten.
16. Mit Email vom 09.07.2019 wurde neuerlich seitens seiner bevollmächtigten Vertreterin die baldige Ausfertigung des Erkenntnisses erbeten.
17. Mit Schriftsatz vom 19.02.2020 brachte der nunmehr bevollmächtigte rechtsfreundliche Vertreter gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 2 iVm Art. 133 Abs. 7 B-VG einen Fristsetzungsantrag sowie einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenshilfe am 20.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Auf Grundlage der Niederschrift über die Erstbefragung des Beschwerdeführers, der Niederschrift über seine weitere Einvernahme durch die belangte Behörde, des Beschwerdevorbringens, der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie der erstatteten Stellungnahmen des Beschwerdeführers und Einsichtnahme in das Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers :
Der Beschwerdeführer wurde in Somalia in Mogadischu geboren und hat dort gelebt, ehe er gemeinsam mit seiner Mutter und Geschwistern nach Hargeysa übersiedelte. Er ist somalischer Staatsangehöriger, Angehöriger des Clans der Hawiye sowie des Subclans der XXXX und Moslem. Seine Muttersprache ist Somalisch. Seine Identität steht jedoch nicht fest.
Er stellte am 16.05.2014 nach illegaler Einreise als 16-Jähriger in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer ist ledig. In Somalia verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte; der Aufenthaltsort seiner Familienangehörigen, Mutter und Geschwister, ist nicht bekannt. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seinen Angehörigen und verfügt über kein soziales Netz in Somalia.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer im November 2010 von der Al Shabaab-Miliz zwecks Zwangsrekrutierung entführt wurde. Es ist auch nicht glaubhaft, dass ihm von diesen Männern zuvor die Haare abgeschnitten wurden.
Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt wird, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Mogadischu einer konkreten Verfolgung bzw. Bedrohung von Seiten der Al-Shabaab Milizen, ausgesetzt ist.
Nicht festgestellt wird ferner, dass der Beschwerdeführer aus Gründen seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe und/oder seines Clans oder aus sonst in seiner Person gelegenen Gründen (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung) einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre.
Auch eine drohende asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen ist nicht hervorgekommen und zwar weder aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers, noch aus amtswegiger Wahrnehmung.
Der Beschwerdeführer nimmt wegen einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ seit 12.07.2016 im Bundesgebiet eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch. Festgestellt wird, dass der erwachsene und grundsätzlich arbeitsfähige Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Somalia auf die Dauer der notwendigen medikamentösen Behandlung seiner TBC-Erkrankung angesichts fehlenden Kontakts zu seinen in Somalia aufhältigen Familienangehörigen bei schwieriger allgemeiner Versorgungslage Gefahr laufen würde, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
Der Beschwerdeführer geht in Österreich bislang keiner Erwerbstätigkeit nach und bezieht seit seiner Antragstellung laufend die staatliche Grundversorgung (Unterkunft, Verpflegung, Taschengeld, Krankenversicherung). Er hat vor seiner Einreise nach Österreich bereits Arbeiten auf Baustellen verrichtet. Bisher hat er Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 belegt, besuchte bis 28.06.2019 einen Deutschkurs B1 und möchte einen Pflichtschulabschluss erwerben. Er hat sich in Österreich schon in der Flüchtlingshilfe engagiert, erledigte Reinigungsdienste in einer Flüchtlingsunterkunft oder half bei Übersetzungen. Am 29.01.2019 hat er am Werte- und Orientierungskurs gemäß § 5 Integrationsgesetz teilgenommen. Eine besondere soziale bzw. gesellschaftliche Integration im Bundesgebiet hat er nicht vorgebracht und lebt offenbar auch nicht in einer familienähnlichen Beziehung. Im Herkunftsstaat hat er sieben Jahre die Schule besucht und beherrscht die Landessprache auf muttersprachlichem Niveau. Er stammt aus Mogadischu und lebte vor seiner Ausreise im Jahr 2011 gemeinsam mit seiner Mutter und Geschwistern in Hargeysa. Sein Vater und ein Bruder, welche in Mogadischu ein Gemüsegeschäft betrieben haben und die Familie versorgten, wurden 2011 ermordet. Er beherrscht neben seiner Muttersprache auch noch Arabisch, Deutsch und Englisch.
Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer derzeit die reale Gefahr droht, im Fall der Rückkehr nach Somalia in eine existenzbedrohende Lage zu geraten.
Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
Politische Situation
Das Gebiet von Somalia ist in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt. Somaliland, Puntland sowie Süd-/Zentralsomalia. Im Jahr 1988 brach in Somalia Bürgerkrieg aus. Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach. Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Somalia vom 12.01.2018 mit Aktualisierung vom 17.09.2018 – LIB 17.09.2018, S. 13 f).
