TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/23 I415 2232875-1

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Veröffentlicht am 23.07.2020
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Entscheidungsdatum

23.07.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I415 2232875-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , StA. Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2020, Zahl XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde als unbegründet a b g e w i e s e n.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin, eine deutsche Staatsangehörige, reiste zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach Österreich ein und hält sich seit zumindest 01.08.2018 immer wieder im Bundesgebiet auf. Sie ist obdachlos und wurde im Bundesgebiet wiederholt wegen Verwaltungsübertretungen angezeigt und bestraft.

2.       Mit Parteiengehör vom 04.02.2020 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol (im Folgenden: BFA; belangte Behörde) die Beschwerdeführerin auf, sich binnen einer Woche zur in Aussicht genommenen Erlassung einer Ausweisung sowie eines Aufenthaltsverbotes zu äußern.

3.       Die Beschwerdeführerin übermittelte am 12.02.2020 eine schriftliche Stellungnahme.

4.       Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 08.06.2020 wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 67 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

5.       Dagegen erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Rechtsvertretung fristgerecht am 07.07.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde beantragt, den Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu das Aufenthaltsverbot zu verkürzen, in eventu einen Durchsetzungsaufschub zu erteilen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

6.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 08.07.2020 vorgelegt.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist Staatsbürgerin der Bundesrepublik Deutschland und ledig.

Der Zeitpunkt ihrer erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet konnte nicht festgestellt werden. Die Beschwerdeführerin verfügte zu keinem Zeitpunkt über einen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet oder eine Anmeldebescheinigung nach dem NAG. Sie war von 01.08.2018 bis 17.10.2018 an einer Obdachlosen-Adresse gemeldet, ging von 08.07.2019 bis 19.07.2019 einer Beschäftigung als Zimmermädchen nach und ist neuerlich seit dem 11.02.2019 als Obdachlose gemeldet.

In Österreich lebt der Freund der Beschwerdeführerin, der ebenfalls deutscher Staatsangehöriger ist. Am 18.09.2019 leitete das BFA gegen ihn ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein, welches noch nicht abgeschlossen ist. Es bestand zu keinem Zeitpunkt eine gemeinsame Meldeadresse.

Die Beschwerdeführerin verfügt im Bundesgebiet über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Ihre Eltern leben in Deutschland.

Konkrete Anhaltspunkte dahingehend, dass eine umfassende und maßgebliche Integration der Beschwerdeführerin in Österreich in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht anzunehmen wäre, liegen nicht vor.

Die Beschwerdeführerin verfügt über keine für das Bundesgebiet gültige Sozial- und Krankenversicherung, geht keiner rechtmäßigen Beschäftigung nach und ist mittellos.

In Österreich ist die Beschwerdeführerin strafgerichtlich unbescholten.

In Spanien, Deutschland und der Schweiz liegen ihr die folgenden Verurteilungen zur Last:

Mit rechtskräftigem Urteil des Strafgerichtes XXXX vom XXXX , wurde sie wegen des Deliktes des Widerstandes oder schweren Ungehorsams gegen die Staatsgewalt gem. Art. 556 Span. STG zu einer unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten und einem Tag verurteilt.

Mit Urteil des XXXX vom 29.12.2015, Zl. XXXX , wurde sie wegen der Delikte des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, der vorsätzlichen Körperverletzung, sowie der Beleidigung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen gemäß §§ 113 Abs. 1, 223 Abs. 1, 230 Abs. 1, 185, 194, 21, 52 und 53 deutsches StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen à EUR 15,00 rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil des AG XXXX vom 16.02.2016, Zl. XXXX , wurde sie wegen des Deliktes des Erschleichens von Leistungen in drei Fällen gemäß §§ 265 a, 248 a und 53 deutsches StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à EUR 8,00 rechtskräftig verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil des AG XXXX vom 31.03.2016, Zl. XXXX wurde die Beschwerdeführerin wegen des Deliktes des Erschleichens von Leistungen gemäß §§ 265 a Abs. 1 und 3 und 248 a deutsches StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à EUR 15,00 verurteilt.

