TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/23 I408 2164290-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2020
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Entscheidungsdatum

23.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I408 2164284-1/15E
I408 2164286-1/14E
I408 2164297-1/14E
I408 2164293-1/14E
I408 2164281-1/14E
I408 2164290-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald Neuschmid als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , (BF1), XXXX , geb. XXXX , (BF2), XXXX , geb. XXXX , (BF3), XXXX , geb. XXXX , (BF4), XXXX , geb. XXXX , (BF5) und XXXX , geb. XXXX , (BF6), alle StA. IRAK, vertreten durch: ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl RD Wien, Außenstelle Wien vom 16.06.2017, Zl. 1133211802-161455472, 1103510807-160133167, 1103511009-160133159, 1103510905-160133175, 1133211900-161455677 und 1103391902-160133191, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.06.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführer gelangten zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach Österreich. Zunächst reisten die Zweitbeschwerdeführerin (in Folge BF2, geb. XXXX ) mit ihrer Mutter (in Folge BF3, geb. XXXX ) und zwei ihrer Kinder (in Folge BF4, geb. XXXX und BF6, geb. XXXX ) schlepperunterstütz ein und stellten am 13.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In den Ersteinvernahmen am 27.01.2016 und in den Einvernahmen vor der belangten Behörde am 07.06.2017 führten die Beschwerdeführer kurz zusammengefasst aus, dass sie aufgrund Ihres Naheverhältnisses zu Saddam Hussein 2004 den Irak verlassen mussten und bis 2015 in den Vereinigten Arabischen Emiraten gelebt haben. Nach Ihrer Rückkehr 2015 in den Irak wurde der Ehemann von BF2 in Bagdad von schiitischen Milizen entführt, worauf sie das Land mit dem Flugzeug verlassen haben.

2.       Der Erstbeschwerdeführer (in Folge BF1, geb. XXXX ) reiste mit dem dritten Sohn der Familie, dem Fünftbeschwerdeführer (in Folge BF5, geb. XXXX ) Anfang Oktober legal ein und stellte mit seinem Sohn am 24.10.2016 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.

In den Ersteinvernahmen am 24.10.2016 und in den Einvernahmen vor der belangten Behörde am 04.01.2017 wiederholten beide im Wesentlichen das Vorbringen der anderen Familienmitglieder. BF1 sei unmittelbar nach Zahlung eines Lösegeldes und der darauf erfolgten Freilassung zu seinem in Dubai verbliebenen Sohn (BF5) zurückgeflogen und am 05.10.2016 seien sie dann von dort legal mit einem Touristenvisum nach Österreich geflogen.

3.       Mit den verfahrensgegenständlichen Bescheiden vom 16.06.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage (Spruchpunkt IV.).

4.       Dagegen erhoben alle Beschwerdeführer über die ihnen zugewiesene Rechtsberatung am 05.07.2017 fristgerecht Beschwerde.

5.       Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurden die gegenständlichen Verfahren dem erkennenden Richter zugewiesen.

6.       Am 17.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht im Beisein aller Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durch. Aufgrund der Vielzahl der in der mündlichen Verhandlung für alle Beschwerdeführer vorgelegten Integrationsunterlagen wurde von einer mündlichen Verkündigung Abstand genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer:

Alle Beschwerdeführer haben nach dem Sturz von Saddam Hussein 2004 legal den Irak verlassen, sind in die Vereinigten Arabischen Emiraten ausgewandert und haben sich dort eine neue Existenz aufgebaut.

2015 kehrte die Familie wieder in den Irak zurück. Der zweite Sohn (BF 5) blieb, weil er 2016 dort die Schule abschloss, bei seiner dort lebenden Tante in Dubai zurück.

BF1 war sowohl im Irak als auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten unternehmerisch tätig, seine Frau (BF2) in beiden Ländern als Bauingenieurin und Architektin beschäftigt und die Kinder (BF4, BF5 und BF6) erhielten in Dubai eine gediegene Ausbildung und erreichten dort alle einen Mittelschulabschluss. Die verwitwete BF3 folgte der Familie ihrer Tochter. Die Familie lebt in guten wirtschaftlichen Verhältnissen, eine Stiefschwester von BF2 lebt mit ihrer Familie weiterhin in Dubai und im Irak verfügt die Familie über Vermögenswerte sowie über verwandtschaftliche und soziale Kontakte.