Mogadischu:
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM. Die Stadtverwaltung von Mogadischu ist verhältnismäßig präsent und aktiv. Schritte von Stadt- und Bundesregierung haben bei der Sicherheitslage zu einer Verbesserung geführt - speziell durch die Aufstellung der Mogadishu Stabilization Mission (MSM). Die Zahl von Angriffen der Al Shabaab im jeweiligen Ramadan ist von 269 im Jahr 2015 auf 208 im Jahr 2017 zurückgegangen. Andererseits scheint sich die Al Shabaab aufgrund der Erfolge der Sicherheitskräfte zunehmend auf Sprengstoffanschläge zu verlegen, welche unter der Zivilbevölkerung ein höheres Maß an Schaden verursachen (LIB 17.09.2018, S. 37). Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der Al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Es besteht kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (LIB 17.09.2018, S. 37).
Insgesamt verlegt sich Al Shabaab bei der Durchführung von Attentaten von Quantität auf Qualität. Dabei sucht die Al Shabaab ihre Ziele vor allem im Bereich der Regierung. Für die Zivilbevölkerung ist das größte Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko eines Eingriffs in die körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt wäre (LIB 17.09.2018, S. 38).
Das Risiko einer Hungersnot ist durch den Regen reduziert worden. Die Preise für Grundnahrungsmittel haben begonnen sich auf Normalwerte einzupendeln (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu vom 11.05.2018 – Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 11). In Mogadischu gilt dies insbesondere für Mais. Bei Reis hingegen hat es auch während der Dürre keine großen Preisschwankungen gegeben (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 16).
In Mogadischu sind 28% der Bevölkerung arbeitssuchend. 6% der Jugendlichen sind arbeitssuchend (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 19). Es gibt in Mogadischu bessere Job-Aussichten als in den meisten anderen Teilen Somalias, auch für Jugendliche ohne Bildung und Arbeitserfahrung. Während in Somalia die meisten Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, arbeiten in Mogadischu die meisten Menschen im Handel bzw. im Dienstleistungssektor oder in höheren bildungsabhängigen Berufen (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 21). Das Auswahlverfahren im Arbeitsleben basiert oft auf Clanbasis, gleichzeitig werden aber viele Arbeitsplätze an Rückkehrer aus der Diaspora vergeben. Es gibt auch Beschäftigungsmöglichkeiten, die von vielen Somaliern nicht in Anspruch genommen werden, da diese Arbeit als minderwertig erachtet wird, z.B. Friseur, Kellner oder Reinigungsarbeiten (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 22).
Die somalische Wirtschaft zeigt eine positive Entwicklung. Die Schaffung an Arbeitsplätzen bleibt jedoch unter den Bedürfnissen. Trotzdem gibt es in Mogadischu aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs zahlreiche Möglichkeiten. Das Durchschnittseinkommen für Jugendliche beträgt 190 USD im Monat. In Mogadischu beträgt das Durchschnittseinkommen 360 USD im Monat. Fast 10% der Jugendlichen in Mogadischu verdienen mehr als 400 USD im Monat (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 23-24).
Mogadischu ist über einen internationalen Flughafen sicher erreichbar (LIB 17.09.2018, S. 144).
Mogadischu verfügt über einige Gesundheitseinrichtungen, Spitäler und Kliniken. Die medizinische Versorgung in Somalia ist mangelhaft, diese ist in Somaliland und Mogadischu am besten. In Mogadischu wurden seit 2014 einige Gesundheitseinrichtungen, Spitäler und Kliniken neu eingerichtet. In Somalia gibt es fünf Zentren zur Betreuung psychischer Erkrankungen. Diese befinden sich in Berbera, Bossaso, Garoowe, Hargeysa und Mogadischu. Allerdings arbeiten insgesamt nur drei Psychiater an diesen Einrichtungen (LIB 17.09.2018, S. 138).
Al-Shabaab:
Ziel der Al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß-Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Außerdem verfolgt al Shabaab auch eine Agenda des globalen Dschihads und griff im Ausland Ziele an. Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Dabei ist auch die Al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (LIB 17.09.2018, S. 49).
Zwangsrekrutierung:
Die Al Shabaab ist insgesamt professionell, gut organisiert und ausgerüstet. Um eine derartige Organisation aufrecht zu erhalten, kann man sich nicht nur auf Zwangsrekrutierung verlassen. Zwangsrekrutierung entspricht daher nicht dem "modus operandi" der Al Shabaab. Eine zu hohe Anzahl an Kämpfern die gegen ihren Willen eingesetzt werden, schwächen die Organisation. Zwangsrekruten passen nicht ins System. Rekruten werden üblicherweise für vier Monate in einem Lager ausgebildet, jeder, der sich im Verlauf der Ausbildung als untauglich erweist, wird von der Al Shabaab nach Hause geschickt. Nur wenn es Umstände und taktische Gründe erforderlich machen, werden Rekruten zwangsweise ausgebildet, z.B. wenn an einem Ort aus taktischen Gründen rasch und dringend einige Rekruten gebraucht werden (Fact Finding Mission Report Somalia – FFM August 2017, S. 49).