Mit Beschluss vom 13.07.2016, Zl. XXXX , bildete das AG XXXX nachträglich eine Gesamtstrafe von 160 Tagessätzen à EUR 8,00.

Mit Urteil des AG XXXX vom 24.08.2016, Zl. XXXX , wurde die Beschwerdeführerin wegen des Deliktes des Diebstahls in drei Fällen gemäß §§ 242 Abs. 1, 53, 56 Abs. 1 deutsches StGB zu einer unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil des AG XXXX vom 13.02.2018, Zl. XXXX , wurde sie wegen der Delikte des Hausfriedensbruches und der Sachbeschädigung gemäß §§ 123 Abs. 1 und 2, 303 Abs. 1, 303 c, 52 deutsches StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen in Höhe von EUR 15,00 verurteilt.

Am 06.05.2019 wurde sie durch die Reg. Staatsanwaltschaft XXXX , Schweiz, Zl. XXXX , wegen des Deliktes des Diebstahls gemäß Art. 139/1 schweiz. STG zu einer Geldstrafe von 25 Tagsätzen in Höhe von CHF 30,00 rechtskräftig verurteilt. Die Geldstrafe wurde unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit bedingt nachgesehen, daneben wurde nachträglich eine Geldbuße in Höhe von 150 CHF verhängt.

Darüber hinaus weist sie im Bundesgebiet insgesamt elf verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen auf, die aktuellste vom 02.06.2020.

Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich stellt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

2. Beweiswürdigung

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1.    Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem AJ-Web, dem Schengener Informationssystem und dem Strafregister wurden ergänzend eingeholt.

Die belangte Behörde hat ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde.

Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der erstinstanzlichen Behörde getroffene Entscheidung in Frage zu stellen. Die Beschwerdeführerin bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt und somit entscheidungsreif ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.

2.2 Zur Person der Beschwerdeführerin

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin beruhen auf den entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen auch im Zuge der Beschwerde nicht entgegengetreten wurden.

Die Feststellungen zum Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ergeben sich aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit einer eingeholten ZMR-Auskunft. Daraus geht auch hervor, dass die Beschwerdeführerin in Österreich abgesehen von ihren Meldungen an Obdachlosen-Adressen über keinen Wohnsitz im Bundesgebiet verfügte.

Auch zum Freund der Beschwerdeführerin wurde eine ZMR-Auskunft sowie ein Auszug aus dem zentralen Fremdenregister eingeholt.

Weder aus dem Verwaltungsakt, noch aus dem Beschwerdeschriftsatz ergeben sich Hinweise auf das Vorliegen maßgeblicher privater und familiärer Beziehungen oder einer nachhaltigen Integration der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet. In Hinblick auf die nur kurze Dauer ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet kann nicht von einer nachhaltigen Aufenthaltsverfestigung der Beschwerdeführerin gesprochen werden. Wie in der rechtlichen Beurteilung darzulegen sein wird, ist auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Freund der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet lebt, für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen.

Die Feststellung zu ihren familiären Anknüpfungspunkten in Deutschland ergibt sich aus den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin.

Die Feststellungen zu der nur kurzzeitigen Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet, zu ihrer Mittellosigkeit und zum Nicht-Vorliegen einer für Österreich gültigen Sozial- und Krankenversicherung gehen aus einer aktuellen Auskunft des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger (AJ-Web) hervor.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin in Österreich ergibt sich aus einem eingeholten Strafregisterauszug. Dem im Akt einliegenden ECRIS-Auszug sind die Verurteilungen der Beschwerdeführerin im Ausland zu entnehmen (AS 187-196).

Aus dem Verwaltungsakt ergeben sich die Feststellungen zu den verwaltungsstrafrechtlichen Übertretungen der Beschwerdeführerin in Österreich (AS 43, 49, 87, 121, 135 und 199).