Alle Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten. Sie befinden sich in einem guten gesundheitlichen Allgemeinzustand, auch wenn BF1 und BF3 schon unter den Beschwerden des Alters leiden. BF1 steht wegen Bluthochdruck und BF3 wegen Diabetes in ärztlicher Behandlung und beide erhalten entsprechende Medikamente. BF6 leidet an Asthma und BF4 war in Dubai wegen Depressionen in ärztlicher Behandlung.

In Österreich hat sich die sechsköpfige Familie in einer Zweizimmerwohnung eines Neffen von BF1 eingemietet und bezahlt dafür € 500 monatlich.

Alle Familienmitglieder beziehen staatliche Unterstützungsleistungen (GVS) und verfügen in Österreich über kein Erwerbseinkommen.

Es wird aber alles unternommen, um die deutsche Sprache zu erlernen, wobei sich BF1 und BF3 altersbedingt schwertun und BF2 und BF4 sich wieder deutlich hervorheben und ohne Schwierigkeiten der mündlichen Verhandlung folgen konnten. Bei den beiden anderen Söhnen (BF5 und BF6) waren Deutsch-Kenntnisse auf gutem B1 und B2-Niveau vorhanden.

Es wird großes Augenmerk auf die Ausbildung der Söhne gelegt. BF5 besucht an der Universität XXXX seit dem Wintersemester 2017/18 das Bachelorstudium Theater, Film und Medienwissenschaft und hat am 12.06.2020 auch die Zulassung zum Bachelorstudium Internationale Betriebswirtschaft erhalten. BF4 hat für das Wintersemester 2020/21 eine Zusage für das Programm Business und Economics an der XXXX und möchte in weiterer Folge Betriebswirtschaft studieren. BF6 besucht die XXXX und möchte sich in der Zukunft, weil ihn das Programmieren interessiert, im EDV-Bereich weiterentwickeln. Alle 3 Söhne haben sich über die Universität bzw. Schule einen Freundeskreis in Österreich aufgebaut. BF1 und BF3 nehmen altersbedingt am Erwerbsleben nicht mehr teil. BF2 bringt sich mit ihren Deutschkenntnissen aktiv im Rahmen von Freiwilligenarbeiten ein und gibt u.a. Nachhilfe für Kinder.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Die Beschwerdeführer haben den Irak aus anderen Gründen, als auf wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen. Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte beschwerdegegenständlich nicht festgestellt werden.

Die von den Beschwerdeführern angeführte drohende Verfolgung durch schiitische Milizen aufgrund ihres Nachverhältnisses zu Saddam Hussein, welches sie 2004 zum Verlassen des Iraks veranlasst hatte sowie 2015 die Entführung von BF1, das fluchtartige Verlassen von BF2, BF3, BF4 und BF5 sowie die anschließende Freilassung von BF1 nach Zahlung eines Lösegeldes, werden als nicht glaubhaft angesehen.

Im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak werden die Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt sein. Es liegen auch keine sonstigen Gründe vor, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat Irak entgegenstünden.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat aus persönlichen Gründen oder auf Grund der allgemeinen Lage vor Ort der realen Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK geschützten Rechte ausgesetzt wären oder als Zivilpersonen einer ernsthaften Bedrohung ihrer Leben oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Irak ausgesetzt wären.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

Die allgemeine Lage, insbesondere im Großraum Bagdad hat sich zwischenzeitlich insoweit stabilisiert, dass eine Rückkehr von Personen, die keine besonderen Beeinträchtigungen aufweisen und dort über familiäre Anknüpfungspunkte und Vermögenswerte verfügen, keine Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte zu befürchten haben.

Milizen sind und werden zunehmend in die staatlichen Strukturen übernommen.

Im Gouvernement Bagdad leben mehr als sieben Millionen Menschen. Für den Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 wurden 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzte verzeichnet, im Feber 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten. Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Wiederaufnahmeprogramme laufen und Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich.

Wie alle anderen Länder kämpft auch der Irak mit den Folgen der Corona-Pandemie.