Druck wird hingegen oft ausgeübt, wobei dieser Druck wesentlich stärker als jeder Zwang ist. Die Al Shabaab verbreiten die Botschaft, dass Menschen in Süd- und Zentralsomalia in einer Konfliktzone leben und bewaffneten Gruppen ausgeliefert seien. Diese Nachricht richtet sich speziell an schwache Clans. Die Möglichkeit einer Rekrutierung hängt davon ab, ob das betroffene Gebiet unter Kontrolle der Al Shabaab steht. Dort erfolgt die Anwerbung in Schulen oder generell unter Jugendlichen (FFM August 2017, S. 51). Es erfolgt die Rekrutierung auch über die Clans. Al Shabaab schließt mit Clans Übereinkommen, in denen vereinbart wird, dass der Clan eine gewisse Anzahl an Rekruten stellt. Schwächere Clans erwarten sich von der Al Shabaab Unterstützung, Al Shabaab wird von manchen Minderheiten als Beschützer angesehen. Bei benachteiligten Clans werden vermehrt Kämpfer angeworben. Es besteht bei schwachen Clans ein höherer Anreiz der Al Shabaab beizutreten (FFM August 2017, S. 52).
Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates:
Staatlicher Schutz ist in Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar (LIB 17.09.2018, S. 50). In Mogadischu und anderen urbanen Gebieten unter Kontrolle der Regierung und ihrer Alliierten können die Behörden schutzwillig sein, jedoch sind sie meist nicht in der Lage, einen effektiven Schutz zu gewährleisten. Dies kann der strukturellen Schwäche der Sicherheitskräfte, dem Mangel an Ressourcen, Ausbildung und Ausrüstung, schwachen Kommandostrukturen, der Korruption und der Straflosigkeit für schwerste Verbrechen angelastet werden (LIB 17.09.2018, S. 65).
Clanstruktur:
Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalier. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt. Darum kennen Somalier üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem. Allerdings gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Daher wissen die Menschen in Mogadischu und anderen großen Städten nicht automatisch, welchem Clan eine andere Person angehört (LIB 17.09.2018 - S. 94).
Dabei gelten als "noble" Clanfamilien die traditionell nomadischen Hawiye, Darod, Dir und Isaaq sowie die sesshaften Digil und Mirifle/Rahanweyn. Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger. Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben (LIB 17.09.2018 - S. 94 f).
Die Clanfamilien unterteilen sich weiter in die Ebenen der Clans, Sub(sub)clans, Lineages und die aus gesellschaftlicher Sicht bei den nomadischen Clans wichtigste Ebene, die sogenannte Mag/Diya (Blutgeld/Kompensation) zahlenden Gruppe (Jilib), die für Vergehen Einzelner gegen das traditionelle Gesetz (xeer) Verantwortung übernimmt (Focus Somalia Clans und Minderheiten vom 31.05.2017 -Beilage ./IV, S. 8 f; LIB 17.09.2018 - S. 58).
Clanschutz bedeutet für eine Einzelperson die Möglichkeit vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Ein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Kompensation zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind - insbesondere bei Kompensations-zahlungen (Mag/Diya). Generell - aber nicht überall - funktioniert Clanschutz besser als der Schutz durch Staat oder Polizei. Dementsprechend wenden sich viele Menschen bei Gewaltverbrechen eher an den Clan als an die Polizei. (LIB Somalia 17.09.2018 - S. 57 f).
Midgan (Gaboye, Madhiban)
Die berufsständischen Gruppen stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft. Sie unterscheiden sich in ethnischer, sprachlicher und kultureller Hinsicht nicht von der Mehrheitsbevölkerung, sind aber traditionell in Berufen tätig, die von den Mehrheitsclans als "unrein" oder "unehrenhaft" angesehen werden. Diese Berufe und andere ihrer Praktiken (z.B. Fleischverzehr) gelten darüber hinaus als unislamisch (Beilage ./IV, S. 14).
Die Clans der berufsständischen Gruppen sind gleich strukturiert wie die Mehrheitsclans, mit dem einzigen Unterschied, dass sie ihre Abstammung nicht auf die Gründerväter Samaale bzw. Saab zurückverfolgen können, sondern "nur" auf den "Vater" ihres Clans. Gleich wie die Mehrheitsclans haben das Aufzählen der Väter (Abtirsiimo) und die Zugehörigkeit zu einem Clan eine große Bedeutung (Beilage ./IV, S. 15 f).
Für die Berufsgruppen gibt es zahlreiche somalische Bezeichnungen, bei denen regionale Unterschiede bestehen. Häufig genannt werden Waable, Sab, Madhibaan und Boon. Die landesweit geläufige Bezeichnung Midgaan ist negativ konnotiert (er bedeutet "unberührbar" oder "ausgestoßen") und wird von den Berufsgruppen-Angehörigen als Beleidigung empfunden; sie bevorzugen Begriffe wie Madhibaan oder Gabooye. Der Ausdruck Gabooye wird besonders im Norden des somalischen Kulturraums als Dachbegriff benutzt. Der Begriff umfasst nicht alle Berufsgruppen, aber zumindest vier untereinander nicht verwandte Clans berufsständischer Gruppen: Tumaal, Madhibaan, Muse Dheriyo und Yibir. Der Begriff Gabooye kann auch als Begriff für einen eigenen Clan der berufsständischen Gruppen unter vielen gebraucht werden. Ursprünglich bezeichnete Gabooye nur einen Clan aus dem Süden, dessen Angehörige sich als Jäger betätigten. Madhibaan sind ursprünglich Jäger, heute aber als Färber, Gerber, Schuhmacher und in anderen Berufen tätig. Sie leben im ganzen somalischen Kulturraum (Beilage ./IV, S. 16 f).