3. Rechtliche Beurteilung:

3.1      Zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots (Spruchpunkt I.)

Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG sogar unbefristet erlassen werden.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Die Verhältnismäßigkeit eines Aufenthaltsverbots ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289)

Gemäß Art. 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der Beschwerdeführerin kommt weder das Recht auf Daueraufenthalt zu, weil sie sich nicht fünf Jahre lang rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufhielt, noch liegt ein zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG führender zehnjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet vor (vgl VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079). Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) maßgeblich.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl dazu etwa VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039).

Bei der für die Beschwerdeführerin zu erstellenden Gefährdungsprognose stehen deren zahlreichen strafgerichtlichen Verurteilungen aus Spanien, Deutschland und der Schweiz, überwiegend wegen Eigentumsdelikten und Sozialbetrugs, Hausfriedensbruchs, Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung und Körperverletzung im Zeitraum 2012 bis 2019 im Fokus der Betrachtung. Aber auch die verwaltungsstrafrechtlichen Übertretungen der Beschwerdeführerin in Österreich sind zu berücksichtigen.

Dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Eigentumskriminalität kommt ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH vom 22.02.2011, Zahl 2010/18/0417).

Dem Verhalten der Beschwerdeführerin ist entnehmbar, dass diese immer wieder in ihr Verhaltensmuster, andere an deren Vermögen zu schädigen, zurückfällt. Offenbar konnten sie die bereits bisher verhängten Sanktionen und auch die Rechtswohltat der bedingten Strafnachsicht nicht davon abhalten, weitere Delikte zu begehen. Innerhalb der letzten fünf Jahre wurde die Beschwerdeführerin – wenn auch im Ausland – sechs Mal strafgerichtlich verurteilt, zuletzt in der Schweiz im Mai 2019.

Ferner erweist sich der seit der letzten Verurteilung verstrichene Zeitraum als zu kurz, um eine Gegenwärtigkeit der Gefahr im Sinne des § 67 FPG ausschließen zu können.

Daher ist die vom BFA getätigte Annahme, wonach die Beschwerdeführerin rückfallsgefährdet ist, jedenfalls gerechtfertigt, dies insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin mittellos ist, über keinen ordentlichen Wohnsitz verfügt und keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgeht.

Wie sich zusätzlich aus den zahlreichen verwaltungsstrafrechtlichen Übertretungen in Österreich ergibt, zeigt die Beschwerdeführerin insgesamt ein sehr geringes Maß an Bereitschaft zur Einhaltung von Normen und setzte so ihr Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet wissentlich aufs Spiel.

All diese Umstände lassen im Zusammenschau mit der Deliktsbegehung erst in jüngster Vergangenheit den Schluss zu, dass die von der Beschwerdeführerin ausgehende Gefahr gegenwärtig, erheblich und tatsächlich ist. Ihr Verhalten berührt ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich insbesondere jenes an der Hintanhaltung von Eigentumsdelikten.

Aufgrund des persönlichen Verhaltens der Beschwerdeführerin ist das BFA zu Recht davon ausgegangen, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zur Einhaltung der fremdenpolizeilichen Bestimmungen dringend geboten ist. Diese Maßnahme ist zur Verwirklichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele notwendig.

Ferner konnte im Lichte der im Sinne des § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung der privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen nicht zu einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes führen.

Die Beschwerdeführerin hält sich seit Februar 2019, sohin seit lediglich rund eineinhalb Jahren durchgehend im Bundesgebiet auf. Sie brachte – abgesehen von einer Beziehung mit einem deutschen Staatsangehörigen, mit dem jedoch keine gemeinsame Wohnadresse besteht und gegen den ebenfalls ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet wurde – keinerlei Umstände vor, die auf ein schützenswertes Privat- und Familienleben im Bundesgebiet schließen ließen. Auch aus dem Verwaltungsakt gehen keine Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdigende Integration der Beschwerdeführerin hervor. Sie ist behördlich an einer Obdachlosenadresse gemeldet, ging nur für wenige Tage einer erlaubten Erwerbstätigkeit nach und verfügt über keine für das Bundesgebiet gültige Sozial- und Krankenversicherung.