Eine in den Irak zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes beruhen auf den Angaben der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung am 17.06.2020 sowie auf den von ihnen im Zuge des Verfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen, die aufgrund der Menge dem BVwG nachträglich übermittelt wurden.

1.1. Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer:

Die Feststellungen zu den Identitäten, den Lebensumständen der einzelnen Beschwerdeführer, sei es vor 2004, in der Zeit in Dubai bis 2015 sowie nun in Österreich ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführer, insbesondere in der mündlichen Verhandlung und finden in den vorgelegten Unterlagen ihre Bestätigung. Ein Naheverhältnis zu Saddam Hussein und die erfolgte Ausreise 2004 sowie der vorangegangene Haftaufenthalt von BF1 von Oktober 2003 bis Ende März 2004 werden als glaubhaft angesehen. Das betrifft auch die Tätigkeit von BF2 in der Präsidialkanzlei von Saddam Hussein. Die diesbezüglichen Schilderungen von BF1, BF2 und BF3 sowie die von BF1 vorgelegte Haftbestätigung ergeben für den erkennenden Richter ein stimmiges und nachvollziehbares Bild. Der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer wurde mit ihnen in der mündlichen Verhandlung abgeklärt.

Die Feststellungen zu den guten wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie beruhen auf den Angaben von BF1 und BF2. So gab BF2 am 07.06.2017 an, dass die Familie drei Häuser in Bagdad habe, die sie beabsichtigen zu vermieten (AS 31). Auch das Leben, welches die Familie in ihrer Zeit im Irak führte (Juli bis Oktober 2015), zeigt, dass sie in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen leben. So konnten sie den Umbau ihres Hauses und ihr Leben, ohne eine Erwerbstätigkeit auszuüben, finanzieren. Die noch immer vorhandenen verwandtschaftlichen Kontakte sind über die von angeführte Unterstützung bei der Ausreise, die wirtschaftlichen Kontakte über die Angaben von BF1 zu entnehmen.

Die Feststellungen zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung sowie die derzeitige Unterbringung in Österreich beruhen auf den Angaben in der mündlichen Verhandlung und den dazu vorgenommenen Abfragen. Aus den Angaben der Beschwerdeführer und den eingeholten Sozialversicherungsauszügen ergibt sich, dass keiner von ihnen bisher in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.

Die Deutschkenntnisse der Beschwerdeführer sowie die Bildungsaktivitäten der drei Söhne (BF4, BF5 und BF6) als auch das Engagement in der Freizeit und bei Freiwilligenarbeiten sind über die vorgelegten Unterlagen eindrücklich und zweifelsfrei dokumentiert.

Die Feststellungen zur Einreise der Beschwerdeführer und zum Beginn ihres Aufenthalts in Österreich beruhen auf ihren Angaben in der Erstbefragung und vor der belangten Behörde und wurden in der mündlichen Verhandlung erörtert bzw. nicht in Abrede gestellt.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit beruht auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszug.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Die Beschwerdeführer geben als Fluchtgrund die Entführung von BF1 nach Ihrer Rückkehr in den Irak 2015 an und versuchen dies aufgrund des Naheverhältnisses zu Saddam Hussein, welches 2004 zu ihrer Auswanderung in die Vereinigten Arabischen Emirate geführt hat, zu begründen.

Es wird nicht in Abrede gestellt, dass die Familie Saddam Hussein gekannt und BF2 in der Präsidentschaftskanzlei als Ingenieurin gearbeitet hat. Ebenso ist unstrittig, dass die Familie nach dem Sturz von Saddam Hussein und dem Haftaufenthalt von BF1 bei den Amerikanern den Irak verlassen und sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten eine neue Existenz aufgebaut haben.

Glaubhafte Anhaltspunkte für eine, über Jahre bestehende Verfolgung, die zu einem Schussattentat auf BF1 2011 und seiner Entführung 2015 geführt haben, haben sich aber nicht ergeben.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass BF1 und BF2 von Milizen wegen angeblicher Gelder von Saddam Hussein noch immer gesucht und verfolgt werden. Dazu war die Beziehung zu Saddam Hussein, ein Schulfreund des Ehemannes von BF3, nicht so intensiv. So wurde von BF1 jeder berufliche oder wirtschaftliche Vorteil daraus verneint.