Aufgrund der großen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Clans ist es auch heute für Somalier im somalischen Kulturraum essentiell und in der Diaspora zumindest nicht irrelevant, sich in diesem System verorten zu können (Beilage ./IV, S. 20). Jüngere Somalier im urbanen Raum oder in der Diaspora sind heute häufig nur noch in der Lage, ihre Clanzugehörigkeit bis zur Stufe Sub-Clan sowie vier oder fünf Generationen im Abtirsiimo (Abstammungslinie) aufzuzählen. Es kommt aber selbst bei jungen Somalier in der Diaspora nicht vor, dass sie gar keine Ahnung von ihrem Clan und ihrem Abtirsiimo haben. Sogar wenn sie sich für das Clansystem nicht interessieren, können sie zumindest ihren Clan und Sub-Clan sowie den Abtirsiimo bis zum Urgroßvater nennen. Fast alle Somalier kennen zumindest ihren Clan-Ältesten (Beilage ./IV, S. 24).
Aufgrund der wahrgenommenen Bevorzugung der berufsständischen Gruppen im Asylverfahren in westlichen Staaten sind andere Somalier dazu übergegangen, sich als Angehörige von Berufsgruppen auszugeben. Da andere Somalier aber im Durchschnitt gebildeter sind als die Angehörigen berufsständischer Gruppen, sind sie in der Lage, sich mehr Wissen über die berufsständischen Gruppen anzueignen, als diese selbst haben (Beilage ./IV, S. 25).
Angehörige ethnischer Minderheiten und berufsständischer Gruppen werden in der somalischen Gesellschaft häufig diskriminiert bzw. marginalisiert. Das Ausmaß der Diskriminierung hängt dabei von der Gruppenzugehörigkeit ab. Berufsständische Gruppen werden stärker marginalisiert als ethnische Minderheiten, aber innerhalb beider Kategorien gibt es ebenfalls große Unterschiede. Heute hat sich die Situation für die Gabooye im Vergleich zurzeit um die Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Es gibt keine gezielten Angriffe oder Misshandlungen hinsichtlich der Gabooye. Weder das traditionelle Recht noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie die Finanzkraft, das Bildungsniveau oder die zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (LIB 17.09.2018 - S. 98 f; Beilage ./IV, S. 38 f). Teils sind Polizei und Justiz bestechlich. Dadurch werden wirtschaftlich weniger potente Gruppen tendenziell benachteiligt. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Schwäche trifft dieser Umstand auch die Minderheiten. Dies hängt aber nicht mit ihrem Stigma zusammen, sondern mit der schwächeren Finanzkraft und der geringeren Anzahl (Beilage ./IV, S. 41).
Non Gouvernement Organisations (NGO)
Im gesamten somalischen Kulturraum bestehen zahlreiche internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, die sich um die Belange verletzlicher Personen kümmern. Dazu gehören u.a. Binnenvertriebene, Frauen, Kinder und andere sozial benachteiligte Gruppen. Zahlreiche lokale und internationale Menschenrechtsgruppen sind in jenen Gebieten Süd-/Zentralsomalias und Puntlands, die sich nicht unter der Kontrolle der al Shabaab befinden, aktiv. Sie untersuchen Vorfälle, veröffentlichen Ergebnisse und werden möglicherweise politisch gebilligt und gefördert. Die Regierung ist hinsichtlich der Ergebnisse einigermaßen kooperativ und reagiert auf Vorwürfe (LIB 17.09.2018, S. 72).
Allerdings die Bewegungsfreiheit von Organisationen in Süd-/Zentralsomalia durch Sicherheitserwägungen eingeschränkt. Al Shabaab verbietet den meisten internationalen NGOs, ihrer Arbeit nachzugehen. Außerdem kommt es zur Belästigung von NGOs seitens der Regierung sowie zu Repressionen durch staatliche Sicherheitsorgane, die auf eigene Faust und im eigenen Interesse agieren (LIB 17.09.2018, S. 72).
Gezielte Angriffe auf humanitäre Organisationen gibt es weiterhin. Alleine in den ersten sieben Monaten des Jahres 2016 waren humanitäre Organisationen von 90 sicherheitsrelevanten Zwischenfällen betroffen. Dabei wurden sieben Mitarbeiter getötet und acht weitere verletzt. Außerdem wurden zehn Mitarbeiter verhaftet und drei weitere entführt. Das Umfeld für humanitäre Kräfte bleibt gefährlich, es gab sogar eine Steigerung bei Angriffen auf diese Personengruppe durch nicht-staatliche bewaffnete Kräfte. Al Shabaab entführt gezielt humanitäre Kräfte. Davon waren 2017 bis Mitte September 27 Personen betroffen, von denen sich im November 2017 sechs Personen noch in der Gewalt der Gruppe befanden. Insgesamt ist der Anstieg an Gewalt gegen diese Personengruppe auch damit zu erklären, dass aufgrund der Dürre deren Aktivitäten massiv verstärkt worden sind (LIB 17.09.2018, S. 72).