In Zusammenschau entspricht das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht den Anforderungen an ein schützenswertes Privatleben und Familienleben im Sinne der EMRK, sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die erforderliche Intensität.

Demgegenüber bestehen nach wie vor Bindungen der Beschwerdeführerin zu ihrem Herkunftsstaat Deutschland, wo noch ihre Eltern leben. Sie ist dort aufgewachsen und hat den überwiegenden Großteil ihres bisherigen Lebens in Deutschland verbracht. Es wird ihr daher ohne unüberwindliche Probleme möglich sein, sich wieder in die dortige Gesellschaft zu integrieren.

Das gegen die Beschwerdeführerin erlassene Aufenthaltsverbot verbietet ihr nur den Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht aber in anderen EWR-Staaten. Sie kann somit den Kontakt zu ihrem Freund durch Telefonate, Briefe oder elektronische Kommunikationsmittel (E-Mail, Internet) sowie durch Besuche in Deutschland oder in anderen Staaten, die nicht vom Aufenthaltsverbot umfasst sind, weiter aufrechterhalten.

Unabhängig davon sind die mit einem Aufenthaltsverbot einhergehenden gegenständlichen Auswirkungen auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH 03.10.2013, Zl. 2013/22/0083).

Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sind demnach höher zu gewichten als die gegenläufigen, als gering zu wertenden privaten Interessen der Beschwerdeführerin. Unter diesen Umständen ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 9 BFA-VG als zulässig zu werten (vgl etwa VwGH 20.08.2013, 2013/22/0097).

Auch die dreijährige Dauer des Aufenthaltsverbotes ist vor dem Hintergrund des Fehlverhaltens der Beschwerdeführerin, der kurzen Dauer ihres Aufenthaltes und der fehlenden Integration im Bundesgebiet angemessen. Während dieser Zeit wird es der Beschwerdeführerin möglich sein, ihren behaupteten Gesinnungswandel durch die Vermeidung eines Rückfalls zu untermauern. Diese Dauer ist ausreichend, aber auch notwendig, um eine nachhaltige Änderung ihres Verhaltens und ihrer Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten zu bewirken.

3.2      Zur Nicht-Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs (Spruchpunkt II.) und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III.)

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann bei EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom BFA aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt hat und wie sich aus den bereits zum Aufenthaltsverbot dargelegten Erwägungen ergibt, erweist sich die sofortige Ausreise der Beschwerdeführerin im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit als erforderlich. Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs. 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG ist vor diesem Hintergrund korrekturbedürftig, sodass die Beschwerde auch in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids unbegründet ist.

3.3      Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

§ 21 Abs. 7 BFA-VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung, und zwar selbst dann, wenn deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Diese Regelung steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC). Eine Beschwerdeverhandlung muss daher nur dann durchgeführt werden, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig ist. Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt zwar der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine generelle Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen wie hier, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Da im gegenständlichen Fall der Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck von der Beschwerdeführerin bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, konnte eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten, zumal von der Richtigkeit der ergänzenden Tatsachenbehauptungen der Beschwerdeführerin ausgegangen wird bzw. auch bei deren Zutreffen keine andere, für sie günstigere Entscheidung möglich wäre.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Angemessenheit Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung - Entfall Beleidigung Diebstahl Durchsetzungsaufschub Erschleichen EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Haft Haftstrafe Hausfriedensbruch Interessenabwägung Körperverletzung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Sachbeschädigung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Unionsbürger Verhältnismäßigkeit Verwaltungsübertretung vorsätzliche Begehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I415.2232875.1.00

Im RIS seit

03.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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