Hinzu kommt, dass bei einer derart massiven und langjährigen Verfolgung der Name der Verfolger, im konkreten Fall der Miliz bekannt sein sollte. Vielmehr werden sowohl die Schussverletzung des BF1 beim Besuch seines Bruders als auch seine Entführung 2015 mit der Suche nach BF2 in Verbindung gebracht. Die Abläufe werden von allen Beschwerdeführern ohne erkennbare Emotionen vorgebracht und bleiben in den Schilderungen vage, oberflächlich und zum Teil widersprüchlich. Vor dem BFA schilderte BF1 den Ablauf seiner Entführung 2015: „Meine Frau ging einkaufen. Ich habe Tee gekocht. Ich hörte an der Tür ein Klopfen, habe die Tür ein wenig aufgemacht……Einer hatte eine Militäruniform und fragte nach meiner Frau“, in der mündlichen Verhandlung am 17.06.2020 lautete es dann: „Ich hatte die Geldtasche vergessen und musste daher zurück ins Haus. Vor dem Haus stand ein Taxi. Als ich im Haus war, kamen drei Männer herein und fragten nach meiner Frau …….“ (AS 60).

Bei seiner Freilassung ging es nur mehr um die Höhe des Lösegeldes, welches er sich über einen Geschäftsfreund organisierte. Seine Ehefrau (BF2) war dabei kein Thema mehr. BF2 kehrte nach der Verständigung durch Ihre Mutter von der Entführung ihres Mannes nicht mehr in das Haus zurück und begab sich zu Verwandte, die ihr dann die sofortige Ausreise mit ihrer Familie organisierte. Diese war allen mit den dafür notwendigen Papieren auf legalem Weg möglich. All diese Abläufe sind bei einer tatsächlichen Verfolgung in dieser Form nicht nachvollziehbar. Völlig unglaubwürdig ist in diesem Zusammenhang die Aussage, dass Reisepass und Schlüssel des Hauses für den entführten BF1 von BF3 bei einem Nachbarn hinterlegt wurden.

Auch die Begründung von BF1 für das Schussattentat 2011 in der mündlichen Verhandlung, „sie wollten mich nicht töten, sondern nur provozieren. Sie haben nicht gewusst, dass ich im Krankenhaus war“, ist nicht plausibel.

Widersprüchlich sind auch die Angaben des BF1 zum Zeitpunkt der Entführung. So war es vor dem BFA der September (AS 61) und dann in der mündlichen Verhandlung, wie alle anderen Beschwerdeführer, der Oktober.

Ein zweifelsfreier Nachweis über die Reisebewegungen der Familie (Ein- und Ausreise in den Irak), wäre über die Vorlage der Reisepässe, insbesondere bei BF1, der legal mit einem Visum in Österreich einreiste, jederzeit möglich. Eine Vorlage war, weil BF1 diesen gleich nach der Einreise weggeworfen haben will, aber nicht möglich, die anderen Beschwerdeführer wollen ihre Reisepässe bei der Überfahrt über das Meer verloren haben.

Gerade das bewusste Wegwerfen des Reisepasses nach einer legalen, ohne Druck erfolgten Einreise durch BF1 belastet, neben dem behaupteten Verlust der Reisepässe bei der Überfahrt über das Meer, die Glaubwürdigkeit die verfahrensgegenständliche Fluchtgeschichte schwer. Gleichzeitig war die Familie aber in der Lage, wiederum abgesehen vom Schussattentat auf BF1 2011 und von ihrer Rückkehr in den Irak sowie der Entführung sowie der darauf erfolgten Ausreise 2015, alle anderen Punkte ihres Vorbringens entsprechend zu dokumentieren.

Hinzu kommt das geplante Verlassen der Vereinigten Arabischen Emirate. Auch dabei ergeben sich erhebliche Widersprüche. Zunächst war es lt. BF1 nur der fehlende Aufenthaltstitel für BF4 und ein Arbeitsplatzverlust seiner Ehefrau (AS 57), in der mündlichen Verhandlung waren es dann wirtschaftliche Gründe, seine Firma ging zu Grunde sowie der Verlust des Arbeitsplatzes von BF2. Nach seiner Freilassung kehrte BF1 zu seinem in Dubai zurückgebliebenen Sohn (BF5) zurück. Von dort kamen dann beide im September 2016 (auch im Widerspruch zu den ursprünglichen Angaben 10. Oktober 2016) mit einem Tourismusvisum nach Österreich. Es kann daraus zwar ein geplantes Verlassen der Vereinigten Arabischen Emirate entnommen werden, nicht aber der tatsächliche Grund.