Korruption
Somalia war im Jahr 2016 laut Transparency International zum wiederholten Male das korrupteste Land der Welt (Platz 176). Trotz einiger kleiner Fortschritte bei der öffentlichen Finanzgebarung ist es den Bundesbehörden weiterhin nicht möglich, der weit verbreiteten Korruption entgegenzutreten. Regierungsbedienstete und -Offizielle beteiligen sich häufig an Korruption. Es gibt zwar ein Gesetz gegen Korruption in der Verwaltung, dieses wird aber nicht effektiv angewendet. Auch das Justizsystem ist von Korruption durchdrungen (LIB 17.09.2018, S. 71).
Medizinische Versorgung:
Die Gesundheitslage zählt zu den schlechtesten der ganzen Welt. Die Kinder- und Müttersterblichkeitsraten sind alarmierend hoch. Gleichzeitig ist die Förderung von Gesundheitsprogrammen gering (ÖB 9.2016). Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 45 Jahre für Männer und 47 Jahre für Frauen. Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen (AA 1.1.2017). Die Müttersterblichkeit hat sich von 850 pro 100.000 Lebendgeburten im Jahr 2010 auf 732 pro 100.000 im Jahr 2016 verringert (USDOS 3.3.2017), bleibt aber eine der höchsten weltweit (LI 11.6.2015).
Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 1.1.2017). Medizinische Grunddienste stehen nicht ausreichend zur Verfügung (AA 4.2017b). Allerdings variiert der Zugang zu medizinischer Versorgung. Dieser scheint in Somaliland und in Mogadischu am besten zu sein. Da es kein staatliches Gesundheitssystem gibt, ist die Versorgungslage maßgeblich davon abhängig, wie sehr der Zugang für lokale und internationale Hilfsorganisationen in einem Gebiet gewährleistet ist. Folglich ist die Versorgungslage in den größeren Städten besser. Schätzungsweise 80% der Bevölkerung haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung (LI 11.6.2015).
Die öffentlichen Krankenhäuser sind mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht. Zudem behindert die unzureichende Sicherheitslage ihre Arbeit. Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen örtlicher (islamistischer) Machthaber unterbrochen werden (AA 1.1.2017). Gesundheitspersonal ist rar und Spitäler sind aufgrund von Unterfinanzierung von Schließungen gefährdet (ÖB 9.2016). Allerdings sind z.B. in Mogadischu seit 2014 einige Gesundheitseinrichtungen, Spitäler und Kliniken neu eingerichtet worden (LI 1.4.2017). Auch AMISOM betreibt oder unterstützt Spitäler bzw. bietet medizinische Versorgung, etwa in Merka (AMISOM 24.2.2017) oder Baidoa (UNSOS 16.11.2016). In Mogadischu wurde zudem ein Spital durch die Vereinten Arabischen Emirate erbaut (Horseed 4.6.2015), ein weiteres wurde von der Türkei renoviert und ausgebaut. Letzteres bietet auch eine vergleichsweise günstige Versorgung für Dialysepatienten (Hiiraan 17.6.2016).
Die Somali Red Crescent Society (SRCS) betreibt in ganz Somalia 25 feste Kliniken (ICRC 23.5.2017). Hinzu kommen elf mobile Kliniken in Süd-/Zentralsomalia. Dabei wird die SRCS vom IKRK unterstützt. Die Teams des SRCS dringen dabei auch in entlegene Gebiete vor – hundert Kilometer von der nächsten größeren Stadt entfernt. Sie gewährleisten damit dort eine medizinische Grundversorgung (ICRC 28.7.2017).
Durch Wasser verursachte Krankheiten sind weit verbreitet (AWD bzw. Cholera). 85% der Betroffenen von Cholera sind Kinder unter 5 Jahren (ÖB 9.2016). Dabei hat die Dürre die Verbreitung von Cholera verstärkt. Bis Ende Juli 2017 gab es fast 76.000 Fälle mit 1.155 Toten. Danach ist es den Behörden und Partnern gelungen, die Seuche in den meisten Gebieten einzudämmen (UNSC 5.9.2017).
In Somalia gibt es fünf Zentren zur Betreuung psychischer Erkrankungen. Diese befinden sich in Berbera, Bossaso, Garoowe, Hargeysa und Mogadischu. Allerdings arbeiten insgesamt nur drei Psychiater an diesen Einrichtungen (WHO 2017a).
In Puntland gibt es nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums fünf regionale Spitäler (in Bossaso, Garoowe, Galkacyo und Qardho), sieben Bezirksspitäler, 72 medizinische Zentren, 192 Gesundheitsposten und vier psychologische Zentren; außerdem werden drei Stabilisierungszentren (Ernährung), neun Tuberkulose-Eindämmungseinheiten und vier sogenannte VCT-Zentren (Voluntary Counselling and Testing; HIV/AIDS) betrieben (PMH 2016). Neben den öffentlichen Spitälern gibt es auch Privatkliniken, wie z.B. das Puntland Hospital in Bossaso (PHB 2012). Zusätzlich gibt es Einrichtungen für die medizinische Grundversorgung; in Eyl wurde ein Krankenhaus eröffnet (WVI 16.9.2017). Derweil hat Deutschland angekündigt, in den Jahren 2017-2019 31,3 Millionen US-Dollar in Gesundheitsprojekte in Puntland zu investieren (GO 30.8.2017). Im Jahr 2017 ist auch die internationale NGO MSF nach drei Jahren Absenz wieder nach Puntland zurückgekehrt (GJ 25.1.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).
MedCOI ist nicht in der Lage, Auskünfte zu Somalia zu geben (MAO 24.9.2014). Auch IOM bietet hinsichtlich medizinischer Anfragen zu Somalia keine Kooperation (IOM 5.7.2017; vgl. IOM 31.8.2016).
Rückkehrer:
Der Jilib [Anm.: in etwa die unterste Ebene des Clansystems] ist u.a. dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie). Daher gilt als allgemeine Regel, dass Somali auch sehr entfernt Verwandte, die aus einer anderen Gegend kommen, unterstützen werden, da eine Clan-Verbindung besteht. Voraussetzung dafür ist, dass die Kapazitäten dafür zur Verfügung stehen. Beide – Familie (auch die erweiterten und entfernt verwandten Teile) und Clan – bleiben einer der wichtigsten Faktoren, wenn es um Akzeptanz, Sicherheit und Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrung) geht (LIB 17.09.2018, S. 135).
Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration hängt in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person ab. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden, vor allem wenn sie aus dem Westen zurückkehren. Zur Klärung, welche Mittel eine Person bei einer Rückkehr nach Mogadischu zur Verfügung hat, sind folgende Punkte zu berücksichtigen: Die Lebensumstände der Person vor der Abreise aus Mogadischu; die Dauer der Abwesenheit aus der Stadt; die Clan-Verbindungen, auf welche zurückgegriffen werden kann; der Zugang zu finanziellen Ressourcen; die Möglichkeiten der Person, sich durch Arbeit oder Selbständigkeit einen Lebensunterhalt zu finanzieren; die Verfügbarkeit von Remissen aus dem Ausland; die Lebensumstände der Person im Gastland; und die Frage, ob die Finanzierung der Reise in den Westen einer finanziellen Unterstützung bei der Rückkehr entgegensteht. Rückkehrer (v.a. aus dem Westen) haben bei der Arbeitssuche in Mogadischu Vorteile, da sie eher gebildet sind und als einfallsreicher erachtet werden. Dies gilt noch mehr, wenn der Arbeitgeber selbst ein aus der Diaspora Zurückgekehrter ist (LIB 17.09.2018, S. 136).
Allein die Tatsache, dass eine Person nach Somalia zurückkehrt, macht diese nicht zum Ziel - auch nicht für die Al Shabaab. Rückkehrern in Gebiete der Al Shabaab könnte vorgeworfen werden, als Spione zu dienen. Ob ein Rückkehrer zum Ziel der Al Shabaab wird, hängt maßgeblich von seinem eigenen Verhalten ab. Alleine die Tatsache, dass eine Person aus dem Westen zurückgekehrt ist, spielt bei einer Rückkehr in das Gebiet der Al Shabaab keine Rolle. Viel wichtiger sind die Zugehörigkeit zu Familie und Clan und die Beziehungen dieser beiden Entitäten zur Al Shabaab. Es kann auch vorkommen, dass Rückkehrer von Regierungskräften verdächtigt werden, da es in der Vergangenheit immer wieder zu Anschlägen von im Westen radikalisierten Somali der Diaspora gekommen ist (LIB 17.09.2018, S. 143).
In Somalia und auch in Mogadischu sind unzählige humanitäre Organisationen aktiv. Alleine im Bereich „Child Protection“ sind es in ganz Somalia zwei Regierungsorganisationen, drei UN-Agenturen, sieben internationale NGOs und 49 nationale NGOs. In Mogadischu sind in diesem Bereich 21 Organisationen aktiv. In Mogadischu gibt es verschiedene aktive Organisationen, die im Bereich Camp Coordination and Camp Management, Bildung, Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung, Gesundheit, Ernährung, Schutz, Unterkunft sowie Wasser, Sanitäres und Hygiene tätig sind. Auf allen diesen Feldern wird Hilfe und Unterstützung gegeben. Dies betrifft insbesondere die Versorgung mit sicherem Trinkwasser, die Verteilung von Gutscheinen (v.a. elektronisch über Mobilfunk), den Latrinenbau, das Angebot von Grundschulausbildung, Ernährungsprogramme sowie die Unterstützung von Gesundheitseinrichtungen. Es gibt auch spezielle Programme für Rückkehrer (v.a. aus Kenia und dem Jemen). Hier werden Rückkehr-Packages vergeben und außerdem eine finanzielle Rückkehrhilfe für sechs Monate gewährt. Außerdem gibt es für Rückkehrer organisierte Berufsausbildungskurse, wirtschaftliche Starthilfe (z.B. in Form einer Eselkarre) oder Berufsberatung. Üblicherweise haben Rückkehrer nach Mogadischu einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 1f).