Im Ergebnis wurde versucht aus einem Naheverhältnis zu Saddam Hussein und der erfolgten Auswanderung 2004 und über ein Schussattentat 2011 und einer Entführung gegen Lösegeldzahlung 2015 eine Verbindung zu ziehen. Für den erkennenden Richter ist es nicht gelungen ein Zusammenhang glaubhaft zu machen. Zudem beruhen Schussattentat und Entführung auf äußert vagen und unbestimmten Angaben. Vielmehr erscheint es glaubhaft, dass sich die Familie damit eine Aufenthaltsberechtigung rechtfertigen wollte, um vor allem die Zukunft ihrer Kinder zu verbessern.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak, den UNHCR-Erwägungen mit Stand Mai 2019 sowie einer Kurzinformation der Staatendokumentation zu Covid 19 vom 15.06.2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen.

Das Ergebnis wurde in der mündlichen Verhandlung mit den Beschwerdeführern erörtert.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Auf Basis dieser Quellen und Berichten ergibt sich eine deutliche Entspannung der Sicherheitslage und der allgemeinen Lage im Irak. Es ist ein Konsolidierungsprozess der Ordnung im Irak nach Ausschaltung des IS und Etablierung erster Schritte einer politisch wie ethnisch ausgewogeneren Regierung im Irak erkennbar, sodass davon auszugehen ist, dass eine in den Irak zurückkehrende Person nicht aufgrund der Lage im Herkunftsstaat einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe, der Todesstrafe oder einem bewaffneten innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konflikt ausgesetzt ist. Das ist vor allem bei der wirtschaftlich gut gestellten und ausgebildeten Familie, die auch immer noch über Geschäftskontakte und verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte verfügt, zu erwarten.

Auch es den Berichten zur Cocid 19-Entwicklung der letzten Tage, zuletzt Kurzinformation der Staatendokumentation vom 15.07.2020 kann nicht entnommen werden, dass sie dort die Lage dramatisch, in Richtung eines Notstandes geändert hätte. Unabhängig davon wäre diese Frage vor einer Rückkehr nochmals zu prüfen.

Wenn die Rechtsvertretung auf die Ausführungen im Länderbericht zu Bagdad verweist (Seite 14, 22-23), wird zwar auf vereinzelte, meist gezielte Anschläge verwiesen, die überwiegend dem IS aber auch pro-iranischen Milizen zugeordnet werden, und auf zum Teil gewalttätigen Demonstrationen, sie führen aber in Summe bei einer Bevölkerungsanzahl von 7 Millionen, zu keiner sicherheitsbedrohenden Lage.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1.    Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, wird bei den Beschwerdeführern nicht davon ausgegangen, dass sie aufgrund asylrelevanter Verfolgungshandlungen den Irak verlassen mussten.

3.2.    Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein – über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes – "real risk" einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354; 31.05.2005, 2005/20/0095, 31.03.2005, 2002/20/0582).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK angenommen werden kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 ua). Das Vorliegen solcher exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 07.09.2016, Ra 2015/19/0303 ua).

Dem Beschwerdeführer droht im Irak - wie oben bereits dargelegt wurde - keine asylrelevante Verfolgung.

Auch dafür, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr nach Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Die Beschwerdeführer sind volljährig, gesund und abgesehen von BF1 und BF2, die sich schon im Ruhestandsalter befinden, arbeitsfähig.

Damit sind die Beschwerdeführer durch die Abschiebung nach Irak nicht in ihrem Recht gemäß Art 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber ihrer Situation im Irak bessergestellt sind, genügt nicht für die Annahme, er würde im Irak keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Ganz allgemein besteht im Irak derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus dem amtliches Wissen darstellenden Länderinformationsblatt für Irak, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

3.3.     Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 58 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs 3 AsylG). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr iSd § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs 1 Z 3 AsylG.

Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus nachstehenden Gründen gegeben:

Das vorliegende Asylverfahren erreicht, gerechnet von der Antragstellung am 13.11.2015 bzw. 24.10.2016 viereinhalb bzw. an die vier Jahre. Die Aufenthalte der Beschwerdeführer beruhten dessen ungeachtet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb diese während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durften, dass sie sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen können.

Die Familie investiert viel in die Ausbildung ihrer Kinder, welche die Universität besuchen oder es anstreben und zum Teil bereits sehr gute Deutschkenntnisse aufweisen. Das gilt auch für die Mutter (BF2), ihr Ehemann (BF1) und ihre Mutter (BF3) sind altersbedingt beim Erlernen der deutschen Sprache nicht so weit. Sie leben in einer Zweizimmer-Wohnung eines Neffen, sind auf Leistungen der Grundversorgung angewiesen, keiner von ihnen hat bisher eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt und sie sind damit auch nicht selbsterhaltungsfähig. Die ehrenamtlichen Tätigkeiten von BF2 werden dabei nicht übersehen.

Die Familie verfügt, wie es ihren Angaben beim Versuch 2015 eine neue Existenz dort wiederaufzubauen, über entsprechende finanzielle Mittel und Kontakte, sei es familiär aber auch wirtschaftlich.

Die mittlerweile alle volljährigen Kinder der Familie nutzen die Ausbildungsmöglichkeiten in Österreich und haben sich dadurch auch einen Freundeskreis aufgebaut. Auch wenn sie überwiegend in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgewachsen sind, sind sie mit dem kulturellen und sozialen Umfeld im arabischen Raum vertraut und sprechen arabisch. In Bagdad bestehen Universitäten und es ist davon auszugehen, dass es die familiären Verhältnisse zulassen, dass sie ihre Studien auch dort fortsetzen können oder über ein Studentenvisum in Österreich oder einem anderen Land abschließen. Das Kindeswohl ist somit nicht beeinträchtigt, zumal die Entscheidung die gesamte Familie umfasst.

Im Ergebnis ist eine Rückkehr der Familie in den Herkunftsstaat möglich und zumutbar.

Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtige Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsberechtigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung deren § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (VwGH 5.12.2018, Ra 2018/20/03 71).

So steht dem in Österreich entstandenen Privatleben das öffentliche Interesse gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.

So hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des §§ 9 Abs. 2 Z. 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende die Schritte in einen Zeitraum gesetzt wurden, indem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste (VwGH 28.02.2019, Ro 2019(01/003). Liegt – wie im vorliegenden Fall – eine relativ kurze Aufenthaltsdauer der Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit verlangt Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289).

Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung – und damit eines von Art 8 Abs 2 EMRK erfassten Interesses – ein hoher Stellenwert zukommt (vgl zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die noch schwach ausgebildeten privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich. Zudem ist der Zeitraum des Aufenthalts in Österreich zu kurz

Ebenso wenig vermag die strafgerichtliche Unbescholtenheit seine persönlichen Interessen entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG nicht in Betracht kommt.

Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs 1 Z 3 AsylG und § 52 Abs 2 Z 2 FPG sind erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (zB vorübergehend nach Art 8 EMRK, vgl § 9 Abs 3 BFA-VG und VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146) unzulässig. Die Beschwerdeführer verfügen auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.

Betreffend die mit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 9 FPG gleichzeitig festzustellende Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Herkunftsstaat ist auszuführen, dass keine Gründe vorliegen, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig wäre.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl dazu etwa VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 – 0062).

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak erfolgte daher zu Recht.

3.4.    Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer nichts vorgebracht, was auf solche „besonderen Umstände“ iSd § 55 Abs 2 FPG schließen ließen. Weder aus dem Verwaltungsakt noch in der mündlichen Verhandlung sind Umstände hervorgekommen, die als „besondere Umstände“ iSd § 55 Abs 2 FPG zu werten wären. Daher traf die belangte Behörde zu Recht den Ausspruch, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage beträgt.

Die Beschwerde erweist sich daher zu allen Spruchpunkten als unbegründet und war daher abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Abschiebung Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel begründete Furcht vor Verfolgung berücksichtigungswürdige Gründe Familienverfahren Fluchtgründe freiwillige Ausreise Frist Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2164290.1.00

Im RIS seit

05.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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