Im Zeitraum Dezember 2014 bis März 2018 sind 81.000 Somalier aus der Region Ostafrika nach Somalia repatriiert worden. Die Rückkehrentscheidung erfolgte bei diesen Personen freiwillig und UNHCR unterstützt diese Rückkehrer mit Rückkehr- und Reintegrationshilfe. Zusätzlich sind rund 35.000 Personen spontan aus dem Jemen nach Somalia zurückgekehrt. Die meisten Rückkehrer kommen aus Kenia und dem Jemen, einige auch aus Libyen. Jeder Rückkehrer-Haushalt erhält ein oder – abhängig von der Haushaltsgröße – mehrere Packages mit Core-Relief-Items oder aber dem Äquivalent in Bargeld. Außerdem gibt es für Rückkehrer organisierte Berufsausbildungskurse, wirtschaftliche Starthilfe (z.B. in Form einer Eselkarre) oder Berufsberatung (Anfragebeantwortung Mogadischu 11.05.2018, S. 8).
Bewegungsfreiheit:
Ein Risiko ergibt sich primär aus den zu erwartenden Straßensperren. Die Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre der Regierungskräfte oder der Al Shabaab zu stoßen, ist immer noch hoch. An Straßensperren kann es zu Gewalt, Bedrohung und Plünderung kommen. Straßensperren werden durch somalische Sicherheitskräfte, Clan-Milizen, Al Shabaab und Banditen betrieben (LIB 17.09.2018, S. 116).
Das Hauptrisiko an Straßensperren der Regierungskräfte und der Al Shabaab ist es, als zum Feind gehörig verdächtigt zu werden. Kontrollpunkte der Al Shabaab können entlang der meisten Routen spontan eingerichtet werden, es gibt auch permanente Kontrollpunkte. Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit Al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor. Zu befürchten haben an Straßensperren der Al Shabaab jene Personen etwas, die mit der Regierung in Verbindung gebracht werden. Diese Personengruppe riskiert, getötet zu werden. Aufgrund der eingeschränkten Ressourcen von Al Shabaab sind hier höherrangige („high profile“) Personen eher gefährdet. Außerdem kann es Personen treffen, die von Al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden. Die Wahrscheinlichkeit, umgehend getötet zu werden, ist dort höher, wo Al Shabaab keine volle Kontrolle hat. In den Gebieten unter Kontrolle der Al Shabaab werden Verdächtige in der Regel verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge (LIB 17.09.2018, S. 116 f).
Dürrekatastrophe und Hungersnot:
Vier aufeinanderfolgende Regenzeiten sind ausgefallen. Diese Dürre hat nahezu zu einem Gesamtausfall der Ernte geführt und zur Reduzierung der Arbeitsmöglichkeiten in ländlichen Gebieten beigetragen. Die Dürre hat zu Engpässen bei Wasser und Weideland geführt – und in der Folge zur Verendung von Viehbestand. Rund 60% des Viehbestands wurde vernichtet, wobei die Viehzucht das Haupteinkommen großer Bevölkerungsteile darstellt (LIB 17.09.2018, S. 127).
Nach den überdurchschnittlichen Gu-Regenfällen 2018 wird die Getreideernte die größten Erträge seit 2010 einbringen. Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich zunächst weiter verbessert, dies gilt auch für Einkommensmöglichkeiten und Marktbedingungen. Die Preise für unterschiedliche Grundnahrungsmittel haben sich in Mogadischu gegenüber dem Vorjahr drastisch verbilligt und liegen nunmehr unter dem Fünfjahresmittel. Insgesamt hat sich die Ernährungssituation verbessert, auch wenn es im ganzen Land noch eine hohe Rate an Unterernährung gibt – speziell unter IDPs (LIB 17.09.2018, S. 6).
Nach den unterdurchschnittlichen Regenfällen in der Deyr-Regenzeit 2018 (Oktober bis Dezember) fielen auch die Regenfälle der Gu-Regenzeit (April bis Juni 2019) ebenfalls unterdurchschnittlich aus bzw. kam es teilweise zu sehr kurzen aber starken Regenfällen, die Überschwemmungen mit sich brachten. Davon waren besonders Nordsomalia und Puntland betroffen (Beilage ./VI).
Die Stadt Mogadischu wird weiterhin als IPC-2 Kategorie eingestuft, IDPs in dieser Stadt werden als IPC-3 Kategorie eingestuft (Beilage ./VII). IPC-Kategorie 2 wird wie folgt definiert: „Auch mit humanitärer Hilfe hat mindestens einer von fünf Haushalten in der Region Folgendes oder schlimmer: Sie haben gerade ausreichend Lebensmittel, können sich aber keine sonstigen Ausgaben leisten ohne unwiderrufliche Bewältigungsstrategien einschalten zu müssen - Even with humanitarian assistance at least one in five households in the area have the following or worse: Minimally adequate food consumption but are unable to afford some essential non-food expenditures without engaging in irreversible coping strategies”.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben in der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren.
Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Geburtsort, Religions- und Clanzugehörigkeit, Familienstand, Muttersprache des Beschwerdeführers basieren auf den diesbezüglich gleichbleibenden und -in Zusammenschau mit seinen Sprachkenntnissen- somit glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers im Verlauf des gegenständlichen Verfahrens.
Der Aufenthaltsort der Familienangehörigen des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat, konnte nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft an, dass der Kontakt zu seiner Familie abgebrochen ist. Er gab an, keinerlei Kontakte mehr zu seiner Familie in Somalia zu haben und auch nicht zu wissen, wo sich diese derzeit aufhalte.
Das Datum der Asylantragstellung basiert auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes.
Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Strafregister.
Die Feststellung, wonach sein Vorbringen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft ist, resultiert aus folgenden Überlegungen:
Der Beschwerdeführer war - selbst unter Beachtung seiner damaligen Minderjährigkeit- nicht in der Lage, eine ihm 2010 drohende Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab glaubhaft zu machen.
So brachte er erst am 03.02.2017 beim Bundesamt vor, dass er (als etwa 12-Jähriger) im November 2010 vor seinem Elternhaus von vier Männern nach einem Friseurbesuch wegen seiner Frisur angesprochen worden sei und diese ihm danach die Haare mit einer Schere geschnitten hätten, hingegen schilderte er vor dem Bundesverwaltungsgericht den Hergang so, dass ihm die Haare von diesen vier Männern zur Gänze wegrasiert worden seien. Außerdem brachte er beim Bundesamt vor, dass die Männer verschleiert gewesen wären und einige sogar Messer gehabt hätten, brachte hingegen beim Bundesverwaltungsgericht nur vor, dass die vermummten Männer ein Messer gehabt hätten. Es ist daher nicht glaubhaft, dass sich dieser Vorfall tatsächlich ereignet hat. Anzumerken ist zudem, dass er diesen Vorfall anlässlich seiner Erstbefragung überhaupt nicht erwähnte. Grundsätzlich ist darauf zu verweisen, dass kein Hindernis besteht, die Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens heranzuziehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0189) ist es auf dem Boden der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 1 AsylG weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind. Wie erwähnt schilderte der Beschwerdeführer in der Erstbefragung einen wesentlichen Aspekt seines Fluchtvorbringens mit keinem Wort, was jedoch vor dem Hintergrund, dass er in der Einvernahme vor dem Bundesamt dieses Ereignis als „Beginn seiner Probleme“ schilderte, nicht nachvollziehbar (AS 206).
Schließlich ist nicht schlüssig nachvollziehbar, wieso sein Bruder mit Verbrennungen im Spital gewesen wäre, wenn eine Schießerei stattgefunden haben soll. Dieses Vorbringen kann daher ebenfalls nicht als glaubhaft erachtet werden.
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass der nun erwachsene Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht zur Aufforderung, seine Fluchtgründe zu schildern, im Wesentlichen bloß eine Rahmengeschichte präsentierte. Irgendwelche Details, welche darauf schließen hätten lassen, dass er diese Ereignisse tatsächlich erlebt hat, fehlten jedoch gänzlich. Im Gegenteil entstand der Eindruck, dass der Beschwerdeführer seine sehr umfangreiche Schilderung vor dem Bundesamt gut einstudiert und sodann aufs Wesentliche zusammengefasst – ja passagenweise nahezu wörtlich - wieder gegeben hat, etwa wenn er wiederholt, dass er an einen etwa eine Stunde und 40 Minuten entfernten Ort gebracht worden wäre.
Allerdings sind seine Angaben zur Drohung des alten Mannes während ihrer Entführung auf Grund seiner Weigerung zu kämpfen widersprüchlich: Beim Bundesamt brachte er vor, es seien ihm daraufhin Brandwunden zugefügt worden, während er beim Bundesverwaltungsgericht dazu angab, sie hätten daraufhin nichts zu essen bekommen.
Weiters hat er beim Bundesamt geschildert, dass es ihnen nicht gelungen sei, durch das Fenster zu flüchten und daraufhin drei Männer ins Haus gekommen seien, worauf er und sein Freund entkommen hätten können. Im Widerspruch dazu hat er beim Bundesverwaltungsgericht vorgebracht, dass er und sein übergewichtiger Freund aus dem Fenster hätten springen und weglaufen können.
Schon auf Grund dieser Unstimmigkeiten ist nicht glaubhaft, dass das vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen zu seinen Fluchtgründen den Tatsachen entspricht. Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer im November 2010 entführt wurde. Eine versuchte Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab ist daher nicht glaubhaft gemacht worden.
Darüber hinaus ergibt sich aus den oa. Länderfeststellungen, dass Mogadischu weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM bleibt(AI 22.2.2017). Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BFA 8.2017; vgl. UKUT 3.10.2014, vgl. EGMR 10.9.2015). Die Sicherheitslage hat sich also verbessert (UNSOM 13.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017), bleibt aber volatil (UNSC 5.9.2017). Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre (EGMR 10.9.2015; vgl. UKUT 3.10.2014).
Rekrutiert wird nach den oben getroffenen Länderfeststellungen außerdem vorwiegend in den Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab (DIS 3.2017).
Insgesamt gibt es fünf Hauptarten der Rekrutierungsbestrebungen durch die al Shabaab: